Parade-Haare.

Satire von Freiherr von Schlicht,
in: „Parade-Haare”


Über den Wert oder Unwert der Paraden als Erziehungsmittel zum Kriege gehen die Ansichten der Gelehrten sehr auseinander — aber darüber dürften sich alle einig sein, daß es für den Ausgang einer Parade für die größte Bedeutung ist, wie die Haare der Beteiligten geschnitten sind. Und deshalb spielen die Paradehaare in dem Leben des Musketiers wie in dem des Vorgesetzten heute noch eine ebenso große Rolle, wie in vergangenen Zeiten die großen Puderperrücken für die Köpfe der Herren Husaren. Oder wie noch heute in China der Zopf, der für uns aufgeklärte Deutsche ja nur noch dazu da ist, daß wir uns über ihn lustig machen.

Sobald eine Parade oder eine Besichtigung, die auch nichts anderes wie eine Parade bedeutet, befohlen ist, beginnen die Vorgesetzten ihr Interesse, das sie nicht nur auf Befehl der Höheren, sondern auch aus persönlichen Gründen an dem Wohl und Wehe eines jeden ihrer Untertanen nehmen, auch auf den Haarschnitt der Mannschaften auszudehnen. Die Friseure der Kompagnie erhalten den Befehl, alle Leute über denselben Kamm zu scheren, und da die Haarkünstler nur einen einzigen Kamm besitzen, kommen sie dem Befehl auf das Genaueste nach.

Am nächsten Tage ist einer genau so geschoren wie der andere.

Wir leben, allen entgegengesetzten Behauptungen zum Trotz, in einem Zeitalter des Fortschritts und der Aufklärung. Auch der Haarschnitt der Mannschaften ist dafür ein glänzendes Beispiel. Es ist nch garnicht so lange her, noch keine zehn Jahre, da mußten den Leuten die Haare so geschnitten sein, daß sie an den Ohren ein 6 bildeten. Die 6 war ebenso wichtig, wenn nicht noch viel wichtiger als der Parademarsch selbst. Und was war es für ein Elend, wenn bei einigen widerspenstigen Köpfen die vorschriftsmäßig geschnittene 6 an den Schläfen nicht so glatt anliegen wollte, wie sie sollte. Bis zum letzten Augenblick wurde gestriegelt und gebügelt. Diensteifrig liefen die Unteroffiziere die Front entlang, überall, wo es Not tat, sie mit ihrer natürlichen Spucke befestigend. Aber wenn sie bei dem letzten Mann angelangt waren, hatte sich bei dem ersten wieder die 6 gelöst, und von neuem ging das Kleben los, bis die Ankunft der hohen Vorgesetzten gemeldet wurden. Dann eilten alle an ihre Plätze: die Kommandos erschallten, die Musik spielte den Präsentiermarsch, die Fahnen senkten sich, die hohen Excellenzen ritten die Front ab, und der Geist und die Ausbildung der Truppe war nur dann wirklich tadellos, wenn die 6en überall gut anlagen.

Und die höheren Vorgesetzten gingen mit der Haartracht ihren Leuten mit gutem Beispiel voran. Ich erinnere einen Major, der mit dem hellen Mut der Verzweiflung um sein militärisches Leben kämpfte. Man erzählte sich im Regiment, daß er sich jeden Tag die Haare an den Ohren stutzen ließe, damit auch nicht das kleinste Härchen anders wüchse als es solle. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er einmal von einer hohen Excellenz seinem Bataillon in Bezug auf die 6en als leuchtendes Vorbild hingestellt wurde, — da strahlte er wie ein Sextaner, der von seinem Klassenlehrer öffentlich belobt wird. Und nur dieser Anerkennung hatte er es wohl zu verdanken, daß er wenig später nicht ganz einfach den Abschied bekam, sondern in einer ganz kleinen Festung noch für einige Jahre zum Platzkommandanten ernannt wurde.

Und ich denke an meinen alten Oberst, der bei jeder Vorinstruktion garnicht nach dem hinhörte, was die Kerls antworteten, oder richtiger gesagt nicht antworteten, sondern der unterdessen jedem Mann die Mütze abnahm und den Haarschnitt prüfte. War er vorschriftsmäßig, dann war die Instruktion glänzend gewesen und man erntete das höchste Lob, im andern Falle bekam man ganz gewaltig was auf den Hut, weil die Kerls wie gewöhnlich keine Ahnung gehabt hatten.

Heute ist es noch genau ebenso, es wird eine unendliche Zeit damit vertrödelt, daß man viel zu viel Wert auf Äußerlichkeiten legt.

Der Schnitt der Paradehaare ist im Laufe der Zeit ein anderer geworden, aber die Bedeutung der Paradehaare für das Wohlergehen der Vorgesetzten, für den Verlauf der Parade und für den Ausfall der Kritik ist dieselbe geblieben.

Über dem Haupt der Vorgesetzten schwebt das Schwert des Damokles wirklich sehr oft an den Haaren eines Grenadiers oder Musketiers.

