Der Kriegsakademiker.

Humoristische Plauderei.
Von Freiherrn v.Schlicht(*)
in: „Frankfurter Zeitung und Handelsblatt” vom 13.Febr. 1898,
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 15.Febr. 1898,
in: „Münsterischer Anzeiger” vom 27.2.1898,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 20.3.1898 und
in: „Excellenz kommt”

Der Herr Premier sitzt mit seiner Gattin am Abendbrodtisch, da klingelt es an der Thür und gleich darauf tritt der Bursche ins Zimmer.

„Was gibt's?"

„Ein Brief für den Herrn Lieutenant, die Ordonnanz wartet auf Antwort."

Der Herr Premier öffnet das Couvert, liest das Schreiben und sagt dann: „Sage der Ordonnanz, wir würden uns die Ehre geben, zu kommen," und zu seiner Frau gewendet fügt er hinzu, nachdem der Diener gegangen ist: „Mein Hauptmann ladet uns zu nächstem Samstag zum Abendessen ein."

Entsetzt starrt sie ihn an: „Was? fangen die Kommißpekkos in diesem Jahr schon im Oktober an? Das ist ja fürchterlich, das wird ja ein entsetzlicher Winter werden!"

Er pflichtet ihr bei: „ Genußreich sind diese Gesellschaften gerade nicht, das kann ja kein Mensch behaupten, aber es ist doch wenigstens eine Abwechslung, wenigstens eine kleine Zerstreuung, ein kleines Vergnügen in dieser stumpfsinnigsten aller Städte."

„Otto, Otto, warum mußt Du auch gerade hier in Garnison stehen?" sagt sie klagend.

„Frage das Militärkabinet", gibt er zur Antwort, „warum es vor einem Jahr, als ich Premier wurde, auf den Gedanken kam, mich hierher zu versetzen, ich weiß es nicht."

„Ist wirklich gar keine Aussicht, daß wir hier bald wieder fortkommen?"

Er lacht laut auf: „Unser Leben währet siebenzig, das Lieutenantsein aber siebenzehn Jahr. Siebe Jahre habe ich noch bis zum Hauptmann, und wenn ich Glück habe, bekomme ich hier auch eine Kompagnie. Vorläufig ist also an eine Luftveränderung nicht zu denken."

Verzweifelt ringt sie die Hände: „Wirklich noch sieben Jahre?" Und als er zur Antwort mit dem Kopfe nickt, fährt sie fort: „Weißt Du, ich habe es nie geglaubt, wenn Du es mir sonst erzähltest, aber das will ich Dir sagen: sieben Jahre halte ich es hier nicht mehr aus. Wenn wir Kinder hätten, wäre es ja etwas Anderes, aber so langweile ich mich hier einfach zu Tode: Kein Theater, kein Concert, keine geistige Anregung irgend welcher Art, kein Civil-Verkehr, nur Kommiß und immer Kommiß, solche elende Garnison gibt es in ganz Deutschland nicht wieder. Und hier soll ich noch sieben Jahre und, wenn wir, wie Du sagt, Glück haben, noch länger sitzen, alt und grau werden, versimpeln und verflachen nach allen Himmelsrichtungen? Das thue ich einfach nicht!"

„Und doch wird Dir nichts Anderes übrig bleiben, Liebste", sucht er sie zu beruhigen, „ich sehe wirklich für Dich und auch für mich keinen Ausweg, aus diesem elenden Nest, das Gott im Zorn geschaffen hat, fortzukommen."

„Ich weiß einen," spricht sie zuversichtlich.

Verwundert sieht er sie an.

Da erhebt sie sich von ihrem Platz, geht auf ihren Gatten los, schlingt zärtlich die Hände um seinen Hals, schmiegt sich an ihn und bittet mit dem ganzen Schmelz ihrer Stimme: „ Otto, thu' es mir zu Liebe, mach' das Examen zur Kriegsakademie !"

Zornig schwellen ihm die Adern auf der Stirn: „Laß mich mit dem Unsinn zufrieden, was habe ich davon, wenn ich das Examen mache, auf die Akademie komme ich doch nicht, da könnte ich ebenso gut das große Loos gewinnen."

