Die musikalische Excellenz.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Berliner Leben” Zeitschrift für Schönheit und Kunst,
III. Jahrg. Heft 6, Freier Verlag GmbH., Berlin, Juli 1900,
in: „Excellenz lassen bitten”,
in: „Seine Hoheit”,
in: „Deutscher Humor” und
in: „Das goldene Lachen”


Se. Excellenz der kommandierende Herr General hatte, so unglaublich es auch klingt, in einem Alter, in dem andere Leute schon an das Sterben denken und ihren Lebenswandel demgemäß einrichten, noch angefangen, das Waldhorn zu blasen, ausgerechnet das Waldhorn, das doch eine sehr gute Lunge und eine noch bessere Puste erfordert. Für das Waldhorn hatte er geschwärmt, so lang er denken konnte, ohne sich das „warum” recht klar zu machen, und von jeher war es sein Lieblingswunsch gewesen, dieses Instrument zu erlernen. Andere verschieben ihr Vorhaben von einem Tag zum andern, Excellenz hatte es von einer Charge zur anderen verschieben müssen. Als Leutnant hatte er keine Zeit gehabt, denn wenn der königliche Dienst ihn nicht beschäftigte, hatte die mit Recht so beliebte Frau Minne ihn in Anspruch genommen. Ein Hauptmann hat keine Zeit, Nebendinge zu betreiben, als Stabsoffizier hatte er genug zu thun gehabt, um General zu werden, und als er diese hohe Stellung erreicht hatte, mußte er unter chikanösen Vorgesetzten so viel leiden, daß ihm beinahe täglich die Augen übergingen, na, und mit übergegangenen Augen kann kein Mensch Noten lesen, nicht einmal eine Excellenz.

Jetzt aber war er der Höchstkommandierende in seinem Armeekorps, jetzt ließ er sich nicht mehr ärgern, sondern ärgerte nur moch andere, jetzt richtete er sich seinen Dienst so ein, wie es ihm paßte, jetzt hatte er Zeit, und in seinen freien Stunden blies er das Horn.

Schön blies er es nicht. Selbst Waldmann, der krummbeinige Teckel, der seinen Herrn abgöttisch liebte, zog sich in die äußerste Ecke seines Korbes zurück, sobald das Horn ertönte. Er bellte und winselte nicht, dazu war er viel zu gut erzogen, aber er machte ein todestrauriges Gesicht, das da zu sagen schien: „Muß das sein?”

Der Lehrer Sr. Excellenz dachte nicht viel anders. Hätte er nicht für die Stunde ein Honorar von 10 Mark erhalten, so würde er seinem Schüler schon lange zugerufen haben: „Geben Sie es auf, es hat wirklich keinen Zweck.” So aber hielt er aus auf seinem Posten. Unter dem Vorwande beständiger Zahnschmerzen packte er sich ungeheure Quantitäten Watte in seine großen Ohren und wenn, dank diesem genialen Einfall, ein gellend falscher Ton von ihm nicht gehört wurde, sprach er sogar von erfreulichen und nicht unbedeutenden Fortschritten.

Dann freute sich Excellenz wie ein kleines Kind, das belobt wird. Daß er in seinen Jahren kein großer Künstler mehr werden könnte, wußte er, so ehrgeizig war er auch gar nicht, er wollte ganz zufrieden sein, wenn es ihm im Laufe der Zeit gelang, die Nationalhymne, den Sang an Ägir, das niederländische Dankgebet und einige andere derartige patriotische Lieder rein und tadellos zu blasen.

In den Stunden, in denen Excellenz das Horn blies, lag das große Gebäude, das als Sitz des Generalkommandos diente, völlig öde und verlassen da; wer von den Adjutanten, Schreibern, Ordonnanzen und Stallburschen nicht durch mehr als wichtige Arbeiten gebunden war, schnallte sich sein Schwert um und machte sich so schnell wie möglich davon. Selbst die Disziplin und die Subordination vermochten die Untergebenen nicht zurückzuhalten, wohl aber verhinderten diese beiden militärischen Tugenden, daß die Unterthanen sich in der Öffentlichkeit über ihren Herrn lustig machten. Das gab es nicht, im Gegenteil, man lobte die Fähigkeiten des hohen Herrn über Gebühr und es dauerte nicht lange, da wußte es im Armeekorps jedermann, daß der Kommandierende, der in Wirklichkeit keine Tonleiter richtig blasen konnte, ungewöhnlich musikalisch beanlagt und zugeich ein Meister auf dem Waldhorn sei.

