Zu dumm.

Humoreske von Freiherrn v. Schlicht.
(nicht identisch mit der Erzählung „Zu dumm” vom 23.1.1902)
in: „Freie Presse für Texas” vom 30.7.1918


„Und Du magst sagen, was Du willst, es geht nicht anders. Es ist die höchste Zeit, daß die Saison eröffnet wird. Du siehst ja, kein Mensch denkt daran, den ersten Ball zu geben; man erwartet es als etwas Selbstverständliches von uns, daß Du damit den Anfang machst. Dafür bist Du nun einmal Oberst und Regimentskommandeur.”

„Ob Seine Majestät mich wirklich nur deshalb zum Regiments­kommandeur ernannt hat?” fragte Oberst von Langen, der trotz seiner fünfzig Jahre immer noch eine flotte Reitererscheinung war, und warf seiner Frau einen halb ernsten, halb lustigen Blick zu.

Aber diese hörte absichtlich die leise Ironie, die aus seinen Worten hervorklang, nicht; sie that, als hätte er überhaupt nicht geantwortet. „Ich wiederhole noch einmal: Du magst sagen, was Du willst, wir müssen die Saison eröffnen, wir müssen, verstanden? Und deshalb werden wir am nächsten Donnerstag zum ersten Mal tanzen, das bist Du allein Deinem Kinde schuldig.”

„Ich bin keinem Menschen auf der Welt etwas schuldig, ,geschweige denn meinem Kinde.”

„Edgar, die Stunde ist zu ernst, um schlechte Witze zu machen.”

„Mach' Du doch bessere,” knurrte er.

„Ich mache überhaupt keine,” erwiderte die Kommandeuse hoheitsvoll.

„Leider. Aber ich begreife immer noch nicht, warum ich diesen Ball, bei dem in meiner Wohnung wieder alles auf den Kopf gestellt wird, meiner Tochter schuldig sein soll.”

„Beruhige Dich, es wird nicht hier, sondern im Kasino getanzt werden. Ich habe das bereits alles mit Leutnant von Eschborn besprochen.”

„Ist Eschborn Dein Adjutant oder meiner?” fragte er unwillig.

Aber sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Soweit ich seine Dienste nöthig habe, betrachte ich ihn auch als meinen Adjutanten. Und wenn Du wirklich nicht wissen solltest, daß Du gegen Deine Tochter Pflichten hast, so muß ich es Dir sagen. Else muß auf möglichst viele Bälle geführt werden, sie ist jetzt in dem heiratsfähigen Alter.”

„Sie soll aber doch noch nicht heirathen. Von allen anderen Gründen ganz abgesehen, habe ich nicht die leiseste Lust, jetzt schon Großvater zu werden. Wenn man als Oberst eine Tochter besitzt, so ist das eine ganz natürliche Sache, wenn man aber in meiner Stellung schon Enkelkinder auf den Knien hat, dann sagen sich die höheren Vorgesetzten: der Oberst von Langen muß doch schon sehr alt sein. Bis sie dann eines Tages finden, daß ich zum General zu alt bin, und dann kostet die Geburt meines Enkelkindes mir gewissermaßen das Leben. Und dafür danke ich.”

„Männer sind immer Egoisten.”

„Frauen bekanntlich nie. Aber mir ist es wirklich ganz neu, daß Else plötzlich heirathen soll, früher war ja auch Dir das Kind dazu noch immer viel zu jung, ich erinnere mich, daß Du mir sagtest: Else soll auch meinetwegen noch nicht heirathen, ich bin noch zu jung, um schon „Großmutter” angeredet werden zu wollen.”

„Ja, ja, das war früher, viel früher,”vertheidigte sie sich. „Aber das muß schon sehr lange zurückliegen, denn ich wüßte wirklich nicht, wann ich so gesprochen haben sollte.”

„Vorgestern Abend,” antwortete er ganz ruhig und gelassen. „Ich weiß es ganz genau, da erhielten wir die Verlobungsanzeige von Elses Freundin, und bei der Gelegenheit kam das Gespräch zwischen uns zufällig einmal wieder auf Else's Zukunft.”

