Ein Überfall.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Deutsche Roman-Zeitung”, 4.Band, S.211ff. und 245ff. und
in: „Sie will nicht heiraten”


Es war, wie man so zu sagen pflegt, für dem Landmann „ein äußerst angenehmes Jahr” gewesen. Der Winter hatte der jungen Saat nur grausame Kälte gebracht, keinen Schnee, und das Getreide, das trotzdem zum Frühjahr aus der Erde Schoß emporwuchs, hatte keinen warmen Sonnenschein gefunden, sondern nur Regen, Regen und immer wieder Regen. Die Ernte war vernichtet, und alle schönen Hoffnungen lagen im Graben, noch dazu da, wo er am tiefsten ist.

Das waren so ungefähr die Gedanken, die den Rittergutsbesitzer von Wettborn beschäftigten, während er an den geöffneten Fenstern seines Arbeitszimmers stand, auf den großen Hofplatz(1) hinaussah und auf den Sang der Dreschmaschine lauschte.

Ein fast spöttisches Lächeln umspielte seinen Mund. Was hatte die Dampfmaschine nötig, so zu prusten und so zu fauchen? Die paar Körner, die in den Ähren waren, lohnten die Arbeit eigentlich gar nicht.

Na, Gott sei Dank, es traf ja keinen Unbemittelten — er konnte schon ein paar schlechte Jahre aushalten. Die früheren Jahre waren besser gewesen, und Tante Pauline war ja, als sie ihr Testament machte, so verständig gewesen, einzusehen, daß er für den größten Teil ihres großen Vermögens die beste Verwendung hätte. Er hatte einen ganz gehörigen Posten geerbt, und in nicht gar zu weiter Ferne winkte ihm ein noch schönerer Posten, wenn sein alter Onkel Ulrich, der schon so alt war, daß ihm das Aufstehen am Morgen gar keinen Spaß mehr machte, das Aufstehen für immer aufgegeben hatte. Er hatte gar keinen Grund zum Klagen und Jammern — aber ärgerlich war er doch, daß nun wieder einmal alle Mühe und Arbeit umsonst gewesen war.

Verdammt ärgerlich — das sagte er sich immer wieder, je mehr er nach dem Arbeiten der Dreschmaschine hinhörte, und dabei hatte er sich fest vorgenommen, sich heute über nichts, über gar nichts auf der Welt zu ärgern, heute hatte ihm nichts die Laune verderben sollen, und nun ärgerte er sich doch. Und darüber, daß er sich nun doch ärgerte, ärgerte er sich eigentlich am meisten, denn er kannte sich und seine Natur nur zu genau, hatte die einmal „schlechte Laune gefangen”, dann war die so leicht nicht wieder zu verscheuchen.

Und wie hatte er nicht(2) diesen Tag herbeigesehnt, was hatte er, der gewissermaßen boykottiert gewesen war, nicht alles aufgestellt, um endlich einmal wieder Einquartierung zu bekommen, und nun, da sie in wenigen Stunden eintreffen mußte, war ihm ohne jede besondere Veranlassung doch wieder eine Laus über die Leber gekrochen — genau wie damals.

Fast sieben Jahre waren es her, daß er zum letztenmal Einquartierung gehabt hatte. Auch damals war die Ernte verregnet und verhagelt, und aus seiner sorgenvollen Stimmung heraus war es am Abend, als er die Offiziere bei sich bewirtete, zwischen ihm und seinen Gästen zu einer erregten Debatte über die neue Militärvorlage gekommen, die damals die Öffentlichkeit beschäftigte. Er hatte den Standpunkt vertreten, die Regierung müsse in erster Linie für die Landwirtschaft sorgen, alles andere käme viel später und das Militär erst recht. Die Debatte, die von den Offiziere zuerst humoristisch aufgefaßt wurde, nahm einen immer ernsteren Ton an(3), bis schließlich die Herren auf ein Zeichen des ältesten Offiziers sich vom Tisch erhoben, noch bevor das Diner zu Ende serviert war, um sich in ihre Zimmer zu begeben.