Den meisten war diese, die Welt in ihren Grundfesten erschütternde Thatsache ganz gleichgültig, — einige aber gerieten, als sie die Kunde vernahmen, in eine nicht unbedeutende Aufregung. Das waren die Herren Regiments­kapellmeister, die Tambourmajore, die Herren Regiments­kommandeure und die Herren Adjutanten, die zwar nicht die musikalische Fähigkeit, wohl aber den Befehl hatten, das Üben der Spielleute zu beaufsichtigen.

Es liegt viel Wahres in dem Wort: in welcher Verfassung sich ein Regiment befindet, kann man an den Spielleuten sehen; machen die ihre Sache gut, dann ist auch im ganzen übrigen Regiment Schneid, oder wie es viele nennen „Schnitt”. Das wissen auch die Herren Regiments­kommandeure und deshalb wird die Frau Musika auch überall nach allen Regeln der Kunst gebimmst und gebummsen. Ganz besonders war dies bei dem Infanterie-Regiment Franz Heinrich der Fall, das den Vorzug hatte, auf seinen Achselstücken einen Namenszug tragen zu dürfen und das zwar nicht ganz, aber doch beinahe „Garde” war. Der Herr Oberst verstand von der Musik absolut gar nichts und infolgedessen war er mit den Leistungen der Spielleute und Hornisten nie zufrieden, es mußte immer noch besser werden und dies war erst recht der Fall, als man von den Künsten Sr. Excellenz erfuhr.

Geistig bedeutend, wie der Kommandeur war, sagte er sich : „Wenn ich nicht zufrieden bin, wird Excellenz es erst recht nicht sein, solglich müssen wir noch mehr drillen als bisher.”

Das geschah, und der Erfolg blieb nicht aus: Der Tambourmajor des ersten Bataillons warf seinen Tambourstock in die Luft, fing ihn nicht wieder auf und erklärte kategorisch: „Ich kapituliere nicht weiter, ich gehe ins Zivil.”

Und da seine kontraktmäßige Dienstzeit an einem der nächsten Tage abgelaufen war, ging er.

Weg war er und der Oberst ärgerte sich nicht wenig, dami8t aber bekam er keinen neuen Tambourmajor. Er tat das klügste, was er thun konnte, und inserierte in dem Militär-Wochenblatt. Da er die Annoncen nicht aus der eigenen Tasche, sondern aus der Staatskasse bezahlte, gab er ein gewaltig großes Inserat auf und die Folge war, daß sich zahllose Bewerber meldeten.

Wer die Wahl hat, hat die Qual; endlich, endlich war ein neuer Tambourmajor da, und wenn nicht alle Anzeichen trogen, konnte man mit der neuen Acquisition mehr als zufrieden sein: er war ein Riese von Gestalt, tadellos gewachsen, mit einem hübschen, männlichen Gesicht. Ein dichter, schwarzer Schnurrbart zierte die Oberlippe, und keck und verwegen blickten die großen, schwarzen Augen. Die Zeugnisse, die er mitbrachte, waren hervorragend, und als der neue Tambourmajor dem Herrn Oberst zum erstenmal etwas vormarschierte, war dieser mehr als zufrieden gewesen.

Am Vormittag hatte der neue Tambourmajor die Kapitulations­verhandlung unterschrieben, am Nachmittag rückte er schon mit seinen Spielleuten nach dem Übungsplatz. Als die Leute zum erstenmal ihren neuen Vorgesetzten sahen, mit dem allem Anscheine nach nicht gut Kirschen essen war, stöhnten sie laut auf, aber das nicht allein, selbst die Instrumente gaben einen dumpfen, klagenden Laut von sich — auch sie zitterten vor dem Kommenden.

Und sie zitterten nicht vergebens, es begann ein gewaltiger Drill und die ältesten Trommeln und Signalhörner konnten sich nicht entsinnen, jemals so bearbeitet worden zu sein.

Die Spielleute stöhnten und bereuten bitter die Stunde, in der sie so dumm gewesen waren, sich freiwillig zum „Federvieh” zu melden. Es ist eine alte Geschichte, das Leid der Untergebenen ist die Freude der Vorgesetzten und so strahlte denn der Herr Oberst vor Vergnügen, wenn er seinen Tambourmajor nur von weitem sah. Die Spielleute des Regiments waren in Ordnung, Se. Excellenz konnte ruhig kommen.

