Der Spießer

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Exzellenz ist wütend” und
in: „An die Gewehre”


Es gibt zweierlei Spießer, viebeinige und zweibeinige. Die ersteren können unter Umständen gefährlich werden, die letzteren sind es immer, sie richten, wenigstens nach der Meinung ihrer Vorgesetzten, überall den größten Schaden an und müssen stets unter strenger Aufsicht gehalten werden, denn wenn man sie alleine losläßt, kann nur zu leicht ein unübersehbares Unglück passieren.

Der Spießer ist das militärische Mittelding zwischen dem Einjährigen und dem Leutnant der Reserve.

Wenn der „Einöhrige”, wie die Kerls sagen, sein Jahr abgerissen hat, avanciert er zum Unteroffizier der Reserve oder auch nicht. Das hängt von seinen militärischen Leistungen, von seiner Persönlichkeit selbst und von tausend anderen Dingen ab. Die gute Kinderstube ist die Hauptsache. Ist die vorhanden, dann drücken die Vorgesetzten schon einmal beide Augen zu, wenn der Einjährige egal statt „rechts um”, „links um” kommandiert — sie nehmen dann zu seiner Entschuldigung an, daß er eben „links” ist, na, dafür kann er doch nichts, er ist doch einmal so geboren.

Auch beim Militär gibt es für alle Dummheiten eine Entschuldigung, wenn man nur eine finden will. Aber meistens will man nicht. Das aber liegt nicht an den Dummheiten, sondern an der Klugheit, natürlich der(1) Vorgesetzten.

Wenn ein Einjähriger es zum Unteroffizier der Reserve gebracht hat, wird er später, wenn er im theoretischen und praktischen Examen nicht durchfällt, Vizefeldwebel der Reserve.

Als solcher erhält er den Spieß, das Offizierseitengewehr und heißt nun allgemein der „Spießer”. Diesen Beinamen verdankt er dem Umstande, daß er mit seinem Spieß natürlich nicht umzugehen weiß. Auf der Straße und auf dem Exerzierplatz kommt ihm die Scheide fortwährend zwischen die Beine und nun erst, wenn er die Plempe gezogen hat. Bei den Griffen sticht er sich mit dem Schwert beinahe die Augen aus und auch sonst benutzt er jede Gelegenheit, nicht nur die, die sich bietet, sondern erst recht die, die sich nicht bietet, um mit seinem „Sabul” so gefährlich in der Luft herumzuwirtschaften, daß jeder sich fürchtet, in seine Nähe zu kommen, weil er glaubt, aufgespießt zu werden.

Von dienstlichen Dingen hat ein Spießer natürlich nicht die allergeringste Ahnung, wenigstens nicht nach der Meinung der Vorgesetzten. Wenn ein Vicefeldwebel einmal eine Abteilung durch die Straßen der Stadt führen soll, dann läßt die Aufregung den Hauptmann schon acht Tage lang vorher keine Nacht ruhig schlafen. Und wenn die Sache dann wider alles Erwarten gut gegangen ist, wenn von den Kerls unterwegs keiner umkam, wenn der Spießer die Leute wirklich dahin führte, wohin sie sollten, und nicht in einen Fluß hinein, in dem alle leicht hätten ertrinken können, dann schläft der Hauptmann erst recht nicht vor Aufregung, denn dann fürchtet er, der Spießer könne sich auf Grund des von ihm nach seiner Meinung erbrachten Befähigungs­nachweises allen Ernstes einbilden, etwas zu können.

Man spricht in der Armee immer noch von einem Spießer, der ganz plötzlich auf dem Kasernenhof den Größenwahnsinn bekam und zwar deshalb, weil er das Komando: „Ganzes Bataillon kehrt!” so richtig abgab, daß er nicht angeschnauzt wurde. Er hatte weder zu früh, noch zu spät, weder zu laut, noch zu leise, weder zu schlapp, noch zu energisch kommandiert. Es war wirklich gut gewesen und das stieg dem Ärmsten derartig in den Kopf, daß er sich plötzlich einbildete, Moltke zu sein.

Sein Geist war und blieb umnachtet.

Natürlich wurde sein Hauptmann dafür verantwortlich gemacht und ganz gewaltig angeblasen. Und das mit vollem Recht, denn so gut kann gar kein Kommando sein, daß es nicht noch viel besser sein könnte.

