Das Kasernengespenst.

Eine Besichtigung von A-Z.

VII.
Das Liebesmahl.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: Der höfliche Meldereiter und
in: Das Kasernengespenst.
(Nicht identisch mit der Erzählung „Das Liebesmahl” aus „Militaria”)


Die Besichtigung der zwölf Kompagnien ist beendet, und in der Schlußkritik haben die hohen Vorgesetzten anerkannt, daß mit eifrigem Fleiß an der Ausbildung der Truppe gearbeitet worden ist. Natürlich hätten die Leistungen, so vollkommen sie auch waren, noch vollkommener sein können, aber troz alledem und im allgemeinen sowohl wie im besonderen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände, na, kurz und gut — es war gut.

Das hören alle mit Freuden, und sie geloben sich bei ihren Ahnen, und wenn sie die nicht haben, geloben sie es sich bei ihren Vorfahren, die gute Zensur, die sie erhalten haben, dadurch zu feiern, daß sie sich heute abend ganz gehörig die Nase begießen.

Denn heute ist großes Liebesmahl. Das Offizierkorps hat die hohen Vorgesetzten eingeladen, mit ihm im Kasino zu essen. Es ist allen Herren des Regiments ein aufrichtiges Herzensbedürfnis, wie der Oberst es so schön sagte, noch einmal mit den Exzellenzen zusammen zu sein.

In Wirklichkeit wäre es natürlich allen viel lieber, wenn sie nicht kämen, denn die Anwesenheit der hohen Herren legt immer einen gewissen Zwang auf. Man kann, wenigstens im AQnfang, nicht so viel trinken, wie man gerne möchte, weil man dann schon zu früh betrunken ist und unangenehm auffällt. Vor allen Dingen aber kann man, wenn die Vorgesetzten noch da sind, nicht „Hurra!” schreien, weil sie schon fort sind.

Es ist großes Liebesmahl. Die Leutnants habensich vorgenommen, sich ganz gehörig zu betrinken, und die älteren Herren haben ihren Ehefrauen erklärt, es hätte keinen Zweck, heute abend auf sie zu warten, es würde heute wahrscheinlich doch etwas später werden.

Die Leutnants und die älteren Herren wollen alle dasselbe, sie drücken es nur anders aus.

Die Tafel ist mit Blumen und hübschem Silbergerät festlich dekoriert, und in der Mitte des Tisches sitzen die hohen Exzellenzen, rechts und links schließen sich die Offiziere des Regiments an.

Auch die Fähnriche essen mit. Das ist eine Ehre und Auszeichnung für sie, die sie absolut nicht verstehen; denn bei einem solchen Liebesmahl wird ein Fähnrich derartig betrunken gemacht, daß er noch drei Tage lang einen Kater hat. Sprechen kann man bei dem besten Willen mit einem Fähnrich nicht viel, schon deshalb nicht, weil man nie weiß, ob er es wirklich bis zum Leutnant bringt. Auf der anderen Seite aber muß man den Fähnrichen zeigen, daß man es gut mit ihnen meint, daß man die besten Wünsche für ihre geistige und körperliche Weiterentwicklung hegt, und das tut man am besten, indem man ihnen alle Augenblicke zutrinkt. Der Leutnant nippt nur an seinem Glase, der Fähnrich aber muß es, wenn es auch noch so groß und noch so voll ist. jedesmal bis auf den Grund leeren.

Der Magen eines Fähnriches ist der reine Müllkasten. Es ist unglaublich, was da alles hineingeschüttet wird.

Es ist eine alte Erfahrung, daß man viel schneller betrunken wird, wenn die Klänge der Musik das Trinken begleiten.

Die Regimentskapelle hat im Nebenzimmer Platz genommen. Mit dem Einzug der Gäste auf der Wartburg begann das Konzert, dann kam die Dollarprinzessin(1) und dann die Puppenfee. Jetzt spielen sie voller Gefühl die Ouvertüre zu Lohengrin, aber gerade, als die Geigen süß klingen und singen, schlägt der Herr Oberst an sein Glas, um seine Rede vom Stapel zu lassen.

Die Musik bricht a tempo ab, und an der Tafel herrscht feierliche Stille. Man hört nichts, als einige halblaute „Gluck, gluck”, mit denen einige durstige Kehlen sich noch einmal stärken, um die Rede des Herrn Oberst auch ertragen zu können. Man weiß schon im voraus, was er sagt: Er wird den hohen Exzellenzen dafür danken, daß sie dem Offizierkorps die Ehre ihres Besuches erwiesen, er wird im Namen aller Herren seiner großen Freude darüber Ausdruck geben, daß es ihnen vergönnt ist, heute noch einmal mit ihnen zusammen zu sein, er wird der Hoffnung Ausdruck geben, die hohen Herren hier bald wieder begrüßen zu können.

