Der „kluge” Untergebene.

Militärhumoreske von Frhrn. v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 19.Juli 1900,
in: „Indiana Tribüne” vom 16.9.1900,
in: „Exzellenz lassen bitten” und
in: „Seine Hoheit”.


Das größte Unglück des Herrn Majors v. Klug war sein Name, der schon seit vielen, vielen Jahren den hohen und höchsten Vorgesetzten Veranlassung und Gelegenheit zu allerlei billigen Witzen gab.

„Herr Leutnant, von einem Herrn Ihres Namens muß man andere Leistungen verlangen!”   „Herr Hauptmann, Sie werden doch Ihrem schönen Namen keine Unehre machen!”   „Herr Major, Sie sind doch auf den Namen Klug und nicht auf das Gegentheil getauft!”

Diese und ähnliche Witze, über die die hohen Vorgesetzten selbst und deren Adjutanten sich stets halb todtlachen wollten, brachten den Gegenstand ihres Spottes schon deshalb zur hellen Verzweiflung, weil er über diese Witze mitlachen mußte. Einmal hatte er gewagt, Sr. Excellenz ein gar ingrimmiges Gesicht zu zeigen, als dieser ausführte, daß Namen nicht vor Thorheit schützen. Excellenz hatte den wüthenden Blick seines Untergebenen bemerkt und ganz ruhig und gelassen geäußert: „Mein Lieber, wenn Sie keinen harmlosen Scherz verstehen, dann muß ich Ihnen meine Ansicht über Ihre Leistungen auf etwas gröbere Art mittheilen. Verstanden?”

Er begriff, und fortan lächelte er zu allen Anspielungen, die gemacht wurden.

Er war ein gutmüthiger Mensch, er brachte es nicht fertig, seinen Jungen, selbst wenn dieser noch so ungezogen gewesen war, zu züchtigen, aber seine Vorgesetzten hätte er kaltblütig lächelnd ermorden können.

Der Herr Major war keine Leuchte der Wissenschaft, was ihm aber an Können abging, ersetzte bei ihm die hohe Protektion, deren er sich erfreute. Als Kind von sieben Jahren war er von einem Viererzug überfahren worden, den sein jugendlicher, zukünftiger Landesherr mit höchsteigenen Händen lenkte. Ueber die Kinder wacht ein Engel, und die Dummen haben das größte Glück — hier traf Beides zusammen, denn er kam mit einigen unbedeutenden Hautabschürfungen davon. Auch ein Fußtritt, den einer der Hengste ihm auf eine zwar keineswegs edle, aber doch nur für Menschen, die ohne Unterleib geboren sind, entbehrliche Körperstelle versetzt hatte, hatte in späteren Jahren auf seine leibliche und auch auf seine geistige Entwicklung keinen nachtheiligen Einfluß gehabt.

Viele behaupteten, er hätte sich absichtlich überfahren lassen, Alle aber waren sich darüber einig, daß die klügste That seines Lebens darin bestanden hätte, unter die Pferdehufe zu kommen; denn schon am Tage, nachdem das Unglück geschehen war, wurde er auf das Schloß befohlen, und als der Fürst erfuhr, daß er später Soldat werden wolle, versprach er ihm seine Protection, um ihn für den ausgestandenen Schrecken zu entschädigen.

Und der Fürst hielt Wort — den hohen Verbindungen seines Gönners hatte er es in erster Linie zu verdanken, daß er schon Major war und demnächst Oberstleutnant werden sollte.

Er sollte es werden, noch aber war er es nicht, und ob er es würde, das hing noch von der Zukunft ab, die er in diesem Falle zum größten Theil selbst darstellte.

Es war nämlich im Manöver, und schwere Sorgen bedrückten den Hernn Major. Vor einer halben Stunde, als er eben zu Bett gegangen, war eine Ordonnanz gei ihm erschienen und hatte ihm den Befehl überbracht, an Stelle des erkrankten Herrn Oberstleutnants an dem morgigen Manövertage das Regiment zu führen, da der Herr Oberst für morgen der „Flurschadencommission” angehörte.

Der Herr Major konnte sich nicht entsinnen, jemals in seinem Leben einen solchen Schrecken bekommen zu haben, wie bei dem Empfang dieser Nachricht, er zitterte am ganzen Leibe, und trotzdem er sich durch seinen Burschen noch zwei dicke wollene Decken hatte besorgen lassen, schlugen und klapperten seine Zähne und seine Gebeine.

