Der Trüffelbär.

Skizze von Freiherr von Schlicht.
in: „Düna-Zeitung” vom 24.3.1901,
in: „Die Zeit” (Wien), vom 30.3.1901,
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 30.Apr. 1901,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 12.5.1901
in: „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” vom 24.5.1901 und
in: „Der nervöse Leutnant”.


Der Oberleutnant Bär gehörte zu der großen Classe derjenigen Officiere, die den Dienst nur als eine unangenehme Unterbrechung der freien Zeit ansehen. Sein Glauben­bekenntniß lautete: Es wäre sehr schön, den bunten Rock zu tragen, wenn es kein Exerciren und wenn es keine Vorgesetzten gäbe. Aber leider(1) waren diese beiden wichtigen Factoren vorhanden, ja, noch mehr, er mußte sogar mit ihnen rechnen und das war ihm höchst fatal. Er liebte das Herumstehen auf dem Kasernenhof und die langweiligen Märsche, bei denen man stumpfsinnig einen Fuß vor den anderen setzt, absolut nicht. Wenn er aber dennoch verhältnißmäßig wenig über die geistestodtende(2) Arbeit klagte, so geschah es einerseits, weil er selbst sehr wenig Geist besaß, dann aber auch, weil der Dienst appetitmachend wirkte. Er aß sehr gerne, er war kein Vielesser, wohl aber ein großer Feinschmecker, der Gourmand par excellence. In der großen Garnison, in der er stand, auf den zahllosen Diners bei den schwerreichen Handelsherren hatte er vollauf Gelegenheit, seinen Geschmack zu bilden. Das that er auch, das Beste war für ihn gerade gut genug, zu gut konnte für ihn gar nichts werden. Sein Lieblingsgericht aber waren die Trüffeln; wenn er in ein Restaurant kam, bestellte er sich stets ein Gericht mit Trüffeln und so war es kein Wunder, daß er bald von den Kameraden den Beinamen „der Trüffelbär” erhielt. Er war stolz darauf, als hätte man ihn wegen seiner geistigen Fähigkeiten Napoleon oder Friedrich der Große getauft und er gab sich alle Mühe, seinem Namen Ehre zu machen. Dies gelang ihm, weniger aber glückte es ihm, sich die Zufriedenheit seiner Vorgesetzten zu erhalten und zu bewahren. Die hatten von Tag zu Tag mehr an ihm auszusetzen, er war ihnen zu lasch, zu gleichgültig, es fehlte ihm an Schneid und Energie, und auch seine Kenntnisse ließen ihn zuweilen im Stich. „Herr Leutnant, essen Sie weniger Trüffeln und lesen Sie mehr im Reglement!” rief ihm sogar eines Morgens der Herr Oberst bei dem Exercieren zu. Das war stark, bitter und schmerzlich, und wie jeder Untergebene, der gerüffelt wird, dachte auch er sofort daran, seinen Abschied zu nehmen — als er aber bei dem Zahlmeister sich erkundigte und erfahren hatte, daß ihm für seine großen Verdienste um das preußische Heer nicht mehr als sechshundert Mark Pension für das Jahr zuständen, und als er sich klar gemacht hatte, daß er als Officer a. D. sicher nicht zu so vielen Diners eingeladen würde wie als activer Leutnant, entschloß er sich, doch noch einige Zeit zu dienen. Um aber in Zukunft ähnlichen Angriffen zu entgehen, mußte er es entweder dahin bringen, daß die Vorgesetzten ihre Anforderungen, die sie an ihn stellten, herabminderten oder aber er mußte seine Leistungen erhöhen — an das Erstere glaubte er nicht recht, zu dem Zweiten hatte er noch weniger als gar keine Lust, und grau wie der Himmel lag vor ihm die Welt. Er wußte nicht recht, was werden sollte, aber wenn die Noth am größten, ist nicht nur der Herr vom Amtsgericht, auch der Gerichts­vollzieher genannt, sondern auch zuweilen die Hülfe am nächsten.

Bei einer Regiments–Felddienst­übung erhielt er den Befehl, mit seinem Zuge einen großen Torfhaufen, der eine Schanze markirte, zu stürmen und zu erobern. Der Auftrag war nicht sehr ehrenvoll, denn der Weg dorthin war weit, und vor allen Dingen war der Torfhaufen gar nicht von dem Gegner besetzt. Die Sache hatte also nicht den geringsten Zweck, aber die Befehle sind bekanntlich dazu da, um ausgeführt zu werden. Jeder Widerspruch ist nicht nur unnöthig, sondern wird sogar streng bestraft, und so that der Herr Ober eben das Klügste, was er thun konnte: er nahm nicht nur seinen Heldenmuth, sondern auch seinen Zug zusammen und stürmte wild darauf los: „Marsch, marsch, Hurrah!”