Wenn ein Hauptmann einmal einem Spießer die Führung eines Zuges oder einer anderen Abteilung anvertrauen muß, dann läßt er von den Leuten alle, die sich nicht einer eisernen Körper­konstitution erfreuen, zu haus, denn man kann nie wissen, was der Vice mit seinen Leuten alles aufstellt. Daß er sich bei dem Exerzieren stets verläuft und bei den Aufmärschen stets da erscheint, wo er nicht hingehört, daß er statt nach links, nach rechts abschwenkt und mit seinem Zug entweder gar keinen Tritt oder, wenn er schon Tritt hat, falschen Tritt hat, das alles ist viel zu selbstverständlich, als daß ein an Kummer und Elend gewöhnter Hauptmann sich darüber noch irgendwie sonderlich aufregt. Er wird dem Untergebenen höchstens dann saugrob, wenn der einmal etwas richtig macht, denn das tat der selbstverständlich natürlich(2) nur aus Dummheit.

Es gibt aber auch Tage, an dem [sic! D.Hrsgb.] der Spießer bei Felddienst­übungen als Feldwache oder als selbständiger Unteroffiziersposten aufziehen muß.

Der Hauptmann hat ihm auf der Karte ganz genau den Fleck im Gelände bezeichnet, wo er seinen Posten aufstellen soll, er hat ihm genau beschrieben, wie er dort hinkommt, „Erst geradeaus, dann bei der Kirche rechts abbiegen, dann den zweiten Feldweg links entlang und da, wo die alte Scheune steht, soll er sich aufbauen, aber natürlich hinter der Scheune, damit er von dem Gegner nicht zu früh entdeckt wird.”

Der Spießer zieht mit seinen Leuten in die Welt. Wie er das Kunststück fertig bringt, sich zu verlaufen, wissen selbst die unsterblcihen Götter nicht, die übrigens lange nicht so klug sein sollen, wie man in allgemeinen annimmt. Genug, er verläuft sich und als der Hauptmann später die Vorposten­stellung abreitet, um diese zu kontrollieren, ist der Spießer immer noch nicht bei seiner Scheune angelangt.

Selbst die alte Scheune wundert sich darüber, denn solange sie nun schon steht, ist sie es gewöhnt, daß bei jeder Felddienst­übung ein Posten bei ihr aufgestellt wird und nun kommt keiner. Wäre sie nicht so alt, so würde sie sich selbst auf die Beine machen, um ihn zu holen, so aber muß sie stehen bleiben und weiter warten.

Auch der Hauptmann wartet dort weiter, einmal muß der Spießer doch kommen.

Aber der denkt gar nicht daran. Der ist bei der Kirche statt nach rechts nach links abgebogen, hat auch dort einen zweiten Feldweg entdeckt und marschiert nun frisch darauf los. Er ist fest davon überzeugt, auf dem richtigen Wege zu sein und diese Überzeugung wird noch felsenfester, als er mit dem Glas das Vorgelände absucht und am fernen Horizont einen Gutshof entdeckt.

Dort wird er also die Scheune finden, die er besetzen soll.

Und er irrt sich auch nicht, er findet wirklich eine Scheune. Es ist zwar keine alte, wie der Hauptmann ihm gesagt hat, sondern eine ganz neue, die sogar noch nicht einmal ganz fertig aufgebaut ist, denn, wie die Arbeiter ihm sagen, ist die alte Scheune vor einigen Wochen abgebrannt.

Der Spießer ist vollkommen beruhigt — so ist die neue Scheune also doch die alte Scheune, nur daß sie nicht alt, sondern neu ist. Na also!

Der Spießer baut seine Leute auf und instruiert sie sehr genau, damit der Hauptmann, wenn er nachher zu revidieren kommt, nichts zu tadeln findet.

Aber der Hauptmann kommt nicht, obgleich er doch kommen wollte. Dafür gibt es nach der Meinung des Spießers eine sehr einfache Erklärung: Der Vorgesetzte ist so felsenfest davon überzeugt, daß der Spießer seine Sache tadellos machen wird, daß er sein Kommen für überflüssig hält.

Unterdessen stehen die Leute mit dem Gewehr unter dem Arm Posten und spähen, der Instruktion gemäß, unausgesetzt nach dem Feinde aus.

Aber der Feind kommt nicht und zwar aus dem sehr einfachen Grunde, weil in der Himmelsgegend, nach der die Kerls ausspähen, ünerhaupt kein Feind da ist.

