„Die Nasenflügel der gnädigen Frau.”

Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Schöne Frauen. Bibliothek pikanter Erzählungen und Gedichte” Band 3, Seite 29,
Verlag von H.L. Schroeter, Budapest, o.J.


Seit drei Monaten nun schon machte Baron von Vietinghoff der schönen Frau Olga d'Enard rasend den Hof, aber seit dem Tage, da er ihr damals im Englischen Garten vorgestellt worden war, war er auch noch nicht einen einzigen Schritt näher gekommen, nicht einen Schritt. Sie war freundlich gegen ihn wie gegen jeden der anderen, der ihrer Schönheit und ihrer Anmut huldigte, sie nahm mit einem freundlichen und dankbaren Lächeln die Blumen entgegen, die er ihr täglich auf der Promenade oder in ihrer Wohnung überreichte, sie war ihm dankbar für die zahllosen Aufmerksamkeiten, die er ihr erwies – aber das war auch Alles. Ahnte sie es wirklich nicht oder wollte sie es nur nicht wissen, was in ihm vorging? Noch nie hatte ihn eine Frau so gereizt wie diese, noch nie hatte er so lange um die Gunst einer Dame geworben, aber auch noch nie, das gestand er sich ein, war er einer Schöneren begegnet: ihre mittelgrosse, zierliche, aber dabei doch volle Figur, ihr feingeschnittenes Gesicht mit den rosaroten Lippen, den blendend weissen Zähnen, den unergründlich tiefen Augen und der sinnberückenden Pracht ihres braunen Haares, – alles, alles reizte ihn immer wieder von neuem. Das Schönste aber an ihr war nach seiner Ansicht die geradezu klassisch geformte Nase mit den entzückenden Nasenflügeln.

»Ich würde Sie selbst dann bis an mein Lebensende lieben, gnädige Frau, wenn Sie weiter nichts als diese beiden kleinen Nasenflügel hätten,« hatte er ihr einmal gesagt, aber auch dadurch weiter nichts erreicht, als dass sie ihn, wie schon so oft, wenn er seine Schwärmerei allzu deutlich zeigte, laut auslachte.

Nein, sie wusste es nicht, wie es um ihn stand, wie er sie liebte, oder sie wollte es wenigstens nicht wissen. Gewiss, sie war verheiratet, sie liebte ihren Mann, sie liebte ihr Kind – »aber gnädige Frau,« sagte er einmal zu ihr, »das hindert Sie doch nicht, auch mich zu lieben. Ich bin verheiratet wie Sie, ich liebe meine Frau genau ebenso wie Sie Ihren Mann, ich liebe mein Baby wie Sie das Ihrige – wir befinden uns genau in derselben Lage, warum sollen wir beide uns da nicht auch lieben?«

Aber auch diese Logik, die ja allerdings auf etwas schwachen Füssen stand, machte auf sie nicht den leisesten Eindruck.

»Können Sie mir denn wirklich gar nichts anderes erzählen, als immer nur, dass Sie mich lieben?« fragte sie ihn, »auf die Dauer wird das wirklich etwas langweilig.«

»Weil Sie mich nicht wieder lieben!« gab er zur Antwort. »Dächten Sie über mich, wie ich über Sie, so würden Sie soeben Ihre Worte nicht gesprochen haben. Für zwei Menschen, die sich lieben, giebt es überhaupt nur eins: die Liebe. Mag die Welt um sie herum in Trümmern gehen, mögen die grössten Ereignisse eintreten – was kümmert es sie? Nichts, kein Wort ist ihnen so lieb, wie das eine Wort: ,Ich liebe Dich' – das können beide nie genug hören.«

»Aber ich liebe Sie doch nicht – wie oft soll ich Ihnen denn das noch sagen, bevor Sie es mir glauben?« fragte sie beinahe ungeduldig.

Er merkte, dass es ihr ernst war mit ihren Worten, dass sie nichts für ihn empfand als nur Freundschaft, und mit einem hörbaren Ruck sank er in sich zusammen.

»Die Stunde wird doch noch kommen, in der Sie mich lieben,« sagte er, »wenn ich alles so genau wüsste wie das, liegt mein ferneres Leben sehr klar und offen vor mir.«

Und er warb weiter um ihre Gunst; er verdoppelte seine Aufmerksamkeiten, er ward ihr Ritter in des Wortes bester und vornehmster Bedeutung, ward ihr Freund und gab ihr Beweise, dass sie in jeder Hinsicht unbedingt auf ihn zählen konnte, er liess keinen Tag vorübergehen, ohne ihr nicht irgendwie eine kleine Freude zu bereiten – wenn er des Morgens erwachte, war sein erster Gedanke, was kannst Du heute thun, um dem süssen kleinen Menschenkind zu zeigen, wie lieb Du es hast?

Und sie blieb zwar freundlich, aber dennoch kalt und kühl bis ans Herz heran. Einmal hatte er versucht, sie zu küssen, nicht auf den Mund, sondern nur auf das dichte, dichte Haar, das ihr auf die halbe Stirn fiel – aber es war bei dem Versuch geblieben. Sie hatte sich nicht zur Wehr gesetzt, auch nicht gescholten – sie hatte ihn nur mit ihren grossen Augen so starr, so verwundert angesehen, dass er, der wahrhaftig sonst nicht schüchtern war, verlegen dagestanden hatte, wie ein Schulbube.