Aber Excellenz kam nicht, er übte gerade eine Molltonleiter und verschob infolgedessen die Besichtigungsreise von einem Tag auf den andern — erst wollte er das Gis richtig blasen können, bevor er sich auf Reisen begab.

Eines schönen Morgens aber erschien Excellenz doch, um das Regiment Franz Heinrich zu besichtigen. Der hohe Herr kam völlig überraschend in aller Herrgottsfrühe, nicht mit dem planmäßigen Schnellzug, sondern mit einem Güterzug, in den er sich seinen Salonwagen hatte einstellen lassen. Er ritt mit seinem Adjutanten zur Kaserne, alarmierte das Regiment und rückte dann mit der Truppe nach dem großen Exerzierplatz. Wie immer auf dem Marsch durch die Stadt wollte die Musik ihre schönsten Weisen ertönen lassen, aber Excellenz winkte ab: „Lassen wir das, Herr Oberst, wenn eine Truppe alarmiert ist, hat sie so schnell wie möglich zu marschieren, um den Bestimmungsort zu erreichen; die Musik hält nur auf.”

Der Adjutant sprengte davon, um den Herrn Kapellmeister davon zu benachrichtigen, daß Excellenz momentan auf jeden Kunstgenuß verzichte, und im Geschwindschritt ging es nach dem großen Platz, wo der lose Sand, den die Soldatenbeine feststampfen sollten, vorläufig mit dem Morgenwind noch eine Luftpromenade machte.

Excellenz war ein Mann der That, mit einer langen Einleitunghielt er sich nicht erst auf und so begann das Exerzieren, als die erste Kommiß­stiefel­sohle den Exrzierplatz betrat.

Dem Herrn Oberst war das nicht sehr angenehm, er hatte gehofft, erst würden die Spielleute besichtigt werden und das Ergebnis würde den hohen Herrn zur höchsten Milde stimmen, er hatte Excellenz unterwegs von seinem neuen Tambourmajor erzählt und den Mann nach Gebühr gelobt: „Der Mann ist sehr stramm im Dienst und außerdem sehr musikalisch, er spielt das Waldhorn, soviel ich davon verstehe, ein sehr schwer zu erlernendes Instrument.”

Die letzten Worte sollten der Eitelkeit Sr. Excellenz schmeicheln, aber sie erreichten gerade das Gegenteil — der hohe Herr ärgerte sich und wurde grob: „Was hat der Mann das Waldhorn zu blasen? Das kann er später thun, wenn er kommandierender General, ich meine natürlich, Civilbeamter ist, denn bis zur Excellenz wird er es wohl schwerlich bringen. Der Mann muß viel freie Zeit haben — mir wäre es lieber, er schlüge die Trommel und bliese Signale. Nun, wir werden ja sehen, was Ihr Mann kann.”

Der Herr Oberst hob sich einen Augenblick in den Steigbügeln, er hatte so die Empfindung, als hätte er sich ganz scheußlich in die Brennesseln gesetzt.

Das Exerzieren nahm seinen Fortgang und erreichte sein Ende. „Gut, gut!” hatte der hohe Herr ein paar Mal gesagt und dankend hatte der Herr Oberst darüber quittiert.

Das Gefecht begann und ein Spielmann trat, der Vorschrift gemäß, zu Excellenz, aber der war anderer Ansicht. „Der Tambourmajor des ersten Bataillons soll kommen und sein Signalhorn mitbringen.”

Der Gerufene erschien und prüfend musterte Excellenz den vor ihm Stehenden. „Schade, daß er das Waldhorn bläst,” dachte der General, „sicher bläst er es besser als ich und das nimmt mich gegen ihn ein.” Seine Stimme klang nicht allzu wohlwollend, als er nun fragte: „Können Sie blasen?”

„Zu Befehl, Ew. Excellenz!”

„Schön, blasen Sie: Offiziersruf.”

„Zu Befehl, Ew. Excellenz!” Das klang so stramm, so militärisch wie nur möglich und mit einer kurzen, exakten Bewegung führte er das Horn an den Mund.

Voll Stolz und voller Freude blickte der Herr Oberst auf seinen Untergebenen: der wird die Sache schon machen, und wenn der Trompeter von Säkkingen in zahllosen Häusern hing, verdiente dieser erst recht photographiert und vervielfältigt zu werden.

„Blasen Sie jetzt,” befahl Excellenz.