Aber sie läßt nicht nach, zu bitten und zu flehen: „Versuche es doch wenigstens, warum soll Dr nicht gelingen, was so viele Andere erreichen, versuche es doch und bedenke: wenn Du in diesem Winter für das Examen arbeitest, wirst Du auch dienstlich geschont, Du wirst von vielen Dingen dispensirt, wir können Deine Arbeiten zum Vorwand nehmen, alle Gesellschaften abzulehnen - bedenke doch, einen ganzen Winter keinen Pekko, das ist doch allein schon werth, das Examen zu versuchen! Otto, thu es mir zu Liebe! -"

Wenn Frauen etwas erreichen wollen, wissen sie ihre Worte klug und gewandt zu setzen - so glättet sich denn auch nach und nach die Stirn des gestrengen Herrn Premier: so Unrecht hat seine Frau ja nicht mit dem, was sie sagt; der Gedanke, den Kommißgesellschaften fernbleiben zu können und in dem bevorstehenden Winter von allerlei Übungen dispensirt zu werden, ist so schlecht nicht. Arbeiten muß er allerdings dann ja auch und das ist gerade nicht seine Sache, na, todt arbeiten wird er sich nicht, er kommt ja doch nicht „hin", wie der terminus technicus lautet.

Als er sich mit einem: „Na, darüber können wir ja immer noch reden", aus den Armen seiner Frau freimacht, ist er schon halb geneigt, „Ja" zu sagen.

* * *

Am nächsten Mittag um zwölf Uhr steht der Herr Premier mit dem Helm in der Hand vor dem Kommandeur auf dem Regimentsbureau und bittet „ganz gehorsamst um Erlaubniß, sich zur Kriegsakademie vorbereiten zu dürfen."

Selbstverständlich wird die nachgesuchte Erlaubniß sehr gerne ertheilt, der Herr Oberst ist über den Entschluß seines Premiers sehr glücklich.

„Nun, das freut mich, das freut mich ganz ungemein, daß gerade Sie (zu jedem Anderen hätte er natürlich dasselbe gesagt) sich entschlossen haben, das Examen zu machen, und ich bin davon überzeugt, daß Sie auch Erfolg haben werden. Was in meinen Kräften steht, werde ich natürlich thun, um Ihnen das Leben dienstlich soweit wie irgend möglich zu erleichtern; ich will noch heute Ihren Herrn Hauptmann bitten, Ihnen des Nachmittags ein für alle Mal keinen Dienst anzusetzen, und von größeren Übungen im Bataillon und im Regiment können Sie selbstverständlich stets zurückbleiben."

„Solch' Examen ist gar nicht ohne," denkt der Herr Premier, „die kleine Frau hat doch Recht gehabt," laut aber sagt er: „Ich bin dem Herrn Oberst sehr dankbar."

„Keine Ursache," erwidert dieser, „und wenn ich Ihnen sonst irgendwie dienlich sein kann, so stehe ich jederzeit gerne zur Verfügung, denn ich bin überzeugt, daß Sie es mit den Arbeiten sehr gewissenhaft nehmen werden. Sicherlich ist Ihnen auch der Gedanke, sich zur Akademie vorzubereiten, nicht plötzlich, sondern nach und nach, wie ich vermuthe, während Sie sich mit einer wissenschaftlichen Arbeit beschäftigten, gekommen!"

Der Herr Premier denkt an den gestrigen Abend und sagt dann mit fester Stimme: „Zu Befehl, Herr Oberst!"

„Nun, das freut mich, daß ich Sie richtig taxirte; was lesen Sie augenblicklich?"

„Wippchens Berichte über den griechisch-türkischen Krieg," müßte er der Wahrheit gemäß sagen, aber das geht doch nicht, was liest er denn nur augenblicklich? Irgend etwas Wissenschaftliches muß es doch sein? Was gibt es da nur? Ihm fällt nur „Der Kampf um Rom" ein, nein, das ist auch nicht das Richtige, halt, gestern hat ihm eine große Berliner Buchhandlung ja erst einen Prospekt geschickt.

„Ich will heute mit dem zweiten Band des Generalstabswerkes über den siebenjährigen Krieg anfangen."

„Das ist eine ganz vortreffliche Lektüre," stimmt der Herr Oberst bei, „studiren Sie das Buch nur sehr genau, Sie können ungemein viel daraus lernen; wie hat Ihnen der erste Band gefallen?"

Der Herr Premier weiß nicht einmal, wie das Buch von außen aussieht, geschweige denn von innen, und so sagt er denn: „Ganz ausgezeichnet, Herr Oberst."