Herr von Wettborn hatte höhnisch hinter ihnen her gelacht und bald darauf einem zur Vermittlung abgesandten Offizier erklärt, er könne seine Worte nicht zurücknehmen, was er gesagt habe, sei seine feste Überzeugung. Ohne Verabschiedung hatten die Herren am nächsten Morgen das Haus verlassen, und von dem Tage an existierte das große Rittergut Wettbornhagen für die Militärbehörden nicht mehr, so oft sich auch seitdem die Manöver wieder in der Gegend abgespielt hatten, für ihn war keine Einquartierung abgefallen. Man wollte ersichtlich die Offiziere einer ähnlichen Szene wie damals nicht wieder aussetzen.

Durch Vermittlung des neuen Landrats war endlich der Friede mit den Militärbehörden wieder geschlossen worden, man hatte über das, was vorgefallen war, den Mantel der christlichen Liebe gedeckt, und zum erstenmal sollte nun heute auf Wettbornhagen wieder Einquartierung einziehen — allerdings nur eine Schwadron mit dem Rittmeister und drei Offizieren. Viel war es ja nicht, und der Schloßherr hätte sich doppelt und dreimal so viel Soldaten gewünscht, um sein altes Unrecht wieder gutmachen zu können, aber seine persönlichen Wünsche mußten den genau ausgearbeiteten Manöver­bestimmungen gegenüber zurücktreten. Um so besser sollten es aber die wenigen haben, die da kamen — für die Mannschaften standen ungeheure Quantitäten Essen bereit, ebenso zahllose Fässer Bier, und für die Offiziere hatte er sich direkt aus Berlin ein Diner verschreiben lassen, das seinem Hause fortan den Beinamen „Schlemmer- und Prasserquartier” eintragen würde.

„Aber Papa, wo bleiben sie denn nur? Um fünf wollten sie hier sein, und jetzt ist es schon gleich halb sechs.”

Herr von Wettborn wandte sich um: „Wo sie bleiben, Alexa? Da mußt Du den Lenker der Schlachten, in diesem Fall den kommandierenden General fragen, der heute als Kriegsgott die Fäden in der Hand hat. Aber laß Dich mal ansehen, Mädel, Du hast Dich heute ja mächtig hübsch gemacht.”

„Du tust wirklich, Papa, als wenn ich nicht immer hübsch wäre.”

Das sollte absichtlich kokett und beleidigt klingen, aber nur zu deutlich hörte man trotzdem den schalkhaften Übermut aus den Worten heraus. Und gleich darauf schlang sie ihre Arme um seinen Hals: „Ach, Papa, ich freue mich ja so gräßlich, daß endlich einmal wieder Offiziere zu uns kommen.”

Seine schlechte Laune und sein Ärger waren verraucht, als er jetzt sein großes, schlankes, hübsches Kind an sich zog, ihr in die dunkeln braunen Augen sah und ihr zärtlich über das dichte Haar strich. Dann fragte er sie neckend: „Na, sag mal, Alexa — aber der Wahrheit die Ehre. Freust Du Dich, daß die Offiziere kommen oder nur, daß der Offizier kommt?”

Aber wenn er geglaubt hatte, daß Alexa sich verraten würde, dann irrte er sich. „Gott, Papa, ihr Väter seid doch zu komisch. Wenn uns jemand einmal den Hof gemacht hat und wenn wir etwas auf den Flirt eingegangen sind, dann sollen wir nach Eurer Meinung immer gleich bis über beide Ohren verliebt sein. In der Hinsicht sind wir modernen jungen Damen denn doch viel aufgeklärter als im Zeitalter der Urgroßmütter. Gewiß, Leutnant Berndorff ist ja bildhübsch, sehr nett ist er auch, für einen Leutnant soller auch verhältnismäßig solide sein, etwas Vermögen hat er auch, erben tut er auch noch mal etwas, und sein Rennstall bringt ihm auch ganz hübsch —”

„Sag mal, Alexa,” unterbrach der Vater sie jetzt, „ist das heutzutage Mode, daß man sich selbst, wenn es sich nur um einen Flirt handelt, so nach den persönlichen Verhältnissen des Betreffenden erkundigt? Da waren wir in unserer Jugend doch poetischer — wenn uns da jemand gefiel, machten wir den Hof und fragten nicht erst nach seinen Tugenden und Fehlern.”

