Schmuggelnde Frauen.

Von Freiherr von Schlicht
in: „Dagens Press” 22.4.1920 unter dem Tittel „Smugglande fruar” und
in: „Die Frau und meine Frau”


Der Arzt hatte mir dringend eine Kur in Marienbad empfohlen — nicht weil mir etwas fehlte, sondern weil mir nichts fehlte. Ich sollte den Brunnen trinken, nicht um gesund zu werden, sondern, um gesund zu bleiben.

Den Verordnungen des Arztes gegenüber ist jeder Ehemann wehrlos. Keine Frau befolgt die Ratschläge ihres Arztes, keine schluckt die vorgeschriebene Medizin, wenn sie irgendwie einen unangenehmen Geschmack hat (und welche hat das nicht?), keine Frau tut das, was sie soll, nur das, was sie will, aber trotzdem und gerade deshalb verlangt sie von ihrem Mann, daß er alle Verordnungen des Arztes befolgt — sie ist da grausamer als der grausamste Tyrann. Der Mann muß jede Medizin schlucken, jede und wenn es Gift ist, denn sonst behauptet die Frau: „man hätte sie nicht mehr lieb.”

Man hat seine Frau nach deren Behauptung im Laufe einer Ehe so oft nicht lieb, daß es eigentlich mehr als ein Wunder ist, daß da noch Stunden nachbleiben, in denen man sie doch lieb hat.

Wenn einer Frau eine Kur in Marienbad verordnet wird, reist sie schon aus Trotz und aus Eigensinn, um dem Arzt zu beweisen, daß ihr gar nichts fehlt, nach Ostende. Wird dem Mann aber Marienbad verordnet, dann muß er hin, da hilft ihm kein Gott.

Wenn ein Mann eine Reise antreten muß, überlegt er sich als erstes, wieviel er an Geld brauchen wird. Die Frau überlegt als erstes, was sie an Hüten, Kleidern und an sonstiger Garderobe, von dem, was sie besitzt, mitnehmen muß. Das Resultat ist stets dasselbe: Sie nmmt nicht nur alles mit, was sie hat, sondern sie kauft noch sehr vieles hinzu. Ob sie es gebrauchen wird, erscheint ihr selbst zweifelhaft, aber trotzdem — man kann nicht wissen.

Mag der Himmel noch so sehr nach Regen aussehen, eine Frau läßt trotzdem ihren Regenschirm zu Haus und verläßt sich darauf, daß es schon nicht regnen wird oder daß sie, wenn es doch regnet, dann schon unterwegs eine Droschke findet. Aber dieselbe Frau kauft sich vor Antritt ihrer Reise wenigstens noch einen neuen Regenschirm, denn man kann nicht wissen.

Diesem „man kann nicht wissen” werden alljährlich Unsummen geopfert.

Während ich noch berechnete, was mich die Reise kosten würde, berechnete meine Frau, ob sie mit ihren vier großen Hutkoffern auskommen würde oder ob sie sich nicht doch lieber noch einen fünften hinzukaufen solle. Und da sie, wenn auch nur in Gedanken, doch einmal bei dem Geldausgeben war, fragte sie plötzlich: „Und was glaubst du, daß wir in Marienbad gebrauchen werden, wenn wir da sparsam leben und uns selbstverständlich gar nichts kaufen?”

Wenn eine Frau sich vorgenommen hat, sich irgend etwas zu kaufen, dann ändert sie vielleicht ihren Entschluß und kauft sich nichts, aber wenn sie sich fest vorgenommen hat, selbstverständlich gar nichts zu kaufen, so ändert sie ihren Entschluß ganz bestimmt.

So erhöhte ich denn auch im stillen die vorhin ausgerechnete Summe um fünfhundert Mark, nannte das Gesamtresultat und sagt: „Dazu kommt dann allerdings noch das Geld für den Zoll, aber das ist ja nicht allzuviel. Wenn ich mir ungefähr fünfhundert Zigarren mitnehme, werde ich dafür ungefähr hundertfünfzig Mark bezahlen müssen.”

Meine Frau sah mich ganz entsetzt an: „Und das nennst du nicht allzuviel? Hundertfünfzig Mark finde ich einfach unerhört. Kannst du denn nicht wenigstens in Marienbad das Rauchen lassen? Von dem Geld ganz abgesehen, das du dadurch sparst, wäre es auch für deine Gesundheit viel besser.”

Ich widersprach: „Du verlangst Unmögliches von mir. Eher kann ich ohne Luft leben, als ohne den Tabak, und bei dem vielen Geld, das die Reise ohnehin kosten wird, kommt es doch auf die hundertfünfzg Mark wahrhaftig nicht an.”

