Deutschlands Humoristen
und der „gute Tropfen”

Von Freiherrn von Schlicht †
in: „Honnefer Volkszeitung” vom 29.10.1927,
in: „Gablonzer Tagblatt” vom 2.11.1927,
in: „Wittener Tageblatt” vom 5.11.1927,
in: „Altenaer Kreisblatt” vom 21.11.1927


In einer Gesellschaft erzählte ich als fast Sechzigjähriger einmal, daß ich infolge meiner eisernen Gesundheit seit 17 Jahren keinen Arzt mehr benötigt hätte. Daraufhin fragte mich eine Dame, die, wie mir bekannt, in Wort und Schrift für Deutschlands Trockenlegung eintritt: „Nicht wahr, da sind Sie sicher auch ein geschworener Feind des Alkohols und nur dem Umstand, daß Sie ihn in jeglicher Gestalt meiden und gemieden haben, verdanken sie Ihre Gesundheit?”

„Jessas, hab' ich da gelacht,” wie es in einem alten Couplet heißt. Ausgerechnet ich ein Abstinent und Gegner des Alkohols! Gewiß, ich bin nie ein Trinker gewesen; aber wenn ich für jeden Rausch, den ich in meinem Leben gehabt, einen Tausendmarkschein bekommen hätte, könnte ich wie ein kleiner Maharadscha leben. Die zahllosen Humoresken und Romane, die ich in vier Jahrzehnten geschrieben, sind alle unter der Ein- und Nachwirkung eines natürlich nur mäßigen, aber doch sehr regelmäßigen Alkoholgenusses entstanden; denn wenn der Wein des Abends meine Phantasie belebte, habe ich mir meine Geschichten ausgedacht, die ich am nächsten Morgen lediglich mechanisch niederzuschreiben brauchte. Und wie ein guter Tropfen mir stets half, so weiß ich, daß er allen anderen Humoristen, falls ich selbst mich in aller Bescheidenheit zu denen zählen darf, ebenso hilft.