Der Spießer hat aber auch dafür, daß die Posten nichts sehen, eine ganz andere Erklärung: Der Feind hat es eben bemerkt, daß er hier mit seinen Leuten steht und ihn bei einem etwaigen Vormarsch aufhalten würde. Infolgedessen hat er das Klügste getan, was er konnte. Er macht einen weiten Bogen und versucht an einer anderen Stelle, die nicht so scharf bewacht wird, vorzudringen.

Unterdessen warten die alte Scheune und der Hauptmann immer noch auf den Posten, der da kommen soll, aber nicht kommt.

Die alte Scheune hat Zeit, sie kann warten, sie hat ja doch nichts anderes zu tun, als hier zu stehen, bis sie eines Tages entweder vor Altersschwäche von selbst in sich zusammenfällt oder bis sie einen energischen Fußtritt bekommt und einstürzt. Aber solange Zeit hat der Hauptmann nicht, er flucht sein ganzes, sehr reichhaltiges Fluch-Repertoire durch, dann erfindet er neue Flüche und als auch das nichts hilft, reitet er im Galopp zu seiner Kompagnie zurück und schickt einen tüchtigen Gefreiten mit den nötigen Mannschaften zur alten Scheune.

Und die alte Scheune freut sich, als die Kerls bei ihr ankommen. Se hatte wirklich schon gefürchtet, sie kämen heute nicht mehr, na, nun sind sie ja doch da und alles ist in schönster Ordnung.

Derselben Ansicht ist der Spießer auch. er hat sich neben seinen Leuten in das Gras gelegt, sich eine Zigarre unter die Nase gesteckt, sieht in den baluen Himmel hinein und kommt, je länger er darüber nachdenkt, immer mehr zu der Überzeugung, daß alles, was man von den Strapazen des Dienstes erzählt, doch sehr übertrieben ist. Heute ist er wenigstens sehr gerne Soldat. Der Weg hierher und nachher der Marsch zur Kaserne ist zwar etwas lang, aber schließlich schadet es ihm gar nichts, wenn er während der Übung ein paar Pfund abnimmt. Vor allen Dingen aber ist die Bewegung ganz ausgezeichnet für die Verdauung und in der Hinsicht war er in der letzten Zeit nicht ganz auf der Höhe der Situation.

Stunde auf Stunde verrinnt, die Posten haben einander schon abgelöst und der Spießer raucht nicht mehr seine erste, sondern schon seine dritte Zigarre.

Und vom Feind ist immer noch nichts zu sehen und zu hören und von dem Hauptmann erst recht nicht.

Der Spießer sieht nach der Uhr. „Donnerwetter, schon elf!” Da muß die Schlacht bald beginnen, wenn die Kompagnie, wie der Hauptmann es befahl, mit Rücksicht auf die große Hitze, schon um 10 Uhr wieder in der Kaserne ein soll. Eigentlich müßte man ja schon längst wieder zu hause sein, aber das kennt man ja beim Militär, daß der Dienst zwar pünktlich anfängt, aber nur in den allerseltensten Fällen auch pünktlich aufhört. Das ist nicht einmal auf dem Kasernenhof der Fall, geschweige denn im Gelände.

Aber auch noch nach einer weiteren halben Stunde herrscht überall der tiefste Frieden.

Der Spießer weiß sich den Grund selbst nicht zu erklären, aber mit einemmal ist ihm so, als wenn doch nicht alles so wäre, wie es wäre, wenn es anders wäre.

Da kommt ihm ein Gedanke. Wozu hat er denn eigentlich als selbständiger Unteroffi­zierposten noch eine Patrouille von zwei Mann bei sich! Die soll er doch dazu benutzen, um innerhalb der Postenkette die Verbindung aufrecht zu erhalten.

Bisher hat er gar nicht daran gedacht, die beiden Leute fortzuschicken und die haben ihn nicht daran erinnert. Sie sind froh, daß sie auf dem Bauch liegen und sich den Hintern von der Sonne bescheinen lassen können. Die müßten schön dumm sein, wenn sie sich selbst dieses süße Nichtstun zerstören würden.

Aber jetzt werden die beiden Kerls doch fortgeschickt. Man merkt es ihren Gesichtern an, allzu erfreut sind sie über den Befehl nicht, es dauert eine Ewigkeit, bis sie sich auf den Weg machen und als sie endlich losziehen, bummeln sie in einem derartigen Tempo davon, daß es ewig und drei Jahre dauern kann, bis sie wieder zurück sind.

