Die Manöverbrücke.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt” vom 13.10.1901 und
in: Der höfliche Meldereiter.


Es war im Manöver, und der Führer des Norddetachements hatte die Offiziere um sich versammelt und gab die Befehle aus. Als er geendet hatte, wandte er sich an Seine Exzellenz, den Herrn Divisions­kommandeur, des als Leiter des Ganzen über beiden Parteien schwebte und sich heute vor Beginn des Gefechtes bei der Nordpartei eingefunden hatte.

„Befehle ausgegeben, Exzellenz,” meldete der General, der heute das Detachement führte.

Exzellenz legte dankend die Hand an den Helm:„Meine Bemerkungen zu Ihren Anordnungen behalte ich mir natürlich bis zur Kritik vor; schon jetzt aber kann ich Ihnen sagen, daß ich im großen und ganzen mit dem, was Sie befohlen, einverstanden bin. Ich hatte jetzt nur noch einen persönlichen Wunsch, selbstverständlich ohne im geringsten in Ihre Machtbefugnisse eingreifen zu wollen.”

Dieses Mal legte der Herr General die Rechte an den Helm und dienerte: „Bitte gehorsamst, Eure Exzellenz; ganz wie Eure Exzellenz befehlen.”

„Sie haben in Ihrem Befehl gesagt, Herr General,” nahm nun der Divisions­kommandeur das Wort, „daß die Pioniere aus dem Material des Divisions-Brücken-Trains eine Brücke über den Aarbach schlagen sollen. Damit Herr General, daß Sie diese Brücke bauen lassen, bin ich sehr einverstanden, denn erstens sind die Pioniere dazu da, damit sie Brücken bauen, und zweitens kann man nie wissen, wozu man sie braucht. Na, und wenn man sie nicht braucht, dann kann man sie ja wieder abbrechen lassen.”

Ein leises ironisches Lächeln umspielte den Mund aller Offiziere, die diesen Worten Seiner Exzellenz lauschten, denn leider wird der sehr, sehr schwere Dienst der Pioniere namentlich von den jungen Leutnants unterschätzt und nach einem alten Wort werden die Manöverbrücken nur gebaut, um wieder abgebrochen zu werden, oder aber um einzustürzen.

„Denn der größte Teil des Korps
Zog die alte Brücke vor”

heißt es schon in dem alten Liede — einer neuen vertraut sich niemand an, wenn er nicht muß, lieber geht er neben der Brücke durch das Wasser.

„Wie ich schon sagte, Herr General,” fuhr Exzellenz nach einer kleinen Pause fort, „bin ich damit einverstanden, daß die Brücke gebaut wird, ganz einverstanden, nur nicht mit der Art des Bauens. Im Gegensatz zu Ihnen möchte ich, daß die Pioniere nicht den vorhandenen Divisions-Brücken-Train benützen, sondern daß sie die Brücke aus unvorbereitetem Material herstellen. Natürlich ist das sehr viel schwieriger, das gebe ich gerne zu, aber geübt werden muß es doch, und nach meiner Meinung eignet sich gerade der heutige Tag sehr gut dazu — glauben Sie nicht auch, Herr General?”

„Offen und ehrlich gestanden, habe ich keine Ahnung, warum gerade der heutige Tag sich zu einem solchen Experiment besonders eignen soll,” dachte der Herr General, laut aber sagte er: „Zu Befehl, Eure Exzellenz.”

„Na, das freut mich, ich wußte es ja, daß Sie mir zustimmen würden,” fuhr der Herr Divisions­kommandeur fort, dann wandte er scih an den Kommandeur des Pionier­bataillons: „Wie lange werden Sie gebrauchen, um in der angegebenen Weise die Brücke an der Ihnen von dem Herrn General genau bezeichneten Stelle zu bauen?”

Der Major hatte mit keineswegs freudigem Empfinden den bisherigen Worten Sr. Exzellenz gelauscht, er wußte auch, welchem Umstande er die Abänderung des Befehls verdankte. Exzellenz liebte die Pioniere im allgemeinen nicht und ihn, den Major, im besonderen nicht. Und wie alles auf Erden hatte auch das seinen Grund. Exzellenz war ein leidenschaftlicher Jäger, und der Major war es auch. Beide hatten sich um ein sehr schönes Jagdrevier, das zu verpachten war, beworben, und trotzdem Exzellenz zwanzig Mark mehr geboten hatte, war die Jagd dennoch von der Gemeinde dem Major zugesprochen worden, weil es bekannt war, daß Exzellenz wild darauf los knallte und alles abschoß, während der Major die Jagd nicht nur mit Passion, sondern auch mit Verständnis betrieb.

