Sergeant Krause und sein Rekrut

Humoreske von Freiherr v. Schlicht

in: „Aber so was!”


In der schönen, seligen Zeit damals, als noch kein Mensch auf Erden oder wenigstens in Deutschland glaubte oder auch nur daran dachte, daß es jemals einen Krieg, geschweige denn einen Weltkrieg geben würde, war der Sergeant Krause nicht nur nach seiner eigenen Überzeugung, sondern auch nach dem Urteil seiner Vorgesetzten, die ja, schon weil sie die Vorgesetzten waren, es noch besser wissen mußten, nicht nur der Stolz und die Zierde der ersten Kompanie, sondern als rechter Flügelunteroffizier des ersten Zuges der ersten Kompanie, namentlich bei Paraden und bei anderen militärischen Festlichkeiten auch der Stolz und die Zierde des ganzen Infanterie­leib­regiments, in das er vor acht Jahren als ganz gewöhnlicher und ganz gemeiner Rekrut eingetreten war und in dem er es, wie er es zuweilen mit Vorliebe zu betonen pflegte, einzig und allein durch seine gute Führung, durch seine geistigen Fähigkeiten, durch sein brillantes Schießen und nicht zuletzt durch seinen untadelhaften Parademarsch zu seiner jetzigen hohen militärischen Stellung gebracht hatte. Ja, er besaß sogar die Aussicht, in nicht zu ferner Zeit Vizefeldwebel zu werden, aber allzusehr lockte ihn diese bevorstehende Beförderung nicht, denn alle Vize waren nach altem Brauch in seinem Regiment von der Ausbildung der Rekruten befreit, die leiteten den Dienst der wenigen alten Mannschaften. Das aber war nicht nach seinem Geschmack, denn der schönste Dienst, den es für ihn gab, war das Ausbilden der Rekruten, und er kannte es gar nicht anders, als daß seine Rekruten in jedem Jahr die besten waren, nicht nur die besten des Bataillons, sonden auch die des Regiments, und einmal waren seine Leute, nach dem Ausspruch des kommandierenden Generals, der das Leibregiment als letztes besichtigte, sogar die besten im ganzen Armekorps gewesen!

Über dieses Lob und über diese Anerkennung hatte Sergeant Krause, ein großer, schlanker, bildschön gewachsener Mensch mit einem hübschen Gesicht, aus dem zwei große dunkle Augen stolz und siegesgewiß und auch etwas selbstbewußt in die Welt blickten, und dem ein mächtiger Schnauzbart zur besonderen Zierde gereichte, sich natürlich sehr gefreut, aber die Rekruten, die er von dem Tage an zur Ausbildung bekam, freuten sich darüber sehr viel weniger, denn gleich vom ersten Tage an machte Sergeant Krause den ihm persönlich anvertrauten Leuten klar, daß ihnen die ehrenvolle Aufgabe bevorstände, die am besten ausgebildeten Rekrruten des ganzen Armeekorps zu werden, und gleichzeitig versprach er ihnen, seinerseits alles zu tun, was er nur könne, damit sie dieses hohe Ziel auch erreichten. Aber so ehrgeizig Sergeant Krause für seine Person auch war, seine Rekruten waren es für ihren Teil nicht in demselben Maße, ihnen wäre ein etwas weniger strenger Vorgesetzter zuweilen lieber gewesen, wenngleich sie ihm das Zeugnis ausstellen mußten, daß er zwar streng, aber auch gerecht war. Und dazu kam, daß er nie fluchte und sie nie mit Schimpfworten belegte, ja er hielt sich selbst dann, wenn meilenweit kein Vorgesetzter zu sehen war, an den Regimentsbefehl, der es streng verbot, einen Rekruten, ganz einerlei wer es sei und was der auch immer an Dummheiten verbrochen habe, jemals mit Du statt mit Sie anzureden. Aber trotz alledem hatten seine Leute nichts bei ihm zu lachen, obgleich Sergeant Krause natürlich zuweilen auch einen Witz machte und sie gelegentlich durch eine seiner Reden in gute Stimmung zu versetzen suchte. Das aber tat er stets dann, wenn er einmal von seinen Mannschaften gar zu viel verlangt hatte, denn im Grunde seines Herzens war er ein sehr gutmütiger Mensch, und sein Augenrollen und das Zittern seiner langen Schnurrbartspitzen waren nicht halb so ernsthaft gemeint, wie es meistens aussah. Doch davon durften seine Untergebenen natürlich nichts wissen, denn sonst hätten die vielleicht den Respekt vor ihm verloren, und Respekt mußte sein, Respekt, Disziplin und Subordination, denn das war und blieb beim Militär nun einmal die heilige Dreieinigekeit, oder das, was man bei den Zivilisten Glaube, Liebe und Hoffnung nannte.

