Der Kommiß-Pekko.

Humoristische Plauderei vom Freiherrn v. Schlicht.
in: „Das Kleine Journal” Nr. 303 vom 2.Nov. 1896,
in: „Abendblatt”, (Chicago Ill.), vom 20.11. und 21.11.1896 und
in: „Aus der Schule geplaudert”


„Tages Arbeit, Abends Gäste,
Saure Wochen, frohe Feste,”

so sang der alte Geheimrath, der nicht nur zu dichten, sondern auch zu genießen verstand, eines Abends, als er für seinen Besuch, den er erwartete, eine Bowle ansetzte. Die Goethe-Forscher sind sich darüber im Unklaren, ob dies eine Erdbeer- oder Ananas-Bowle gewesen ist, ebenso darüber, bei wem und zu welchem Preise die gute Christine die Zuthaten gekauft hat.

Unseren Epigonen wird es vielleicht gelingen, auch in diese dunkle Sache Licht zu bringen — thun sie es, so erfüllen sie damit nur Goethe's Befehl: „Mehr Licht!”

Saure Wochen — wem werden die Wochen jetzt(1) saurer als dem Lieutenant, der bei jedem Wind und Wetter Tag für Tag seine sechs Stunden auf dem Kasernenhof steht und seine Rekruten in die Geheimnisse des so heiß geliebten Reglements einweiht.

„Langsamer Schritt nach Zählen: Eins — und zwei. Eins — und zwei. Eins — und zwei.”

Langsamer Schritt — gedenke ich Deiner und der Stunden, da der Korporal mich mit Dir quälte, gedenke ich der geschwollenen Füße und Kniekehlen, des verbogenen Rückgrats und des steifen Halses — gedenke ich Deiner, so steht mein Herz in Ehrfurcht still und es ermißt, daß Du einfach scheußlich bist.

Saure Wochen — der arme Lieutenant hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn ihnen auch frohe Feste folgten. Der Lieutenant liebt die Feste, er amüsirt sich gar zu gerne, und es ist wirklich nicht viel nöthig, um ihn froh und glücklich zu machen. Schon mein Lieblingsdichter Heinrich Heine, den ich bedeutend höher schätze als Friederike Kempner, singt:

„Die Fähnrichs und die Lieutenants,
Das sind die klügsten Leute,
Sie glauben jeden Tag, es sei
KeinTag so schön wie heute.”

Ich will Heinrich Heine nicht zu nahe treten, aber es giebt doch Tage, an denen der Lieutenant und selbst der Fähnrich dies nicht glaubt, das sind die Abende, an denen er einen Kommiß-Pekko genossen hat.

Kommiß-Brod schmeckt sehr schön — aber ein Kommiß-Pekko? „Brrrr.”

Es giebt gar nicht so viele „R”, wie man hinter das „B” setzen müßte, um auch nur anzudeuten, wie er schmeckt.

Der Herr Hauptmann sitzt mit seiner theuren Gattin am Abendbrodtisch.

„Also Du meinst wirklich, Marie?”

„Ja, Alfred, ich meine.”

„Können wir es wirklich nicht noch etwas aufschieben?”

„Nein, Alfred, es geht nicht.”

„Und wann meinst Du denn?”

„Ich dachte mir nächsten Mittwoch, da ist auch Gesellschaft bei dem Landrath — dann sagen hoffentlich recht Viele ab, das kann uns ja aber einerlei sein, dann haben wir sie wenigstens geladen und kommen vielleicht mit einer Gesellschaft davon.”

Dieser der Sparsmkeit der Hausfrau alle Ehre machende Vorschlag findet den Beifall des Gatten.

„Hast Du aber auch schon mit der Kochfrau gesprochen?”

„Gewiß, sie hat mir fest zugesagt, es ist der einzige Tag, den sie in der nächsten Zeit noch frei hat.”

„Na, denn meinetwegen, aber theuer darf die Sache nicht kommen, ganz einfach.”

„Natürlich,” pflichtet sie bei, „einfach wie immer: zuerst eine Pastete, dann ein Kalbsbraten.”