Gott sei Dank faßt der Kommandeur sich kurz. Die Auuforderung zum Hurra kommt schneller, als man zu hoffen wagte, und so rufen den jetzt alle voller Begeisterung: „Hurra! Hurra! Hurra!”

Die Musik spielt einen Tusch, umd dann in einen flotten Marsch überzugehen.

Aber mitten in den Marsch hinein fällt die Rede des kommandierenden Generals.

Er erklärt, er müsse reden, obgleich er sich fest vorgenommen habe, es nicht zu tun. Aber das Hurra! hat ihm eben bewiesen, ein wie ausgezeichneter Geist in dem Offizierkorps wohnt, er hat es dem Hurra angehört, daß es den Herren nicht aus der Kehle, sondern aus dem Herzen kam; er freut sich, daß er hier war, er freut sich, daß er bald wiederkommen wird und er hofft, dann das Offizierkorps in derselben glänzenden Verfassung anzutreffen wie jetzt.

Dem Regiment und dem ausgezeichneten Geist des Offizierkorps gilt sein Hoch.

Und dieses Mal rufen wirklich alle aus Überzeugung Hurra! Die Leutnants sind gerührt, daß sie so famose Kerle sind. Das haben sie zwar schon lange gewußt, aber daß es ihnen jetzt gewissermaßen offiziell bestätigt wird, das macht sie sehr stolz.

Man ist schon lange bei dem Sekt angekommen, natürlich bei dem deutschen. Wenn man viel von dem Zeug trinkt, hat man bald den Geschmack dafür verloren, ob er gut oder schlecht schmeckt. Na, die Hauptsache beim Sekt ist und bleibt doch, daß es Sekt ist.

Wenn die Exzellenzen doch erst fort wären!

Alle haben nur diesen einen Gedanken. Man möchte so gerne froh und ausgelassen sein, man möchte so gerne die Abreise der hohen Herren feiern, aber dazu müssen sie doch erst fort sein, oder wenigstens erst das Hotel aufgesucht haben, in dem sie heute nacht noch schlafen, bis sie in aller Frühe den Morgenzug zur Rückfahrt benutzen.

Wenn sie doch erst fort wären! Aber bis sie gehen, kann es immer noch ein paar Stunden dauern.

Da ertönt plötzlich von dem Hof herauf der Gesang eines Männerchores. Die Sänger des Regiments haben sich vereinigt, selbstverständlich auf Befehl ihrer Vorgesetzten, und bringen nun den hohen Exzellenzen eine Huldigung — „Geboren und entstanden aus der Liebe ubd Verehrung, die die Untergebenen den hohen Herren entgegenbringen” — wie der Herr Obers erläuternd hinzufügt.

Wissen die Exzellenzen wirklich nicht, wieviel Arbeit es gekostet hat, den Kerls diese Lieder einzustudieren? Glauben die wirklich, daß dieser poetische Gedanke dem Schädel der Leute entsprungen ist, die gar nicht wissen, was Poesie ist?

Die Exzellenzen sind gerührt und erfreut. Am meisten aber freut sich über diese Unterbrechung die Regimentsmusik, die kann nun endlich eine Pause machen und über die bereitstehenden Schinkenstullen herfallen. Und auch ihren Durst kann sie aus einem bereitstehenden Faß Münchener Bier löschen.

Der Sängerchor da unten singt: „Wer hat dich du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben.”

Gibt es einen Männerchor, der das Lied nicht singt? Dann kommt ein Lied an den Mond, der ebenso unsichtbar ist, wie der eben angesungene Wald, aber das schadet ja nichts.

Der kommandierende General steht, von der ihm dargebrachten Huldigung überwältigt, am offenen Fenster und lauscht. Und mit ihm lauscht der Divisions­kommandeur, und während er lauscht, denkt er darüber nach, ob er wohl auch einmal kommandierender General wird, und ob man dann auch ihm eine Serenade bringen wird? Wenn so etwas in die Zeitungen kommt, macht es einen guten Eindruck, das zeigt dann am deutlichsten, welch vortreffliches Einvernehmen zwischen den Vorgesetzten und den Untergebenen besteht.

