Der Pascha im Wachsfiguren-Cabinet.

Von Graf Günther Rosenhagen,
in: „Kleine Geschichten”


In der kleinen mecklenburgischen Stadt N. war großer Jahrmarkt. Auf dem Festplatz herrschte heller Jubel, die ganze Bevölkerung drängte sich in buntem Gemisch durcheinander, von Nah und Fern waren die Landleute hereingefahren, überall Lachen und Frohsinn. Besonders in der Hauptgasse, in der die Schaubudenbesitzer ihre Sehenswürdigkeiten anpriesen, ging es lustig her. Aufmerksam hörte das Volk den Ausrufern zu, die, schon seit dem frühen Morgen thätig, sich jetzt nur noch mit heiserer Stimme verständlich machen konnten, freute sich über jeden Witz, der gemacht wurde und erwiderte denselben mit manch freier Bemerkung. So waren alle Buden belagert und überfüllt, nur eine war leer und so viel der unglückliche Besitzer auch rufen und anpreisen mochte, Keiner nahte sich, der das „Weltberühmte Wachsfigurencabinet” in Augenschein nehmen wollte. Und doch waren gerade hier die größten Sehenswürdigkeiten ausgestellt, die Haupt­anziehungskraft sollte aber ein Pascha inmitten der Frauen seines Harems bilden. Vergebens rief der Besitzer: „Hier ist zu sehen der Pascha Soliman im Kreise seiner Haremsfrauen, noch nie dagewesen in solcher Schönheit und Naturwahrheit!” Das Volk drängte lachend vorüber, mancher gute und viele schlechte Witze wurden über den unglücklichen Pascha gemacht — aber besehen wollte ihn Keiner.

Die Tage des Jahrmarktes waren vorüber, die Taschen voll Geld zogen die Budenbesitzer von dannen, um an anderen Orten ihre Sachen zu zeigen, nur der Inhaber des Wachsfigurencabinets konnte nicht fort, denn er hatte nicht einmal so viel verdient, um die Arbeiter bezahlen zu können. In seiner Noth ging er zu dem Bürgermeister, der wegen seiner Gutmüthigkeit und seines Humors bekannt war, und bat ihn, seine Bude noch einige Tage länger offen halten zu dürfen, wenn er allein wäre, würde er schon verdienen. Das Stadtoberhaupt hatte Mitleid mit dem armen Manne und sagte zu ihm: „Weten Sei wat, bliewen Sei man noch ein paar Dag her, ick ward Sei helpen, dat Sei Geld innehmen.” Sie überlegten noch, wie es zu machen sei und nach kurzer Zeit gingen beide zum Wachsfiguren-Cabinet.

Es dauerte nicht lange, da kamen ein paar Knaben auf dem Rückwege von der Schule bei der Schaubude vorbei. Sie machten Halt, besahen sich die tanzenden Puppen und waren überglücklich, als der Besitzer ihnen erlaubte, unentgeltlich auch drinnen alles ansehen zu dürfen. Die Augen der Kinder wanderten von Gegenstand zu Gegenstand und endlich fielen ihre Blicke auf den Pascha im Harem.

„Herr Gott, Hein, keik mal, dei süht ja just so ut als uns' Bürgermeister.”  „Wahrhaftig, Krischan, wenn ick uns' Bürgermeister hüt Morgen nich noch sehen hab, dann würd ick glöwen, hei wir dat sülwst.”

Die Jungens verabschiedeten sich mit bestem Dank. Spornstreichs liefen sie nach Haus. „Denk Di mal, Vadder, wi wären eben im Wachsfigurencabinet, denk Di mal, da is ein Kirl, dei süht just so ut als uns' Bürgermeister, hei hett sogar dei sülwige Näs.”

Staunend hörten die Eltren zu, immer wieder von neuem drangen die Knaben in sie, selbst hinzugehen und zu sehen, und wirklich wandten sie Mittags ihre Schritte zum Pascha.

„West Du, Clas, so wat von Aehnlichkeit giwt dat up de ganze Welt nich wedder, ick glöw wirklich, dat is hei sülwst.” — „Du bist wol nich klauk, Fru, wo sall uns' Bürgermeister wol up een mal Pascha warden un hier ins türkische Costüm mit de lange Piep mang de veelen Fruun kamen, de hett an sin een genog.”

Das Gerücht von der großen täuschenden Aehnlichkeit verbreitete sich immer weiter, überall sprach man von dem Pascha. Jeder wollte ihn sehen. Die Bude war stets überfüllt und konnte kaum die Menge der Schaulustigen fassen. Endlich drang das Gerücht auch zu Ohren der Frau Bürgermeister. Entrüstet wies sie die Behauptung zurück, wie sollte ihr Mann dazu kommen, eine zufällige Aehnlichkeit wie so oft im Leben, ein sogenannter Doppelgänger, diesmal einer aus Wachs, weiter nichts! Wenn sie es auch selbst natürlich nicht glauben wollte, so konnte sie es doch nicht verhindern, daß ihre Köchin sich fest und steif einbildete, ihr Herr, der Bürgermeister, sei auf einmal in eine Wachspuppe verwandelt und sitze im Harem. In einem freien Augenblick lief sie auf den Markt, bezahlte ihr Eintrittsgeld und stand sprachlos vor dem Pascha. Athemlos kam sie wieder zu Hause an, mit einem Schrei des Entsetzens und der abergläubischen Angst brach sie auf einem Stuhl zusammen.

„Nee, Fru Bürgermeister, ganz gewiß dat is hei. Ach, de arme Herr, hei wir immer so nett mit mi un nu is hei dod un nu sitt hei da so still un unbeweglich un rührt un rögt sick nich. Ach, wo is dat nur möglich, dat 'n Minsch sick so verännern kann, hüt Morgen wier hei noch so gesund un nun is hei up einmal 'n Wachspopp.”

Der armen Frau Bürgermeisterin bemächtigte sich allmählich eine gewisse Unruhe. Ihr Mann, sonst so häuslich, hatte ihr schon am frühen Morgen Bescheid gesagt, sie möchte nicht auf ihn warten, er wisse nicht, wann und ob er heute nach Hause kme; dazu dieses immer währende Gerücht, die Erzählung des Dienstmädchens, was sollte sie thun? Endlich entschloß sie sich selbst hinzugehen und sich das Wunder anzusehen. Mit ihrer Tochter zusammen betrat sie den Raum und prallte entsetzt zurück. Wahrhaftig, von Weitem zu urteilen, das war ihr Gatte, wie er leibte und lebte! Aber sich nur nichts merken lassen, sie fühlte, daß alle Zuschauer sie beobachteten, es galt die nöthige Ruhe zu bewhren. Um allen Vermuthungen ein Ende zu machen, drängte sie sich lächelnd in die vorderste Reihe. Doch kaum war der Pasch aus Wachs ihrer ansichtig geworden, da steckte er, so lang er konnte, seine Zunge aus. Dann saß er wieder unbeweglich.

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Der Zweck war erreicht, der Budenbesitzer hatte ein enormes Geschäft gemacht.


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