Auch in diesem Jahr war Sergeant Krause wieder als Rekruten­unteroffizier tätig, und unter seinen Leuten befand sich diesmal einer, der ebenfalls auf den Namen Krause hörte, und der seiner langen Körpermaße wegen zur ersten Kompanie gekommen war. Das war aber dem Sergeanten Krause aus dienstlichen und auch aus persönlichen Gründen nicht lieb. Aus dienstlichen deshalb nicht, weil er die militärische und die moralische Verpflichtung in sich fühlte, gerade aus diesem Rekruten ein außerordentlich brauchbares und nützliches Mitglied der Armee zu machen, und aus persönlichen Gründen erst recht nicht. Aber welcher Art die waren, das ging ja schließlich keinen Menschen etwas an, es war mehr als genug, daß sein Hauptmann und der Feldwebel um sie Bescheid wußten. Er selbst sprach nie darüber, und er hatte auch dem Rekruten Krause bei Todestrafe und zehn Jahren Zuchthaus verboten, im Kameradenkreise jemals über seine Beziehungen zu ihm, dem Herrn Sergeanten, zu sprechen, damit nicht etwa einer der andern Kerle auf den zivilistischen Gedanken käme, er, der Herr Sergeant, könne und würde den Herrn Rekruten, der aber selbstverständlich glücklicherweise kein Herr, sondern nur ein ganz gewöhnlicher sterblicher Grenadier war, irgendwie bevorzugen und womöglich gar protegieren. Und damit der Rekrut Krause nicht etwa selbst auf die Vermutung käme, die zwischen ihnen bestehenden persönlichen Beziehungen könnten und würden ihn, den Vorgesetzten, vielleicht doch eines Tages veranlassen, ihn mit besonders zarten und besonders weichen Glacéhandschuhen anzufassen, faßte er den sogar mit ganz besonders harten und steifen Wildledernen an. Gerecht war er natürlich auch gegen den, aber er verlangte von ihm fast noch mehr als von den anderen. Der sollte von seinen besten Leuten der allerbeste werden, und deshalb ließ er ihm auch nicht die kleinste Bummelei und nicht die kleinste Ungeschicklichkeit durchgehen.

Und heute nachmittag hatte er sich vorgenommen, dem Rekruten Krause erst recht nichts durchgehen zu lassen, denn der war am Vormittag dem Herrn Hauptmann, als dieser die Rekruten im langsamen Schritt an sich vorbeimarschieren ließ, wenn auch nicht gerade in unangenehmer, so doch auch nicht in besonders angenehmer Weise aufgefallen, denn der Herr Hauptmann hat mit unwilliger Stimme geäußert: „Der Marsch des Rekruten Krause könnte besser sein, Sergeant Krause.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann,” hatte er zur Antwort gegeben, und das hieß in diesem Falle in ausführlichem Deutsch: ich bitte den Herrn Hauptmann, sich ganz auf mich zu verlassen. Ich werde dem Rekruten die fehlenden Kenntnisse schon beibringen, und zum zweitenmal soll es nicht wieder vorkommen, daß die Augen des Herrn Hauptmanns anders als mit dem größten Wohlgefallen auf dem Beinsatz des Rekruten Krause ruhen.

Nun hatte sich der Sergeant Krause den Rekruten Krause vorgerufen, damit der ihm unter seiner Anleitung etwas vormarschiere, aber bevor er den zum Marsch antreten ließ, korrigierte er zunächst sehr gründlich die Stellung des Mannes, der in strammer Haltung vor ihm stand, und als er damit fertig war, hielt er ihm eine seiner Reden, in der er ihn mit strengen Worten auf die Heiligkeit und Bedeutung des langsamen Schrittes im allgemeinen und auf die des Parademarsches im besonderen hinwies: „Nichts liegt mir ferner, Rekrut Krause, als mich irgendwie einer Gotteslästerung schuldig machen zu wollen, denn ich bin selbst ein frommer Christ und gehe schon deshalb alle vier Wochen in die Garnisonkirche, weil ich zum Gottesdienst kommandiert werde und also in die Kirche gehen muß. Aber trotzdem, wenn ein Soldat das linke Bein zum Parademarsch erhebt, dann muß ihm so feierlich zumute sein wie einem Zivilisten, der vor Gericht die rechte Hand zum Schwur erhebt. Und wie den, der da etwas Falsches oder Unrichtiges schwört, die härtesten irdischen und göttlichen Strafen treffen, so treffen diese auch den, der einen unrichtigen, das heißt, einen schlechten Marsch macht. Der Parademarsch ist nächst der Fahne das Heiligtum des Soldaten, und wenn der Soldat die Auszeichnung genießt, bei einem Vorgesetzten vorbeimarschieren zu dürfen, so ist das für ihn dasselbe, als wenn eine junge Frau sich zum erstenmal Mutter fühlt, oder als wenn sie zum erstenmal aus der Wiege den Schrei ihres neugeborenen Kindes hört. Nur wer von der Heiligkeit des Parademarsches, der aus dem langsamen Schritt herauswächst wie das Getreide aus dem Samenkorn, durchdrungen ist, nur der kann es bei dem so weit bringen, daß sogar die Regimentsmusik vor Erstaunen und Bewunderung, weil sie etwas derartig Vollkommenes noch nie sah, das Blasen vergißt und aus dem Taktstock herauskommt, weil er mit tadellos hochgeschmissenen Beinen und mit auswärts gesetzten Füßen, deren Spitzen vorschriftsmäßig zur Erde niedergedrückt sind, vorbeimarschiert.” In diesem Sinne sprach der Sergeant Krause noch eine ganze Weile auf den Rekruten Krause ein, der in tadelloser Haltung, die Beine und die Knie stramm durchgedrückt, vor ihm stand, bis er endlich zu ihm sagte: „So, Rekrut Krause, nun werden Sie mich hoffentlich verstanden haben, und nun werden Sie wissen, was alle Ihre Vorgesetzten bis hinauf zu Ihrem obersten Kriegsherrn von Ihnen verlangen und erwarten, wenn ich jetzt kommandiere: Bataillon — marsch!”

