Der Weihnachtspapagei.

Von Freiherr v. Schlicht

in: „Aber so was!” und
in: Weimarisches Sonntagsblatt, Unterhaltungs-Beilage zur
„Allg. Thür. Landeszeitung Deutschland” vom 25.Dez. 1921


„Ja,” meinte der alte Kapitän Nissen, als am Tage vor Weihnachten das Gespräch auf Weihnachtsgeschenke kam, „ja, mit solchen Geschenken geht es manchmal ganz sonderbar, davon kann ich auch eine Geschichte erzählen,” und nachdem er sich mit einem tiefen Schluck aus seinem Glase gestärkt hatte, begann er:

„Es sind nun schon mehr als fünfzehn Jahre her, aber ich weiß es dennoch wie gestern, denn es war, als ich von meiner letzten großen Reise zurückkam, um mich nun hier für den Rest meines Lebens vor Anker zu legen. Meine gute Frau war während meiner langen Abwesenheit gestorben, und so war das erste Weihnachtsfest, das ich wieder daheim beging, nur ein sehr trübseliges, zumal ich auch keine Kinder besitze. Trotzdem hatte meine alte Wirtschafterin mir einen Tannenbaum aufgeputzt und angesteckt, und bei dem und bei einem steifen Grog und bei einem guten Tabak, den ich mir an Ort und Stelle in Havanna gekauft, hing ich so meinen Gedanken nach, als es plötzlich draußen klingelte und meine alte Minna gleich darauf mit einem Brief und einem großen Paket in der Hand zurückkam, um mir zu melden, dies sei eben als Weihnachtsgeschenk für mich abgegeben worden.

,Wieso für mich?' fragte ich, denn ich begriff nicht, wer auf den Gedanken gekommen sein könnte, mir am Heiligabend eine Freude machen zu wollen. So öffnete ich als erstes den Brief. Der war von dem damaligen Direktor des Gymnasiums, und in dem hieß es, ich hätte seiner Schule für das naturwissen­schaftliche Kabinett von meiner letzten Reise so viele schöne und wertvolle Dinge mitgebracht, daß er schon lange darüber nachgedacht habe, wie er mir anders als nur mit Worten, wie es bisher geschehen, dafür danken könne. Heute sei ja nun Weihnacht, und da sei es ihm durch einen glücklichen Zufall gelungen, bei einem Vogelhändler in der Stadt den beifolgenden ebenso hübschen wie klugen Papagei zu erstehen, und er hoffe, mir mit dem als kleines Zeichen seines großen Dankes eine wirkliche Freude zu bereiten.

Und als ich das Paket auswickelte, da saß in einem einfachen Holzbauer wirklich ein Papagei, aber daß er hübsch sein sollte, konnte ich bei dem besten Willen nicht finden. Ja, mir war sogar, als hätte ich noch nie eine so häßliche Kreatur gesehen. Aber einerlei, ob hübsch oder häßlich, was sollte ich mit dem Tier? Fassungslos sah ich es an, da rief mir der Vogel, wohl zum Zeichen seiner brieflich erwähnten Klugheit, zu: ,Lorchen hat Hunger, Lorchen hat Hunger, Lorchen hat Hunger,' und das wiederholte er so oft, bis ich ihm, da ich sonst nichts anderes zur Hand hatte, ein Stück Zucker hinhielt. Aber anstatt nach dem Zucker schnappte das niederträchtige Biest nach meinen Fingern und hätte mich in die gebissen, wenn es mir nicht noch im letzten Augenblick gelungen wäre, sie zurückzuziehen.

,Du bist ja ein niederträchtiger Haluke,' rief ich dem Vogel zu, aber der schien darüber wesentlich anderer Ansicht zu sein, denn plötzlich lachte er laut auf und rief mir zu: ,Ist Lorchen nicht süß? Ist Lorchen nicht süß? Ist Lorchen nicht süß?'

