Patrouillen-Ritt.

Militär-Humoreske von Frhr. v. Schlicht.
in: „Rekrutenbriefe” und
in: „Die Frau Oberst
(Dieser Text ist nicht identisch mit
der Erzählung „Der Patrouillenritt” aus dem „Kleinen Journal”.)


Es ist im Manöver und Se. Exzellenz(1), der Herr Divisionskommandeur, hat die Offiziere um sich versammelt und hält den Herren eine Rede, die sich von anderen Reden dadurch unterscheidet, daß sie zwar einen Anfang, aber kein Ende zu haben scheint und für die alle Zuhörer nur ein Wort haben: Mist. Aber Exzellenz weiß nicht, was seine Untergebenen denken und wenn er es wüßte, würde er sich nicht darum kümmern, so spricht er denn weiter und weiter, bis wohl endlich selbst dem Leibroß Sr. Exzellenz die Sache zu langweilig wird. Noch einmal spitzt es die Ohren, um sich davon zu überzeugen, ob sein Reiter denn wirklich immer noch redet, und als es sich mit Schrecken von dieser Tatsache überzeugt hat, schließt es die Augen und im Schlaf sinkt es auf die Knie.

Hoppla.

Wer es gerufen hat, weiß niemand, aber plötzlich sitzt Exzellenz mit einem ganz verdutzten Gesicht im Kreise seiner Offiziere. Die beeilen sich, die gefallene Größe wieder aufzurichten und dankend nimmt Exzellenz die Hilfe an, aber als sie ihm auch wieder auf sein Streitroß heben wollen, leht er es ab: „Ich danke Ihnen, meine Herren, ich wollte so wie so absteigen.”

„Das Belügen der Vorgesetzten wird mit Arrest bestraft, den Untergebenen die Jacke voll zu lügen, scheint aber erlaubt zu sein,” denkt ein junger Leutnant. „Na, hoffentlich hast du dir bei dem Fall eine kleine Gehirn­erschütterung zugezogen und weißt nicht mehr, was du sonst noch alles sagen wolltest.”

Aber Exzellenz hat sich nur jenen edlen Körperteil leicht beschädigt, in dem die Mannschaften nach der Meinung ihrer Unteroffiziere ihre Gedanken, die eigentlich im Kopf sitzen sollten, spazieren tragen, und so ist das Denkvermögen Sr. Exzellenz nicht getrübt.

„Meine Herren,” fährt Se. Exzellenz nach einer kleinen Pause fort, „bevor das Gefecht beginnt, möchte ich nur noch kurz ein paar Worte über die Art und Weise der Meldungen an Sie richten.”

Unwillkürlich faltet ein Leutnant die Hände. „Vater im Himmel, muß das sein,” stöhnte er im Stillen, „ich mache jetzt das siebente Manöver mit und in jedem Jahr redet jeder Vorgesetzte, sobald er die Leitung übernimmt, über die Meldungen. Muß das auch heute sein?”

Er wirft Exzellenz einen flehenden Blick zu, der aber bemerkt ihn nicht, so stöhnt er noch einmal laut auf und mit ihm stöhnen die anderen. Vom Kommandeur herab bis zum jüngsten Leutnant wissen alle ganz genau, was Exzellenz sagen wird, seine Rede wird das Thema behandeln: „Eine Meldung sei kurz, klar und bestimmt, was darüber ist, das ist von Übel(2).” Alle wissen, was kommen wird, der Herr Oberst am besten, einmal weil er am längsten Soldat ist, dann aber auch, weil ihm infolge des höchsten Gehalts innerhalb seines Offizierkorps auch die höchste Weisheit inne wohnt, aber trotzdem macht er jetzt ein Gesicht, als wäre er auf die Rede Sr. Exzellenz sehr gespannt und er wirft seinen Herren einen Blick zu, der da sagt: „Meine Herren, passen Sie auf, die Weisheit, die ich bis jetzt zu meinem größten Leidwesen bei Ihnen vermißte, wird jetzt gleich über Sie kommen.” Er gibt seinen Offizieren ein Zeichen, eine dem großen Augenblick angemessene Haltung einzunehmen und auch er selbst richtet sich stolz in die Höhe; er weiß, er ist bei den Höheren nicht allzu gut angeschrieben, vielleicht ist dies Manöver sein letztes, so versucht er denn die fehlenden Kenntnisse durch eine stramme militärische Haltung zu ersetzen.