„Und glaubst Du, daß ich das getan hätte, Papa?” schalt Alexa, „es ist wirklich wahr, was ich neulich las: ,die Väter von heute bedürfen der Erziehung viel mehr als die Kinder'. Wie kannst Du mir so etwas zutrauen, daß ich selbst danach fragte. Als ich damals bei Onkel Fritz zum Besuch war und auf den Gesellschaften in der Stadt die ganze Garnison kennen lernte, da wurde mir von den anderen jungen Mädchen alles erzählt, was sie über die einzelnen Herren wußten. Und ich kann Dir sagen, Papa, die wissen über die Leutnants viel besser Bescheid als die militärischen Vorgesetzten. Wenn die was zu sagen hätten, sähe es in der Armee ganz anders aus.”

„Und was würdest Du mit Berndorff machen, wenn Du etwas über ihn zu bestimmen hättest?” fragte der Vater anscheinend ganz harmlos und doch in der festen Erwartung, aus ihrer Antwort herauszuhören, ob ihr Verhältnis zu dem hübschen Offizier wirklich so harmlos sei, wie sie es jetzt darzustellen versuchte. Seine Schwester Johanna, die ihm seit dem Tode seiner Frau den Haushalt führte, hatte ihm Andeutungen gemacht, daß Alexa ihr Herz bei dem Besuch in der Garnison an den Leutnant von Berndorff verloren habe. Und seine Schwester hatte ihm auch von heimlichen Tränen zu erzählen gewußt, die dieser unglücklichen und aussichtslosen Liebe galten, denn wie konnte der Offizier jemals daran denken, um ein junges Mädchen zu werben, dessen Vater gewissermaßen „militärisch boykottiert” war? Seine Vorgesetzten würden ihm abgeraten haben, in ein solches Haus hinein zu heiraten, und wenn er es dennoch getan hätte, würden sich daraus zahllose Mißhelligkeiten ergeben haben. Das mochte auch wohl der Grund gewesen sein, weshalb Herr von Berndorff, der am Anfang Alexa sehr den Hof gemacht hatte, sich am Schluß der Saison absichtlich sehr zurückhielt. Und daraus konnte man ihm nicht einmal den geringsten Vorwurf machen, denn einem Offizier sind ja in jeder Hinsicht die Flügel gebunden, er muß in jeder Hinsicht so viel Rücksichten nehmen, daß er schließlich auf sich selbst gar keine Rücksichten mehr nimmt, und daß er nicht mehr das tut, was er will, sondern nur noch das, was er soll.

Tante Johanna glaubte in der Herzens­angelegenheit ihrer Nichte auf der richtigen Fährte zu sein, das glauben Tanten bekanntlich immer, aber daß sie es auch tatsächlich war, bewies jetzt Alexas Antwort: „Was ich mit Berndorff machte, Papa, wenn ich etwas zu sagen hätte, und wenn mich sein Schicksal nur im geringsten interessierte? Ich würde ihn sofort drei Jahre nach Berlin auf die Kriegsakademie kommandieren. Denke Dir nur, Papa, zweimal ist der Ärmste schon durchgefallen, und er sagt, wenn er es noch einmal versucht, fällt er ganz sicher wieder durch. Aber das ist nicht seine Schuld, Papa, ganz gewiß nicht, das hat er mir selbst gesagt, das liegt nur an der Konkurrenz und nur daran, daß die anderen noch mehr arbeiten und noch fleißiger sind als er. Denn dumm ist er nicht, Papa, das darfst Du nicht glauben. Er erzählte mir voller Stolz, daß er einmal einem General bei einem Pferdeeinkauf hat raten dürfen, der hat gesagt, er hätte noch nie bei einem Menschen einen solchen Pferdeverstand getroffen.”

Belustigt hatte Herr von Wettborn seiner Tochter zugehört; bei ihren letzten Worten war ihm das Lachen nahe, aber er beherrschte sich, um ihr nicht zu zeigen, daß sie entgleist war, und um ihr die Unbefangenheit im Verkehr mit dem jungen Offizier nachher nicht zu nehmen. So sagte er denn nur: „Nach allem, was Du mir da erzählst, muß Herr von Berndorff ja wirklich ein sehr netter junger Mensch sein — ich bin sehr begierig, ihn nachher kennen zu lernen.”