Dieser Befehl war unnötig, denn der Tambourmajor blies schon seut einer halben Minute, er blies, daß ihm die Augen übergingen, daß die Backen aufschwollen wie ein mit Gas gefüllter Ballon, er blies, daß die Lungen schmerzten und daß die Brust zu zerspringen drohte, aber das Instrument blieb stumm.

„Barmherziger Himmel,” dachte der Tambourmajor, „nun habe ich ausgerechnet das Horn eines Reserve-Spielmanns erwischt. Die Leute können nur die Signale und damit sie bei den Märschen, wenn sie die Hörner pro forma an dem Mund haben, keinen Unfug blasen, habe ich ihnen befohlen, Watte in das Instrument zu stecken. Die ist nun noch drinnen, das aber darf keiner wissen, heraus muß sie.”

Für den zehnten Bruchteil einer Sekunde schöpfte er neuen Atem, dann aber nahm er alle Kraft zusammen: der Wattepfropfen flog heraus, aber gleichzeitig gab das Instrument einen gräßlichen, durch Mark und Bein gehenden entsetzlichen und grausamen Ton von sich, daß nicht nur die Reiter sich vor Entsetzen wandten, sondern auch die Gäule sich umwandten, um diesen Ort des Schreckens zu fliehen — es hätte nicht viel gefehlt und Excellenz hätte die Mutter Erde geküßt.

Aber der Himmel half ihm, er blieb oben und von seiner Höhe herab sagte er: „Herr Oberst, Sie haben Recht mit ihren Worten, die Sie vorhin sagten, der Mann ist ein großer Künstler, denn so falsch blasen kann nicht jeder, das erfordert viel Übung, viel Talent und viel Ausdauer. Sagen Sie mir bitte, wo haben Sie denn diesen militärischen Kuhhirten aufgetrieben?”

Der Herr Oberst knickte zusammen, als würden ihm mit einem einzigen Ruck seine sämtlichen Zähne ausgezogen: „Kuhhirte” hatte Excellenz gesagt, „Kuhhirte” hatte er seinen Tambourmajor genannt, auf den er so stolz war. Schön war ja auch nach seiner Meinung der Ton nicht gewesen, den der Bataillons­tambour seinem Instrument entlockt hatte, aber das Urteil war denn doch entschieden zu hart.

Excellenz war so erschüttert, daß er auf das Gefecht verzichtete, er hatte von dem, was er gesehen und gehört hatte, mehr als genug.

„Meine Herren,” sagte er bei der Kritik, „ ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß ich selbst sehr musikalisch bin und selbst musiziere. Da muß ich dringend, verstehen Sie mich wohl, dringend bitten, daß mir ein solches Geblase, wie ich es eben vernahm, erspart bleibt. Wenn der Tambourmajor so bläst, wie blasen da erst die Spielleute? Ich habe es zwar nicht gehört, aber sagen will ich es Ihnen trotzdem, wie die erwachsenen Ferkel, meine Herren, und solche Leistungen verbitte ich mir auf das energischste. Ich habe keine Lust, mir durch ein derartiges hundsmiserables Getute die Freude an der Musik verderben zu lassen. Das sage ich Ihnen im Guten — das nächste Mal werde ich grob, s—ehr grob. Danke.”

Excellenz ritt davon,am Abend war er wieder zu Haus und als erstes holte er sein geliebtes Waldhorn hervor: „Wie kann man nur so falsch blasen?” dachte er, „das ist ja furchtbar.”

Dann setzte er das Instrument an die Lippen und entlockte diesem, ohne daß sich in demselben ein Wattepfropfen befand, Töne, die so grausam waren, daß sein Teckel Waldmann sich einen Eid schwur, morgen früh seinem Herrn for ever zu entlaufen und sich für keine ausgesetzte Belohnung wiederfinden zu lassen.

Excellenz aber ahnte nichts von den Gedanken dieser Hundeseele, er blies ruhig weiter und während er weiterblies, dachte er: „Es ist doch etwas Schönes um die Musik — vorausgesetzt, daß man sein Instrument beherrscht. Der Tambourmajor muß entlassen werden, der Mann ist ja imstande, die ganze Musik in Mißkredit zu bringen.”

Am nächsten Tag lief Waldmann, seinem Schwur getreu, davon, und wenig später wanderte auch der Tambourmajor. — Excellenz aber blieb, denn bei einem musikalischen Wettstreite bleibt eben der Musikalischste der Sieger.


zurück zur

Schlicht-Seite