Exzellenz sieht nicht ohne stille Genugtuung, wie alle an seinen Lippen hängen, dann beginnt er: „Meine Herren, Sie alle wissen, daß man von einer Meldung drei Eigenschaften verlangt: „Kürze, Klarheit und Bestimmheit.”

„Wenn du weißt, daß wir das wissen, warum sagst du uns das denn noch?” denkt ein Leutnant, aber sein Denken hilft ihm nichts, Exzellenz redet weiter: „Meine Herren, ich denke über die Meldungen anders.”

„Nanu?”

Unwillkürlich ist einem Leutnant dieser Ausruf entfallen, der bekommt einen furchtbaren Schrecken und im Stillen sagt er sich: „Das kommt davon, daß man zuhört, wenn die Vorgesetzten reden: Na, in Zukunft will ich mir das auch ganz bestimmt abgewöhnen, hoffentlich komme ich dieses Mal mit einem blauen Auge davon.” Er fürchtet, daß Exzellenz ihm saugrob wird, statt dessen erntet er ein Lob: „Ihr Ausruf, Herr Leutnant, beweist mir, wie aufmerksam Sie meinen Worten folgen und der Ausdruck Ihrer Verwunderung zeigt mir, wie sehr Sie auf meine Auffassung über die Meldungen gespannt sind.”

„Verrückt,” denkt der Leutnant im Stillen, aber er denkt es auch nur.

„Meine Herren, in zwei Punkten bin ich in betreff der Meldungen ganz derselben Ansicht, wie meine Herren Vorgänger, die vor mir diese schöne Division zu führen die Ehre hatten.” —

„Jede Division, die man bekommt, ist schön, und jede Division, und sei sie die anerkannt beste, taugt absolut nichts, wenn man sie nicht bekommt,” denkt ein Leutnant.

„In einem Punkt aber denke ich ganz anders,” fährt Exzellenz fort. „Im Gegensatz zu meinem Herrn Vorgänger lege ich den größten Wert darauf, daß eine Meldung nicht kurz und knapp, sondern lang und ausführlich ist. Die Leute glauben mehr als genug getan zu haben, wenn sie z. B. melden, daß Adorf vom Feinde besetzt ist. Manchem mag das genügen, mir nicht; ich will wissen, wie stark Adorf besetzt ist, wieviel Truppen Adorf besetzt halten, in welcher Formation sich der Feind bei Adorf befindet, kurz und gut, ich will ganz ausführliche Meldungen haben, nur dann ist der Führer in der Lage, über seine eigenen Truppen richtig zu disponieren. Und für unsere Leute haben diese ausführlichen Mitteilungen noch einen großen erzieherischen Wert: die Kerls lernen zu reden und zu sprechen. In diesem Sinne bitte ich Sie, Ihre Leute noch eingehend zu instruieren — wer mir gute, ausführliche Meldungen bringt, den werde ich belohnen, die anderen werde ich bestrafen.”

„Angenehme Aussichten,” denken die Herren, denen es natürlich nicht gleichgültig ist, wie Exzellenz mit den Leuten ihres Befehlsbereiches zufrieden ist, denn mehr oder weniger ist doch jeder für die Leistungen seiner Untertanen verantwortlich.

„Besonders gute Meldungen verlange ich natürlich von der Avantgarden-Kavallerie,” fährt Exzellenz fort, „wer von den Herren führt dieselbe?”

„Ich, Ew.Exzellenz.”

Der Oberleutnant von Bewitz ist vorgetreten und legt die Hand salutierend an die Pelzmütze.

Allzu erfreut scheint Se. Exzellenz nicht zu sein, daß gerade Bewitz derjenige ist, welcher, denn Bewitz ist zwar äußerlich der Inbegriff eines frischen, flotten Kavalleristen, und reiten kann er wie der Teufel, aber mit den geistigen Fähigkeiten, da(3) hapert's. Das hat ihm schon vor vielen Jahren, als er noch Fähnrich war, sein Wachtmeister gesagt, und der war nicht dumm gewesen. Am liebsten würde Exzellenz einem anderen Herrn die Schwadron geben, aber das geht nicht; so sagt er denn: „Es freut mich, Herr von Bewitz, daß Sie für Ihren leider erkrankten Herrn Rittmeister die Schwadron führen, da werden Sie Gelegenheit finden, sich, wenn auch nur indirekt, durch die ausführlichen Meldungen, die Sie mir bringen lassen, auszuzeichnen.”