„Wenn er, ich meine natürlich, wenn sie doch erst hier wären,” meinte Alexa, und das klang so traurig, daß Herr von Wettborn sein schönes Kind wieder zärtlich an sich zog: „Sei nur nicht unglücklich! Haben wir so lange Jahre auf die Einquartierung gewartet, da können wir nun auch noch einen Augenblick warten.”

Aber aus dem Augenblick wurde eine Viertelstunde nach der anderen, und Tante Johanna, die dem aus Berlin herbeizitierten Koch nicht ganz traute und auch heute die Ober-Aufsicht in der Küche führte, schickte ein um das andere Mal, ob oben noch immer nicht gegessen werden könne. Und um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, ließ sie anfragen, warum man denn eigentlich ein so gräßlich teures Diner kochen ließe, wenn es verderben müßte, bevor es auf den Tisch käme, das verstände sie nicht, und sie verstände es auch nicht, warum nicht um sechs Uhr gegessen werden könne, wenn das Diner zu präzise halb sechs bestellt sei, und sie verstände auch nicht, warum man sich denn überhaupt so auf die Einquartierung gefreut hätte, wenn die vielleicht erst kurz nach Mitternacht ankäme, denn morgen früh um fünf müßten die Soldaten doch schon wieder fort.

Es dauerte noch lange, ehe die Husaren auf den Hof ritten, und auch da schien es, als solle es mit dem Diner zuerst noch nichts werden: der Krümperwagen mit dem Gepäck war noch nicht da. Es gab dafür nach der Meinung des Rittmeisters gar keine Erklärung, aber er versuchte sie trotzdem zu geben: „Unsere hohen Vorgesetzten, die natürlich für ihre eigene Person nicht das geringste entbehren, sind der Ansicht, daß die Manöver völlig kriegsgemäß verlaufen müssen, und um das zu erreichen, werden Entbehrungen und Unannehmlichkeiten gleichsam künstlich konstruiert. Anstatt daß die Gepäckwagen direkt ins Quartier fahren, müssen sie einen meilenweiten Umweg machen, damit sie vom Feinde nicht gesehen werden. Wegnehmen darf er sie natürlich nicht, aber ich bitte Sie, meine Herrschaften, überlegen Sie es sich einmal, welche ungeheure Wirkung es auf unsere innere und äußere Politik, auf die Wirkung unserer Handelsverträge und Handelsbeziehungen haben würde, wenn ein dämlicher Kerl von Feind unseren Gepäckwagen sieht? Das könnte zu Interpellationen im Reichstag, in der französischen Kammer, im englischen Parlament und sonst noch wo Veranlassung geben, trotz Bertha von Suttners Vermittlung könnte ein Weltkrieg entflammen, dessen Folgen gar nicht abzusehen wären, und aus diesen und aus anderen Gründen müssen wir vielleicht noch stundenlang auf unsere Koffer warten, obgleich wir aussehen wie — na ja , sagen wir ganz einfach: wie!”

So ganz unrecht hatte der Rittmeister nicht; sie waren mit Staub und Schmutz bedeckt, und auch als sie etwas Toilette gemacht hatten, sich gewaschen und hatten abbürsten lassen, machten sie keinen allzu eleganten Eindruck, als sie sich endlich zu Tisch setzten. Aber gerade deshalb herrschte von Anfang an die lustigste Stimmung, und namentlich Berndorff war ausgelassen lustig. Er war wirklich, wie Alexa gesagt hatte, ein bildhübscher Mensch, groß und schlank, für einen Husaren vielleicht etwas zu groß, mit einem frischen übermütigen Gesicht und lachenden Augen. Er schien sich sowohl mit seinem Rittmeister wie mit seinen Kameraden ausgezeichnet zu stehen, denn die überließen ihm fast die ganze Unterhaltung und amüsierten sich über seine Scherze ebensosehr wie Herr von Wettborn und seine Damen.