In seinem Herzen rührt sich etwas wie Mitleid. Er gedenkt der Tage, da er selbst noch Junggeselle war und jeden Abend, bevor er einer Einladung Folge leistete, in sein stilles Kämmerlein ging, die Thür hinter sich abschloß, die Hände faltete und bat: „Vater im Himmel, ist es möglich, so laß heute Abend den Kalbsvogel an mir vorübergehen.”

Aber unter tausend Fällen war es wenigstens neunhundert­neunundneunzig Mal selbst dem allmächtigen Gott unmöglich, seine Bitte zu erfüllen.

„Könnten wir icht einen anderen Braten —?” fragt er schüchtern.

Aber die Gattin unterbricht ihn: „Warum? Erstens ist Kalbfleisch am billigsten und zweitens am vortheilhaftesten, der Knochen giebt außerdem am nächsten Mittag eine ganz vorzügliche Suppe.”

„Gut, also Kalbsbraten,” stimmt er ihr bei, „und was giebt es sonst noch?”

„Butter und Käse und hinterher für die Damen eine süße Speise.”

„Keinen Kaffee?” fragt er.

„Nein,” antwortet sie, „das letzte Mal sind mir drei von meinen schönen Tassen — weißt Du, von denen, die Tante Lotte uns zur Hochzeit geschenkt hat — entzweigeworfen worden, dafür danke ich, und außerdem hat es das letzte Mal bei dem Major auch keinen Kaffee gegeben.”

„Und was trinken wir?”

„Du setzest Mosel und leichten Rothwein auf, das ist vollständig genug, hinterher kannst Du ja noch Bier geben.”

Das Menu ist fertig.

„Und wer soll eingeladen werden?”

„Natürlich zuerst der Oberst und seine Frau, dann der Etatsmäßige mit Gattin, selbstverständlich Dein Major, und dann habe ich mir hier Diejenigen aufgeschrieben, die wir noch gar nicht gehabt haben.”

Sie zieht einen Zettel aus der Tasche und reicht ihm denselben über den Tisch.

„Zweiundzwanzig Personen? Können wir auch so Viele setzen?”

„Die Hälfte sagt ja doch ab,” beruhigt sie ihn, „da auf der rechten Seite stehen die Ersatzleute — mehr als sechszehn werden wir auf keinen Fall sein.”

Die Einladungen werden geschrieben und am nächsten Mittag wird der Bursche in seinen besten Anzug gesteckt, um dieselben auszutragen.

„Sie warten überall auf Antwort, wo die Herrschaften nicht zu Hause sind, geben Sie den Brief ab. Benehmen Sie sich möglichst manierlich dabei. Haben Sie noch ein Paar reine Handschuhe?”

„Zu Befehl, gnädige Frau.”

„Na, dann gehen Sie los!”

Nach zwei Stunden kommt der Bursche zurück und über die zehn Zusagen ist nicht halb so viel Freude wie über die zehn Absagen.

Sofort werden neue Einladugskarten ausgeschrieben und der Bursche „im beschleunigten Tempo” losgelassen, damit nur nicht etwa einer der Gäste auf den Gedanken kommen könne, er sei nachgeladen.

Wieder bringt er Zusagen und Absagen — wieder wird er, dieses Mal in noch beschleunigterem Tempo, losgelassen, bis endlich Niemand mehr da ist, der gebeten werden kann.

Der Mittwoch Abend ist da: auf dem Kronleuchter sind neue Lichter aufgesteckt, die Lampen alle frisch gefüllt, die Wohnräume sind festlich erleuchtet — im Eßzimmer wird erst später angezündet — die Gäste können kommen.

Und sie kommen.

Der Diener in seiner Galauniform, die aus einem angelegten schwarzen Civilanzug seines Herrn und Gebieters zurcht gedeichselt ist und der, da er für den Vorgänger gemacht ist, dem jetzigen Inhaber absolut nicht paßt, öffnet mit seinen in weißen Zwirnhandschuhen steckenden Tatzen, Handschuhnummer 2954/63, die Thür.