„Zu Befehl, Ew. Exzellenz,” erwidert Herr von Bewitz, der es als ganz selbstverständlich ansieht, daß ihm die Auszeichnung auch zu teil wird.

Ein leises Lächeln umspielt den Mund Sr. Exzellenz, dann legt er die Hand an den Helm: „Ich danke Ihnen, meine Herren, ich lasse Ihnen noch eine Viertelstunde Zeit, um Ihre Leute zu instruieren, dann treten wir an.”

Die Herren gehen zu ihrem Truppenteil zurück, und auch Herr von Bewitz sucht seine Schwadron auf. Als erstes winkt er sich seinen Wachtmeister heran: „Wachtmeister, nehmen Sie sich die Kerls zusammen und instruieren Sie die Bande mal.”

„Zu Befehl, Herr Oberleutnant.”

Der Wachtmeister läßt die Leute antreten, da fällt ihm erst ein, daß er nicht weiß, worüber er instruieren soll, und fragend wendet er sich an den Schwadronsführer.

„Ach so, ja, richtig, Wachtmeister, das hätte ich beinahe vergessen. Wissen Sie, Exzellenz hat uns da eine lange Chose erzählt, war natürlich wie alles, was Exzellenz sagt, sehr geistreich; fürchte nur, für die Kerls war er zu geistreich. Sie müssen versuchen, das den Leuten klar zu machen. Exzellenz will im Gegensatz zu seinen Herren Vorgängern, die vor ihm unsere schöne Division zu führen die Ehre hatten, ganz ausführliche Meldungen. Sie haben ja noch eine Viertelstunde Zeit, um den Kerls das Reden beizubringen. Exzellenz will z. B. nicht nur wissen, ob Adorf besetzt ist. Verstehen Sie, daß Adorf besetzt ist, genügt ihm nicht, Exzellenz will auch wissen, wie stark der Feind dort ist, in welcher Formation er sich dort aufhält, welcher Truppenteil dort ist und dergleichen mehr. Na, Sie werden das den Kerls schon beibringen.”

Und der Wachtmeister bringt es bald den Kerls bei: „Exzellenz ist es nun endlich satt, daß Ihr bei den Meldungen das Maul nicht aufmacht — wenn Ihr es auch heute nicht tut, regnet's Euch in die Bude, und zwar gründlich. Exzellenz will ganz ausführliche Meldungen, namentlich über Adorf, auf das Exzellenz, und wie mir scheint, mit vollem Recht, ganz besonderen Wert legt. Daß das Dorf besetzt ist, wissen Exzellenz und ich schon, aber das kann uns nicht genügen, wir müssen auch wissen, wie stark der Feind dort ist, welchem Truppenteil er angehört, in welcher Formation er sich dort befindet und dergleichen mehr. Dieses „dergleichen” ausfindig zu machen, ist Eure Sache, und wer es nicht tut, den lass' ich bei der nächsten Gelegenheit eine Stunde mit Hüften fest ohne Bügel auf der Rosalie reiten, und ich denke, Ihr haßt die Rosalie, den niederträchtigsten Hochtraber, den ein Pferdegott je auf die Welt setzte. Und damit schließe ich meine Rede, ich sage nur noch einmal: Denkt an Adorf und an Rosalie.”

Die Unteroffiziere und Patrouillenführer haben ihre Karten hervorgeholt und suchen Adorf, trotz allen Suchens aber können sie es nicht finden und schon wollen Sie sich fragend an den Wachtmeister wenden, da ertönt das Kommando: „Aufgesessen.” Die für die Instruktion bewilligte Zeit ist abgelaufen, der Vormarsch gegen den Feind beginnt und die Husaren traben an. Ein jeder gelobt sich, nur die besten Meldungen zu bringen, nicht Se. Exzellenz, sondern sich selbst zu Liebe, sie befolgen den Rat des Wachtmeisters und denken an Rosalie, den elendesten aller Schinder. Einen halben Meter fliegt man auf dem beständig in die Höhe, und was noch viel schlimmer ist, man fällt auch wieder hinunter und die Berührung mit dem Sattel ist dann keineswegs angenehm, die ganzen inneren Organe werden da durcheinander­geschüttelt. Den Husaren wird schwach, wenn sie nur an den alten Bock denken und so erweitern sie denn ihr Gelöbnis und geloben sich, entweder gute Meldungen zu bringen oder gar keine.

