Etwas vom Schmuggeln.

Eine Reiseplauderei vom Frhrn. v. Schlicht (Karlsbad).
in „Agramer Zeitung” vom 30.5.1901,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 30.5.1901,
in: „Hagener Zeitung” vom 1.6.1901
in: „Leipziger Tageblatt” vom 2.6.1901,
in: „Bonner Zeitung” vom 2.6.1901
in: „Kieler Zeitung” vom 11.6.1901,
in: „Badener Zeitung” vom 12.6.1901,
in: „Prager Tagblatt” vom 15.6.1901,
in: „Badische Presse”, Unterhaltungsblatt, vom 17. und 21.7.1901 und
in: „Düna-Zeitung” vom 11.8.1901.


Der Schnellzug nach Böhmen, der die verschiedenen Kranken den verschiedenen Bädern zuführte, näherte sich der Grenze. Es war ganz unnöthig, daß der Zugführer darauf aufmarksam machte, wir hätten in einer kleinen Viertelstunde Bodenbach erreicht — daß die Zollrevison nicht nur des Handgepäcks, sondern unter Umständen auch die des Leibes bevorstand, merkte man an der Unruhe, die sich mit einem Mal der männlichen Reisenden bemächtigte.

„Schmuggeln ist Ehrensache,” lautete plötzlich die Parole, die ausgegeben wurde und durch die ein Jeder sein Thun und Handeln vor dem Anderen zu rechtfertigen versuchte.

Von den Netzen herab wurden die Handtaschen genommen und die in diesen verborgenen Cigarren wurden in sämmtliche Paletot- und Rocktaschen gesteckt.

Mir gegenüber saß ein Agrarier aus Ostelbien, ein wahrer Riese an Körpergewicht. „185 Kilo”, erklärte er auf Befragen stolz, „natürlich im Dampfbad, mit Kleidern 193 Kilo.” Trotz der enormen Temperatur trug er einen Pelz, der ihm fast bis auf die Füße reichte, und ich glaube, die Taschen reichten ebenso weit. Schon zu Haus hatte er sich seine Upmann in Tüten, die je zehn Stück enthielten, verpacken lassen, nun verschwand eine Tüte nach der anderen in der unergründlichen Tiefe.

„Vierhundert Upmann verrauche ich im Monat,” gab er mir auf meine Frage zur Antwort, „mein Arzt erlaubt mir zwar nur vier Cigarren täglich, aber da der Mann überhaupt nicht raucht, kann er leicht so etwas fordern. Na überhaupt die Aerzte — keine Ahnung.”

Plötzlich erhebt sich ein Herr, der auf dem Wege von Berlin bis dicht an die Grenze ohne die geringste Unterbrechung geraucht hat. Er nimmt sein Handgepäck und verschwindet nach einem Nichtraucher-Coupé — er hat sich zwei Platzkarten gelöst und ist sehr stolz auf diesen Trick.

„Wenn ich Nichtraucher fahre, kommt kein Mensch auf den Gedanken, bei mir Cigarren zu vermuthen — ich hab' dreihundert Stück bei mir, die kosten fünfundsiebzig Mark Zoll, ich bitt' Sie, fünfundsiebzig Mark, soviel Geld gibt es ja gar nicht.” Und weg ist er.

In einer Ecke hat ein Herr gesessen, der sich bisher mit keiner Silbe an der allgemeinen Unterhaltung betheiligte, plötzlich wird er redselig: „Sagen Sie mir, bitte, mein Herr, aber offen und aufrichtig — sehe ich ncht doch etwas übertrieben stark aus? Zwei Freunde in Karlsbad haben mich gebeten, ihnen Cigarren mitzubringen, ich selbst rauche auch sehr leidenschaftlich — ich hab' ungefähr fünfhundert unter der Weste und in den Rocktaschen versteckt, ich wußte nicht, wo ich die Dinger lassen sollte. Erst wollte ich sie in mein Unterzeug im Koffer einwickeln — der Eine sagte mir: da sieht kein Zollbeamter nach; der Zweite sagte: nur nichts in den Beinen der Unterkleider verstecken, der Witz ist zu alt, die Zollbeamten untersuchen nur das Unterzeug; der Dritte sagte: leg' die Cigarren in Deine große Hutschachtel unter den Cylinder, und der Vierte sagte: der Zollbeamte soll überhaupt noch geboren werden, der in einer Hutschachtel nicht ganz genau nachsieht. So sagte Jeder etwas Anderes, und ich wußte wirklich nicht mehr, wie ich schmuggeln sollte, schmuggeln aber muß ich, denn wenn ich hineinfalle, muß ich den ganzen Zoll aus meiner eigenen Tasche bezahlen, und so groß ist meine Tasche nicht. Aber sagen Sie mir, bitte, sehe ich übertrieben stark aus? Dann werfe ich lieber ein paar Cigarren zum Fenster hinaus.”