Gleich darauf kommandierte er: „Bataillon — marsch!” und er kommandierte, wie nur er es konnte, wenn er wollte: kurz, scharf, präzise, klar und deutlich kam das Kommando über seine Lippen, dabei zugleich elektrisierend und anfeuernd, daß das Locken der Spielleute, mit dem die Regimentsmusik angerufen wird, sich wieder zu ihrer Pflicht zu besinnen und ihrerseits weiterzublasen, dagegen eine ganz erbärmliche und einschläfernde Trauermusik war. Was war bei festlichen Gelegenheiten die berühmte Aufforderung zum Tanz gegen die Art, in der Sergeant Krause sein „Bataillon — marsch!” zu kommandiren pflegte? Und heute hatte er sich darin selbst übertroffen. Alle, die es gehört hatten, mußten nach seiner Ansicht, ob sie es wollten oder nicht, das linke Bein zum Himmel emporwerfen. Alle linken Beine auf dem ganzen Kasernenhof — und es waren viele hundert linke Beine da — mußten, als er das Kommando abgegeben, nach seiner Überzeugung rebellisch werden wie ausrangierte Zirkuspferde, in deren Ohren plötzlich wieder die Musik dringt, nach der sie früher, als sie noch jung und schön waren, ihre Künste in der Manege zeigten.

Aber trotz alledem, das einzige linke Bein, das durch die Luft fliegen sollte wie ein Fußball, der bei einem Wettspiel einen wohlgezielten Stoß bekommen hat, gerade dieses Bein rührte und regte sich nicht, das stand frei nach Schiller festgemauert auf der Erden und gab nicht das kleinste Zeichen irgendwelcher Bewegung von sich.

Und so etwas hatte der Sergeant Krause in seiner langjährigen ruhmreichen militärischen Laufbahn noch nicht erlebt. Tausenden, nein Zehntausenden von linken Beinen hatte er im Laufe der langen Jahre sein „Bataillon — marsch!” zugerufen, und alle waren sie geflogen, die einen mehr, die andern weniger, oder wenn sie auch nicht gerade flogen, so hatten sie doch wenigstens den Versuch dazu unternommen und sich sofort von der Stelle gerührt.

Das linke Bein des Rekruten Krause aber stand starr da, wie Lots berühmte selige Witwe, als sie sich in eine Salzsäule verwandelt hatte.

Der Rekrut Krause rührte sich nicht, der Sergeant Krause aber taumelte ganz entsetzt drei Schritte zurück. Dann aber machte er vier Schritte vorwärts, während seine großen Augen in wahrhaft unheimlicher Weise zu rollen begannen und während seine langen Schnurrbartspitzen sich hoben und senkten. Und unmittelbar vor dem Rekruten stehend, rang es sich nun schwer und mühsam über seine Lippen: „Krause, Mensch, Ungeheuer, dürfte ich Sie vielleicht in aller Höflichkeit unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit um Aufklärung bitten, warum Sie krümmste aller jemals vom Himmel heruntergefallenen Mondsicheln Ihr linkes Bein immer noch nicht vorgeworfen haben und warum Sie das nicht mit solchen Avec taten, daß alle die vielen hundert Rekruten, die hier auf dem Kasernenhof üben, es mit der Angst bekämen, weil die glaubten, Sie würden ihnen bei dem Marsch in die Weichteile treten? Also — Rekrut Krause, warum marschieren Sie nicht, und warum führen Sie mit Ihren Beinen in der Luft keinen Trommelwirbel aus, vor dessen majestätischer Schönheit selbst der Tambourmajor salutierend seinen langen Stock senken würde? Kraft meines Amtes frage ich Sie hiermit zum letztenmal: Warum nicht?” Wenn der Rekrut Krause den Sergeanten Krause als Vorgesetzten und als Menschen nicht so genau gekannt hätte, würde er es bei dem drohenden und rollenden Klang der Stimme und angesichts der immer noch funkelnden Augen und der immer noch zitternden Schnurrbartspitzen sicher sehr mit der Angst bekommen haben. So aber meinte er nur, wenn auch in streng militärischer Weise: „Herr Sergeant, ich kann das linke Bein nicht hochheben, denn als der Herr Sergeant mir vorhin die Schönheit und die Wichtigkeit des Parademarsches auseinandersetzten, da sind mir während der langen Rede beide Füße eingeschlafen, ganz besonders aber der linke.”