Die Kommandeuse wußte ganz genau, daß ihr Mann mit seinen Worten vollständig recht hatte, trotzdem sagte sie jetzt: „Aber, Edgar, wie kannst Du nur behaupten, daß, ich noch vor wenigen Tagen so gesprochen hätte? Das ist ganz undenkbar, und ich begreife thatsächlich nicht, wie Du auch nur im Scherz mir solche Aeßerungen zuschreiben kannst.”

„Nun schlägt's dreizehn,” rief er ärgerlich, „aber ich habe keine Zeit, mit Dir darüber zu streiten, der Dienst ruft, und wenn denn getanzt werden soll, dann meinetwegen in des Dreiteufelsnamen, dann hat man die Sache wenigstens hinter sich und endlich wieder Ruhe in seinen vier Wänden.”

Gleich darauf war die Kommandeuse allein und unwillkürlich mußte sie an die Scene zurückdenken, die sich vorgestern Abend zwischen ihr und ihrem Kinde abgespielt hatte. Eine harmlose Aeußerung der Mutter, hervorgerufen durch die Verlobung der Freundin, hatte das Herz ihrer Tochter geöffnet; weinend war sie vor ihrer Mutter niedergesunken und hatte ihr gestanden, daß auch sie schon lange liebe und daß sie keinen anderen Gedanken und keinen anderen Wunsch habe, als den, daß Leutnant von Eschborn sie wieder lieben möge. Die Mutter war über dieses Geständniß zuerst ganz sprachlos gewesen. Sie war immer noch eine sehr schöne Erscheinung, der alle Herren huldigten, so manche viel Jüngere trat in ihrer Gegenwart ganz in den Hintergrund, und trotz aller Liebe zu ihrem Kinde war es ihr nicht immer ganz leicht gewesen, eine erwachsene Tochter neben sich zu sehen. Aber dann schmeichelte es doch wieder ihrer Eitelkeit, daß man sie meistens als Schwestern hielt. Obwohl die Tochter in ihrer Jugendfrische und Schönheit allmählich anfing, die Mutter beiseite zu drängen, so wollte diese doch nicht, daß Else jetzt schon heirathen sollte. „Die junge Frau von Langen,” wie sie immer noch genannt wurde, wollte nicht mit einem Mal „die alte Frau von Langen” werden. Sie fühlte sich noch zu jung, zu lebensfrisch, um sich in die Rolle einer Großmutter hineindenken zu können. Im diesem Sinne hatte sie an jenem Abend auch noch kurz vorher mit ihrem Gatten gesprochen, aber als ihr Kind nun zu ihren Füßen lag, als sie sah, wie die schlanke Gestalt ihres Kindes in Angst und Liebe, in Furcht und Hoffnung zitterte und bebte, da war die Liebe zu ihrem Kind doch schließlich Siegerin geblieben, und wenn auch erst nach einem kurzen, schweren Kampf hatte sie ihre Tochter zärtlich in die Arme gezogen und geküßt: „Wenn Du ihn liebst, dann sollst Du ihn auch haben, verlaß Dich darauf.”

„Und der Vater — —?” hatte Else trotz des Glücksgefühla, das sie bei diesen Worten durchdrang, zaghaft eingeworfen.

„Den nehme ich auf mich,” hatte die Mutter stolz erwidert. Und als ersten Schritt hatte sie nun diesen Ball bei ihm durchgesetzt, auf dem die Verlobung stattfinden sollte.

„Werden wir tanzen, Mama?”

Leise hatte sich die Thür geöffnet, und Else war hereingeschlüpft. Ein schlankes, junges Mädchen von neunzehn Jahren, mit dunkelbraunen Augen und dichtem, schwarzlockigem Haar.

Frau von Langen richtete sich etwas beleidigt auf: „Traust Du Deiner Mutter so wenig zu? Ich hatte es Dir versprochen, und wir werden tanzen. Nun aber gilt es, die schwere Frage zu entscheiden: was wirst Du anziehen?”

„Das Nilgrüne mit den Wasserrosen, Mama. Kurt — — ich meine Leutnant von Eschborn — — liebt es so, er sagte mir einmal, in dem Kleide fände er mich noch hübscher als sonst.”

So war die Toilettenfrage schnell erledigt, und der Ballabend kam heran; aber er brachte Else eine große Enttäuschung: Leutnant von Eschborn war nicht da.