Es ging ihm gar nicht gut.

Wenn ich nur wenigstens eine Ahnung hätte, welcher Auftrag mir morgen zu Theil wird, dachte er, dann könnte ich mir doch wenigstens in aller Ruhe überlegen, wie ich den Feind am besten angreife. — Frontangriffe haben heutzutage gar keine Aussicht auf Erfolg, auf die Flankenstöße gebe ich auch nicht viel, das Klügste wird sein, ich mache eine Umgehung — Das dauert zwar etwas länger, führt aber desto sicherer zum Ziel.

Auf die Umgehung bei dem Angriff schwur er — die war gewissermaßen sein Steckenpferd — hätte das Reglement sie nicht schon erwähnt, würde er sie sicher erfunden haben.

Aber dem Major ging es auch noch nicht besser, als er sich für die Umgehung entschieden hatte — er klapperte weiter und sah voller Grauen dem kommenden Tag entgegen.

Die Nacht verging und der Morgen brach an mit bösem Ungewitter: es regnete in Strömen, und selbst, als der Herr Major sein Monocle einklemmte, das er bei feierlichen Gelegenheiten trug, konnte er am Himmel von der Sonne nicht die leiseste Spur entdecken. Seine Stimmung war auch eisig und sie wurde geradezu entsetzlich, als in diesem Augenblick ein Einjähriger, der mit mehreren Kameraden in der allernächsten Nähe einquartiert war, mit schmetternder Stimme sang:

„Zum Abschiednehmen just das richtige Wetter,
Grau wie der Himmel liegt vor mir die Welt.”

Alle Einjährigen sollte der Teufel holen.

Eine Stunde später hielt der Herr Major im Kreise der anderen berittenen Officiere vor Sr. Excellenz, der den Angriffsbefehl ausgab.

„Meine Herren,” sprach Excellenz, „wie gewöhnlich bin ich über die Stellung des Feindes im Unklaren —”

Selbsterkenntniß ist der erste Schritt zur Besserung, dachten die Untergebenen.

„— da die Cavallerie mir wie gewöhnlich gar keine oder doch nur höchst mangelhafte und unzuverlässige Meldungen gebracht hat.”

Glücklich der Vorgesetzte, der die Schuld dafür, daß er selbst nichts weiß, auf Andere abschieben kann, dachten die Cavalleristen.

„Meine Herren,” fuhr Se. Excellenz fort, „wir werden den Gegner aufsuchen, und wenn wir ihn mit Gottes Hülfe gefunden haben — ich sage absichtlich nicht mit Hülfe der Cavallerie — dann wollen wir versuchen, ihn auf das Haupt zu schlagen. Viel mehr kann ich für den Augenblick nicht sagen, ich kann es nur etwas militärischer, in Form eines Marschbefehles ausdrücken.”

Das that Excellenz denn auch, und wenig später trat das Detachement den Vormarsch an. Es regnete immer noch in Strömen — selbst die Mannschaften krochen in sich zusammen und machten sich während des Marschirens so klein wie nur irgend möglich, da konnte man sich nicht darüber wundern, daß auch die hohen berittenen Herren, obgleich sie hoch zu Roß saßen, mehr einem Haufen Unglück, als einer Schar von Heldensöhnen glichen.

Am unglücklichsten war der Herr Major. Zu allem Leid gesellte sich bei ihm noch das Ungemach, daß sein „absolut wasserdichter” Mantel zwar kein Wasser, wohl aber den Regen willig hindurchließ. Er wurde naß, nicht nur bis auf die Haut, sondern wie der Araber sagt: bis auf die Eingeweide, und in seinen Stiefeln stand der reine lacus Trasimenus, dessen er sich aus seiner Schülerzeit noch als eines Unglücksees erinnerte.

In den aufgeweichten Wegen zog das Detachement einen Kilometer nach dem andern dahin — die Pferde versanken bis an die Fessel, die Menschen bis an die Knöchel. Das hört sich etwas verschieden an, ist aber, im Grunde genommen, genau dasselbe. Langsam, langsam verrann eine Stunde nach der andern, und alle athmeten erleichert auf, als die Cavallerie–Patrouillen mit der Meldung zurückkamen: „Wir haben ihm.”