„Nicht wahr? Ein vortreffliches Buch - ja, ja, überhaupt unser Generalstab, auf den können wir stolz sein, das soll uns einmal ein anderer Staat nachmachen - na, hoffentlich werden Sie selbst dort einmal arbeiten, wenn Sie erst die Akademie hinter sich haben."

Einen Augenblick später ist der Herr Premier mit freundlichem Händedruck entlassen. Er hat während der Unterredung solche Angst ausgestanden, daß er in das Kasino geht, um sich dort durch einen Cognak zu stärken. Sein Helm erregt die Neugier, man fragt ihn: „Wanderer mit dem Wotanshute, wohin willst Du?" und als er Rede und Antwort steht, woher er kommt der Fahrt, starren Alle ihn mit großen Augen an: er will sich zur Kriegsakademie vorbereiten, ein Glorienschein umgibt sein Haupt!

Und dieser Glorienschein verläßt ihn fortan nicht mehr. Er ist das Wunderkind des Regiments, das angestaunt wird, wo immer er sich sehen läßt. Die ältesten Stabsoffiziere und Hauptleute würdigen ihn plötzlich ihrer Unterhaltung, mit einem Mal ist er über das Niveau des Lieutenants erhoben; wer kann es wissen, vielleicht wird noch einmal etwas Großes aus ihm und man thut gut, sich seiner Protektion bei Zeiten zu versichern.

Der Herr Premier „fühlt sich". Da er wenig Dienst hat, ist es ein Ereigniß, wenn er sich auf dem Kasernenhof sehen läßt, er hält das Exerzieren mit einer Miene ab, die da zu sagen scheint: „Diese Sache ist meiner unwürdig."

Nichts bereitet den meisten Menschen mehr Vergnügen, als bewundert und angestaunt zu werden. Der Herr Premier ist sehr glücklich, und er wundert sich, daß er nicht schon lange auf den klugen Gedanken gekommen ist, sich zur Akademie vorzubereiten.

Aber die Vorgesetzten sorgen dafür, daß kein Untergebener in den Himmel wachse.

Als der Herr Premier eines Morgens erwacht, bringt ihm der Bursche die Postsachen, unter Anderem einen sehr langen und sehr dicken Brief. Neugierig öffnet er das Kouvert und plötzlich fällt er vor Schrecken aus dem Bett: es ist eine taktische Aufgabe der Brigade, gleichsam eine Übungsarbeit für das Examen. Es hilft nichts, er muß sie zur bestimmten Frist abliefern. Kaum ist er die eine Arbeit los, so kommt eine zweite von der Division und dann wieder eine von der Brigade, das geht immer abwechselnd, es ist zum Verzagen.

Der Herr Premier ist verzweifelt, und er begreift nicht, wie er so dumm sein konnte, den thörichten Bitten seiner Frau nachzugeben.

Die theure Gattin hat jetzt böse Tage; der Gatte ist immer schlechter Laune, ach, und doch hilft sie ihm so fleißig: sie sucht seine Arbeiten auf die Interpunktion nach, sie überhört ihn in Geographie und Geschichte, spricht mit ihm französisch, läßt sich Regeln von ihm hersagen und korrigirt seine französischen Übersetzungen. Um ihn nicht muthlos zu machen, läßt sie die größte Milde walten, sie hatte ihm zu Liebe sogar „Achtel Fehler" erfunden, ganze gibt es für sie überhaupt nicht; selbst wenn der theure Gatte wie jener berühmte Zahnarzt, der eine Dame chloroformiren wollte, être mit avoir verwechselt, ist es nur ein halber Fehler.

* * *

Woche auf Woche, Monat auf Monat verrinnt - endlich sind die großen Tage des Examens da, man packt seinen vorschriftsmäßigen Offizierskoffer und reist nach dem Sitz des Generalkommandos, wo die Prüfung stattfindet. Aus dem ganzen Armeekorps, aus jeder Garnison treffen dort Offiziere ein, sie Alle sind berufen, aber Wenige sind auserwählt. Nicht der zehnte Theil von denen, die das Examen machen, wird einberufen. Das weiß Jeder, und deshalb machen sich die Meisten wenig, die ganz Schlauen gar keine Hoffnung.

