Selbständige Frauen.

Von Freiherr von Schlicht
in; „Tatransky Orol”, Jahrgg. 1926, April-Heft,
in: „Die Frau und meine Frau”


Wir befanden uns auf der Wohnungssuche, richtiger gesagt, meine Frau genoß alleine das Vergnügen, ich selbst durfte bei der Sache nicht mitreden, kein Wort, keine Silbe, denn daß wir schon wieder umziehen mußten, war einzig und allein meine Schuld. Wenigstens behauptete meine Frau das, und daß sie es tat, war mir der beste Beweis dafür, daß ich völlig schuldlos war. Wer ein reines Gewissen hat, braucht die Schuld, die dann gar nicht vorliegt, nicht auf andere zu wälzen.

Das Vergehen, das ich begangen haben sollte und das die einzige Veranlassung des Wohnungswechsels bildete, bestand darin, daß meine Anwesenheit meine Frau bei dem Mieten der letzten Wohnung abgehalten hatte, die Etage immer und immer wieder auf etwaige Fehler und Mängel genau zu untersuchen. Und anstatt ihr abzureden, die Wohnung zu nehmen, hatte ich ihr zugeredet, weil es mir an Geduld fehlte, noch weiter auf der Wohnungssuche zu sein.

Dieses Mal wollte meine Frau ganz selbständig mieten und mich dann eines Tages mit der Nachricht überraschen, daß mein Schreibtisch fortan in der und der Straße und in der und der Etage stehen würde, ich selbst brauchte mich um gar nichts zu kümmern, um nichts.

Wenn ein Mann einen Entschluß gefaßt hat, führt er ihn auch sofort durch und verliert darüber nicht erst viele Worte. Für eine Frau aber ist die Durchführung eines Entschlusses Nebensache, der Hauptreiz besteht für sie darin, sich in Gedanken an dem, was sie vor hat, zu berauschen, sich das, was sie tun will, in immer neuen Farben auszumalen.

Die Vorstellung, die neue Wohnung allein zu mieten, einmal ganz selbständig zu handeln, hatte für meine Frau etwas unendlich Verführerisches. Das war für sie ein Genuß, den sie in allen Einzelheiten auskosten wollte, und so schob sie denn das Genießen selbst immer weiter hinaus — die Vorfreude war ja das Beste. War die Wohnung erst gemietet, dann war auch der Genuß vorbei, dann blieb nur noch der Nachgeschmack und der vergeht im allgemeinen ja nur zu schnell — leider um so schneller, je schöner der Geschmack selbst war.

Ein Glas Rizinusöl schmeckt man noch nach acht Tagen — ein Glas schönen Rheinweins schon nach zehn Minuten nicht mehr.

Umgekehrt wäre es besser, aber man bekommt, wenn auch nur im bildlichen Sinne, auf dieser Erde und in diesem Leben mehr Rizinusöl als schönen Rheinwein zu trinken.

Meine Frau wollte selbständig mieten und gerade, weil sie es wollte, weil sie ganz fest dazu entschlossen war, konnte sie sich nicht entschließen, es zu tun.

Sie wartete von einem Tag zum andern, bis sie sich dann endlich doch eines Morgens auf den Weg machte, aber nur, weil der Kalender ihr bewies, daß wir in zwei Wochen eine neue Wohnung haben mußten, wenn wir nicht mit unseren Möbeln auf einem Speicher und mit unseren Körpern in einem Hotelbett liegen wollten.

Und davon konnte natürlich nicht die Rede sein, denn das kam viel zu teuer.

Das bewies meine Frau mir immer von neuem, obgleich ich nie das Gegenteil behauptet und nie den Wunsch geäußert hatte, obdachlos zu werden.

Man kann einer Frau nie etwas beweisen, aber gerade deshalb ist es für jede Frau ein großes Vergnügen, den Männern etwas beweisen zu können, denn sie ist fest davon überzeugt, daß sie es kann.

Eine Frau kann überhaupt alles: nähen, stricken, flicken, kochen, tanzen, rudern, malen, musizieren, singen, Tennis spielen, kurz alles, was es gibt und was es nicht gibt, — sie braucht nur zu wollen.

Aber sie will nur nicht, sonst könnte sie es.

Bei den Männern ist es gerade umgekehrt.

Morgens um neun Uhr hat meine Frau sich auf die Wohnungssuche gemacht. Um zwei Uhr telephonierte sie, daß sie wahrscheinlich nicht vor vier Uhr zu Tisch nach Hause käme. Um sechs Uhr schickte sie einen Messengerboy, sie könnte nicht vor fünf kommen, um acht schickte sie ein Stadttelegramm, ich möchte nicht mehr mit dem Mittagessen auf sie warten, sie hätte bereits um drei Uhr in der Stadt gegessen, um halb zehn kam sie mehr tot als lebendig nach Haus und um halb elf klingelte das Telephon: Ich möchte es gütigst entschuldigen, es wäre vergessen worden, es früher zu bestellen, die gnädige Frau ließe sagen, sie würde spätestens in einer halben Stunde zurück sein.