„Der Herr Hauptmann läßt bitten, gleich abzulegen. Die Garderobe für die gnädige Frau ist dort.”

Er zeigt nach der Richtung und die gnädige Frau begiebt sich dorthin.

Wenige Minuten später betreten sie den Salon, in dem die Hausfrau in möglichst natürlicher Stellung ihre Gäste erwartet.

„Nein, es ist zu liebenswürdig von Ihnen, gnädige Frau, daß Sie unserer Einladung gefolgt sind —”

Und nun geht das Begrüßen los.

Die Räume füllen sich, der Salon vermag nicht Alle zu fassen.

„Ach, dürfte ich die Herren vielleicht bitten, etwas in mein Zimmer zu treten, es ist hier etwas eng!” sagt der Hausherr mit seiner liebenswürdigsten Stimme.

Man drückt sich nach nebenan, wo auf dem Schreibtisch neben den verschiedenen Reglements eine halbvolle Flasche Cognac und zwei Zigarrenkisten stehen — die Genüsse, die nach Tisch der Herren harren.

In einem unbeobachteten Moment öffnet ein Lieutenant die Cigarrenkisten und studirt eifrigst den Deckel: „Nicht einmal Import,” flüstert er den Andern zu, „na, das scheint wieder ein netter Pekko zu werden.”

Der Hausherr läuft inzwischen herum, um die Paare für Tisch(2) zusammenzubringen.

„Wenn ich den Herrn Oberst vielleicht gehorsamst bitten dürfte, meine Frau zu führen — der Herr Oberstlieutenant sind wohl so freundlich, der Frau Oberst den Arm zu reichen — ist dem Herrn Major die Frau Oberstlieutenant als Tischdame angenehm — mein lieber Kollege, wollen Sie die Frau Major führen? —” Das macht absolut keine Schwierigkeit. Eine Tischordnung zu entwerfen, ist sonst nicht so einfach — wie schwer es ist, habe ich in meinen „Humoresken” zu schildern versucht(3). Bei dem Kommiß-Pekko geht die Tischordnung strenge nach der Anciennetät. Die jungen Lieutenants bekommen fast nie eine Dame, die führen sich immer gegenseitig und sitzen demzufolge auch stets nebeneinander.

Bei dem Eintritt in das Eßzimmer fühlen sich die Junggesellen gleich wie zu Hause — denn das Meiste ist ihrem hause, dem Kasino, entlehnt. Das Kasino hat mit den Stühlen und dem Silberzeug ausgeholfen, Kasino-Ordonnanzen bedienen und der Surius, zu deutsch Mosel genannt, kostet im Kasino die Flasche fünfundsiebenzig Pfennig; auch der Rothwein schmeckt so bekannt — „Herr Gott, ist das nicht — ja natürlich, das ist ja der gute St. Julien”, „Grand vin”, wie protzend auf der Etikette steht, obgleich Etikette, Pfropfen, Flasche und Inhalt nur einen Meter kosten.

Der „Grand vin” ist aber auch danach.

Ein altes Wort sagt „Sauer macht lustig”, aber trotz des sauren Weines wird es absolut nicht lustig.

„Und Stille, wie des Todes Schweigen,
Liegt überm ganzen Hause schwer,
Als wenn die Gottheit nahe wär'.”

Die Gottheit ist nicht nur nahe, sie ist sogar in Gestalt des Herrn Oberst da — Alle dienen ihm und lauschen, was er verkündet.

Kein Mensch weiß, was er sprechen soll. Der Herr Oberst hat sich nach den Kindern der Hausfrau erkundigt und es hat ihn „sehr gefreut”, daß die Kleinste nun schon vier Zähne hat, und er ist ganz der Ansicht seiner Tischdame, daß die Ernährung mit Soxhlet das einzig Richtige ist; hätte der Himmel ihm Kinder geschenkt — mit anderen Worten, hätte er in seiner Jugend nicht so toll gelebt(4) — so würde auch in seinem Hause „Soxhlet” gebraucht werden.