Unterdessen hält Exzellenz auf einem Feldhernnhügel und wartet auf die ausführlichen Meldungen der Kavallerie, aber es kommen keine und doch hat das Gefecht schon begonnen. Die beiden Avantgarden sind aufeinander gestoßen, das Gros ist zur Verstärkung herbeigeeilt, die Platzpatronen knallen, die Kanonen donnern — alles ist in schönster Ordnung, nur die Hauptsache fehlt: die Meldung der Kavallerie über die Stärke und über die Bewegung des Feindes. Exzellenz ist außer sich, aber was hilft's? Die Husaren sind spurlos von der Erdoberfläche verschwunden und vergebens rauft sich Exzellenz die Haare — da es nicht seine eigenen, sondern nur die seines Toupets sind, ist die Sache wenigstens nicht schmerzhaft. „Wo ist die Avantgarden-Kavallerie?” fragt Exzellenz immer wieder. Die Adjutanten zucken die Achseln, wenn Exzellenz es nicht weiß, wie sollen sie es da wissen? Eine halbe Stunde verrinnt nach der anderen, kein Husar läßt sich sehen. Exzellenz hat schon lange auf eine lange, ausführliche Meldung verzichtet, er wäre sogar mit der denkbar kürzesten zufrieden, aber nicht einmal die wird ihm gebracht. Da ertönt plötzlich ein lautes Hurra, ein Regiment ist zum Sturmangriff vorgegangen und hat den Feind aus seiner Position vertrieben, das Gefecht ist zu Ende. Es bleibt nichts anderes übrig, Exzellenz muß das Signal „Halt” blasen lassen, und schon will er den Befehl erteilen, da naht auf einem müden Pferd ein müder Husar. Schön ist der Anblick, den Roß und Reiter bieten, nicht, aber in der Freude seines Herzens, von der Kavallerie wenigstens etwas wieder zu sehen, achtet Exzellenz gar nicht auf das Aussehen der beiden.

„Woher kommen Sie? Wo sind Sie so lange gewesen? Was bringen Sie für Meldung?” erkundigt sich Exzellenz, aber der Husar ist klug und weise, er läßt sich auf irgendwelche Auseinandersetzungen, bei denen er doch schlecht fortkommen würde, gar nicht ein, unsomehr, als er nichts zu sagen weiß. So schlägt er denn klirrend die Sporen zusammen und ersetzt den Mangel an Meldungen durch eine stramme militärische Haltung. Dann öffnet er die Attila und holt eine bisher an seinem keuschen Busen aufbewahrte meldekarte hervor und übergibt dieselbe Sr. Exzellenz. Der blickt zuerst auf den Umschlag: „Absender: Oberleutnant von Bewitz,” sagt er zu seinem Adjutanten, „nun werde ich endlich Klarheit darüber bekommen, wo die Kavallerie sich herumtreibt.” Dann öffnet er das Kuvert und liest die Meldung, aber als er sie gelesen, sinkt er kraftlos in sich zusammen; jetzt weiß er zwar, wo die Kavallerie ist und warum sie keine Meldungen brachte, aber er weiß auch, daß er sie nie wiedersieht, wenn nicht ein anderer anstatt des guten Bewitz den Befehl über die Schwadron übernimmt. Denn die Meldung lautet: „Adorf, über dessen Besetzung wir ausführlich melden sollen, auf Generalstabskarte (1 : 100 000) nicht verzeichnet, soll nach Aussage der Landeseinwohner überhaupt nicht in hiesiger Gegend liegen. Suche trotzdem weiter.”

Endlich hat Exzellenz sich gefaßt und alles, was er auf dem Herzen hat, faßt er zusammen in die Worte: „Zu dumm!” und dieses Mal hat Exzellenz Recht, denn Adorf ist bekanntlich unter den Dörfern, was Dingsda unter den Städten ist.


Fußnoten:

(1) In der Fassung von „Die Frau Oberst” sind die Abkürzungen „Ew. Exzellenz”, „Se. Exzellenz” und „Sr. Exzellenz” durchweg ersetzt durch die Langfassungen „Euer Exzellenz”, „Seine Exzellenz” und „Seiner Exzellenz”. (Zurück)

(2) In der Fassung von „Die Frau Oberst” heißt es hier: „vom Übel”. (Zurück)

(3) In der Fassung von „Die Frau Oberst” fehlt das Wort „da”. (Zurück)


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