Alle lauschen, nur die Leutnants nicht. Für sie ist an den geöffneten Fenstern ja doch kein Platz, so bleiben sie ruhig sitzen und benutzen die Gelegenheit, die noch halbvollen Flaschen schnell leer zu trinken und sich neue kommen zu lassen, ohne daß es bemerkt wird. Wenn die Vorgesetzten sehen, wie lange die Herren an einer Flasche trinken, dann wird ihre Überzeugung von dem guten Geist, der das Offizierkorps beseelt, immer fester und fester werden.

Die Serenade ist vorüber. Von seinem Fensterplatz aus hält der Kommandierende eine kurze Ansprache an die Sänger, er dankt ihnen für die Huldigung und schließt mit einem „Gute Nacht, Leute”.

„Gute Nacht, Exzellenz,” tönt es zurück.

Dieses „Gute Nacht” ist bis zur Bewußtlosigkeit eingübt. Wie auf den Proben, so zählte der Dirigent da unten auch jetzt leise „eins, zwei, drei” und erst nach dem „drei” brülten die Kerle ihr „Gute Nacht”.

Aber ein krummer Satan hinkt doch nach. Der schreit sein „Gute Nacht, Exzellenz” erst, als die anderen längst damit fertig sind.

„So'n krummer Hund,” schilt der Dirigent da unten leise vor sich hin. Exzellenz aber erhält daraus, daß der Gutenachtruf nicht klappte, die Gewißheit, daß er nicht einstudiert war, sondern daß er ebenso, wie das Ständchen selbst der Liebe und Verehrung für Vorgesetzte entsprang.

De Kommandierende ist glücklich, und um seine Dankbarkeit zu beweisen, beschließt er, noch länger im Kreise der Offiziere zu weilen, als es eigentlich seine Absicht war.

Wenn das die Leutnants wüßten, würden sie aus Verzweiflung noch mehr trinken, als bisher.

Der Kommandierende bleibt und bleibt. Alle verwünschen sein Sitzfleisch. Man möchte doch auch einmal Mensch unter Menschen sein und bleibt statt dessen immer Untergebener unter Vorgesetzten. Wie soll man da lustig und fröhlich werden?

Endlich schlägt es Mitternacht.

Alle atmen erleichtert auf. Wenn Exzellenz nun nicht geht, dann geht er nie.

Aber der Himmel hat ein Einsehen. Der Kommandierende geht, und mit ihm verschwinden die anderen Vorgesetzten.

Endlich allein.

Tische und Stühle werden beiseite geschoben, die Musik spielt einen Galopp, und in wildem Jagen stürmen sie dahin, sie müssen sich austoben.

Endlich allein.

Und sie toben und toben und trinken und trinken.

Die Exzellenzen sind fort, man fühlt sich wie neugeboren, man ist von einem schweren Alp erlöst, man tanzt und trinkt und trinkt und trinkt.

In einer Ecke sitzt ein Leutnant und will für eine Flasche Wein seinen Namen auf einen Bon schreiben. Aber er kann sich absolut nicht mehr darauf besinnen, wie er heißt. Mit blöden Augen blickt er vor sich hin, dann wendet er sich an einen Kameraden, der an ihm vorüberschwankt: „Du, weißt du nicht, wie ich heiße?”

Der sieht den anderen an, als wäre der ein wildfremder Mensch. Dann sagt er: „Keine Ahnung, aber ich werde mal den Müller fragen, vielleicht weiß der es.”

Aber er gibt sich gar nicht erst die Mühe, den Kameraden Müller zu suchen, er weiß ganz genau, daß er ihn doch nicht mehr unter den anderen herausfindet.

Die Musik ist fortgeschickt, es merkt doch kein Menschn mehr, ob noch gespielt wird oder nicht.

Stunde auf Stunde verrinnt, bis plötzlich der Spielmann der Wache das Signal bläst: „Habt ihr noch nicht lange genug geschlafen?”

Da fällt es den Zechern ein, daß es nun wohl bald Zeit wird, nach Haus zu gehen.

Nach einer weitere Stunde ist das Kasino leer, alle sind gegangen, um sich schlafen zu legen.

Und vor dem Einschlafen haben sie alle noch einmal den sie beglückenden Gedanken: Gott sei Dank, die Besichtigung ist vorüber!

Gott sei Dank.

Trunken, wie sie sind, denken sie nur an den schönen Augenblick, nicht an die Zukunft. Was diese ihnen sonst alles bringt, wer kann das wissen? Aber eins bringt sie ihnen sicher: Sehr bald eine neue Besichtigung. Denn die hohen Vorgesetzten, die zur Besichtigung kommen, lösen sich ab, wie die Posten vor dem Schilderhause.


Fußnote:

(1) Die Operette „Die Dollarprinzessin” wurde am 2.Nov. 1907 am Theater an der Wien uraufgeführt. (zurück)


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