Eine Frau besinnt sich nicht einen Augenblick, für einen Hut, den sie vielleicht nur zehnmal aufsetzt, weil man doch nicht immer denselben tragen kann, zweihundert Mark und darüber auszugeben. Aber wenn ein Mann dafür, daß er viel lange Wochen hindurch täglich seine gewohnten Zigarren rauchen kann, hundertfünfzig Mark ausgeben will, dann ist das eine unerhörte Verschwendung.

Und deshalb erklärte mir meine Frau plötzlich kategorisch: „Wenn du deine Zigarren denn nicht entbehren kannst, schön, aber dann schmuggle ich sie.”

Davon wollte ich aber nichts wissen: „Ganz abgesehen davon, daß das Schmuggeln verboten ist und unter Umständen sehr teuer werden kann, ist es eines gebildeten und anständigen Menschen unwürdig.”

Meine Frau schien meine letzten Worte nicht gehört zu haben: „Teuer kann es doch nur dann werden, wenn man damit hineinfällt und das kann mir nicht passieren. Ich bin auf dem Zoll von einer Ruhe und Gelassenheit, von einer Sicherheit im Auftreten, die alle Beamten täuscht. Was habe ich auf meinen früheren Reisen nicht alles geschmuggelt?” — und in langer Reihenfolge zählte sie mir alles auf, was sie schon über die Grenze gebracht hätte.

Ein wahres Glück, daß bei solchen Schilderungen die Phantasie einer Frau aus dem Stoff für ein seidenes Kleid ganze Seidenballen und aus einer venezianischen Gardine mindestens ein Dutzend macht, denn sonst wäre meine Frau die größte Schmugglerin aller Jahrhunderte.

Fünf Tage, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, dauerte der Streit, ob meine Zigarren geschmuggelt werden sollten oder nicht. Meine Frau wollte schmuggeln, aber jetzt nicht mehr wie vor einigen Tagen, um das Geld zu sparen, sondern, weil das Schmuggeln ihr solches Vergnügen bereitete: „In der Hinsicht sind wir Frauen uns nun einmal alle gleich,” erklärte sie. „So'n bißchen Schmuggeln ist für uns nun einmal das Schönste, was es gibt. Und wenn du mir nun damit eine Freude bereiten kannst, daß du mir meine Bitte erfüllst, dann mußt du mir sogar den Gefallen tun — jawohl, du mußt es,” wiederholte sie, als ich widersprechen wollte, „denn du hast mir an unserem Hochzeitstage geschworen, mir alle meine Wünsche zu erfüllen.”

Für die Ehemänner wäre es ein wahrer Segen, wenn sie am Hochzeitstage von dem Standes­beamten eidlich verpflichtet würden, am ersten Tag der Ehe ihren Frauen nichts zu schwören.

Fünf Tage dauerte der Kampf, dann gab ich nach, um den Frieden des Hauses wiederher­zustellen: „Schön, tu, was du nicht lassen kannst, aber ich stelle eine Bedingung: Ich will nicht wissen, wo und wie du die Zigarren verpackst und an der Grenze kenn' ich dich nicht, da hast du aufgehört, meine Frau zu sein.”

Und ich hielt Wort: Als wir in der nächsten Woche die Reise antraten und die Grenze passierten, erklärte ich dem Zollbeamten auf seine Frage: „Hat Ihre Frau Gemahlin etwas zu verzollen?” „Sie irren sich, mein Herr, die Dame ist nicht meine Frau.”

Er entschuldigte sich mit ein paar höflichen Worten, dann fragte er: „Haben Sie etwas zu verzollen, gnädige Frau?”

Selbstverständlich erfolgte die Antwort: „Nicht das Geringste.”

Der Beamte mußte diesen Worten wirklich glauben, denn er schickte sich an, den Kontrollzettel auf das zahlreiche Handgepäck zu kleben.

Da beging meine Frau ihre erste Dummheit — wenigstens nannte ich das im stillen so, aber es mußte doch wohl keine Dummheit sein, denn meine Frau hatte mir ja erzählt, wieviel sie schon geschmuggelt hätte, welche Erfahrungen sie darin besäße und wie sie durch ihre Ruhe und ihre Sicherheit jeden Beamten zu täuschen verstände.

Also mußte es doch wohl keine Dummheit sein, als meine Frau plötzlich ohne jede Veranlassung wiederholte: „Ich habe wirklich nichts Zollpflichtiges, nicht das Geringste.”