Jawohl, zum Aufessen, dachte ich ingrimmig, nur schade, daß Du selbst in gebratenem Zustande ungenießbar bleibst, sonst flögst du noch heute abend in die Bratpfanne. Doch das ging ja leider nicht, wohl aber kam mir dafür ein anderer, glänzender Gedanke, nämlich der, den Papagei weiter zu verschenken, und ich wußte auch, an wen. Vor ein paar Monaten hatte der Doktor Iversen mir einen niederträchtigen Furunkel aufgeschnitten und mich an dem längere Zeit behandelt, ohne daß er zu bewegen gewesen wäre, mir eine Rechnung zu schicken. Eine Bezahlung wollte er dafür von mir nicht annehmen, sondern er erklärte mir immer wieder, ich solle ihm lediglich gewissermaßen als Honorar einmal von meinen vielen Reisen ein Erlebnis oder ein Abenteuer erzählen, das vom ersten bis zum letzten Buchstaben auch wirklich und gewißlich wahr wäre. Na, die Geschichte war ich ihm immer noch schuldig, denn ein solches Erlebnis, wie der Doktor es zu hören wünschte, erlebt man doch überhaupt nicht, das muß man sich doch erst recht ganz frei erfinden, und um das zu tun, hatte ich noch keine Zeit gehabt.

Nun aber bot sich mir eine glänzende Gelegenheit, mich dem Doktor dankbar erweisen zu können. So schrieb ich ihm denn ein paar Worte: Da ich nicht länger in seiner Schuld bleiben dürfe, schicke ich ihm anbei als ein kleines Zeichen großer Dankbarkeit für seine mir damals geleisteten Dienste den beifolgenden ebenso hübschen wie klugen Papagei, der mir ganz zufällig zum Kauf angeboten wäre, und ich hoffe, daß es mir gelingen würde, ihm damit eine wirkliche, große Freude zu bereiten.

Dann schickte ich meine Wirtschafterin, nachdem ich ihr noch die nötigen Instruktionen mit auf den Weg gegeben hatte, mit dem Vogel los, und als sie, da der Doktor in der Nachbarschaft wohnte, bald zurückkam, war es mir gelungen, ihm eine ganz große Freude zu machen, denn die Minna erzählte mir, der Doktor sei ganz außer Rand und Band gewesen, er hätte ihr in der Freude seines Herzens unbedingt einen Kuß geben wollen, und er ließe mir sagen, wenn ich mal wieder einen Furunkel hätte, dann wüßte er nicht, was ihm mehr Vergnügen bereiten würde, als mir auch den aufschneiden zu dürfen. Das war ja nun ganz gewiß sehr freundlich von dem Doktor, trotzdem aber sagte ich mir: nee, lieber nicht, denn da das Geschnittenwerden schmerzhafter ist als das Schneiden, hast du an den einen Mal mehr als genug.

Na, Gott sei Dank, ich war den Papagei los, und bei einem neuen Grog und einem neuen Tabak freute ich mich eine ganze Weile darüber, daß es mir gelungen war, dem netten Doktor eine solche Weihnachtsfreude zu machen, als es draußen bei mir klingelte und gleich darauf meine alte Minna mit einem Brief und mit einem großen Paket bei mir eintraf, um mir zu melden, das sei soeben als Weihnachtsgeschenk für mich abgegeben worden.

Nanu, dachte ich mehr als verwundert, wer kommt denn nun schon wieder auf die Idee, dir etwas zu schenken? Dann machte ich den Brief auf und sah, daß er von dem Kanzleirat Müller war. Auf den hatte ich eine stinkende Wut, denn als wir vor Wochen einmal beim Skat saßen und zusammen gegen den Postdirektor spielten, und als ich den mit seinem angesagten Grand ohne Vier hineinlegen wollte, da spielte der Kanzleirat sich eine solche Hosennaht zusammen, daß der Postdirektor gewann, obgleich er, wenn der Kanzleirat auf mein Gegenspiel eingegangen wäre, unbedingt hätte verlieren müssen. Alles kann ich auf der Welt einem Menschen verzeihen, nur nicht, wenn er schlecht Skat spielt, denn ich meine, von dem, was einer nicht versteht, soll er die Hände davonlassen. So war ich denn auch unerbittlich geblieben, wenn der Kanzleirat mich zu einem neuen Spiel zu überreden versuchte, obgleich ich sah, daß der sich den Groll, den ich gegen ihn hegte, förmlich zu Herzen nahm. Nun bat er mich in seinem Brief für sein damaliges Sauspiel in aller Form nochmals um Entschuldigung und gab der Hoffnung Ausdruck, mich durch das beifolgende bescheidene Weihnachtsgeschenk ganz wieder zu versöhnen.