So braucht er ihn Gott sei Dank nicht.

Der Herr Oberstlieutenant, der von Haus aus noch schweigsamer ist, als Moltke es war, sitzt neben der „Kommandeuse” und schweigt sich aus. Er führt in diesem Winter die Frau Oberst nun schon zum fünfzehnten Mal, was soll er ihr da noch Neues, Interessantes erzählen? Daß sein Gaul seit heute Morgen ein Ueberbein hat und daß sein Bursche gestern die Zeit verschlief?

Und wie es dem Herrn Oberstlieutenant geht, so geht es Allen — auf jeder Gesellschaft dieselben Menschen, sie haben sich vollständig ausgesprochen.

Die Herren sehen sich Morgens bei dem Dienst oder im Kasino, die Damen jeden Nachmittag, wenn sie „Besorgungen” machen — heiliger Brahma, was bleibt da noch für den Abend zu erzählen übrig!

An der Ecke, wo die jungen Lieutenants sitzen, wird plötzlich gelacht; einer hat die geistreiche Bemerkung gemacht: „Wenn der Engel, der augenblicklich wieder einmal durch das Zimmer geht, doch nicht seine eigenen, sondern meine Schulden bezahlen wollte.”

Auch dieser Witz ist so alt, daß schon Adam vergeblich über ihn zu lachen versuchte.

Dieses Lachen klingt Allen wie Himmelmusik: man athmet auf, man wagt zu sprechen.

Da fällt ein Name.

„Meinen Sie den früheren Hauptmann im xten Regiment?” fragt der Herr Oberst.

„Nein, Herr Oberst, das ist ein Vetter, dieser stand früher im yten Regiment.”

„War er nicht früher Brigadeadjutant?” fragt ein Dritter, und als dies bejaht wird, bemerkt ein Vierter: „Ach, den muß ich ja auch noch kennen, ist er nicht sehr groß und schlank mit einem blonden Vollbart?”

„Nein, dieser ist klein und dick und hat einen schwarzen Vollbart(5).”

„Merkwürdig, wisen Sie das ganz genau?”

„Ganz sicher.”

„So — so, dann ist es doch ein Anderer, ich dachte an den früheren Regimentskommandeur(6) v. Itzenplitz.”

„Ach so, den meinen Sie, nein, der ist jetzt Divisions-Adjutant bei Exzellenz von Dingsda.”

„Was, bei dem? I, das ist mir ja ganz neu; übrigens, ein schlauer Kopf war er immer, ich kenne ihn noch vom Korps her.”

Singt nicht irgendwo plötzlich ein Chor: „Nun danket Alle Gott?”

Wie ein Dankgebet steigt es gen Himmel — ein Unterhaltungsstoff ist gegeben, Namen giebt es mehr wie Sandkörner am Meeresboden, von einem Namen kommt man auf den anderen, das Gespräch fließt dahin.

Endlich erhebt man sich vom Tisch, man drückt und küßt die Hände, die sich Einem entgegenstrecken, dann ziehen sich die Damen in den Salon zurück, um nun über Moden, Dienstboten und Kindererziehung die Meinungen und Ansichten auszutauschen, während es die Herren „rauchert” und diese sich in das Arbeitszimmer des Hausherren begeben.

Der Hauptmann offerirt die Cigarren: „Leicht oder schwer? Bitte, nehmen Sie.”

„Wirklich sehr liebenswürdig, Herr Hauptmann.” Der Herr Premier(7) nimmt eine Cigarre und wehrt dem Gastgeber ab, der ihm Feuer reichen will.

„Danke gehorsamst, Herr Hauptmann, ich warte noch einen Augenblick, nach dem Kaffee —”

Er weiß ganz genau, daß es keinen giebt, dazu ist der Häuptling ja viel zu „ruppig”, aber es schadet nichts, wenn es ihm einmal unter die Nase gerieben wird, vielleicht bessert er sich dann im nächsten Jahr.