Es gibt Offiziere, die sich drei Jahre nacheinander - öfter ist es nicht gestattet, - nur zum Examen melden, um sich sechs Tage, so lange dauert die Prüfung, in der großen Stadt amüsiren zu können. Man bekommt so viel hohe Reise- und Tagegelder, daß man gar nicht weiß, wo man mit dem schnöden Mammon hin soll, man macht neue Bekanntschaften und wünscht, daß die schönen Tage nie zu Ende gehen möchten.

Selbstverständlich verkehren die Herren dann auch viel in dem Offizierskorps der Garnison und da passirte einmal eine sehr niedliche Geschichte.

Ein Lieutenant, der schon zum dritten Mal das Examen versuchte, hatte sich ebenso wie in den vergangenen Jahren bei einem früheren Kriegsschulkameraden zu Tisch angesagt. Freundlich wurde er aufgenommen, und als die Suppe aufgetragen war, bestellte der Gastfreund eine Flasche Rothwein.

Schüchtern erlaubte der Gast eine Einwendung: „Ist es Dir Recht, so laß uns lieber ein Glas Weißwein trinken."

Da sah der Wirth seinen Gast verwundert an und sagte: „Nanu? Du pflegst doch sonst bei solchen Gelegenheiten Rothwein zu trinken!"

Hätte der Gast wie sonst seine Rothe getrunken, wäre das Schicksal ihm vielleicht gnädig gewesen, so aber fiel er zum dritten und letzten Male durch, wie die bösen Zungen behaupten, sogar mit Allerhöchster Belobigung.

Am Morgen, nachdem er die Flasche Weißwein getrunken hatte, war als erstes Thema das geographische gekommen: „Welchen Einfluß hat die geographische Beschaffenheit Rußlands auf die Geschichte seiner Bewohner?"

Als Antwort auf diese schwierige Frage hatte er nur einen sehr langen, aber auch sehr schönen Gedankenstrich gemacht; damit die Sache ordentlich aussähe, hatte er sich sogar von seinem Nachbar ein Lineal erbeten und wäre beinahe wegen versuchten Abschreibens von dem Examen ausgeschlossen worden; es ist die alte Geschichte: wer Pech hat, hat es gründlich.

Er hätte ja auch einen ganz leeren Bogen abgeben können, aber er meinte, das würde einen zu schlechten Eindruck machen, so zog er denn fein säuberlich unter Zuhilfenahme des Linienblattes den Gedankenstrich - dabei konnte sich Jeder denken, was er wollte. Leider dachte sich der Herr, der die Arbeit korrigirte, gar nichts dabei, sondern schrieb kaltblütig lächelnd eine große deutliche „5" darunter. Das ist im Examen das Schlechteste, was es gibt.

* * *

Monate vergehen, ehe die Entscheidung von oben herabkommt, und als sie endlich kommt, da ist unser Freund, der Herr Premier, nicht einberufen.

Eine Thräne steigt mir ins Auge, während ich diese traurige Thatsache niederschreibe, mir thut die kleine Frau so leid; wenn ich wüßte, wo sie wohnte und ob sie hübsch ist, würde ich zu ihr hingehen und sie zu trösten versuchen.

Ganz ohne Nutzen ist das Examen für den Herrn Premier aber doch nicht gewesen: er wird Mitglied des Idiotenklubs.

Diesem schönen Klub mit dem noch schöneren Namen gehören alle Diejenigen an, die einmal nicht einberufen sind. Wer im zweiten Jahr wieder Pech hat, kommt in den Klub der höheren und endlich in den der höchsten Idioten.

In dem bleibt er dann bis an sein Lebensende, seinen Austritt kann er nicht ankündigen.

Als der Herr Oberst erfährt, daß sein Premier nicht einberufen wird, ist er sehr mißgestimmt, ihm ist die Sache sehr, sehr unangenehm, man könnte ihm leicht den Vorwurf machen, daß in seinem Offizierkorps nicht der richtige wissenschaftliche Ehrgeiz steckte. So etwas ist für den Kommandeur immer scheußlich, einfach scheußlich.

„Sie werden das Examen doch selbstverständlich im nächsten Jahr noch einmal machen?" fragt der Herr Oberst.

Den Bitten der Gattin gegenüber ist der Herr Premier taub geblieben, auf den Knieen hat sie vor ihm gelegen und ihn beschworen, das Examen noch einmal zu machen - vergebens. „Nicht für alle Schätze Hinterpommerns, ich meine natürlich Hinterindiens," ist seine Antwort gewesen - die Antwort kennt sie, gegen die läßt sich nichts machen.