Sergeant Krause faßte sich mit beiden Händen an die Schläfen, als müsse er das, was er da eben vernommen, erst mit aller Gewalt in seinen Verstand hineinpressen, um es zu begreifen und es zu verstehen, dann aber meint er: „So ist es richtg, Freundchen. Das habe ich mir schon lange gewünscht, etwas Derartiges zu erleben. Ich rede mir hier eine Mundsperre, um nicht zu sagen eine Talsperre zusmmen, um Sie auf die Bedeutung des großen Augenblicks aufmerksam zu machen, und Sie schlafen mir dabei ein, oder lassen wenigstens Ihre Füße einschlafen. Aber haben Sie nur keine Angst, Rekrut Krause, die werden wir schon wieder wach bekommen, und zwar so wach, wie die in Ihrem ganzen Leben noch nicht gewesen sind. Denen werde ich mich jetzt einmal als eine der Posaunen von Jericho vorstellen, und wie die vor Jahrtausenden bliesen, daß die Mauern der Stadt in einen Trümmerhaufen zusammenfielen, so werde ich jetzt Sie und Ihre Füße anblasen, daß Ihnen selbst die Augen, Ihren Fortbewegungs­organen aber die etwaigen Hühneraugen übergehen sollen. Also nun passen Sie mal auf.”

„Zu Befehl, Herr Sergeant,” gab der Rekrut zur Antwort.

Sergeant Krause strich sich mit beiden Händen seinen mächtigen Schnurrbart: „Diese Bemerkung Ihrerseits war überflüssig und eigentlich durchaus unmilitärisch, Rekrut Krause, denn ich hatte Sie nicht gefragt und infolgedessen hatten Sie sich jeder Äußerung zu enthalten, bis Sie gefragt worden wären, das selbst auf die Gefahr hin, daß ich Sie in den nächsten Jahren überhaupt nicht gefragt hätte. Immerhin ist es mir sehr lieb, aus Ihren durchaus unangebrachten Worten herauszuhören, daß wenigstens Ihre Ohren noch nicht eingeschlafen sind, und nun passen Sie mit denen also mal auf.”

Und der Rekrut Krause paßte auf, und bei den persönlichen Beziehungen, in denen er zu dem Vorgesetzten stand, und da er genau wußte, daß alles, was der sich in solchen Fällen zusammenredete, nicht annähernd so schlimm gemeint war, wie es sich anhörte, nahm er es nicht gar so tragisch, was der Sergeant Krause als lebende Posaune von Jericho ihm da vorblies, obgleich der gewaltig blies, bis der bei der Blaserei plötzlich in die falschen Noten und in die falsche Textreihe gekommen sein mußte, denn anstatt mit Sie blies er mit einemmal, wenn auch nicht in Dur, so doch in Du und donnerte seinen Untergebenen an: „Wenn du dir etwa einbildest, mein Junge, deine Füße könnten hier auf dem Kasernenhof tun und lassen, was sie wollen, und die könnten schon am hellen lichten Nachmittag einschlafen, bevor der Spielmann auf der Wache am Abend nicht nur das einzig schöne, sondern das schönste aller Lieder getutet hat: „Ihr Grenadiere, geht zu Bett, der Hauptmann hat's befohlen,” wie gesagt, mein Junge, wenn du dir so etwas einbildest, und das vielleicht deshalb, weil auch du die Ehre hast, den schönen Namen Krause zu tragen, und weil unsere beiden Väter, dein Vater und mein Vater, oder, da ich der Ältere von uns beiden bin. also weil mein Vater und dein Vater —”

Aber weiter kam er nicht mit seiner Rede, einmal, weil er sich noch zur rechten Zeit darauf besann, daß im Interesse der Disziplin die herumstehenden andern Rekruten es nicht zu erfahren brauchten, in welchen persönlichen Beziehungen er, der Herr Sergeant, zu dem Rekruten Krause stände, dann aber unterbrach er seine Rede auch deshalb, weil ihn plötzlich jemand von hinten auf die Schulter tippte . . .

Und diese Tipperei verschlug ihm den Redefaden, schon weil er sich im Augenblick nicht zu erklären vermochte, wer es da wagen könne, ihn, den Herrn Sergeanten, anzutippen und ihn dadurch in der Ausführung seiner militärischen Handlung zu unterbrechen, denn eine solche war es ja auch, wenn er die eingeschlafenen Füße eines seiner Rekruten zu einem neuen militärischen Leben erweckte.

So wandte er sich denn blitzschnell um, aber als er das getan hatte, da fuhr ihm nicht weniger blitzschnell jenes unangenehme Gefühl durch die Glieder, das jeden Untergebenen in der Nähe der Vorgesetzten beschleicht und im Interesse des Dienstes auch beschleichen muß. Jenes Gefühl, das man mit dem schönen Wort Subordination benennt.