Der Hauptmann thut, als wenn er nichts gehört hätte, er wendet sich seinen übrigen Gästen zu und in demselben Augenblick läßt der Herr Premier mit der Gewandtheit eines Bellachini die ihm von dem Hausherrn offerirte Zigarre spurlos verschwinden und hält plötzlich eine echte Uppmann, deren „Bauchbinde” er fürsorglich schon zu Hause abgenommen hat, zwischen den Fingern.

Und nun raucht er auch ohne Kaffee: um den Hauptmann wenigstens etwas zu schädigen, trinkt er drei Cognacs.

Man nimmt Platz und giebt sich voll und ganz dem Genuß des Bieres hin, das in offenen Krügen aus einem nahe gelegenen Restaurant geholt und völlig abgestanden ist. Dafür aber ist es billiger als gutes Flaschenbier.

Der Herr Oberst ist sehr gnädig. Er wendet sich an einen Hauptmann: „Alles wohl bei Ihnen zu Hause? Auch Ihre Frau Mutter?”

„Danke gehorsamst, Herr Oberst.”

„Na, das freut mich — auch bei Ihnen Alles wohl, lieber Dingsda?”

„Danke gehorsamst, Herr Oberst.”

„Aber bitte, bleiben Sie doch sitzen — aber da Sie nun doch einmal stehen, sind Sie vielleicht so liebenswürdig, mir die Rangliste zu reichen, sie steht gerade hinter Ihnen, ich möchte gerne etwas nachsehen — danke Ihnen sehr, danke Ihnen herzlichst.”

Die nächsten zwei Stunden bietet die Rangliste nun wieder einen schier unerschöpflichen Unterhaltungsstoff, das heißt nur für den Herrn Oberst, die Herren Stabsoffiziere und den Hausherrn. Die Anderen schweigen undn lauschen mit dem denkbar größten Interesse den verschiedensten Geschichten, die über ihnen völlig Unbekannte und ihnen völlig Geichgiltige erzählt werden. Hin und wieder erwachen sie aus ihrer Lethargie, um in ein Gelächter mit einzustimmen, dessen Grund und Ursache ihnen ebenso unbekannt ist wie den meisten Menschen das Chinesische.

Gegen elf Uhr erhebt sich der Kommandeur: „Ich glaube, es wird Zeit, daß wir uns einmal nach unseren Damen umsehen.”

Alles athmet erleichtert auf — dies ist der Anfang vom Ende.

Der Herr Oberst geht voran, ihm folgt der Etatsmäßige, dann der Herr Major, der Gastgeber, die übrigen Hauptleute, die Heren Premiers und Sekonds.

Man öfnet die Thür zum Salon.

Auf dem Sopha sitzt die Kommandeuse, links von ihr die Etatsmäßige, dann die Frau Major, die Hauptmannsfrauen, endlich die Lieutenantsdamen — die Damen bilden eine Kreis.

Jeder Gatte stellt sich sofort hinter seine ihm vor Gott und den Menschen angetraute bessere Hälfte und stößt sie leise mit der rechten Hand in den Rücken. Das heißt: „Erhebe Dich und entfliehe mit mir diesem Ort des Schreckens.”

Die „liebenswürdigen” Wirthe zeigen sich auf das Höchste überrascht: „Wie? Die Herrschaften wollen uns Alle schon verlassen? Aber es ist doch noch so früh, kaum elf?”

Man murmelt etwas von „höchste Zeit — morgen wieder um sechs Uhr aufstehen — entsetzlich viel Dienst” und ähnlichen Dingen und drückt und küßt dabei schon die verschiedenen Hände.

Der Gastgeber wendet sich an die Jungegesellen: „Aber nicht wahr — die Herren bleiben doch noch etwas und trinken noch ein Glas Bier?”

Aber die Junggesellen sind erst recht müde — nicht für eine Million würden sie noch bleiben — sie bedauren unendlich. „Aber es war wirklich ganz reizend, meine gnädige Frau — meinen gehorsamsten Dank, Herr Hauptmann.”