Wir beruhigten ihn; schlank war er gerade nicht, aber es gibt in Karlsbad und in Marienbad stärkere Leute.

„Ich bin schlauer gewesen,” meinte ein anderer Herr, „ich habe gestern meine Frau vorausgeschickt, die hat all' meine Cigarren in ihrem Koffer gehabt und ist glatt damit durchgekommen. Sie hätten die Cigarren auch nur Ihrer Frau Gemahlin mitgeben sollen.”

„Aber ich bin ja gar nicht verheirathet,” warf der besorgte Herr ein, „ich bin Junggeselle mit Leib und Seele, und um Cigarren schmuggeln zu können, kann ich doch nicht heirathen. Was soll ich mit meiner Frau anfangen, wenn ich nicht nach Carlsbad fahre? Na, und nur um sie zu beschäftigen, kann ich doch nicht mein Lebelang zwischen Berlin und Böhmen hin- und herfahren.”

Ein Herr, der im Gange des Zuges gestanden und der Unterhaltung zugehört hatte, näherte sich in diesem Augenblick und zog aus seiner rechten Paletottasche eine Cigarrentasche, die eher einer Ziehharmonika als sonst irgend einer anderen Sache glich: „Omnia mea mecum porto, Alles was ich für die vier Wochen in Carlsbad brauche, trage ich bei mir,” sagte er lakonisch, „fünfundsiebzig Cigarren gehen bequem in die Tasche, und damit reiche ich. Der Inhalt einer Cigarrentasche ist nach den Bestimmungen steuerfrei, denn man nimmt an, daß sie nur den Reisebedarf enthält, an, und ob ich in zehnstündiger Eisenbahnfahrt sieben oder siebzig Cigarren den Göttern zu Ehren rauche, geht auf der ganzen Welt nicht einen einzigen Menschen, ausgerechnet nicht einen einzigen, etwas an.”

„Eigentlich ist das Schmuggeln doch ein Unsinn,” meinte ein Herr, „ein brauner Lappen geht in den vier Wochen doch zum Teufel, und bei dem vielen Geld müßte doch eigentlich der geringe Zoll übrig sein.”

„Das schon,” entgegnete ein Anderer, „aber wen macht der Zoll glücklich? Mich ganz gewiß nicht und den Zollbeamten erst recht nicht, der hat nur Scherereien und Schreibereien davon, wenn er einen abfaßt, und in der heutigen Zeit des Bureaukratismus, in dem so viel unnützes Zeug zusammengeschrieben wird, muß ein jeder thun, was er kann, um dem Unfug ein Ende zu machen.”

„Bravo!” lobten die Anderen — er hatte Allen aus der Seele gesprochen.

Der Zug hielt, Bodenbach war erreicht, und die Zollbeamten stiegen ein, um das Handgepäck zu revidiren.

Der Beamte untersuchte sehr genau, aber da der Zug sehr voll war, vielleicht doch nicht ganz so gründlich wie unter anderen Umständen, genug, wir bekamen alle die Cigarren heil über die Grenze.

Nach einer Viertelstunde setzte sich der Zug wieder in Bewegung, und der Inhalt der Paletot- und Rocktaschen wanderte wieder zurück in die mit der Marke versehenen Handtaschen.

„Nur ein wahres Glück,” meinte ein Herr, „daß jetzt die Koffer nicht mehr wie früher auf der Grenze, sondern erst am Endziel der Reise nachgesehen werden — bei dem Gedränge auf den Bahnhöfen ist eine genaue Controlle ja ganz unmöglich. Früher dauerte der Aufenthalt hier auf der Station einfach so lange, bis die Beamten ihre Neugierde vollständig befriedigt hatten — ich habe selbst mehr als einmal meinen großen Koffer gänzlich auspacken müssen.”

„Dann haben Sie das nicht sehr schlau angefangen, nehmen Sie mir die Bemerkung aber, bitte, nicht übel,” meinte ein anderer Herr, „ich habe stets in meinem Koffer Hunderte von Cigarren in den Holzkisten mitgenommen und habe sie stets frei über die Grenze gebracht; ich habe nie auch nur einen Heller Zoll bezahlt.”

Allgemeines Erstaunen und die fast gleichzeitige Frage von vielen Lippen: „Aber wie haben Sie denn das nur angefangen?”

