Zwangsmieter.

Humoristische Plauderei
von Frhr. v. Schlicht.

in: Weimarisches Sonntagsblatt, Unterhaltungs-Beilage zur
Allg. Thür. Landeszeitung Deutschland vom 4.Oktober 1925

Der Teufel saß zusammengekauert in einer Ecke und sann und brütete Unheil und das nicht ohne Grund. Er hatte sich mit einer schlanken, bildhübschen, dunkeläugigen kleinen Teufelin für einen lustigen Abendbummel, mit allem, was dazu gehört, verabredet gehabt und war von der süßen kleinen Hexe versetzt worden, ganz einfach versetzt, als wäre er nicht der allmächtige Herrscher in seinem Reich, sondern irgend ein in jeder Beziehung gänzlich unbedeutender Portokassenjüngling, der seine auf Erden begangenen Unterschlagungen nun ein paar Jahre im Fegefeuer verbüßen mußte. Und das allerschlimmste, die kleine Teufelin hatte ihn versetzt, nicht, um mit einem anderen Teufel, sondern um mit einem Menschen zusammen sein zu können. Das aber sollte nicht nur der Mensch ihm büßen, der nun statt seiner heute die kleine Teufelin in seinen Armen hielt, sondern er wollte dafür an der ganzen Menschheit Rache nehmen. Wie einst sein großer Rivale und Antipode, der liebe Herrgott, das Sodom und Gomorra über die Menschen losließ, so wollte auch er sie seine Macht fühlen lassen und igend etwas so Schreckliches über sie schicken, das ein geradezu grausiges Heulen und Zähneklappern zur Folge haben würde. Aber was sollte das nur sein? Ein großes Sterben? Krieg, Seuchen, Hungersnot, Arbeitslosigkeit, Verlust jeglichen Besitzes, Entwertung aller Werte, oder etwas Ähnliches? Aber nein, das hätte keinen Zweck, das war in den letzten Jahren alles schon dagewesen, daran hatten sich die Menschen schon so gewöhnt, daß sie das gar nicht als Strafe, sondern wie etwas ganz Selbstverständliches hinnehmen und ertragen würden. Es mußte etwas ganz Neues sein, etwas so Schreckliches, daß es alles, was es bisher jemals auf Erden gegeben hatte, weit, meilenweit übertraf, es mußte etwas sein, gegen das sich die Menschheit in ohnmächtiger Wut täglich aufs Neue vergebens auflehnen würde, etwas, gegen das sie mit aller Macht, mit allen ihnen nur zu Gebote stehenden Mitteln ankämpfen würden, ohne dabei etwas anderes zu erreichen, als daß sie sich bei diesem völlig aussichtslosen Kampf aufrieben und dabei körperlich und seelisch zugrunde gingen. Es mußte etwas sein, das wie eine schleichende Krankheit an ihnen fraß, das sie umklammert hielt wie eine giftige Schlange, aus deren tödlicher Umarmung sie sich vergebens zu befreien versuchten; sie mußten sich vorkommen, als wären sie an einen Felsen geschmiedet und als schwebe unmittelbar über ihrem Kopf ein Geier, bereit, ihnen jeden Augenblick die Augen auszuhacken. Es mußte etwas so wahnsinnig Scheußliches sein, daß selbst er, der Teufel, davor erschrecken, erzittern und erbeben würde und er mußte sich durch das, was er der Menschheit schickte, für alle Zeiten noch viel verhaßter und gefürchteter, aber auf der anderen Seite auch noch viel berühmter machen, als er es ohnehin schon war. Er mußte etwas erfinden, gegen das alles, was die kleinen Menschen in den letzten Jahrhunderten erfanden, und auf das sie sich, beinahe hätte er gesagt, obgleich er der Teufel war, Gott weiß wie viel einbildeten, weit, weit übertraf. Aber was konnte das nur sein? Ob er mal zu seiner Großmutter hinging und die um Rat fragte? Aber nein, besann er sich gleich darauf, den Weg konnte er sich sparen, die alte Frau war schon längst nicht mehr auf ihrer einstigen geistigen Höhe, auch an ihr waren die Jahrhunderte und Jahrtausende nicht spurlos vorübergegangen. Nein, er mußte sich schon selbst etwas ausdenken und da, mit einem Male — ganz plötzlich kam die Erleuchtung über ihn, da hatte er gefunden, was er suchte, und in der Freude seines Herzens stieß er ein derartig durch die ganze Hölle dröhnendes teuflisches Gelächter aus, daß alle, die es hörten, entsetzt und erschrocken zusammenfuhren.

Der Teufel aber saß da und lachte und lachte, wie noch nie zuvor, denn er hatte das Leid für die Menschheit gefunden, das er gesucht — er hatte den Zwangsmieter erdacht.

Ich las letzthin in einem Artikel über die Frauen einmal wieder das alte Wort: Die Frauen sind überhaupt keine Menschen, sie tun nur so, als ob sie welche wären, ein Ausspruch, den ich trotz der zuweilen sehr traurigen Erfahrungen, die ich mit den Frauen machte, doch nicht so ohne weiteres unterschreiben möchte. Wohl aber möchte ich den Satz dahin abändern, daß ich sage: Die Zwangsmieter sind gar keine Menschen, sie tun nur so als ob.

Ich schrieb einmal einer Dame in eins meiner Bücher: Ich schreib' und bleibe bei dem, was ich schreib', das Unglück des Mannes ist stets das Weib, und doch ist bei Christen, Juden, Türken, Chinesen noch nie ein Mann ohne das Weib glücklich gewesen.