Und dann hatte sie über ihn gelacht, so frisch, so natürlich, so lustig, dass er schliesslich, wenn auch sehr gegen seinen Willen, in ihre Heiterkeit mit eingestimmt hatte.

Aber lieben sollte sie ihn trotzdem doch – das schwur er sich.

So kam sein Geburtstag heran – der Zufall fügte sich, dass seine Frau an diesem Tag infolge der Erkrankung ihrer Mutter verreist war und dass auch Herr d'Enard geschäftlich einige Tage abwesend war.

»Lassen Sie uns trotzdem den Tag zusammen verleben, schöne Frau,« bat er, »ich würde Sie einladen, zu mir zu kommen, aber ich weiss ganz genau, dass Sie mein Haus in Abwesenheit meiner Frau nicht betreten, ebenso gut weiss ich, dass Sie nicht einwilligen werden, mit mir in einem Restaurant zu speisen – deshalb erlauben Sie mir, dass ich mich bei Ihnen zum Abendessen einlade – ich gehe so viel in Ihrem Hause aus und ein, dass selbst Ihre Dienstboten nichts Unpassendes für Sie darin finden können, wenn ich den morgigen Abend bei Ihnen verleben.«

Frau Olga schwankte noch einen Augenblick, dann sagte sie: » Sie thun mir leid, Sie Ärmster, dass Sie auch auf Ihrem Geburtstag Strohwitwer sind, und ich möchte nicht, dass Sie denken, Sie hätten keine befreundete Familie, in der Sie nicht herzlich willkommen wären. Wenn es Ihnen wirklich Freude macht, dann essen Sie bei mir – aber nur unter einer Bedingung!«

»Und die ist?« fragte er, ihre Hand ergreifend und sie dankbar an seine Lippen führend.

»Versprechen Sie mir, dass Sie artig sein wollen und mich nicht den ganzen Abend umschwärmen.«

Er seufzte schwer auf. »Wenn's möglich ist,« sagte er endlich, »ich will es versuchen und thun, was ich kann, um in der Hinsicht Ihren Beifall zu finden, aber Sie wissen ja, gnädige Frau, über seine Kraft hinaus kann niemand.«

So trennten sie sich mit einem: Auf Wiedersehen morgen abend, und nachdem er am Vormittage ihren schriftlichen Glückwunsch erhalten und ihr als ein kleines Zeichen seines grossen Dankes ein prachtvolles Blumenarrangement gesandt hatte, stellte er sich pünktlich auf die verabredete Minute bei ihr ein.

»Heute oder nie muss es zwischen uns klar werden,« hatte er sich im Laufe des Tages immer und immer wieder gesagt, »Zeit und Umstände sind heute so günstig, wie nur irgend möglich; reüssiere ich auch heute nicht, dann streue ich mir Asche auf mein Haupt und gebe das Rennen auf. Dann ist alles umsonst. Wer wird siegen?«

Baron von Vietinghoff war mit seinen fünfunddreissig Jahren ein schöner Mann: gross, schlank, dabei kräftig und muskulös, tadellos gekleidet, verfehlte sein Äusseres nicht auf die Damen jenen Eindruck zu machen, der einer halben Eroberung gleichkommt. Er konnte brillant aussehen, wenn er wollte, und heute wollte er: selbst Frau d'Enard blickte verwundert auf, als er jetzt in einem untadelhaft sitzenden Smoking-Anzug ihr Boudoir betrat.

Und ebenso wie der Baron, so hatte auch die schöne Frau Olga Toilette gemacht; um ihm eine Freude zu machen, hatte sie das Kleid gewählt, das ihr nach seinem Urteil am besten stand, und an dem er sich, wie er sagte, nicht satt sehen konnte.

»Gnä – Gnädigste – wie soll ich Ihnen für diese Aufmerksamkeit danken.«

Heiss und leidenschaftlich küsste er ihre beiden Kinderhände und sah mit dankbaren Augen zu ihr auf.

»Gefalle ich Ihnen so?« fragte sie lustig. »Sie erweisen mir stets so viel Aufmerksamkeiten und Freundlichkeiten, dass ich mich wirklich freue, wenn ich einmal Gleiches mit Gleichem vergelten kann – viel ist es ja allerdings nicht, was ich Ihnen zu bieten vermag.«

»Nicht viel?« Mit heissen, leidenschaftlichen Blicken sah er sie an: »Sie vermögen mir nicht viel zu bieten?« fragte er, ihre Worte wiederholend, »eine Welt können Sie mir schenken, Sie vermögen mich zu dem Glücklichsten aller Menschen zu machen, Sie können mir meine Ruhe, meinen Frieden – Sie können mir alles, alles geben, und da sagen Sie, Sie vermöchten nur wenig zu bieten? Wissen Sie es immer noch nicht, soll ich es Ihnen erst wirklich sagen, was Sie mir sind, wollen Sie es erst aus meinem Munde hören, dass ich seit der Stunde, da ich Sie kenne, keinen anderen Wunsch habe, als den, Sie zu besitzen – ein Wort von Ihnen, und die Götter im Himmel blicken mit neidischen Blicken auf mich hernieder, der ich schon auf Erden das Paradies fand.«

Er hatte mit Miene und Begeisterung gesprochen, und mit Genugthuung sah er, dass seine Worte ihren Eindruck nicht verfehlten: gleichsam als fürchte sie sich vor seiner Leidenschaft, die er verriet, trat sie einen Schritt zurück, und ihre kleinen, feinen Nasenflügel bebten und zitterten.