Und die Subordination faßte den Herrn Sergeaten am Kragen und ließ ihn von all den tadellosen strammen Haltungen, die gerade er einnehmen konnte, die allerstrammste und die allertadelloseste annehmen, denn vor ihm stand kein Geringerer als der Herr Oberst. Der mußte, Gott allein wußte wie, heimlich den Kasernenhof betreten und dem Posten und den andern, die dafür in Frage kamen, ein Zeichen gegeben haben, daß sie vor ihm weder herausgerufen, noch sein Kommen sonst irgendwie laut melden sollten. Nur so war das plötzliche Erscheinen des Vorgesetzten zu erklären, aber es handelte sich jetzt nicht darum, auf welche Weise der Herr Oberst erschienen war, sondern lediglich darum, daß er da war. Und er war da. Und nicht nur das, er stand dem Sergeanten Krause gegenüber und sah diesen mit strengen, vorwurfsvollen Augen an, bis er ihm endlich halblaut, aber trotzdem vernehmlich zurief: „Aber, Sergeant Krause!”

Sergeant Krause war der Vorgesetzte aller dejenigen, die im militärischen Rang unter ihm standen, aber er war für seine Person zugleich der Untergebene aller derjenigen, die im militärischen Rang über ihm standen, und als solcher wußte er, daß aus dem Munde eines Vorgesetzten ein Ausruf,der mit dem Wort „aber” anfing, nie viel Gutes zu bedeuten hatte. Trotzdem sah er dem Herrn Oberst offen und frei in die Augen, denn er war sich wirklich keiner Schuld bewußt, bis ihm nun plötzlich einfiel, verflucht, verteert und verschmiert, du hast dich ja vorhin hinreißen lassen, den Rekruten Krause mit Du anzureden. Na, wenn der Herr Oberst das gehört hat, dann bekommst du jetzt was auf deine Soldatenmütze und nicht zu knapp, denn in der Hinsicht versteht der hohe Herr keinen Scherz, und ob er deine Entschuldigung und Erklärung gelten lassen wird, ist auch noch sehr die Frage, denn kein Wort ist so wahr wie das, das ich letzthin mal irgendwo las oder hörte: wenn der Dienst spricht, haben alle Stimmen des Blutes zu schweigen.

Und vorhin hatte der Dienst gesprochen, er aber hatte die Stimme des Blutes nicht schweigen lassen, und daß er dafür nun seinerseits angeblasen werden würde, fand er ganz in der Ordnung, denn Ordnung muß sein, ganz einerlei, ob die für den einzelnen erfreulich oder, wie in dem vorliegenden Falle, bitter war.

So sah er dem Herrn Oberst immer noch frei und offen in die Augen, bis der sich zum Gehen wandte. Aber als er ging, gab er ihm ein Zeichen, ihm zu folgen. Er winkte nur mit der äußersten linken Ecke seines linken vorgesetzten Auges, und er winkte so heimlich und so diskret, daß kein anderer dieses Zeichen hätte bemerken und verstehen können. Sergeant Krause aber bemerkte dieses Zeichen trotzdem und folgte dem Herrn Oberst, als dieser nun voranging, um die auf jedem Kasernenhof vorhandene und mit Recht so unbeliebte stille Ecke aufzusuchen, in der er mit ihm unter vier Augen und unter vier Ohren sprechen könne, ohne daß Unberufene zuhören würden.

Der Weg war weit, der zu dieser stillen Ecke führte, und er wurde für den Sergeanten Krause dadurch nicht kürzer, daß der Herr Oberst bald hier, bald dort bei einem Rekruten stehenblieb, bald eine Kleinigkeit lobend, bald etwas tadelnd. Aber endlich war die stille Ecke, der Turnplatz, der völlig leer dalag, doch erreicht, und da geschah es, daß der Herr Oberst zu ihm sagte: „Sergeant Krause, alles in der Welt hätte ich für möglich gehalten, selbst das Unmöglichste, zum Beispiel —” aber dieses unmöglichste aller Beispiele fiel dem Herrn Oberst trotz allen Nachdenkens nicht ein. Das durfte er natürlich aber nicht zugeben, und deshalb fuhr er nach einer kleinen Pause fort: „Wie gesagt, Sergeant Krause, selbst das hätte ich für möglich gehalten, und ich hätte mich auch nicht weiter gewundert, wenn meine Frau mir heute morgen —” aber auch den Satz sprach der Herr Oberst nicht zu Ende, wohl weil er sich da beinahe verplappert und aus der häuslichen Schule geplaudert hätte. Nein, er sprach auch diesen Satz nicht zu Ende, trotzdem oder gerade deshalb aber fuhr er gleich darauf mit erhobener Stimme fort: „Wie gesagt, auch das hätte mich nicht weiter gewundert, und ich hätte selbst das für möglich gehalten, aber daß Sie, Sergeant Krause, Sie, der beste und der tüchtigste Unteroffizier der ersten Kompanie, ja vielleicht sogar der beste Unteroffizier des ganzen Regiments, daß Sie, sage ich, sich den bestehenden strengen Bestimmungen entgegen vorhin haben hinreißen lassen, einen Ihrer Rekruten mit dem verbotenen Du anzureden, das hätte ich nie und nimmer für möglich gehalten, und wenn der Rekrut, den Sie sich vorgenommen hatten, auch zufällig denselben Namen führt wie Sie, wie ich das aus den Worten, die Sie ihm zuriefen, heraushörte, so ist das noch lange kein Grund, ihn Du nennen zu dürfen. Und Ihre Schuld wird auch dadurch nicht geringer, daß Ihr Vater und sein Vater, wie es mir ferner aus Ihren Worten hervorzugehen schien, miteinander befreundet sind.”