Die Kerls brüllten, daß es eine Freude war, und sie liefen mit solcher Vehemenz gegen den Torfhaufen an, daß dieser in sich zusammensank. Die Schanze war gestürmt. Den aufwirbelnden Torfstaub nicht achtend, hielten die Braven in der genommenen Position aus und erst, als das Signal zum Sammeln kam, sahen sie, daß der Sturm sein Opfer gefordert hatte: ihr heldenmüthiger Anführer, der mit dem gezogenen Schwerte ihnen vorangeeilt und ihnen den Weg gezeigt hatte, war gefallen. Seine Säbelscheide war ihm zwischen die Beine gekommen und hatte ihn zur Strecke geliefert — nun lag er da in seiner ganzen Schönheit, und wenn er sich nicht wieder erhob, so lag Das daran, daß er sich den linken Fuß gebrochen hatte. Muthig biß er die Lippen aufeinander, nicht um den Schmerzensschrei zu unterdrücken, sondern um vor Freude nicht laut „Hurrah” zu rufen. Zwar war das Gefühl, das er in seinem Fuße augenblicklich verspürte, weit davon entfernt, angenehm zu sein, aber für dei Zukunft eröffneten sich die schönsten Perspectiven. Vorläufig winkte ein Krankenlager, dann aber ein längerer Urlaub zur Wiederher­stellung der Gesundheit und daß er in den nächsten vier oder sechs Wochen nicht gesund werden würde, wußte er schon heute — dazu kannte er seine Constitution und vor allen Dingen sich selbst viel zu genau.

Seine Ahnungen trogen ihn nicht — vier Wochen lag er in Gips, dann fuhr er nach Wiesbaden in die Militär­heil­anstalt, und als er zurück kam, war er noch im hohen Grade schonungsbedürftig; an ein Eintreten bei den mit Recht bei den Untergebenen so wenig beliebten Parademärschen und an eine Theilnahme bei den Felddienst­übungen war gar nicht zu denken, wenigstens vorläufig nicht.

Wenn man ihm glauben durfte, war ihm die Sache sehr, sehr unangenehm, nach der langen Pause hatte er eine fast unbezwingliche Sehnsucht nach dem Dienst und er schalt fortwährend, zur halben Unthätigkeit verdammt zu sein.

Aber wenn ein Untergebener über zu viel Dienst klagt, glaubt man ihm eher, als wenn er über zu geringe Beschäftigung stöhnt — man lacht ihn aus.

Nur Einer lachte nicht, das war der Herr Oberst, der war wüthend, daß sein Oberleutnant mehr freie Zeit habe, als er selbst — es empörte ihn, daß sein Unterthan im Bette lag und fest schlief, während er(3) Morgens um 5 Uhr mit seinem Regiment zur Felddienst­übung rückte. Für den Herrn Ober mußte eine Beschäftigung gefunden werden und so wurde dieser denn eines Tages Casinodirector. Er bekam den strengen Befehl, Morgens schon im Casino anzutreten, die Ordonnanzen zu überwachen, die Bücher zu führen, das Geld zu verwalten, sich um die Instandhaltung des Inventariums zu kümmern, den Weinkeller zu controliren und mit dem Oekonom die Essensfrage zu besprechen und zu bestimmen.

Ein Casino- oder Tischdirector gehört zu jenen beneidens­werthen Menschen, die es Niemandem recht machen können; sie mögen anordnen, was sie wollen, und sie mögen auf den Tisch bringen, was sie wollen, geschimpft wird doch.

Aber auf den Oberleutnant Bär wurde nicht gescholten, noch nie hatte das Casino so gute Weine und Liqueure gehabt, noch nie hatte man so gut gegessen, wie seit der Zeit, da er das Scepter schwang, und die Ordonnanzen bedienten so schnell und gewandt, daß selbst Se. Excellenz, der in der großen Garnison sein Generalcommando hatte, sich äußerst lobend aussprach, als er einmal an einem Liebesmahl theilgenommen hatte.

Und nach diesem ersten Liebesmahl kam Excellenz häufiger, wenigstens jeden Monat einmal. Das war für das Regiment eine sehr große Auszeichnung, es war eine hohe Ehre, die der Herr Oberst mitsammt seinem Officiercorps auch zu schätzen wußte. Natürlich war es dem hohen Herrn, der auch zwar sehr gut aß und trank(4), nicht unbekannt, wem er in erster Linie die lucullischen Genüsse verdankte und so war der Herr Ober bei ihm noch mehr als enfant gâté.