Und daß der Major nun die schöne Jagd hatte, nahm Exzellenz ihm persönlich übel, und es ärgerte ihn jedesmal von neuem, so oft er den Major nur sah.

„Nun, wie lange werden Sie gebrauchen?” fragte der Vorgesetzte noch einmal.

„Das ist schwer, wenn nicht ganz unmöglich, im voraus zu bestimmen, Exzellenz,” gab der Herr Major zur Antwort, „das hängt ganz davon ab, ob ich überhaupt in der Nähe der Brückenstelle das nötige Material vorfinde oder mir dasselbe von weither holen muß. Für den Bau selbst werden zwei Stunden genügen.”

„Und zwei Stunden will ich Ihnen geben, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen,” erwiderte Exzellenz. „Es ist jetzt sieben Uhr, eine halbe Stunde brauchen Sie, bis Sie an Ort und Stelle sind, um halb zwölf also ist die Brücke fertig.”

In einer wahrhaft grausigen Stimmung ritt der Major gleich darauf mit seinem Adjutanten davon. „Exzellenz will mir eine Falle stellen,” sagte er schließlich, „das ist ganz klar, denn was nützt mir der schönste Divisions-Brücken-Train, wenn ich ihn nicht benutzen kann. Was Exzellenz da von mir verlangt, kommt mir ungefähr so vor, als wenn jemand zu einem Luftschiffer sagt: „Verehrter, steigen Sie mal schleunigst in die Lüfte, aber gefälligst ohne Ihren Ballon.”

„Na, ganz so schlimm ist es nun doch noch nicht, Herr Major,” versuchte der Adjutant seinen erregten Herrn zu beruhigen.

„Aber doch beinahe so schlimm,” lautete die zornige Entgegnung. „Na, wir müssen sehen, das Kunststück, so gut es geht, fertigzubringen. Überbringen Sie dem ältesten Leutnant den Befehl, mit dem Bataillon nach der Brückenstelle abzurücken, und sagen Sie den berittenen Herren, sie möchten zu mir kommen, um mit mir vorauszureiten.”

Unterdes hatte das Detachement unter der Führung des Generals seinen Vormarsch angetreten und zog mutig in den Kampf. Aber allzu freudig war die Stimmung nicht, es war eine glühende Hitze, seit Tagen hatte es nicht geregnet, und die nagelbeschlagenen Stiefel wirbelten einen fast undurchdringlichen Staub auf, so daß alle bald in des Wortes wahrster Bedeutung — die Nase voll hatten.

Am meisten aber trübte es die gute Laune, daß alle ganz genau wußten, daß das Gefecht bis zum späten Mittag dauern würde, denn vor einhalb zwölf wurde die Brücke ja nicht fertig. Und ehe Exzellenz die Brücke dann besichtigt hatte und ehe die Kritik dann zu Ende war, und ehe man dann ins Quartier kam, und ehe man dann etwas zu essen kriegte, wurde es wenigstens vier Uhr. Und Hunger hatten alle jetzt schon. Die Leute wurden wütend, die Herren Leutnants wurden ärgerlich, die berittenen Offiziere mißmutig, und mit wahrem Heldenmut stürzten sich alle auf den Gegner, der eine starke Verteidigungs­stellung eingenommen hatte.

Da jagten die Adjutanten und Ordonnanz­offiziere Sr. Exzellenz über das Manöverfeld und überbrachten Befehl, nicht zu stürmisch vorzugehen und das feindliche Feuer mehr zu respektieren.

Ehe die Brücke nicht fertig war, sollte der Sturmangriff nicht unternommen werden, bis dahin galt es, den Gegner durch ein langsames Feuer hinzuhalten.

Auf einer Anhöhe hielt Exzellenz neben seinen Generals­stabs­offizieren. „Wenn ich es mir recht überlege,” sagte er, „so war der Auftrag, den ich dem Major gab, eigentlich recht unüberlegt, denn wenn der Major die Brücke wirklich fertig bringt, so kann ich sie ja doch nicht benützen, weil sie taktisch für mich keinen Wert hat und weil sie außerdem ja doch nicht hält.”