Gleich darauf packte ich das Paket aus, und wissen Sie, meine Herren, was es enthielt! Einen Papagei, der aber dem ersten so ähnlich sah, daß ich zuerst glaubte, es wäre ein und derselbe. Aber das konnte ja nicht sein, denn den hatte ich ja dem Doktor Iversen geschickt, und außerdem war dieser Vogel womöglich noch häßlicher als der andere. Und als er nun zu sprechen anfing, denn sprechen tat die Kanaille natürlich auch, da rief er mir zu: ,Hänschen, Hänschen, wollen wir mal links herum tanzen?' Und dann nach einer Weile: ,Hänschen, gib Küßchen, Hänschen, gib Küßchen.'

,Ausgerechnet dir,' schalt ich vor mich hin, dann zerbrach ich mir, leider vergebens, den Kopf darüber, wie der Kanzleirat nur auf den verrückten Gedanken gekommen wäre, mich ausgerechnet mit diesem Piepmatz wieder versöhnen und mir mit dem eine Freude machen zu wollen. Und ferner fragte ich mich fortwährend: was machst du nur mit dem Tier?

,Hänschen, wollen wir links herum tanzen?' krähte der Papagei, und gleich darauf bat er wieder: ,Hänschen, gib Küßchen,' und das machte mich um so wütender, da ich zufällig ja auch Hans heiße.

,Wenn du den Schnabel nicht hältst, drehe ich dir das Genick um,' herrschte ich den Vogel an, aber anstatt meine Drohung ernst zu nehmen, lachte er hell auf, um mich gleich darauf zu fragen: ,Ist Lorchen nicht ein süßer kleiner Kerl?'

Diese oder solcher ähnliche Fragen schienen wohl zum Repertoire aller sprechenden Papageien zu gehören, aber trotzdem söhnten die mich nicht mit ihm aus, zumal er mich gleich darauf wieder fragte, ob wir zusammen links herum tanzen wollten.

Da packte mich die Wut, denn die Zeiten, in denen ich tanzen konnte, waren längst vorüber, und das dumme Lachen, das der Vogel jedesmal seiner Frage folgen ließ, hörte sich so an, als wenn er sich über mich und über meine Gichtbeine lustig mache. So wollte ich ihn denn schon meiner Wirtschafterin schenken, damit die ihn sich lebendig, gebraten oder ausgestopft auf ihren neuen Winterhut stecke, als mir ein anderer Gedanke kam. Hatte der Doktor Iversen sich so schrecklich über den ersten Papagei gefreut, warum sollte er sich da nicht auch über einen zweiten, ja, warum sollte er sich über den nicht erst recht freuen? Und wenn ich es mir richtig überlegte, war der große Dienst, den er mir erwiesen, mit einem Vogel eigentlich auch nicht bezahlt, denn es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte ich damals Blutvergiftung bekommen und wäre an der elendiglich gestorben. Na, und damals machte das Leben im Gegensatz zu dem jetzigen noch wirklich Vergnügen.

So setzte ich mich denn hin und schrieb dem Doktor abermals ein paar Worte: ich wäre ganz gerührt, daß er sich über mein Weihnachtsgeschenk so gefreut habe, und das veranlaßte mich, ihm anbei noch einen Papagei zu schicken, den ich eben in der Stadt für ihn gekauft habe, damit er sich eine Papageienhecke zulegen könne. Der erste Vogel sei, wie der Händler mir versicherte, ein Weibchen gewesen, dieser aber wäre ein Männchen, und wenn der Himmel das Zusammenleben der beiden Tiere segne, würde es in nicht zu ferner Zeit einen oder mehrere kleine Papageien geben. Bei dem ersten Kind würde ich natürlich Gevatter stehen, und ich hoffe, daß wir recht bald eine vergnügte Papageien­kindtaufe feiern könnten.


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© Karlheinz Everts