Der Beamte machte eine höfliche Verbeugung und fuhr ruhig fort, die Zettel weiter aufzukleben.

Und da machte meine Frau die zweite Dummheit. Ohne jede Veranlassung sagte sie plötzlich: „Wenn Sie mir aber vielleicht doch nicht glauben sollten, mache ich Ihnen natürlich gerne das Handgepäck auf.”

Der Beamte machte wieder eine höfliche Verbeugung: „Was eine Dame mir sagt, glaube ich stets.”

Und da beging meine im Schmuggeln bewanderte Frau ihre dritte Dummheit. Um den Beamten davon zu überzeugen, daß sie wirklich nichts zu verzollen hätte, sagte sie: „Sie brauchen mir aber gar nicht so ohne weiteres zu glauben, mein Herr. Sie können sich wirklich gerne davon überzeugen, daß ich nichts Zollpflichtiges bei mir habe, nicht das Geringste.”

Der Beamte machte abermals eine höfliche Verbeugung, dann aber sagte er, was ich an seiner Stelle auf Grund der dummen, nein, der klugen Redensarten meiner Frau schon längst getan hätte: „Wenn Ihnen denn soviel daran liegt, daß ich mich wirklich persönlich davon überzeuge, daß Sie nichts Zollpflichtiges bei sich haben, dann bitte ich Sie, die große Handtasche zu öffnen.”

Einen Augenblick später waren die Zigarren entdeckt, wieder einen Augenblick später mußte ich meine vorhin von mir verleugnete Frau wieder als meine Frau anerkennen und zehn Minuten später hatte ich an Zoll und Strafe für die fünfhundert Zigarren genau die Hälfte von dem zu bezahlen, was ich an Reisegeld für die ganze Zeit mitgenommen hatte.

Als der Zug sich endlich wieder in Bewegung setzte, schwamm meine Frau in Tränen und voller Ingrimm rauchte ich eine der Zigarren, die in Berlin fünfzehn Pfennige gekostet hatten, jetzt aber unter Brüdern beinahe eine Mark und fünfzig wert waren. Aber eins stimmte mich schließlich doch wieder froh: Nun war meine Frau sicher für alle Zeiten von ihrer Leidenschaft für das Schuggeln kuriert.

So versuchte ich sie denn auch wieder zu trösten: „Nimm dir die Sache nicht zu sehr zu Herzen, Kleines, um Dinge, die sich nicht mehr ändern lassen, soll man nicht weinen. Wenn du deinen Vorsatz, dir in Marienbad nicht das Geringste zu kaufen, auch wirklich durchführst, können wir mit dem Geld, das ich noch bei mir habe, sehr anständig auskommen. Und vor allen Dingen, eins versprichst du mir doch, du schmuggelst nie wieder.”

„Nie, niemals — ich schwöre es dir bei allem, was mir heilig ist. Ich bin ja beinahe vor Scham und Angst gestorben und ehe ich mich dem wieder aussetze — alles, nur das nicht!”

In der Erinnerung an die vorhin durchlebten Minuten bebte und zitterte ihr kleiner Körper noch vor Erregung.

Schneller, als ich gehofft hatte, gelang es mir, sie wieder zu beruhigen, die Tränen wurden getrocknet und fröhlich lachend saß sie mir gegenüber.

„Na, Gott sei Dank, daß du wieder vergnügt bist,” sagte ich, „soviel Tränen war die Sache doch nicht wert.”

„Doch, doch,” widersprach sie, „denk an all das viele, schöne Geld. Aber wenn wir im nächsten Jahre wieder nach Marienbad fahren —”

„ — dann schmuggelst du nicht wieder,” vollendete ich ihren Satz.

Da aber geschah etwas Unerwartetes. Dieselbe Frau, die mir vor einer Minute geschworen hatte, nie wieder zu schmuggeln, die vor Angst und Entsetzen beinahe gestorben war, sah mich ganz erstaunt an und fragte mit einer Stimme, aus der grenzenlose Verwunderung herausklang: „Aber warum denn nicht?”

Ich schwieg, ich wußte wirklich nicht, was ich darauf antworten sollte.

Da sah sie mich mit flehenden Augen an und meine Hände zärtlich streichelnd bat sie: „Laß mir doch das harmlose Vergnügen. Von vorhin abgesehen, bin ich doch noch nie damit hineingefallen und werde es auch in Zukunft nicht wieder, dazu verstehe ich es viel zu gut, die Beamten durch meine Sicherheit und meine kolossale Ruhe zu täuschen.”


„Dagens Press” vom 22.4.1920:


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