Alle Frauen und Weiber sind mehr oder weniger Teufelinnen, große oder kleine, blonde oder schwarze, entsetzliche oder reizende, entweder solche, die man totschlagen oder totküssen möchte. Jeder Zwangsmieter aber (daß es auch rühmliche Ausnahmen gibt, will ich natürlich nicht bestreiten), aber trotzdem, jeder Zwangsmieter, einerlei, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, ist für den Vermieter der von dem Teufel zur Erde niedergeschickte leibhaftige Satan, eine Behauptung, die ich auf Grund meiner in dieser Hinsicht gemachten Erfahrungen und Beobachtungen vor meinen sämtlichen Gewissen verantworten will. Ein Zwangsmieter ist ein mit allen nur denkbaren Niederträchtigkeiten bis oben hin vollgefülltes Gefäß (wenigstens nach der Ansicht des Hauptmieters), das felsenfest davon überzeugt ist, das weithin helleuchtende Vorbild aller nur denkbaren menschlichen Tugenden und der Inbegriff der besten menschlichen Eigenschaften zu sein. Ein Zwangsmieter lügt nie, er wird stets den Mut haben, für das, was er gesagt ud getan, einzustehen, er wird nie jemanden beschimpfen und beleidigen, sondern jederzeit Gott zum Zeugen dafür anrufen, daß er selbst beleidigt und beschimpft wurde, er wird nie in den Häusern, in denen er wohnt, herumspionieren, er wird nie das, was er sah und hörte und erst recht niemals das, was er nicht sah und hörte, sondern nur gern gesehen und gehört hätte, als allergrößte Neuigkeit in der Stadt herumtragen. So etwas wird ein Zwangsmieter nie tun und eine Zwangsmieterin natürlich erst recht nicht. Die tut überhaupt nie etwas, der wird nur immer etwas getan. Einzig und allein für sie hat nach ihrer ehrlichsten Überzeugung der Dichter das Wort geschrieben: Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und der böse Nachbar ist in diesem Falle natürlich immer der Hauptmieter des Hauses.

Wenn ein Mörder jemanden umgebracht hat, dann wagt er es nach geschehener Tat nicht, sich in dem Spiegel zu sehen, weil er Angst und Entsetzen vor sich selber empfindet. Ein Mörder begeht seine Tat im Augenblick des Affekts, die Zwangsmieter morden langsam, Tag für Tag, Stunde für Stunde, sie sind die Vampire, die ihren Opfern langsam das Blut voller Wollust bis auf den letzten Tropfen aus den Adern saugen. Tierschinderei ist mit vollem Recht verboten, die Menschenquälerei durch den Zwangsmieter steht unter dem Schutz des Gesetzes. Wieviel ist in früheren Zeiten mit maßloser Übertreibung über die schlechte Behandlung und Mißhandlung der Soldaten durch ihre Vorgesetzten geschrieben worden, und nun erst, wenn sich ein Musketier das Leben genommen hatte. Regt sich heute aber auch nur eine Fliege darüber auf, wenn jemand durch seine Zwangsmieter dahin gebracht wird, daß er sich eine Schlinge um den Hals legt und sich mit der an seinen Hosenknöpfen aufhängt? Oder wenn einer in die Irrenanstalt gebracht werden muß, dort den Rest seines Lebens in der Gummizelle und in der so außerordentlich bequemen und beliebten Zwangsjacke zubringt und der einzig und allein deshalb beständig an Tobsuchtsanfällen leidet, weil er vor Freude bei dem Gedanken wahnsinnig geworden ist, er könne in siebzig oder achtzig Jahren vielleicht doch noch einmal den Tag erleben, an dem er seine Zwangsmieter los wird und bei dem sich die ersten deutlichen Spuren einer geistigen Umnachtung dadurch zeigten, daß er bei dem Gedanken an den erst in siebzig oder achtzig Jahren eintretenden schönsten Tag seines Lebens gleich am nächsten Morgen hinging, um sich für diesen Tag schon eine Kapelle zu bestellen, die dann vor seinem Hause Aufstellung nehmen und den Auszug der Klamotten seiner Zwangsmieter abwechselnd mit Lob- und Dankliedern begleiten soll.

Ich bin in meinem Leben immer ein Schwarzseher gewesen und habe während des Krieges immer prophezeit, daß nach dem Kriege das Elend erst anfinge, und ich habe allen meinen Bekannten immer geraten, rechtzeitig zum Zahnarzt zu gehen, damit ihre Zähne auch fest säßen, wenn das große Zähneklappern erst wirklich losginge. Nun wird geklappert, aber über nichts so sehr wie über die Zwangsmieter, was ganz bestimmt jeder unterschreiben wird, der in der Hinsicht seine traurigen Erfahrungen gemacht hat.

Wir klappern Zähne, der Teufel aber sitzt in seiner Sofaecke, feixt und grinst und hohnlacht und kukirolt sich zum Zeitvertreib seinen Pferdefuß. Es ist ihm gelungen, was er sich damals vornahm, als ide kleine Teufelin ihn versetzte, er hat sich dafür in mehr als teuflischer Weise an den Menschen gerächt.

Ich aber wünsche mir, daß ich die kleine Teufelin, die indirekt an allem schuld ist, einmal persönlich kennen lernen möchte. Bei der würde ich mich vom Wohnungsamt einquartieren lassen und dann sollte sie mich als Zwangsmieter kennen lernen. Ei weih!


zurück zu

Schlicht's Seite

© Karlheinz Everts