Wenn bei einer Parade die hohen Excellenzen erscheinen und die Front abreiten, ist schon manchem mutigen Hauptmann, der sonst überhaupt nicht weiß, was Angst und Furcht sind, das Herz in die Hosen gerutscht, denn Excellenz braucht nur sein Pferd anzuhalten und irgend einen Mann der Kompagnie mißbilligend und kopfschüttelnd anzusehen, dann verkauft der Hauptmann seine ganze militärische Zukunft für ein Glas Bier und ein Butterbrot. Und das Bier braucht nicht echt und das Butterbrot nicht einmal belegt zu sein.

Wenn von den hundert Leuten der Kompagnie nur ein einziger die Haare nicht ganz vorschriftsmäßig geschnitten hat, dann heißt es gleich: „Ach, Herr Hauptmann, Sie legen auf den richtigen Haarschnitt Ihrer Leute wohl nicht den leisesten Wert?”

Im Interesse der Untergebenen ist es oft ein wahres Glück, daß sie nur „Zu Befehl” sagen dürfen, denn sonst würden sie sich sicher oft zu einer Antwort hinreißen lassen, die zwar der Wahrheit, aber nicht den Grundsätzen der Disziplin und Subordination entspräche. Und während Disziplin das unangenehme Gefühl bedeutet, daß den Untergebenen in der Nähe des Vorgesetzten beschleicht, ist Subordination bekanntlich das Bestreben, stets dümmer zu erscheinen, als es der Vorgesetzte in Wirklichkeit ist.

Das fällt namentlich begabten Untergebenen oft sehr schwer, aber nach der Meinung der Vorgesetzten gibt es die ja überhaupt nicht oder doch nur in so geringer Zahl, daß man auf sie keine Rücksicht zu nehmen braucht.

Und das ist im Interesse der Vorgesetzten sehr gut.

Viele Untergebene behaupten sogar, es wäre noch sehr viel besser.

Aber auf das, was die sagen, kommt es ja garnicht an.

Und auf das, was sie denken, erst recht nicht.

Man könnte das alte Wort: ,Wenn Du den Frieden willst, rüste zum Kriege!' in der heutigen Zeit eigentlich dahin variieren, daß man sagt: ,Wenn Du Krieg haben willst, mache sehr starke Friedensrüstungen!' Und daß für den Verlauf eines Krieges oder wenigstens eines Seekrieges auch die Haartracht von der größten Wichtigkeit ist, zeigt ja die Verfügung, daß unsere Marineoffiziere entweder einen Vollbart oder gar keinen Bart tragen dürfen.

Ob bei den japanischen Offizieren, die die russische Flotte vernichteten, nicht auch einige mit Schnurrbärten waren, wage ich nicht zu entscheiden.

Nicht nur bei der Infanterie, auch bei der Kavallerie spielen die Paradehaare eine sehr große Rolle. Da sind es allerdings die Paradebärte, und zwar bei den Regimentern, die Kesselpauken haben. Wer hat nicht schon einen solchen Paukenschläger gesehen, der seinem Regiment stolz voranreitet? An jeder Seite des Sattels hat er eine Kesselpauke befestigt, und während er die Schläger in vorschriftsmäßigen Bewegungen hoch in der Luft wirbelt, lenkt er sein Pferd lediglich mit den Schenkeln und dem Gesäß, da die Zügel an den Steigbügeln befestigt sind.

Fast immer ist der Paukenschläger ein ausgesucht schöner Mensch, und bei einigen Regimentern ist es Vorschrift, daß er einen schwarzen Vollbart haben muß.

Aber was dann, wenn er keinen hat, und wenn ihm trotz aller untrüglichen Barterzeugungsmittel absolut keiner wachsen will?

Ein sehr bekannter Maler erhielt eines Tages den Auftrag, den Parademarsch eines Kavallerie­regiments für das Offiziers­kasino zu malen. Obgleich er ein Zivilist und nicht einmal Leutnant der Reserve war, durfte er morgens draußen auf dem Exerzierplatz der Parade beiwohnen. Und sein Malerherz frohlockte ob des schönen Anblicks, der sich ihm bot: prächtige Pferde, glänzendes Menschenmaterial. Die Pferde gehen bei der Kavallerie den Menschen ja stets vor.

Für den Nachmittag bestellte er sich den Kesselpauker zu einer Sitzung, um den ganz porträtähnlich wiederzugeben. Pünktlich auf die Minute stellte der sich ein, aber zuerst schien es, als wäre es garnicht derselbe Mann wie am Morgen, denn die Hauptsache, das, was ihn am Morgen so auffallend schön hatte aussehen lassen, der schwarze Vollbart, fehlte.

Aber sehr bald stellte sich heraus, daß es doch ein und dieselbe Persönlichkeit war, und des Rätsels Lösung war sehr einfach: der Bart war garnicht echt.

Der Paradebart wuchs für gewöhnlich auf Regimentskammer unter der Aufsicht des Kammeroffiziers und wurde nur für Paradezwecke und Besichtigungen, ebenso wie die guten Uniformen der Mannschaften, herausgegeben.

Da mußte sich der Kesselpauker den Paradebart ankleben, als wäre er ein Schauspieler.

Für die Wahrheit der Geschichte verbürge ich mich. —

Und wenn es wirklich noch einmal zum Krieg kommen sollte, dann mögen sie nur kommen! Wir sind gerüstet: die Haare sind geschnitten und der Bart liegt auf der Kammer.


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