Unterdessen zündet sich der Spießer seine vierte Zigarre an. Als die Patrouille endlich zurückkommt, ist er beinahe mit der fünften fertig.

Aber die Zigarre fällt ihm aus dem Mund, als er die Meldung der Patrouille anhört. Die Nebenposten sind nicht aufzufinden, auch die Kompagnie steht nicht mehr da, wo sie stand, und die Leute im Dorf haben erzählt, sie wäre schon längst wieder nach haus marschiert.

Wenn der Spießer plötzlich Mutter geworden wäre, könnte er kein dümmeres Gesicht machen, als er es in diesem Augenblick macht.

Lange starrt er wie geistesabwesend vor sich hin, dann kommt ihm plötzlich die Gewißheit, daß er sich vorhin doch nicht irrte, als ihm so war, als ob nicht alles so wäre, wie es wäre, wenn es anders wäre.

Seine Ahnung hat ihn also nicht betrogen, das ist wenigstens ein Trost, aber nur ein sehr schwacher.

Wenig später tritt auch er mit seinen Leuten den Rückmarsch zur Kaserne an. Die Kerls sind fuchsteufelswild, daß sie ein paar Stunden später nach Haus kommen als die anderen, sie fluchen nicht schlecht, aber der Spießer hat nicht den Mut, es ihnen zu verbieten, er hört auch kaum hin, auf das, was die sagen.

Ihn interessiert nur eins: was sein Hauptmann nachher dazu sagen wird.

O du mein Gott!

Um ein Haar wäre er hingefallen, so schloddern ihm plötzlich die Kniee, aber im letzten Augenblick richtet er sich noch schnell wieder in die Höhe. Da aber kommt ihm der Spieß zwischen die langen Beine und einen Augenblick später liegt er wirklich der Länge nach im Dreck.

Die Kerls kümmern sich gar nicht um ihn, die marschieren ruhig weiter, aber etwas schadenfroh lachen sie doch auf: Das ist eine Strafe dafür, daß sie so spät nach Hause kommen.

Endlich erreicht er den Kasernenhof. Seine Befürchtung, daß sein Hauptmann ihn dort erwartet, erweist sich Gott sei Dank als grundlos.

Er faltet die Hände und schickt ein Dankgebet zum Himmel. Inniger können selbst die Holländer ihrem Herrgott nicht gedankt haben, als die Königin ihnen eine Prinzessin(3) schenkte.

Dann steigt er die Treppen in der Kaserne hinauf, um sich und seine Leute bei dem Feldwebel „Zurück” zu melden.

Aber als er die Tür zum Feldwebel-Büro öffnet, rührt ihn beinahe der Schlag: Dort sitzt der Hauptmann und wartet auf ihn.

Er ist unfähig, etwas zu denken, oder zu sagen. Mit großen entsetzten Augen starrt er den Vorgesetzten an und obgleich seine Gehirntätigkeit immer noch völlig gelähmt ist, kommt ihm ganz mechanisch doch ein Gedanke und immer derselbe: „Nur fort von hier — um Gotteswillen, nur fort!”

Statt dessen winkt der Hauptmann ihn näher zu sich heran und läßt dann die Fenster schließen, damit die Leute da unten auf dem Kasernenhof nicht hören, was er seinem Vicefeldwebel zu sagen hat.

Als der Spießer nach einer halben Stunde das Feldwebel-Büro verläßt, fällt und taumelt er draußen gegen die Wand und zwar so unglücklich, daß sich eine über seinem Kopf an dem „Trommelbrett” aufgehängte Trommel löst und ihm erst auf den Kopf und dann auf seine Füße fällt.

Er fühlt den Schmerz gar nicht, er ist körperlich und seelisch so vollständig gebrochen, daß er überhaupt kein Empfinden mehr hat.

Er hat so fürchterlich viel auf den Hut bekommen, daß es da auf eine Trommel mehr oder weniger gar nicht ankommt.

Aber der Hauptmann hört da drinnen den Fall und öffnet neugierig die Tür, um sich nach der Ursache des Lärms umzusehen.

Der Spießer bekommt eine wahnsinnige Angst — sollte der Hauptmann noch etwas auf dem Herzen haben?

Er versucht sich nach hinten durch die Wand zu drücken und da ihm das nicht gelingt, sucht er mit beiden Händen an der Mauer einen Halt, die Füße allein tragen ihn nicht mehr.