„Furchtbar einfach,” lautete die Entgegnung. „Sobald der Zug hielt und sobald wir ausgestiegen waren, ging ich auf den ersten besten Zollbeamten los, der mir in den Weg kam. Ich lüftete sehr höflich den Hut und sagte dann: „Mein sehr verehrter Herr, mir ist auf der Reise ganz elendiglich geworden, ich kann das Eisenbahnfahren ebenso wenig vertragen, wie die Seereise, ich werde einfach krank. Ich sterbe, wenn ich micht nicht eine halbe Stunde im Wartesaal ausruhen kann. Darf ich Sie bitten, mein Gepäck revidiren lassen zu wollen — dort steht mein Koffer und hier sind die Schlüssel. Sie thäten mir einen großen, großen Gefallen.” Und während ich also sprach, drückte ich ihm gleichzeitig einen Gulden in die Hand. Das war keine Beamtenbestechung, sondern ich gab dem Manne nur eine kleine Entschädigung für die Mühe, die ich ihm verursachte. Dann verschwand ich spurlos und kam erst in der letzten Minute, ehe der Zug abging, wieder zum Vorschein. Ich nahm von dem Beamten, der mich bereits erwartete, die Schlüssel wieder in Empfang, und stieg dann schleunigst ein.”

Diese Aufklärung hatte allgemein enttäuscht, wir waren auf einen besseren Ausweg gefaßt gewesen.

„Ja, aber,” meinte schließlich Einer von uns, „was Sie da sagen, ist ja an und für sich sehr schön, aber warum mußten Sie denn nie Zoll bezahlen? Der österreichische Beamte ist doch so unbestechlich wie der preußische, für einen Gulden läßt er sich doch nicht zu einer Pflichtwidrigkeit verleiten, und da Sie ihm die Schlüssel gaben, hat er doch ganz sicher den Koffer aufgemacht.”(1)

Der Andere(2) machte ein sehr schlaues Gesicht: „Das ist es ja eben, mein Herr, er konnte den Koffer ja gar nicht aufmachen, die Schlüssel gab ich ihm schon, aber nicht die richtigen. I, wo werde ich denn so dumm gewesen sein?” (3)Mein Herr, sehe ich denn so aus, als wenn ich aus der Provinz wäre? Ich bin in Perleberg zu Hause, und Perleberg ist eine Vorstadt von Berlin, und wir Berliner sind helle, immer, die richtigen Schlüssel kann Jeder abgeben, aber die falschen, das kann nicht Jeder.”

Und stolz warf er sich in die Brust und zündete sich eine geschmuggelte Cigarre an.

„Ich kann mir nicht helfen,” nahm ein Herr das Wort, „hier zu schmuggeln ist eigentlich unrecht, — erlaubt, nein sogar geboten ist dies nach meiner Ansicht nur, wenn man nach Rußland fährt. Vor einigen Jahren fuhr ich mit dem Dampfer nach Libau und brachte meiner dort wohnenden Schwägerin einen sehr werthvollen seidenen Sonnenschirm mit echten Spitzen mit. Ich wollte ihn schmuggeln, aber im letzten Augenblick fehlte mir der Muth, ich zeigte ihn dem Beamten, und auf seine Frage, ob der Schirm neu sei, sagte ich: „Ja!” Ich mußte in das Zollgebäude gehen, aber wenn ich geglaubt hatte, auch hier gelte das Wort: „Zahlt nur, o zahlt, dann ist's erledigt, ich entlaß Euch unbehelligt,” dann hatte ich mich geirrt. Es mußten erst verschiedene Protokolle aufgenommen werden, und das dauerte viel Zeit, denn nach jedem Satz, den der Russe geschrieben hat, trinkt er wenigstens erst ein Glas Thee und raucht wenigstens erst zwei Cigaretten. Endlich hieß es, am Nachmittag könnte ich den Schirm in Empfang nehmen — aber natürlich bekam ich ihn nicht, ebensowenig am nächsten Tag und der übernächste Tag sah mich wieder stundenlang auf dem Zollamt sitzen und warten. In meiner Verzweiflung wandte ich mich endlich an einen höheren Beamten, der bei der Ankunft des Schiffes zugegen gewesen war und es mit angesehen hatte, wie ich den Schirm abgab. Ich klagte ihm mein Leid und fragte, was ich thun solle, um die Angelegenheit endlich zu erledigen; mein Urlaub sei nur kurz; und selbst der allmächtige Czar könne doch nicht von mir verlangen, daß ich weiter nichts thäte, als auf dem Zollamt herumzuliegen und zuzusehen, wie seine Beamten Thee trinken. Er hörte mir geduldig zu, dann sagte er ganz ruhig mit der halbsingenden Aussprache der Ostseebewohner: „Warum sind Sie aber auch so dumm? Hätten Sie einfach gesagt: der Schirm ist alt, dann wäre Alles gut gewesen. Wenn Sie wiederkommen nach Rußland, werden Sie klüger sein.” Mit einem Handschlag hab' ich das dem Braven versprochen — als ich abreiste, war die Zollgeschichte noch nicht erledigt, meine Schwägerin hat den Schirm nie zu sehen bekommen, nur einmal glaubte sie ihn zu sehen, als die Frau eines Zollbeamten ihn spazieren trug und so ganz trügerisch wird dieser Glaube wohl nicht gewesen sein.”