„Sie dürfen es mir nicht übelnehmen, meine Herrschaften,” meinte er jetzt, „daß ich vielleicht etwas zu lustig bin, aber Sie wissen ja gar nicht, wie ich mich freue, daß ich hier bin — das heißt, ” verbesserte er sich, als er sah, wie Alexas Wangen sich bei seinen Worten dunkelrot färbten und wie sie etwas verlegen den Blick senkte, „wenn ich sagte hier, so meine ich natürlich nicht hier, sondern hier — im Quartier. Und daß dieses Quartier nun auch noch Wettbornhagen ist und daß gerade wir hier sind — gestern noch auf stolzen Rossen im Biwak mit Erbsensuppe und ohne Fleisch und dann abends kein Bett, sondern ein mit den Füßen zurecht gemachtes Strohlager und so weit das menschliche Auge reicht, kein weibliches Wesen und nun hier gleich zwei Damen auf einmal, ein exquisites Diner obendrein, dazu die todsichere Gewißheit, nach dem Diner nicht todsicher mich halbtot tanzen zu müssen —”

„Wissen Sie denn das so genau?” unterbrach Alexa ihn neckend, „ich bin zwar die einzige Tänzerin hier, aber gerade deshalb —”

„Machen Sie unsere Pferde da draußen nicht scheu,” widersprach er, „denken Sie mal, wenn die hundert Gäule, die da draußen Ihren väterlichen Hafer auffressen, jetzt auf einmal durchgingen? Husaren reiten wie der Wind — doch nur, wenn sie zu Pferde sind — malen Sie sich das mal aus, wenn wir morgen unsere Attacke zu Fuß reiten müssen. Die Kritik — brrr!” Er schüttelte sich vor Entsetzen. „Überhaupt solche Kritik, meine Herrschaften — je höher der Kritiker ist, um so größer ist seine Weisheit — um so größer ist aber auch die Dummheit, die er macht. Ein Leutnant kann höchstens eine Dummheit begehen, die ihm einen Rüffel einträgt — wegen Dummheit ist noch nie ein Leutnant verabschiedet worden, die Vorgesetzten werden nur wegen ihrer Untüchtigkeit verabschiedet und schon daraus folgt, daß jeder Untergebene, trotzdem er das geringere Gehalt bezieht, noch viel klüger ist, als der Vorgesetzte. Habe ich nicht recht, Herr Rittmeister?”

Der Rittmeister ging lachend auf den kecken Ton seines Leutnants ein, und andauernd herrschte die fröhlichste Stimmung, die aber mit einem Male verstummte, als jetzt ein Kamerad zu Berndorff herüberrief: „Na, Prosit, Berndorff, Ihr Fräulein Braut soll leben.”

War es Absicht oder Zufall, daß Berndorff bei diesen Worten Alexa scharf ansah? Sie wußte es nicht, sie fühlte nur, wie sie plötzlich blaß wurde, und sie merkte, daß es ihr nicht gelang, ihre Erregung zu verbergen. Ihrem Vater entging das nicht, und der Zorn stieg in ihm auf. Während des ganzen Diners hatte er beobachtet, wie Alexa der junge Offizier gefiel; sie hatte in der Unterhaltung mit ihm nur zu deutlich verraten, daß sie sich vielmehr aus ihm mache, als sie vorhin im Gespräch mit ihm zugegeben hatte, und es war ihm so vorgekommen, als ob der Leutnant auch um die Gunst seiner Tochter würbe. Und nun sollte das doch nur ein Spiel gewesen sein? Er war nicht so eitel, sich à tout prix(4) einen Leutnant als Schwiegersohn zu wünschen, und wenn Berndorff seine Alexa nicht heiratete, war ihm das auch sehr recht, aber daß er ihr so den Hof machte, so auffällig um ihre Gunst warb, obgleich er verlobt war, das wollte ihm absolut nicht in den Sinn, dazu war ihm seine Tochter denn doch zu gut. Da sollte doch gleich ein —

„Himmelkreuzdonnerwetter —”

Erschrocken hielt Herr von Wettborn inne; er hatte den Fluch laut gedacht, so laut, daß alle zusammenfuhren und ihm einen ganz erstaunten Blick zuwarfen.

„Um Gottes willen, Papa, was hast Du aber nur?” Auf den Tod erschrocken sah Alexa ihren Vater an. Sie hatte instinktiv erraten, was in ihm vorging, sie hatte beständig seine Blicke während des Diners auf sich gerichtet gefühlt, und mit seinen Augen hatte er ihr ein paarmal lustig zugeplinkert, als wolle er sagen: „Moderne Töchter können noch so klug sein, ihre unmodernen Väter täuschen sie auf die Dauer doch nicht.” Nun war er zornig, daß Berndorff nur mit ihr gespielt hatte — das ließ ihn seinem Herzen so Luft machen.