Als ich vor zwei Jahrzehnten mit dem bekannten Lustspieldichter Franz von Schönthan das Stück „Im bunten Rock” schrieb, erzählte er mir, daß sein früherer Mitarbeiter Gustav von Moser, der Verfasser des „Veilchenfresser” und zahlreicher anderer Lustspiele, über die Hunderttausende Tränen gelacht haben, nur habe arbeiten können, wenn eine Flasche Rotwein neben ihm gestanden habe. Auch die berühmte Lustspielfirma Blumenthal und Kadelburg bedurfte der geistigen Anregung, denn als ich einmal in den Moorbädern von Marienbad mit Oskar Blumenthal zusammentraf, gestand er mir lachend, er habe ein neues Stück mit Kadelburg vollendet und davon wie immer hinterher einen kleinen Gichtanfall bekommen. Noch ein anderer unserer erfogreichsten Lustspieldichter, der geistreich spöttelnde Heinrich Ilgenstein ist gleichfalls kein Kostverächter, wenn es gilt, dem Gersten- oder Rebensaft zu huldigen. Und dann der leider zu früh verstorbene Otto Ernst; wie trefflich verstand er es, einen guten Tropfen zu schätzen, und wie haben wir damals in Dresden zusammen die Premiere seines ersten Lustspiels gefeiert! In Dresden, in dem von Ernst Eckstein, dem trinkfesten Verfasser des unsterblichen „Besuches im Karzer” begründeten Symposion war es auch, wo ich mit Otto Erich Hartleben und mit Julius Bierbaum bis in die Nacht und wieder bis zum Morgen kneipte. Auch mein verstorbener Landsmann Julius Stinde liebte den Wein, bei dem ihm häufig sein Freund Johannes Trojan vom „Kladderadatsch” Gesellschaft leistete. Und als die beiden einmal wieder einen ihrer länglichen Frühschoppen machten, geschah es, daß sie, ohne daß sie es merkten, photographiert wurden. Das Bild erschien in einer Zeitschrift und alle Welt lachte über die Unzahl der leeren Flaschen, die auf dem Tisch standen, so daß Trojan sich gegen diese Indiskretion, wie er das nannte, in einem Scherzgedicht verteidigte, das mit den Worten schloß: „Und außerdem wie ich so was finde — nur zwei Flaschen gehörten mir, alle anderen Stinde.” Julius Stettenheim, der unsterbliche „Wippchen”, einer der witzigsten Köpfe, den es je gab, erklärte mir kurz vor seinem 80. Geburtstag: „Nein, lieber Freund, das viele Rauchen werde ich mir wohl nicht mehr abgewöhnen, dafür trinke ich aber jetzt noch regelmäßiger als früher meinen Wein, um körperlich und geistig frisch zu bleiben.” Rudolf Presber, der Millionen Mitmenschen fröhlich gemacht hat, wurde gleichfalls durch manchen guten Tropfen zu weiteren köstlichen Gaben angeregt. Und Ludwig Thoma, der geborene Bayer, hätte uns ganz gewiß weder seine Lausbubngeschichten noch seine einzigartigen Lustspiele geschenkt, wenn er seine Phantasie lediglich mit alkoholfreien Getränke belebt hätte. Auch mit Fontane durfte ich einmal bei einem Glase Wein — oder waren es mehrere? — zusammensitzen, und so oft ich später seine Bücher, namentlich seinen „Stechlin” gelesen habe, war mir dann immer, als sähe ich den alten liebenswürdigen Herrn vor mir, und ganz deutlich hörte ich dann sein Lachen. Ach und wie lustig war der Abend, den ich mit dem großen Komiker Richard Alexander und mit seinem Duzfreund Ludwig Ganghofer bei einem guten Tropfen verleben durfte. Und wie unvergeßlich sind die Abende mit dem genialen Ernst von Wolzogen, der nebenbei Begründer des „Ueberbrettls” war, dem auch ich einmal angehörte. In dauernder Erinnerung wird mir Hans Hoffmann, der Verfasser der Bozener Märchen bleiben, den ich an Bismarcks 70. Geburtstag in Friedrichsruh kennen lernte; selten habe ich einen Menschen getroffen, der über einen so feinen Humor verfügte, aber auch selten einen, dem das Herz so aufging, wenn er bei dem geliebten Mosel saß. Auf meinen Landsmann Klaus Groth kann ich mich nur noch dunkel entsinnen, aber ich weiß, daß auch er kein Gegner des Alkohols war; auch er liebte ihn, wenn auch nicht in dem Maße, wie unser größter plattdeutscher Dichter Fritz Reuter. Und wenn Otto Reutter, der wohl der bedeutendste Humorist der Jetztzeit ist, bei Bier oder Wein im Freundeskreise weilt, merkt selbst der ihm Unbekannte, daß auch er seine vielen witzigen und geistreichen Arbeiten nicht unter der Einwirkung von Selterwasser geschrieben hat.

Das sind nur einige wenige Beispiele, die ich um zahllose weitere vermehren könnte, und zwar zum Beweise dafür, daß der Humor des mäßigen Alkoholgenusses, der Anregung bedarf. Nehmt dem deutschen Volke den Alkohol, legt Deutschland trocken, dann nehmt ihr ihm seine Humoristen ; aber damit nehmt ihr dem Volke zugleich auch die Lebensfreude, das Lachen, soweit es das in diesen traurigen Zeiten nicht ohnehin schon verlernt hat.

Schließlich noch ein kleines Wort von unserem Meister Wilhelm Busch, das er einmal den Dresdner Primanern schickte, als diese ihn um einen Beitrag für ihre Abiturienten- und Kommerszeitung baten und das meines Wissens noch nirgends veröffentlicht wurde. Da schrieb Wilhelm Busch kurz und bündig auf einer Postkarte: „Na, denn Prosit, sagte Fritzchen Köhler — Auf dem Kommers heut' ist mir wöhler!”


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© Karlheinz Everts