Und nun?

Der Herr Premier ist plötzlich windelweich, sein Trotz ist verflogen, der Herr Oberst spricht das Wort „Selbstverständlich" mit einer solch eigenthümlichen Bedeutung und sieht ihn dabei so scharf an, daß er nicht den Muth hat, nein zu sagen. Er ist durch den Blick des Vorgesetzten gleichsam hypnotisirt, ein willenloses Werkzeug in dessen Hand - so sagt er „ja" und „Amen".

Als er nach Haus kommt, schwimmt die Gattin, ach die theure, in Thränen.

Zärtlich schließt er sie in seine Arme: „Aber so beruhige Dich doch nur - Du hast ja gar keinen Grund,traurig zu sein - was ich vorhin sagte, war ja Alles Unsinn - selbstverständlich mache ich das Examen noch einmal."

„Otto, Otto," jubelt sie laut, „wie hab ich Dich lieb, Du bist der beste aller Männer!"

Otto, schämst Du Dich gar nicht? Läßt Du Rabengatte dieses Lob ruhig auf Dir sitzen? Ja, er thut es und fügt sogar noch hinzu: „Liebste, ich bringe Dir ein großes Opfer, aber ich bringe es Dir gerne."

Otto, wie kann man nur so lügen? -

Wieder schwebt ein Glorienschein über seinem Haupte; dieses Mal sogar ein noch größerer: man sieht, er nimmt es mit seiner Arbeit gewissenhaft, ein heiliges Feuer der Begeisterung für die Wissenschaft durchglüht ihn, er wirft nicht muthlos die Flinte ins Korn, nein, er kämpft weiter, er will etwas Großes werden, er will siegen - und er siegt !

Im Café Bauer, Unter den Linden, sitzt ein zärtliches Ehepaar und schaut verwundert auf das Leben und Treiben auf der Straße, auf die zahllosen Gäste, die im Café ein- und ausgehen, auf die Droschken und prächtigen Karrossen, die in schneller Fahrt vor den Fenstern vorbeihuschen.

Es ist der Herr Premier mit seiner Frau.

„Gut," sagt er, „dann bleibt es also dabei: Jetzt gehen wir ins Residenztheater, morgen in den Wintergarten und übermorgen in das Apollotheater. Vielleicht gehen wir heute nach dem Theater noch einen Augenblick in die Bauernschänke, da soll es sehr amüsant und entzückend sein. Kellner, zahlen!"

Eine Augenblick später fahren sie in einer Droschke „erster" nach dem Theater.

Zärtlich legt sie ihre Hand auf seinen Arm, und ihn mit ihren großen, dunklen Augen liebevoll ansehend, sagt sie:

„Ach Otto, es ist doch schön, auf Akademie zu sein!"

Und der Herr Premier, den der heilige Wissensdrang trieb, das Examen zu machen, stimmt ihr aus vollem Herzen bei - er amüsirt sich in Berlin, ich meine „auf Akademie" wundervoll.

Und mehr will der Kriegsakademiker ja auch nicht.


*) Der Schriftsteller, den das Pseudonym „ Freiherr von Schlicht " deckt, ist ein seit Jahren in weiteren Kreisen geschätzter Schilderer des militärischen Kleinlebens im Frieden. Aber der eigentliche Werth seiner Darstellungen, die in mehreren Sammlungen erschienen sind, liegt nach unserem Dafürhalten nicht in der Heiterkeit und Frische des Vortrags, die diese Skizzen auszeichnen, sondern darin, daß sie ein neues soziales Gebiet erschließen. Die Welt des Offizierthums ist in Deutschland von Alters her durch eine Mauer von der bürgerlichen Welt geschieden. Hackländer und seine Nachahmer haben manches hübsche Bild von drüben geholt und gezeigt, aber hier zum ersten Male erfahren wir von der Enge dieser Welt, von den Kämpfen und mehr noch von dem Dulden dieser zugleich so glänzenden und im Einzelnen so unendlich abhängigen, ja oft hilflosen hierarchischen Körperschaft. Die obige Plauderei wird des Autors Art nur andeutungsweise wiederspiegeln, aber wir haben gern den Anlaß benutzt, um durch diese Veröffentlichung Anhänger und Gegner des Militarismus auf eine beachtenswerthe Erscheinung hinzuweisen.   D.Red.

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© Karlheinz Everts