„Verzeihung, Herr Oberst,” beeilte Sergeant Krause sich, den Vorgesetzten aufzuklären, „mein Vater und sein Vater sind nicht miteinander befreundet, sondern —”

Doch der Herr Oberst ließ ihn nicht zu Ende sprechen, sondern fiel ihm in das Wort: „Da scheinen mir also Ihre beiden Väter miteinander verfeindet zu sein, und daraus glauben Sie sich das Recht abzuleiten, die zwischen den Vätern bestehende Spannung auf den Sohn zu übertragen und an dem, na, wie soll ich mich ausdrücken, Ihr Mütchen kühlen zu dürfen. Das ist nicht hübsch von Ihnen, Sergeant Krause, denn ebensowenig, wie Sie wohl etwas dafür können, daß Ihre beiden Väter miteinander in Feindschaft leben, ebensowenig kann der Rekrut Krause wohl etwas dafür, und wenn Sie sich nun vielleicht gar von Ihrem Vater haben aufhetzen lassen, an dem Sohn seines Feindes irgendwie Rache zu nehmen, und wenn Sie den Rekruten darunter leiden lassen, so finde ich das sehr wenig hübsch und edel von Ihnen, Sergenat Krause, und gerade von Ihnen hätte ich so etwas nicht erwartet.”

Ja, wenn dem wirklich so gewesen wäre, wie der Herr Oberst es annahm, dann hätte der mit jedem seiner Worte recht gehabt, dann wäre es von ihm, dem Herr Sergeanten, nicht nur sehr wenig hübsch und sehr wenig edel, sondern dann wäre es von ihm hundsgemein gewesen, wenn er den Untergebenen seine Macht hätte fühlen lassen, und den als einzigen von seinen Leuten mit dem verbotenen Du angeredet hätte. Aber in Wirklichkeit lag die Sache ja ganz anders, und für einen Augenblick dachte er nun daran, dem Herrn Oberst den wahren Sachverhalt anzuvertrauen, schon damit auf seiner Person auch nicht der leiseste Schatten eines Vorwurfes ruhen bliebe. Aber war es klug, unaufgefordert alles zu gestehen? Was dann, wenn der Herr Oberst erst wußte, wer der Rekrut Krause war? Würden dann dessen Augen fortan, sobald er den Kasernenhof betrat, nicht stets mit besonderem Interesse auf dem Rekruten ruhen und würde er dann nicht von ihm, dem Herrn Sergeanten, verlangen, daß er gerade aus diesem Rekruten einen Soldaten heranbilde, der es in jedem Dienstzweig beinahe mit ihm, seinem Lehrmeister aufnahm? Und wenn er sich ja auch schon jetzt alle Mühe gab, aus diesem Rekruten alles herauszuholen, was an vorläufig noch verborgenen militärischen Talenten in ihm schlummerte, mußte er nicht trotzdem mit der Möglichkeit rechnen, daß alle seine Arbeit sich als nutzlos erwies? Und war es nicht schon manchmal vorgekommen, daß gerade der allerbeste Rekrut bei der Vorstellung versagte, daß er angesichts der vielen Vorgesetzten nervös wurde und das Lampenfieber bekam wie ein kleines Mädchen, das bei einer Schülervorstellung ein Gedicht aufsagen soll und das da steckenbleibt? Und wenn der Rekrut Krause bei der Vorstellung versagt, wenn ihm da vor dem Parademarsch die Füße wieder einschliefen oder wenn der im heiligen Diensteifer, wie das auch schon vorgekommen war, bei den Griffen das Gewehr, die sogenannte Braut des Soldaten, auf die rechte, statt auf die linke Schulter schob, wen traf dann für alle diese hahnebüchenen Dummheiten die Schuld? Nicht den dämlichen und dammligen Rekruten, sondern einzig und allein ihn, den Vorgesetzten, und er hörte schon im Geiste die strengen und tadelnden Worte: „Gerade diesen Rekrut hätten Sie so ausbilden müssen, Sergeant Krause, daß so etwas unter gar keinen Umständen vorkommen konnte. Gerade mit dem mußtem Sie sich besondere Mühe geben, und daß Sie das nicht taten, ist unbegreiflich und unerklärlich.”

So würden alle Vorgesetzten zu ihm sprechen, und deshalb würde er sich jetzt lieber die Zunge abbeißen, als dem Herrn Oberst freiwillig eingestehen, wer der Rekrut Krause war.

Aber namentlich beim Militär soll man sich nie etwas fest vornehmen, denn gerade da kommt es immer anders, als man denkt. Und so erklang plötzlich die Stimme des Herrn Oberst: „Sergeant Krause, ich habe Ihnen nun Zeit genug gelassen, sich alles reiflich zu überlegen, und es würde mir außerordentlich leid tun, gerade Ihnen grob werden zu müssen, damit Sie den Rekruten nicht zum zweitenmal Du nennen. Und deshalb frage ich Sie jetzt, bevor ich Ihnen grob werde, haben Sie gar nichts zu Ihrer Entschuldigung anzuführen?”