Der Trüffelbär hätte bedeutend klüger sein müssen, als er es in Wirklichkeit war, um nicht in Folge der Gnadensonne, die sein Haupt beschien, stolz und übermüthig zu werden, er bekam fast einen Größenwahnsinn und trug den Kopf so hoch und stolz, als hätte er die ganze Welt zu seinen Füßen liegen.

Aber die Zeit ging dahin, und immer näher kam der Tag, an dem die dem Herrn Ober bewilligte Schonungsfrist abgelaufen war und an dem er wieder in die Front zurück mußte. Dann war es auch mit seiner Herrlichkeit als Tischdirector zu Ende, eine bevorstehende Thatsache, über die viele der Kameraden traurig waren, über die aber auch viele sich freuten, denn die Schulden des Casinos hatten unter seiner Oberleitung sich gewaltig vermehrt — man speiste eben nicht gratis und franco ein ganzes Officiercorps jeden Tag(5) mit Trüffeln.

Und eines schönen, oder richtiger gesagt, eines traurigen Morgens war der gefürchtete Tag da: am Mittag mußte der Herr Ober sich wieder in die Front zurückmelden, nachdem eine ärztliche Untersuchung seines Fußes dessen vollständige Felddienst­fähigkeit constatirt hatte, und am nächsten Morgen schon rückte er mit dem Regiment zu einer großen Uebung aus.

Wenn es auf der ganzen weiten Welt an diesem Tage einen Menschen gab, der fluchte, so war es der Trüffelbär, aber da die Flüche der Untergebenen im Gegensatze zu denen der Vorgesetzten ganz unerhört(6) verhallen, so kümmerte sich auch weiter Niemand um den unzufriedenen Nobile. In dem großen Heerbann zog er, unus ex oder de multis, wie der Lateiner sagt, auf der Chaussee dahin, und kein Gott im Himmel und kein Mensch auf Erden erbarmte sich seiner. Des Gehens entwöhnt, wie er es war, wurde ihm das Marschiren sehr sauer, schon nach den ersten drei Kilometern hatte er genug, nach weiteren dreien mehr als genug, und als er die ersten zehn hinter sich hatte, da hatte er die Nase voll. Aber es standen zwanzig Kilometer Anmarsch und ebenso viel Kilometer Rückmarsch auf dem Programm, da half kein Stöhnen, Seufzen und Klagen, er mußte mit, wenn er nicht schlapp werden wollte. Das aber gibt es nicht für einen Officier und so keuchte er denn weiter.

„Wenn Ihr Fuß Ihnen wieder wehe thut und wenn Sie vor Schmerzen nicht mehr weiter können, sperrt der Oberst Sie drei Tage ein,” hatte der Regiments­adjutant ihm im Auftrage seines Brotherrn bestellt — da war nichts zu wollen, er mußte mit, aber seine Kräfte waren so ziemlich Matthäi am letzten.

„Wenn ich nur wenigstens wieder den ehrenvollen Auftrag erhielte, einen Torfhaufen zu stürmen,” dachte er, „vielleicht thut mein Fuß mir da den Gefallen, wenn auch nicht gerade zu brechen, so doch wenigstens umzuknicken — wenn es sein muß, kann ich vielleicht ein bischen nachhelfen, aber hier auf flacher Erde ist das schwierig.”

„Nun, Bär, was wollen Sie denn hier? Hier gibt es doch gar keine Trüffeln,” klang da eine Stimme an sein Ohr.

Unwillig wandte er sich zur Seite, um dem Sprecher grob zu erwidern, er befand sich nicht in der Stimmung, sich uzen zu lassen, aber er schluckte die harten Worte, die er auf der Zunge hatte, sehr schnell herunter, als er neben sich den commandirenden General sah, der herausgeritten war, um der Uebung beizuwohnen.

Er begrüßte seinen hohen Gönner militärisch stramm, ohne sich hierin etwas zu vergeben, dann sagte er: „Excellenz, zuweilen muß man sehen, wie man ohne Trüffeln durch die Welt kommt. Und wenn Excellenz mich fragen, wie ich hierher komme, so muß ich antworten: nicht der eigene Wille, sondern der meiner Herren Vorgesetzten hat mich hierher gebracht.”

Doch kaum war ihm das Wort entfahren,
Möcht' gern' im Busen er's bewahren.

Zu spät sah er ein, daß die Gnadensonne nicht nur sehr schnell aufgehen, sondern auch barbarisch schnell untergehen kann. Auch er mußte erfahren, daß es ein gewagtes Ding ist, als Untergebener mit hohen Herren zu scherzen.