Nur mühsam hielt sie ihre Thränen zurück, aber die Mutter merkte trotzdem den Kummer ihres Kindes. Ganz erregt suchte sie ihren Gatten auf und zog diesen in eine stille Ecke. „Wo ist Leutnant von Eschborn?” fragte sie athemlos.

„Ich habe ihn heute Mittag in einer wichtigen, dienstlichen Angelegenheit zur Division in die Nachbargarnison schicken müssen — — er kommt morgen früh mit dem ersten Zug zurück. Aber warum erkundigst Du Dich nach ihm?”

„Warum?” Sie sah ihn ganz verständnißlos an.

„Warum?” wiederholte er noch einmal, dann faßte sie alles, was sie auf dem Herzen hatte, in die Worte zusammen: „Du bist zu dumm!”

„Erlaube 'mal,” wollte er sich vertheidigen, aber seine Frau war schon ganz empört wieder davongerauscht.

Eine ganze Weile stand der Kommandeur in tiefem Nachdenken da. Endlich kam ihm die Erleuchtung: „Ach so — — deswegen! Else und er — — sieh 'mal, sieh. Aber daraus wird nichts — — nicht etwa, als ob ich etwas gegen Eschborn hätte, im Gegentheil, sonst hätte ich ihn ja auch nicht zu meinem Adjutanten gemacht, aber trotzdem. Else soll vorläufig überhaupt nicht heirathen, wenn sie mündig ist, kann sie thun und lassen, was sie will, aber bis dahin bleibt sie bei mir. In diesem Sinne werde ich morgen 'mal mit Eschborn reden, natürlich sehr diplomatisch, ich werde ihm nur sehr zarte Andeutungen machen, daß er sich alle Heirathsgedanken aus dem Kopf schlagen soll.”

Und als er diesen Entschluß gefaßt hatte, wurde er plötzlich froh und heiter. Er war glücklich, noch zur rechten Zeit hinter die Schliche seiner Frau gekommen zu sein. So that er denn, als wenn er ihre schlechte Laune nicht im geringsten bemerkte, und als man endlich spät in der Nacht nach Hause fuhr, schien es ihm gar nicht aufzufallen, daß seine beiden Damen kein Wort mit ihm sprachen.

Als am nächsten Morgen Leutnant von Eschborn zurückgekehrt war und seine dienstliche Meldung abgestattet hatte, brachte der Oberst das Gespräch auf den gestrigen Abend: „Schade, Eschborn, daß Sie nicht dabei sein konnten! Es war wirklich sehr nett, nur eins hat mir vorübergehend die Laune verdorben. Ich hörte, wie sich im Rauchzimmer ein paar Herren darüber unterhielten, daß Sie sich mit Heirathsgedanken trügen. Ich glaubte, in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich diesem Unsinn entgegentrat. Nicht etwa, als ob eine Verlobung an und für sich ein Unsinn wäre, aber ich bitte Sie, in Ihrem Alter! Und die junge Dame soll noch nicht einmal zwanzig sein. Na, ein einigermaßen vernünftiger Vater würde dazu ja auch nie und nimmer seine Zustimmung geben. Aber davon ganz abgesehen: ein Regiments­adjutant muß nicht nur unverheirathet, sondern auch unverlobt sein. Er soll seine freie Zeit den Kameraden und nicht seiner Braut widmen. Und da ich weiß, daß Sie ebenso denken, wie ich, erklärte ich das ganze Gerede für Blödsinn. und nicht wahr, Sie denken doch nicht daran, sich zu verloben?”

Der Adjutant wußte nicht, was er sagen sollte. Ahnte der Oberst, daß er Else liebte? Daß er die Gewißheit hatte, von ihr wiedergeliebt zu werden? Und daß er sich gestern unfehlbar auf dem Balle verlobt hätte, wenn der Dienst nicht dazwischen gekommen wäre? Wollte der Oberst ihm durch seine Worte nur den guten Rath geben, sich jeden Gedanken an sein Kind aus dem Kopf zu schlagen? Nein, er kannte den Vorgesetzten zu genau, so verstellen konnte der sich nicht. Oder sollten die Worte vielleicht trotz alledem eine Warnung sein?