„Soll ich zu den Pionieren hinreiten und den Befehl wieder rückgängig machen?” fragte der General­stabs­offizier. Exzellenz lehnte ab: „Was befohlen ist, ist befohlen. Eine Änderung der getroffenen Dispositionen muß schon deshalb nach Möglichkeit vermieden werden, um den Leuten die Lust und Liebe an ihrem Dienst nicht zu nehmen. Lassen wir die Pioniere ruhig weiterbauen, denn wozu sind die berühmten, ewig einstürzenden Manöverbrücken da, wenn sie nicht geschlagen werden sollen?”

Unterdes bauten die Pioniere mit einem wahren Bienenfleiß. Teilweise bis an die Brust im Wasser stehend, brachten die Leute die Blöcke in den Bach und befestigten die Streckbalken und den Belag. Der Major hatte seinen Mannschaften aus den Kantinenmitteln für den Abend mehrere Faß Bier in Aussicht gestellt, wenn die Brücke bis zur befohlenen Stunde fertig würde, aber fast mehr noch als die Belohnung reizte der Gedanke, nicht nur den Vorgesetzten, sondern auch den Kameraden der anderen Waffengattungen zu zeigen, was sie könnten. So arbeiteten sie weiter, ohne sich eine Minute Rast zu gönnen, und pünktlich um einhalb zwölf Uhr hielt der Adjutant der Pioniere neben dem Herrn Divisions­kommandeur.

„Die Brücke ist fertig, Eure Exzellenz.”

„So — — wirklich?” fragte der Herr Divisions­kommandeur nicht ohne einen leisen, ironishen Anflug. „Da bin ich aber begierig. Bitte, kommen Sie, meine Herren, damit wir uns das Wunder ansehen.”

Gefolgt von seiner Suite ritt Exzellenz davon, aber schon nach einer Viertelstunde kam er zurück und gleich darauf ertönte das Signal zur Kritik.

„Gott sei Dank,” sagten alle, die es hörten, auch die Offiziere, aber die sagten es leider zu früh. Exzellenz befand sich in einer wahrhaft grausigen Stimmung; trotzdem er am frühen Morgen dem General erklärt hatte, daß er im großen und ganzen mit seinen Anordnungen zufrieden sei, hatte er jetzt nur Worte des Tadels. Und nicht nur mit der Führung des Detachements war Exzellenz unzufrieden, sondern auch mit der Führung der Regimenter, der Bataillone, der Kompagnien, und der Züge. Weder die Infanterie, noch die Artillerie fand ein Wort des Beifalls.

Aber am allerschlechtesten kamen die Pioniere weg — für die hatte Exzellenz überhaupt keine Worte — er erwähnte sie gar nicht.

„Aber um Gottes willen, was hatte denn Exzellenz nur bei der Kritik?” fragte der General am Nachmittag einen Ordonnanz­offizier des Herrn Divisions­kommandeurs, mit dem er in demselben Quartier lag, „das war ja entsetzlich — so grob habe ich Exzellenz noch nie gesehen, was hatte er denn nur?”

Der Galoppin machte ein sehr geheimnisvolles Gesicht.

„Ja, ja, Exzellenz war sehr schlechter Laune, aber Herr General müssen auch bedenken, was ihm passiert ist. Nachdem er zu den Pionieren geritten und sich die Brücke angesehen hatte, ließ er das Bataillon antreten und über die Brücke gehen.”

„Wie konnte Exzellenz aber auch nur so unvorsichtig sein?” fragte der General erschrocken. „Exzellenz mußten doch wissen, daß die Brücke einstürzen würde. Sind Leute verunglückt?”

„Nein, nein, das nicht,” beruhigte ihn der Galoppin, „die Pioniere können ja alle schwimmen. Nein, wenn nichts Schlimmeres passiert wäre, als das, was der Herr General annehmen, das hätte Sr. Exzellenz die Laune nicht verdorben.”

„Ja, aber ich verstehe nicht, was ist denn passiert?” fragte der General.

Und in Wort und Gebärde das höchste Erstaunen ausdrückend, sagte der Leutnant: „Denken Sie sich nur, Herr General — zu glauben ist es allerdings kaum — die Brücke hat gehalten!”


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