Aber er mußte sich sofort wieder beruhigen. Sprach er weiter, verriet er vielleicht sogar die Veranlassung seines Zornes, so war das nicht nur für Alexa eine Bloßstellung, sondern es konnte bei dem Temperament ihres Vaters leicht eine Szene folgen, die auch heute, wie damals vor sieben Jahren, zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und seinen Gästen führte.

Das aber durfte nie und nimmermehr geschehen, darüber wurde Alexa sich sofort klar, und so sah sie ihren Vater denn bittend und flehend an, so flehend, daß er die Angst in ihren Augen las und sich ihr zuliebe beherrschte. Ja noch mehr, er brachte das Kunststück fertig, einen Toast auf die Braut auszubringen, indem er mit den Worten anfing: „Kreuzhimmel­donnerwetter­nocheinmal, da sitzt man nun schon seit länger als einer Stunde mit einem glücklichen Bräutigam zusammen und weiß es nicht einmal.” Er machte das so geschickt, daß seine Gäste gar nicht auf den Gedanken kamen, er hätte seinen Fluch zuerst anders gemeint. Hell klangen die Gläser aneinander, und bald herrschte wieder die alte Heiterkeit bei Tisch, nur Alexa war und blieb schweigsamer, als sie es vorhin gewesen, und selbst Berndorffs Laune, die immer ausgelassener wurde, vermochte nicht, sie wieder heiter zu stimmen, sie war froh, als man sich endlich von Tisch erhob. Sie hatte den Wunsch, allein zu sein mit sich und ihren Gedanken; sie wollte allein sein, um niemand zu zeigen, was sie litt — sie wollte sich nicht verraten, dazu war sie denn doch zu stolz. Und doch fühlte sie, daß sie ihr Geheimnis preisgeben würde, wenn etwa die Tante oder gar der Vater ihr ein Wort des Trostes sagen würden.(5)

So schickte sie sich denn an, ihr Zimmer aufzusuchen — die Gäste würden sie nicht entbehren, wenn sie auf eine halbe Stunde fortging, die saßen auf der großen Veranda beim Kaffee und bei der Zigarre.

Aber gerade als sie glaubte, unbemerkt gehen zu können, stand Berndorff vor ihr. Sie bemühte sich, genau so freundlich wie sonst zu ihm zu sein, aber ihre Stimme klang doch merklich kühl, als sie ihn fragte: „Haben Sie die anderen Herren absichtlich verlassen? Haben Sie vielleicht einen Wunsch, den wir Ihnen erfüllen könnten?”

Er tat, als bemerke er ihr verändertes Benehmen nicht. „Ich habe noch eine große Bitte, gnädiges Fräulein. Sie haben mir noch nicht mit einem einzigen Wort zur Verlobung gratuliert, und doch möchte ich, daß gerade Sie mir Glück wünschen. Wir sind einander doch mehr gewesen als gute Freunde und treue Kameraden, es hat doch sogar eine Zeit gegeben, in der wenigstens ich —”

„Bitte, lassen Sie das,” unterbrach sie ihn schnell, während ihre Wangen von neuem erglühten, „ich finde es auch nicht ganz recht, so zu sprechen. Ich selbst habe ähnliche Gedanken, wie Sie da eben andeuen, nie gehegt, und daß auch Sie dieselben nicht allzu ernsthaft nahmen, beweist mir ja, daß Sie sich mit einer anderen verlobten. Daß sie das taten, freut mich aufrichtig — für Sie, aber auch für mich, denn ich wäre niemals, hören Sie, niemals die Ihrige geworden.”

Er stand da, als wäre ihm der Himmel mit einem Donnergepolter auf den Kopf gefallen. „Ist das Ihr heiliger Ernst?” fragte er sie endlich mit stockender Stimme.

Sie zuckte etwas geringschätzend die Schultern. „Das kann Sie doch jetzt, wo Sie verlobt sind, unmöglich noch interessieren.”

Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn. „Aber ich bin doch noch gar nicht verlobt,” kam es ihm mühsam über die Lippen.