Noch immer wußte der Adjutant nicht, was er sagen sollte: Wenn er dem Kommandeur beistimmte, dann war es zwischen ihm und Else für alle Zeit aus; er mußte den Muth haben, dem Kommandeur zu widersprechen, aber natürlich durfte er nicht gleich mit der Thür ins Haus fallen.

„Nanu, was sagen Sie zu diesem unsinnigen Gerede — die ganze Sache ist doch einfach zum Lachen.”

„Was antworte ich nur?” dachte der Adjutant, da kam ihm ein rettender Gedanke. Der war allerdings mehr als kühn, aber es half nun alles nichts.

„Ich danke dem Herrn Oberst, daß Sie für mich eintraten, denn ich kann schon deshalb gar nicht daran denken, mich zu verloben, weil ich bereits verlobt bin.”

„Wahrhaftig? Da gratulire ich aber wirklich von ganzem Herzen! Nee, wissen Sie, das freut mich mehr als ich Ihnen sagen kann — — das heißt — — ich meine— —” verbesserte sich der Oberst plötzlich, denn zu spät sah er ein, daß er ganz aus der Rolle gefallen war, daß seine jetzigen Worte mit den früheren im krassesten Widerspruch standen. Aber das war ja schließlich einerlei, er würde sich schon noch herausreden, die Hauptsache war, daß Eschborn bereits verlobt war, der konnte ihm nun seine Else nicht wegnehmen, und das war für den Augenblick die Hauptsache. „Das heißt — ich meine,” fing er noch einmal von vorne an, „wenn ich vorhin sagte, es freute mich sehr, so ist das natürlich „cum grano salis” zu verstehen. Sie wissen ja, wie ich über eine Verlobung eines Regiments­adjutanten denke, aber bei Ihnen ist es schließlich etwas anderes. Sie sind trotz Ihrer Jugend ein durchaus ernster Charakter, Sie sind ein sehr fähiger Offizier, Sie leben in sehr guten Vermögens­verhältnissen, ein hübscher Kerl sind Sie auch noch, da müssen Sie ja schließlich den jungen Mädchen gefallen, und daß Sie nicht nur jeder Schwiegermutter, sondern auch jedem Schwiegervater willkommen sind, ist ja wirklich kein Wunder. Ich sage das alles nur, um Ihnen zu erklären, warum ich jetzt meine Zustimmung zu Ihrer Verlobung gebe. Ist es indiskret, schon heute zu fragen, wer Ihre Fräulein Braut ist?”

Einen Augenblick schwieg der Adjutant, dann nahm er allen Muth zusammen und sah den Vorgesetzten offen und frei an: „Keineswegs, Herr Oberst — meine Braut ist Ihre Fräulein Tochter.”

Der war aufgesprungen und glaubte nicht recht gehört zu haben. „Wa — — was — — meine Tochter, meine Else?! Herr, wie kommen sie dazu, sich mit meiner Tochter zu verloben? Noch dazu, ohne mich zu fragen?! Und wann haben Sie sich denn mit ihr verlobt — — Sie waren doch gestern gar nicht da?”

„Ich bin vorläufig gewissermaßen auch nur einseitig verlobt, Herr Oberst. Ihre Fräulein Tochter weiß noch gar nichts davon, aber ich wollte gestern um sie anhalten, und ich habe einen untrüglichen Beweis dafür, daß ich keinen Korb bekommen hätte, das ist die Toilette, die sie auf meinen Wunsch hin angelegt hatte, und die ich wohl mit Recht als ein Zeichen dafür deuten kann, daß Fräulein Else mich liebt.”

Der Oberst war auf seinen Stuhl zurückgesunken und starrte seinen Adjutanten noch immer an. Er wollte ihm eine lange Rede halten, ihm sagen, er solle sich alle Heirathsgedanken aus dem Kopf schlagen, er wollte ihm alles noch einmal sagen, was er ihm bereits gesagt und hinterher ausdrücklich widerrufen hatte, aber er sah ein, das ging denn doch nicht, ob er wollte oder nicht, er mußte jetzt Ja und Amen sagen.

Und im Geiste hörte er plötzlich die Worte wieder, die seine Frau ihm gestern Abend zugerufen hatte, die Worte: Du bist zu dumm! und ihm war, als hätte sie damit gar nicht so ganz unrecht.


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