Das klang so väterlich wohlwollend und so gütig, daß dem Sergeanten Krause ganz sonderbar um das Herz wurde. Das aber keineswegs aus Angst vor dem angedrohten Donnerwetter, dem fühlte er sich gewachsen, aber er merkte es dem Herrn Oberst an, wie schwer es dem fallen würde, ihm den Radetzky- oder einen andern Marsch blasen zu müssen, und diesen Schmerz wollte er dem Vorgesetzten, der beinahe voller Liebe zu ihm gesprochen hatte, ersparen.

So entschloß er sich denn jetzt, sein Geheimnis, wenn auch nur auf Umwegen, doch preiszugeben, und so sagte er: „Zu Befehl, Herr Oberst, ich habe eine Entschuldigung, die der Herr Oberst sicher auch als solche anerkennen und gelten lassen werden,” und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: „Mein Vater und der Vater des Rekruten sind nicht, wie ich es vorhin schon einmal betonte, miteinander befreundet, sie sind aber auch nicht miteinander verfeindet, sondern mein Vater ist der Vater des Rekruten, und dessen Vater ist mein Vater.”

Der Herr Oberst klemmte sich das Monokel, das er im rechten Auge trug, mit einem schnellen Griff noch fester ein, obgleich seine Untergebenen es oft staunend bewundert hatten, daß er das Glas selbst dann nicht verlor, wenn er auf seinem großen mächtigen Fuchs bei den Felddienst­übungen draußen im Gelände über Stock und Stein dahinstürmte, dann aber meinte er: „Nehmen Sie es mir nicht übel, Sergeant Krause, aber das, was Sie mir da eben sagten, ist mir zu hoch, das verstehe ich nicht. Allerdings will ich Ihnen offen bekennen, daß ich für sogenannte verzwickte und verzwickelte Familien­verwandtschaften nie Sinn und Verständnis gehant habe, und die Ihrigen scheinen mir ganz außerordentlich verzwickt und verzwickelt zu sein. Aber nein,” besann er sich plötzlich eines anderen, „die sind ja sogar ganz außerordentlich einfach, wenngleich für Sie und auch für den Rekruten Ihres Namens wenig erfreulich, denn wenn ich Sie nun richtig verstehe, dann ist Ihr Vater der uneheliche Vater des Rekruten und dessen Vater ist Ihr unehelicher Vater. Aber nein,” verbesserte er sich gleich darauf abermals, „so kann die Sache auch nicht liegen, dann wäre Ihr Vater doch nur der Vater des Rekruten und nicht zugleich auch Ihr Vater, und dessen Vater wäre dann doch nur Ihr Vater und nicht zugleich auch sein Vater. Nicht wahr, da habe ich doch recht?”

„Zu Befehl, Herr Oberst,” stimmte der Sergeant Krause ihm bei, und um den Verdacht von sich abzulenken, ein uneheliches Kind zu sein, fuhr er schnell fort: „Sowohl ich wie der Rekrut Krause sind beide eheliche Söhne, und sowohl mein Vater wie sein Vater haben überhaupt keine unehelichen Kinder.”

Hatte der Herr Oberst sein Monokel vorhin eingeklemmt, so klemmte er es jetzt aus und ließ es an der dünnen schwarzseidenen Schnur aus dem Auge fallen, bevor er meinte: Die Verwandtschaft wird ja immer noch verwickelter und verzwickelter, in der kann sich ja kein Mensch mehr zurechtfinden. Unwillkürlich fällt mir da eine kleine Geschichte ein, Herr Sergeant, die ich Ihnen erzählen will, obgleich so etwas ja sonst nicht meine Art ist. Da wurde also einmal auf einer Gesellschaft ein junger Herr gefragt, ob er keine Geschwister habe. ,Doch,' gab er zur Antwort, ,die junge Dame da drüben mit dem blonden Haar ist meine Schwester, und dort jener Herr mit dem Spitzbart ist mein Bruder, aber ich bin trotzdem das einzige Kind meiner Eltern.' Und als kein Mensch zu ergründen vermochte, wie das möglich wäre, setzte der Gefragte hinzu: ,Das ist ja auch gar nicht meine Schwester und das ist ja auch gar nicht mein Bruder, ich habe vorhin ganz einfach gelogen,' und die Stirn runzelnd und mit hochgezogenen Brauen fuhr der Herr Oberst jetzt seinen Untergebenen an: „Nun weiß ich auch, Sergeant Krause, warum ich Ihnen diese kleine Anekdote erzählte — weil auch Sie mich belogen haben. Alles das, was Sie mir da erzählten, haben Sie sich frei erfunden, um mir eine Erklärung dafür zu geben, daß Sie den Rekruten dem strengen Befehl entgegen Du nannten. Und für dieses Belügen eines Vorgesetzten werde ich Sie mit Arrest bestrafen, Sergeant Krause, aber bevor ich das tue, werden Sie mir als anständiger Mensch und als der plichtgetreue und brave Soldat, der Sie bisher waren, zuerst offen zugeben, daß Sie mich belogen haben, denn eine solche Verwandtschaft, wie Sie mir da vorredeten, gibt es doch gar nicht.”