Alexa hatte sich schon der Tür genähert, um gewaltsam dieser für sie so peinlichen Unterredung ein Ende zu machen, jetzt drehte sie sich ganz erstaunt wieder um. „Ja, was soll denn das heißen? Sie sind gar nicht verlobt, und da lassen sie einen Toast auf Ihre Braut ausbringen, verlangen von mir einen Glückwunsch — wirklich, Herr Leutnant, wenn ich nicht wüßte, daß Sie bei Tisch sehr wenig getrunken hätten —”

Er trocknete sich mit seinem seidenen Taschentuch die Stirn. „Hören Sie mich einen Augenblick an, nur einen, wenn es auch zwei werden. Sie wissen ja nicht, gnädiges Fräulein, wie ich mich auf dieses Wiedersehen gefreut habe, welche Hoffnungen ich daran knüpfte. Gnädiges Fräulein, ich bin gewiß kein Feigling, ich bin erst heute morgen mit meinem Fuchs über ein Hindernis gesprungen, daß der General vor Schrecken vom Gaul fiel — aber vor unserem Wiedersehen hab' ich doch auch Angst gehabt. Denn ich wollte Sie etwas fragen, worauf nur Sie mir ganz allein Antwort geben können, und bei dem Gedanken, daß Sie vielleicht doch ,nein' sagen würden, da hab' ich den guten Restorff ins Vertrauen gezogen. Der hat von Pferden keine Ahnung, der kauft sogar einen Schimmel als Rappen, aber er ist ein großer Menschenkenner, wenigstens behauptet er es. Na, und da hab' ich ihn gebeten, uns beide heute etwas zu beobachten, und wenn er meinte, daß ich die Attacke wagen könnte, dann sollte er mir ein Zeichen geben — wenn er meinte, daß Sie meine Braut würden, dann sollte er auf das Wohl meiner Braut, also auf Ihr Wohl trinken, auch die anderen Kameraden wußten davon. Sehen Sie, Fräulein Alexa, so ist alles gekommen, und wenn der Restorff nun nicht recht hat mit seiner Menschenkenntnis, wenn Sie mir wirklich einen Korb geben, totschießen tue ich ihn ja gerade nicht, denn für seine Dummheit kann man ihn ja nicht verantwortlich machen, aber bei dem nächsten Pferdehandel betrüge ich ihn, daß ihm die Augen übergehen. Und nun, liebes Fräulein Alexa, nun machen Sie mich entweder zu dem glücklichsten aller Menschen — oder — oder —”

Voller Glückseligkeit hatte sie ihm zugehört, jeder Zorn war verschwunden, jede Kränkung vergessen, sie hatte nur den einen Gedanken: „Er liebt dich wie du ihn.”

„Und was wird, wenn ich Ihnen auch jetzt sage: ,niemals'?”

Einen Augenblick stand er im tiefsten Nachdenken da, dann hob er den Kopf und sah sie übermütig lächelnd an. „Wissen Sie, mit dem Denken ist das so 'ne Sache, da kommt doch nichts Gescheites dabei heraus, und außerdem ist es dazu immer noch Zeit, wenn Sie erst ,niemals' gesagt haben. Werden Sie das aber auch wirklich sagen?”

Sie sah mit glückselig leuchtenden Augen zu ihm auf. „Niemals? Niemals!” und zärtlich schmiegte sie sich an ihn, während er seinen Arm um ihren Nacken legte.

„Das wahrste Buch, das je geschrieben ist,” meinte er übermütig, während er sie fest an sich zog, „ist und bleibt doch das Reglement. Da steht geschrieben: ,Das sicherste Mittel, um den Gegner in seine Gewalt zu bekommen, ist und bleibt eine mit aller Verve gerittene Attacke.'”

„Das nennst Du eine Attacke?” fragte sie ihn neckend, „vorläufig verstehe ich ja noch nicht viel von militärischen Dingen, aber das weiß ich doch schon heute, durch eine Attacke hast Du mich nicht besiegt, sondern einzig und allein durch einen Überfall.”


Fußnote:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „Holzplatz”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „Und wie hatte er sich”. (zurück)

(3) In der Buchfassung fehlt dieses Wort „an”. (zurück)

(4) In der Buchfassung heißt es nur: „tout prix”. (zurück)

(5) In der Buchfassung heißt es nur: „würde”. (zurück)


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© Karlheinz Everts