In der Freude seines Herzens den Pekko überstanden zu haben, drückt man draußen auf dem Korridor dem Burschen ein ganz blankes Fünfzig-Pfennigstück in die Hand.

Schon glaubt man, der Schmerz wäre völlig überwunden, da öffnet der Gastgeber noch einmal die nach dem Korridor führende Thür.

„Aber nicht wahr, eine Zigarre zünden sich die Herren doch noch für unterwegs an?”

Alles lehnt dankend ab, aber es nützt ihnen nichts, grob werden können sie doch nicht und so offerirt der Häuptling Jedem eine seiner „Feld-, Wald-, Flur- und Wiesen-Cigarren”. Selbst der im Rauchen sehr verwöhnte Herr Premier muß das Kraut anzünden, um es, kaum auf der Straße angelangt, mit einem „Pfui Deubel, Königliche Hoheit” mit einem energischen Wurf über das Weichbild der Stadt hinwegzuschleudern.

Natürlich wird nun sofort Kriegsrath gehalten, wohin man gehen solle. Die „Stabshengste” mit ihren Damen sind nach Haus gezogen, aber die Anderen wollen sich noch etwas amüsiren.

Man einigt sich über ein Weinrestaurant: man bestellt sich mehrere Dutzend Austern und verschiedene kalte Flaschen, aber eine lustige Stimmung kommt trotzdem nicht auf, man trennt sich nach kurzer Zeit und begiebt sich nach Hause.

Inzwischen stellt der Häuptling, der als Gastgeber funktionirt hat, fest, wie viel Zigarren ihm aufgeraucht sind, wieviel Rothwein und Mosel getrunken ist und wie viel Bier geholt wurde.

Bevor er schlafen geht, muß er erst wissen, was ihm der Abend gekostet hat.

Da tritt seine Frau zu ihm ins Zimmer.

„Nun, bist Du fertig? Dann wollen auch wir uns hinlegen. Findest Du nicht auch, daß es heute Abend sehr nett war; ich glaube, sie haben sich Alle sehr gut amüsirt.”

„Sehr gut,” pflichtet er ihr bei, „es war auch Alles ganz vorzüglich gerathen — wir können mit dem heutigen Tage zufrieden sein, es war wenigstens kein Kommiß-Pekko.”

O Hauptmann, lieber Hauptmann, nimm das Wort zurück — warum erbleichst Du plötzlich und spitzest die Ohren?

Hörst Du das krampfhafte Gähnen Deiner Gäste, die sich in ihren Betten strecken, und hörst Du ihre Worte: „Heiliges Lama, war das ein Pekko!”

Und Du hast den Muth, zu behaupten, Deine Gesellschaft sei kein Pekko gewesen?

Aber Herr Hauptmann! wenn das kein Pekko war, möchte ich wohl einen kennen lernen, obgleich ich an denen, die ich in meinem Leben kennen lernte, mehr als genug habe.

Und damit soll es auch für heute mehr als genug sein.(8)


Fußnoten:

(1) Der November — der Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Plauderei — ist die Zeit der Rekrutenausbildung. (zurück)

(2) In der Buchfassung: „Tischpaare”. (zurück)

(3) In der Buchfassung fehlt der Satz: „ wie schwer es ist, habe ich in meinen „Humoresken” zu schildern versucht” — statt dessen steht dort der Satz: „aber hier geht es glatt vonstatten”. (zurück)

(4) In der Buchfassung fehlt der Satz: „mit anderen Worten, hätte er in seiner Jugend nicht so toll gelebt”. (zurück)

(5) In der Buchfassung: „Schnurrbart” statt „Vollbart”. (zurück)

(6) In der Buchfassung: „Regimentsadjutant” statt „Regimentskommandeur”. (zurück)

(7) In der Buchfassung: „Oberst”, offenbar aber ein Druckfehler, denn dem Wortlaut des nächsten Satzes nach soll es doch wohl heißen „Ober(leutnant)”. (zurück)

(8) In der Buchfassung fehlt dieser letzte Satz. (zurück)


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