Das Gesicht Sr. Excellenz, der die Antwort des Herrn Ober durchaus ungehörig fand, legte sich in ernste Falten: „Wollen Sie mit Ihren Worten vielleicht sagen, Herr Leutnant, daß Sie Ihren Dienst nur der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe folgend, thun? Glauben Sie, daß der Staat Sie nur dafür bezahlt, daß Sie im Casino gute Mittagessen entriren? Herr,glauben Sie, daß Sie in einem Feldzuge dem Feind durch Ihre Leistungen im Trüffelessen irgendwie imponiren?”

Die Stimme Sr. Excellenz hatte zuerst nur zürnend geklungen, aber je länger der hohe Herr sprach, desto lauter, heftiger und grollender wurde sein Organ.

Der Herr Ober knickte bei diesen tadelnden Worten in sich zusammen: „Excellenz,” versuchte er sich zu vertheidigen, „Excellenz mißverstehen mich, Excellenz —”

Aber der Commandirende hörte gar nicht, er hatte sein Pferd schon wieder in Trab gesetzt und ritt davon.

Verzweifelt sah der Herr Ober ihm nach, da gewahrte er zu seiner Freude, daß ein General­stabsofficier zurückgeblieben war, der sich damit beschäftigte, umständlich eine Cigarre abzuschneiden und diese dann anzuzünden.

Der Herr Ober trat aus der Marschcolonne heraus und ging auf den Adjutanten, den er sehr gut kannte, zu: „Um Gottes Willen, sagen Sie mir nur, was hat Excellenz denn? Meine Worte allein können doch nicht an der Mißstimmung schuld sein.”

Der Generalstabsofficier lächelte so überlegen, wie eben nur ein Adjutant Sr. Excellenz lächeln kann, dann sagte er: „Lassen Sie sich deshalb nur keine grauen Haare wachsen, lieber Freund, die Sache hängt sehr einfach zusammen. Excellenz hat sich an den vielen Trüffeln, die Sie ihm zu essen gaben, den Magen verdorben und sein Arzt hat ihm diese seine Lieblingsspeise für die nächsten zwei Monate auf das Strengste verboten, eigentlich darf er nicht einmal von diesen edlen Pilzen sprechen und sie selbst in Worten nicht in den Mund nehmen. Das aber kann er nicht lassen, und da erfolgte Ihre Antwort, daß man zuweilen sehen muß, wie man ohne Trüffeln durch die Welt kommt. Die Worte waren nicht ganz nach seinem Herzen, er will ja mit, nicht ohne Trüffeln leben. Also beruhigen Sie sich, spätestens in acht Wochen ist der Friede wieder geschlossen.”

Und der Adjutant behielt Recht. Als Excellenz nach zwei Monaten zum ersten Mal wieder an einem Liebesmahl im Casino theilnahm und ein Trüffelgericht aß, das von dem früheren Tischdirector eingeführt und auch heute unter seiner strengsten Oberaufsicht zubereitet war, sagte der hohe Herr zu dem Commandeur, der neben ihm saß: „Ich habe mich vor einiger Zeit bei einer großen Uebung Ihnen gegenüber sehr tadelnd über den Oberleutnant Bär ausgesprochen, ich meinte damals, es würde dem Herrn nicht schaden, wenn er einmal in eine kleine Grenzgarnison käme — aber ich glaube heute, daßich damals zu hart und zu ungerecht urtheilte, meinen Sie nicht auch, Herr Oberst?”

„Ganz und gar nicht, Excellenz,” wollte der Commandeur seiner gewissenhaften Ueberzeugung nach antworten, nach seiner Ansicht wäre dem Herrn Ober ein Garnisonwechsel sehr bekömmlich gewesen — da sah er, wie der Commandeur(7) eine neue Trüffel in den Mund schob und mit verklärten Zügen sich dem Genuß derselben hingab.

Da wußte der Herr Oberst, was er zu antworten habe, wenn er nicht selbst anstatt des Trüffelbärs in die Verbannung oder gar „ins Civil” geschickt werden wollte, und so sagte er denn mit dem Brustton tiefinnerster Ueberzeugung: „Ich bin ganz der Ansicht Ew. Excellenz.”


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „Leider aber”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es hier: „geisttotende”. (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es hier: „er selbst”. (zurück)

(4) In der Buchfassung heißt es hier: „der auch sehr gerne gut aß und trank”. (zurück)

(5) In der Buchfassung heißte es hier: „jeden Mittag”. (zurück)

(6) In der Buchfassung heißte es hier: „ungehört”. (zurück)

(7) In der Buchfassung heißte es hier: „Commandirende”. (zurück)


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