Eine Schmugglergeschichte jagte nun die andere.

„Etwas Sonderbares ist mir einmal passiert,” erzählte ein Herr. „Ich kam von Brüssel und in dem Nichtrauchercoupee, das ich benutzte, fuhr auch eine Dame mit uns. Schon lange, bevor wir uns der Grenze näherten, fing sie an sehr unruhig zu werden, so daß ich mich schließlich erkundigte, ob sie sich unwohl fühle. „Nein, nein, das nicht,” gab sie zur Antwort, „aber ich habe mir den ganzen Leib mit Spitzen umwickelt und bin nun in furchtbarer Angst, ob ich sie über die Grenze bringe.” Auf der nächsten Station stieg der Beamte ein: „Haben die Herrschaften etwas Verzollbares?” Ein allgemeines „Nein” war die Entgegnung. Trotzdem sah der Zollbeamte sich suchend im Coupee um und prüfte jeden Einzelnen sehr scharf. Da sagte plötzlich ein Herr, der mit mir in demselben Coupee saß: „Untersuchen Sie die Dame, sie hat unter ihren Kleidern Spitzen verborgen.” Ich war starr über diese Angeberei, die Dame fiel fast in Ohnmacht, aber das half ihr nichts, sie mußte aussteigen und kam erst nach einer halben Stunde in Thränen aufgelöst zurück. Gleich darauf setzte sich der Zug wieder in Bewegung, und während der Fahrt machte die Dame dem Herrn die bittersten Vorwürfe. Der hörte ruhig lächelnd zu, schließlich sagte er: „Schelten Sie nur, gnädige Frau, ich nehme es Ihnen gar nicht übel — aber es ging wirklich nicht anders. Der Beamte sah mich so prüfend an, daß mir kein anderer Ausweg blieb, als Sie anzugeben — nun kann ich es ja sagen: ich habe nämlich nicht nur meinen Oberkörper, sondern auch meine Beine und meine Füße mit Spitzen umwickelt.”

„Und die Moral von der Geschicht? — Stets schmuggle, doch verrath es nicht,” zitirte ein Herr.(4)

Endlich hielt der Zug in Carlsbad. Auf dem Bahnhof in der Gepäckhalle herrschte ein unheimliches Gedränge: Die berühmten eingepöckelten Heringe haben mehr Luft zum Leben, als wir es in der halben Stunde hatten.

Neben mir stand der große Ostelbier, wir hatten uns sehr angefreundet und verabredet, täglich zusammen Spaziergänge zu machen, aber nicht weit, denn für das Laufen war er nicht. Zu beneiden waren nach seiner Ansicht nur diejenigen Curgäste, denen der Arzt aus irgend einem Grunde das Gehen verboten hatte. Nun warteten wir darauf, daß unsere Koffer revidirt würden. Alles drängte und schob nach vorn, der Ostelbier in seinem dicken Pelz schwitzte, daß er vor unseren Augen zusehends dünner wurde.

Und plötzlich kam von der einen Seite her ein Druck, dem zu widerstehen unmöglich war, wir wurden aneinandergepreßt, gleichsam aneinandergeschweißt, mir ging fast der Athem aus.

„Aber so drängen Sie doch nicht so,” rief der Ostelbier mit tadelnder Stimme, „Sie drücken mir ja meine ganzen Cigarren caput.”

Doch kaum war ihm das Wort entfahren,
Möcht er's im Busen gern bewahren.

Es war zu spät — die Zollbeamten hatten seinen Klageruf gehört, sie untersuchten ihn, und das Resultat war für den Ostelbier sehr traurig. Er mußte bezahlen, daß ihm die Augen übergingen.

Die Schuld hatte er allein. Warum hatte er es verabsäumt, die Cigarren wieder in die Handtasche zu legen?

Auch das Schmuggeln will gelernt sein . . .

Täglich geht hier der Ostelbier wenigstens sechsmal an mir vorüber, aber er kennt mich nicht mehr, und ich glaube, er wird es mir bis an sein Lebensende nicht verzeihen, daß er bei dem Schmuggeln hineinfiel.

Es ist immer dieselbe Geschichte: wer irgendwie hineinfällt, macht Andere dafür verantwortlich.


Fußnoten:

(1) Dieser Absatz fehlt komplett im „Prager Tagblatt”. (zurück)

(2) Im Prager Tagblatt heißt es hier: „Der Erzähler”. (zurück)

(3) Im Prager Tagblatt fehlt der Text von hier bis zum Ende des Absatzes. (zurück)

(4) Im Prager Tagblatt fehlen die beiden vorhergehenden Absätze. (zurück)


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