Aber schnell bezwang sie sich: »Seien Sie verständig, Baron, und denken Sie an das Versprechen, das Sie mir gegeben haben. Ich freue mich, Sie heute bei mir zu sehen, Ihnen eine kleine Freude bereiten zu können – wollen Sie, dass ich es hinterher bereue, Sie eingeladen zu haben? Wollen Sie, dass dieses das erste und zugleich das letzte Mal ist, dass ich Sie allein bei mir sehen kann? Seien Sie brav, kommen Sie, lassen Sie uns plaudern, in einer halben Stunde essen wir, ich glaube, Sie werden auch damit zufrieden sein – ich habe für uns in dem kleinen chinesischen Zimmer decken lassen, das Sie ja so lieben. Zünden Sie sich eine Zigarette an, Baron, und geben Sie auch mir eine Papyros.«

Sie nahm in halb liegender, halb sitzender Stellung auf der Ottomane Platz, und er rückte seinen niedrigen Sessel dicht an sie heran.

»So, und nun lassen Sie uns plaudern,« bat sie. Er versuchte, ihren Wunsch zu erfüllen, aber während er mit ihr sprach, ruhten seine Augen bewundernd und entzückt auf ihren kleinen Füssen, deren rosige Haut zwischen den schwarzseidenen Strümpfen hindurchschimmerte.

»Wissen Sie wohl, gnädige Frau,« sagte er plötzlich, »dass ich sehr, sehr glücklich sein werde, wenn ich nur ein einziges Mal diese süssen, kleinen Füsse küssen dürfte, und wissen Sie wohl, dass es mehr als grausam von Ihnen ist, mir auch diese Auszeichnung vorzuenthalten?«

Wieder sah er sie mit heissen, leidenschaftlichen Blicken an, und während er seinen Sessel näher an sie heranzog, lehnte sie sich weiter in die Kissen zurück, um seiner Nähe zu entgehen. Er ergriff ihre linke Hand und bedeckte sie trotz ihres Sträubens mit flammenden Küssen.

»Nein, nein, ich lasse Sie nicht!« fuhr er lebhaft fort, »heute muss es zwischen uns klar werden. Und Sie mögen sagen, was Sie wollen: auch Sie lieben mich, wie ich Sie liebe. Sie weichen vor mir zurück, weil Sie sich nicht stark genug fühlen, mich zurückzuweisen, aber mehr noch als alle Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die Sie mir heute erwiesen haben, beweist mir ein Umstand, dass Sie mich lieben: das Zittern und Beben Ihrer kleinen Nasenflügel. Lachen Sie mich ruhig aus, Schönste aller Frauen,« fuhr er unbeirrt fort, als sie ihr heiteres Lachen erklingen liess, »sich selbst können Sie vielleicht täuschen, mich nicht. Auf Nasenflügel verstehe ich mich, das ist gewissermassen meine Spezialität; auch Sie gehören zu jenen Frauen, die das Talent haben, mit den Nasenflügeln zu sprechen, und was diese mir vorhin sagten und mir auch jetzt verraten, ist nicht mehr und nicht weniger als das Geständnis Ihrerseits, dass Sie mich lieben.«

Er war aufgesprungen, um sie in seine Arme zu schliessen, aber noch schneller als er hatte sie sich von ihrem Platz erhoben. Freundlich, aber doch kühl und zurechtweisend stand sie ihm jetzt gegenüber, und ihre Stimme klang sehr bestimmt, als sie jetzt sagte: »Sie irren sich, Herr Baron, ich liebe Sie nicht, und ich werde niemals in Ihnen etwas anderes sehen, als einen guten Freund. Wenn trotzdem meine Nasenflügel vibrierten und zitterten, so hat dies einen ganz, ganz anderen Grund.«

Er war blass geworden bei ihren Worten und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Darf ich wenigstens den Grund erfahren, weshalb Sie heute ihre zarten Nasenflügel in einer Art und Weise spielen liessen, wie ich sie noch nie an Ihnen beobachtete?« fragte er endlich mit stockender Stimme.

Für einen Augenblick zögerte sie noch, und eine leise Verlegenheit drückte sich in ihrem süssen Gesicht aus, dann sagte sie »Wenn Sie es denn wissen wollen, Herr Baron – ich dachte, Sie würden es selbst riechen – Sie müssen mit Ihren Stiefeln in irgend etwas hineingetreten sein.«


Oben.jpg - 455 Bytes
zu Schlichts Seite

© Karlheinz Everts