Der Hauptmann sieht das Entsetzen in den schreckensstarren Augen seines Untergebenen. Er ist vorhin doch vielleicht etwas zu heftig gewesen, das will er wieder gut machen und so sagt er denn jetzt sehr freundlich: „Na, Vicefeldwebel, die Sache ist ja nun erledigt und Sie dürfen sich meinen Tadel auch nicht zu sehr zu Herzen nehmen. So böse, wie Sie denken, war er überhaupt nicht gemeint. Nun gehen Sie nur zu Tisch, Sie werden ohnehin schon zu spät kommen.”

Wie ein Schatten wankt der Spießer von dannen und unterwegs versucht er, sich klar zu machen, was der Vorgesetzte mit dem „zu Tische gehen” meint. Endlich gelingt es ihm. Ja richtig, er hat ja noch kein Mittag gegessen und pünktlich um 2 Uhr wird im Kasino gespeist.

Er geht in die Stube, in der sein Putzer seine Extrasachen hat, kleidet sich schnell um und geht ins Kasino.

Und als er erst die dritte Flasche Sekt im Magen hat, fängt er trotz allem, was er heute morgen erlebte, doch wieder an, das Leben schön zu finden. — —

Die Spießer essen des Mittags mit den Offizieren zusammen, damit diese sich davon überzeugen können, ob die Vicefeldwebel auch die für einen späteren Leutnant der Reserve unbedingt nötigen, gesellschaftlichen Formen haben.

Für die Spießer sind diese gemeinsamen Mehlzeiten kein besonderer Genuß. Mögen sie in ihrem Zivilberuf auch sein, wer und was sie wollen, im Kasino haben sie sich den dort herrschenden Sitten und Gebräuchen zu fügen, im Verkehr mit den Vorgesetzten nur zu sprechen, wenn sie gefragt sind und sie müssen in jeder Hinsicht ein sehr bescheidenes Wesen zur Schau tragen.

Und da passierte einmal irgendwo eine sehr niedliche kleine Geschichte.

Ein Leutnant hatte sich den Spießer seiner Kompagnie im Kasino zu Gast geladen, um ihn im Laufe des Gesprächs einmal wirklich als Mensch kennen zu lernen.

Der Wein löst die Zunge, so goß der Leutnant denn seinen Gast ganz gehörig voll Alkohol, um zu sehen, wie der Mann sich in der Trunkenheit benähme.

Aber der Spießer war in seinem Beruf Weinhändler und konnte einen ganz gehörigen Posten vertragen. So kam es, daß der Leutnant viel eher trunken war als sein Gast und in der Sektlaune hielt er ihm sein Glas hin: „Na, Prosit, Vicefeldwebel, die Weiber sollen leben!”

Die Gläser klangen aneinander und als der Vice spät am Abend nach Hause kam, glaubte er, sich die Gunst seines Leutnants errungen zu haben.

Aber am nächsten Tag bekam der Vice von seinem Leutnant einen ganz gewaltigen Anschnauzer: „Er hätte es gestern nicht sagen wollen, um seinen Gast nicht bei Tisch tadeln zu müssen, aber sein Benehmen wäre zuletzt unerhört gewesen und mit vollem Recht hätten sich alle Herren darüber aufgehalten. Er müsse es erst noch lernen, wie man sich in Offiziers­kreisen benähme, er sei viel zu vorlaut und spräche viel zu viel, ohne gefragt zu sein.”

Der Spießer verstand von alledem kein Wort, er war bis zum letzten Augenblick vollständig nüchtern geblieben und war sich nicht der leisesten Schuld bewußt.

So bat er denn um Aufklärung: Was hatte er denn verbrochen?

Und da kam seine Sünde und seine Schande an das Tageslicht. Als sein Leutnant zu ihm sagte: „Na, Prosit, die Weiber sollen leben,” da hatte er, anstatt gleich zu trinken, die Kühnheit besessen, zu fragen: „Alle oder nur eine?”


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „An die Gewehre” heißt es hier: „natürlich der der Vorgesetzten”. (zurück)

(2) In der Fassung von „An die Gewehre” fehlt hier das Wort „natürlich”. (zurück)

(3) Am 30.4.1909 wurde die spätere Königin Juliana der Niederlanden geboren, nachdem ihre Mutter, die Königein Wilhelmina, vorher vier Fehlgeburten erlebt hatte. Den letzten Satz hat man in der Fassung von „An die Gewehre” weggelassen, wohl weil im Publikum nach 15 Jahren und einem schweren Krieg die Erinnerung daran verblaßt war . (zurück)


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