Meine Frau hatte im Laufe des Tages siebenundsechszig Wohnungen besehen, dreiundvierzig Mark achtzig Pfennige im Automobil verfahren, an siebenundsechzig Portiersleute jedesmal fünfzig Pfennige, im ganzen also dreiunddreißig Mark fünfzig Pfennige Trinkgeld gegeben und zum Zeichen, wie sparsam sie sei, für eine Mark fünfundzwanzig Pfennige Mittag gegessen.

Dafür hatte sie aber auch keine Wohnung gefunden. Die eine war zu groß, die andere zu klein, die dritte nicht elegant genug, die vierte zu laut, die fünfte zu sonnig, die sechste zu kalt — keine hatte ihr gefallen, aber morgen würde sie ganz bestimmt eine finden.

Als sie am nächsten Abend nach Haus kam, hatte sie anstatt der einen sogar fünf gefunden — alle waren gleich schön, gleich bequem, gleich elegant und der Mietpreis war überall ungefähr derselbe.

„Und welche von den fünfen wirst du mieten?” erkundigte ich mich.

Meine Frau sah mich ganz verzweifelt an: „Das ist es ja eben, ich kann mir nicht einig werden. Bis morgen mittag um zwölf habe ich mir bei allen fünf Wohnungen das Vormietrecht gesichert und wenn ich natürlich auch ganz selbständig mieten will, so möchte ich mich doch nicht für eine entscheiden, ohne dich wenigstens um Rat gefragt zu haben.”

Aber ich widersprach: „Tue mir die einzige Liebe und verschone mich damit. Ich bin schuld daran, daß wir aus dieser Wohnung heraus müssen und ich möchte mir eine solche Schuld nicht zum zweitenmal auf meine Schultern laden. Und außerdem hast du dich so rasend darauf gefreut, dieses Mal ganz selbständig zu handeln, daß ich dir die Freude nicht verderben möchte, dazu habe ich dich viel zu lieb.”

„Aber ich werde dir doch wenigstens schildern dürfen, wie die Wohnungen aussehen, wieviel Zimmer sie haben?” fragte meine Frau etwas kleinlaut, „denn so ganz gleichgültig kann es dir doch auch nicht sein, wo später dein Schreibtisch stehen wird.”

Und wohl aus Angst, daß ich ihr von neuem widersprechen könne, wartete sie meine Antwort gar nicht erst ab, sondern fing gleich an, mir die fünf Wohnungen genau zu schildern. Sie hatte sich über die Lage und Höhe der Zimmer, über die Anzahl der Türen, über die langen Wände, an denen das große Büfett(1) und die Schränke stehen könnten und über tausend andere Sachen soviel genaue Notizen gemacht, daß sie selbst nicht mehr daraus klug wurde und trotzdem oder gerade deshalb fragte sie plötzlich: „Für welche dieser Wohnungen würdest du dich an meiner Stelle entscheiden?”

Und auch da wartete sie meine Antwort nicht ab, sondern setzte lebhaft hinzu: „Nicht wahr, die in der Hähnelstraße gefällt dir auch am besten? Sieh sie dir noch einmal an, hier diese Notizen, das ist sie: acht große Zimmer, zwei Balkons, Loggia, zwei Badestuben, — nein, verzeih, das ist ja die in der Kaiserallee, sechs große Zimmer, leider nur eine Badestube, dafür aber Zentralheizung und vor allen Dingen ein sehr schöner Balkon mit der Aussicht auf die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche —”

„Aber Kind,” unterbrach ich sie, „selbst wenn man schielt, kann man von der Kaiserallee doch nicht auf die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche sehen.”

Meine Frau fing beinahe an zu weinen: „Ich habe dir wieder die falschen Notizen gegeben, das ist ja die Wohnung am Kurfürstendamm, hier ist die Aufzeichnung über die Hähnelstraße.”

Sie gab mir von neuem ein Blatt Papier und dieses Mal war es auch das richtige.

„Nicht wahr, die gefällt dir doch auch am besten?”

„Ich rede weder zu, noch rede ich ab — wenn sie dir gefällt, dann nimm sie.”

In den Augen meiner Frau leuchtete es freudig auf: „Siehst du, das habe ich mir gleich gedacht, daß auch du für diese Etage sein würdest.”