„Doch, Herr Oberst, die gibt es,” gab Sergeant Krause mit fester Stimme zur Antwort, „und ich habe den Herrn Oberst auch nicht belogen, sondern es ist alles so, wie ich sagte: Der Vater des Rekruten ist mein Vater, und mein Vater ist der Vater des Rekruten, und ich bin der eheliche Sohn meines Vaters, und er ist der eheliche Sohn seines Vaters, und damit auch der eheliche Sohn meines Vaters, und wir sind beide die ehelichen Kinder unserer Eltern, denn wir sind ganz richtiggehende Brüder.”

„So hängt das also zusammen — ich muß offen gestehen, auf diese einfache Lösung war ich nicht vorbereitet,” meinte der Herr Oberst, nachdem er sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, bis er dann fortfuhr: „Also, der Rekrut Krause ist Ihr richtiggehender Bruder, wie Sie das nennen? Das ändert viel, wenn nicht alles, und das läßt die Tatsache, daß Sie sich vorhin hinreißen ließen, ihn Du zu nennen, in einem völlig andern, fast möchte ich sagen, in einem natürlichen und ganz selbstverständlichen Licht erscheinen.”

Aber nach einer kleinen Pause der Überlegung meinte der Herr Oberst mit erhobener Stimme: „Nein — das tut es doch nicht.”

Das habe ich mir doch gleich gedacht, sagte sich der Sergeant Krause im stillen, obgleich er sonst ein viel zu guter Soldat war, um sich über das, was seine Vorgesetzten sagten, seine eigenen Gedanken zu machen.

Der Herr Oberst aber fuhr fort: „Daß der Rekrut Krause Ihr Bruder ist, weiß ich, aber wissen das auch die andern hohen Vorgesetzten, der Herr General und Seine Exzellenz, der Herr Divisions­kommandeur, die mit uns hier in der Garnison wohnen? Nein, die wissen es nicht, und was dann, wenn einer dieser hohen Herren eines Tages absichtlich ebenso heimlich und unbemerkt auf dem Kasernenhof erscheinen sollten wie ich heute nachmittag, und wenn die dann ebenfalls durch einen unglücklichen Zufall Zeuge werden, wie Sie den Rekruten Krause Du nennen? Wissen Sie, was dann los wäre, Sergeant Krause? Ganz einfach, der Teufel mit samt seiner Großmutter im Sonntag­nachmittags­ausgehstaat auf dem Besenstiel! Und nun erst, wenn die beiden hohen Herren gar gleichzeitig erschienen! Da würde Seine Exzellenz den Herrn General fragen, wie so etwas möglich wäre, daß in seiner Brigade ein Rekrut mit Du angeredet würde, der Herr General würde sich bei mir erkundigen, wie so etwas in meinem Regiment möglich sei und wie ich so etwas dulden könne. Vielleicht würden die hohen Herren aus meinem Munde gar keine Erklärung annehmen, sondern mir in schärfsten Worten ihr höchstes Mißfallen über ein derartiges Vorkommnis aussprechen. Na, und daß ich keine Lust habe, mir Ihretwegen oder Ihres Bruders wegen Unannehmlichkeiten zuzuziehen, das werden Sie mir nachfühlen.”

„Zu Befehl, Herr Oberst,” pflichtete Sergeant Krause aus ehrlichster Überzeugung seinem Vorgesetzten bei.

„Na, schön,” meinte der Herr Oberst, „soweit wären wir uns also einig — aber wie geht die Sache weiter? Ihr Bruder kann doch schließlich nicht auf der Brust eine Tafel mit der Aufschrift tragen: ich bin der Bruder des Sergeanten Krause und darf infolgedessen von diesem auch im Dienst Du genannt werden . . . Das geht natürlich nicht, und daß ich Ihnen bei strenger Strafe verbiete, fortan während des Dienstes in Ihrem Bruder niemals Ihren Bruder, sondern lediglich einen Untergebenen zu sehen, das geht auch nicht, denn das wäre auf die Dauer nicht durchführbar. Es muß sich also irgendein anderer Ausweg finden lassen, irgendeiner, der es ausschließt, daß Sie mit Ihrem Rekrutenbruder innerhalb der Kompanie überhaupt jemals wieder dienstlich in Berührung kommen. Und mit dem, was ich da eben sagte, ist zugleich auch die Lösung gefunden, Sergeant Krause,” frohlockte der Oberst plötzlich, „denn die Lösung lautet ganz einfach kurz und schmerzlos: Der Rekrut Krause wird morgen zur zweiten Kompanie versetzt, und dafür ein Rekrut der zweiten zur ersten.”

Das geschah denn auch, aber als es geschehen war, da war es eigentlich auch noch nicht viel anders, als es bisher gewesen war, denn der Rekrut, den Sergeant Krause an Stelle des versetzten alten Rekruten Krause in seine Abteilung bekam, hieß auch Krause, und nicht nur das, der neue Rekrut Krause war, was in der zweiten Kompanie allerdings bisher weder die Vorgesetzten noch die Kameraden gewußt hatten, auch ein Bruder des Sergeanten Krause.


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© Karlheinz Everts