Ich war mir zwar nicht bewußt, irgend etwas zum Lobe der Wohnung geasgt zu haben, aber ich widersprach nicht, denn ich sah und merkte ja deutlich, wie erregt meine Frau war. Selbst die stärksten Nerven halten es ja nicht aus, in zwei Tagen hundertundvierzehn Wohnungen zu besehen, mehr als neunzig Mark im Automobil zu verfahren, siebenundfünfzig Mark Trinkgeld an Portiersleute zu geben und von einem kärglichen Mittagessen von einer Mark fünfundzwanzig Pfennigen pro Tag zu leben.

In der festen Absicht, morgen früh gleich in der Hähnelstraße zu mieten, legte meine Frau sich endlich schlafen und als sie dann am nächsten Mittag nach Haus kam, hatte sie eine Wohnung in der Mommsenstraße genommen. Von der war gestern noch gar nicht die Rede gewesen, aber das schadete ja auch nichts, sie hatte die neue Wohnung ganz plötzlich entdeckt, ein Zufall war ihr da zu Hilfe gekommen und die Wohnung war geradezu ideal, sie bestand nur aus Vorzügen, hatte gar keine Fehler, nicht den leisesten. — Ach, meine Frau war ja so froh und glücklich, und hatte natürlich gleich den Mietskontrakt unterzeichnet.

Aber am allerglücklichsten war sie darüber, daß sie die Wohnung ganz selbständig gemietet hatte, ich würde schon mit ihr zufrieden sein, gleich morgen sollte ich mit ihr hinfahren.

Aber am nächsten Tag hielt mich eine wichtige Arbeit zurück, so fuhr sie denn allein, um sich in der Wohnung noch einmal in aller Ruhe zu überlegen, wie sie die Möbel dort unterbringen wolle, aber anstatt hocherfreut, kam sie am Mittag in Tränen aufgelöst zurück: Die Wohnung war unmöglich, einfach unmöglich, über uns war ein Mädchenpensionat, gestern hatte sie nichts davon gemerkt, weil die jungen Damen alle einen Ausflug gemacht hatten, aber der Lärm heute — in drei Zimmern war gleichzeitig Klavier gespielt worden, im vierten hatte eine Tonleiter gesungen, im fünften eine andere gegeigt und dazu ein Laufen und Rennen und Türenzuschlagen! Der Lärm war nicht einen Tag zu ertragen, geschweige denn zwei und sie hatte auf fünf Jahre festen Kontrakt gemacht.

Was sollte werden?

„Das kommt davon, wenn man als Frau selbständig handeln will,” neckte ich sie.

„Willst du damit etwa behaupten, daß wir Frauen nicht selbständig handeln können?” verteidigte meine Frau sich, „die Zeiten, in denen wir wie unmündige Kinder behandelt wurden, sind doch Gott sei Dank vorüber, selbst das Gesetz räumt uns jetzt in vielen Fällen das Recht der Selbständigkeit ein.”

„Gewiß,” stimmte ich ihr bei, „aber Gott sei Dank dann nicht, wenn es sich um das Mieten einer Wohnung handelt. Da muß der Mann den Kontrakt unterschreiben, er muß ihn wenigstens mit unterschreiben und da ich das nicht tat und auf Grund dessen, was du mir eben erzählst, natürlich auch nicht tun werde —”

Weiter kam ich nicht, mit einem Freudenschrei flog mir meine Frau an den Hals: „Du weißt ja gar nicht, wie lieb ich dich habe und ich bin ja so glücklich, daß wir diese entsetzliche Wohnung nun nicht zu nehmen brauchen. Nicht einen frohen Tag, nicht eine ruhige Minute hätten wir dort verlebt,” sie schwieg eine kleine Weile, dann sagte sie plötzlich: „Aber schade ist es doch, daß wir nicht hinziehen, die Zimmer sind so hübsch, so groß und so hell. Was meinst du, wollen wir es nicht doch versuchen? Und schließlich, immer werden die jungen Damen doch auch nicht musizieren und wenn wir sie bitten, auf uns etwas Rücksicht zu nehmen, dann geht es vielleicht doch.”

Ganz verwundert sah ich meine Frau an: „Ich verstehe dich wirklich nicht — nun willst du doch wieder in dieses Haus ziehen, in dem es mir an jeder Ruhe zur Arbeit fehlen würde, aber warum denn nur?”

Da lehnte sie ihren Kopf an meine Schulter und sagte mit leiser Stimme: „Du weißt doch, wie ich mich darauf gefreut habe, selbständig zu mieten.”


Fußnoten:

(1) Zu diesem „langen Büfett” vergleiche auch die Erzählung „Unser Ausverkauf” und darin die Fußnote (4). (Zurück)


„Tatransky Orol”, Jahrgg. 1926, April-Heft:



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