Sehr militärisch war diese Ausdrucksweise ja nun gerade nicht, und deshalb hüteten die Meldereiter sich auch, sich vor Sr. Excellenz ebenso auszudrücken; „Wir haben ihm!” riefen sie nur den Compagnien, an denen sie vorbeizogen, freudestrahlend zu, bei Sr. Excellenz sagten sie: „Meldung von der Officierspatrouille des Herrn Leutnant Bartmeyer: Der Feind hat anscheinend mit zwei Regimentern und einer Batterie den Aberg besetzt.”

Das war Excellenz sehr, sehr unangenehm. Hätte der Feind, der sich doch irgendwo in der Welt aufhalten mußte, an einem anderen Fleck Erde eine Vertheidigungs­stellung eingenommen, so wäre Das Sr. Excellenz ebenfalls sehr, sehr unangenehm gewesen, denn wo der Gegner auch immer stand, Excellenz mußte ihn unter den Augen Sr. Excellenz des commandirenden Herrn Generals angreifen, und man weiß nie, was bei einem solchen waghalsigen Unternehmen herauskommt.

Aber das Stöhnen half nun nichts, es mußte gehandelt werden. „Wie fassen Sie die Sachlage auf?” wandte sich Excellenz an seinen General­stabs­officier. Der bildete sich nicht nur ein, wie die hohen Adjutanten es stets thun, klüger zu sein, als sein Herr, sondern er hatte thatsächlich mehr Verstand im kleinen Finger, als sein Brodherr im Kopf. Aufmerksam lauschte Excellenz den Worten seines Untergebenen, dann befahl er die berittenen Officiere an die Tête, um Das, was er soeben gelernt, an seine Unterführer weiter zu geben.

Er theilte Jedem seinen Auftrag,
Dem Angriff, Dem Aufklärung mit,
Und wer die Insruction erhalten,
Der ritt davon — doch nicht im Schritt.

Ach nein, nicht im Schritt, sondern wenigstens im Galopp, denn durch ihr Davonstürmen wollten sie dem Commandirenden, der in der Nähe hielt, imponiren und ihm beweisen, daß sie ganz genau wüßten, warum es sich handelte, und sie wollten den Anschein erwecken, als könnten sie ihre Kampfeslust nicht mehr bezwingen. Je näher sie aber ihrer Truppe kamen, desto langsamer ritten sie, um sich Das, was sie zu thun hatten, erst einmal im Unreinen zu überlegen. Der Herr Major v. Klug hielt sogar für einen Augenblick sein Pferd ganz an: er sollte, während die andern Truppen das hinhaltende Gefecht führten, mit seinem Regiment den Entscheidungsstoß ausführen. Alle Wege führen nach Rom, aber nicht jeder Angriff zum Gelingen. Obgleich er sich gestern Abend ganz klar gewesen war über Das, was er heute zu thun hatte, quälten ihn jetzt doch wieder die Zweifel, bis er endlich mit den Worten: „Ach was, unsere Zukunft liegt im Wasser, meine Zukunft aber in der Umgehung,” allem Nachdenken ein Ende machte.

Der feindliche rechte Flügel war derjenige, welcher; — trotzdem die Leute dort unter geschickter Benutzung des Geländes auf dem Bauche lagen, sich bei dem Regen den Magen verdarben und wie verrückt mit Platzpatronen schossen, trotz alledem hing der Flügel, nach Ansicht Sr. Excellenz, „frei in der Luft”, und wenn Excellenz das sagte, mußte es ja wahr sein.

Das Feuer des Gegners muß respectirt werden; so ging der Herr Major mit seinem Regiment „den Platzern”, wie die Leute die Platzpatronen nennen, aus dem Wege, er vermied den Schußbereich, und da man sich im Manöver benehmen soll, als wäre es im Ernstfall, und da die scharfen Geschosse sehr weit fliegen, fast zwei Kilometer, so holte er bei seiner Umgehung sehr weit aus.

Den Leuten machte Das noch weniger als gar keinen Spaß. Jenseits der guten und der bösen Wege marschirten sie schon lange querfeldein, und der nasse Lehmboden klebte an ihren Kommißstiefeln in Gestalt von Klumpen, die an Größe so ziemlich dem Erdball gleichkamen. Von dem Sturzacker ging es auf eine trockene Wiese und von der trockenen in eine nasse. Die Leute sanken bis zu den Knien ein, und für die Pferde war es unmöglich, durchzukommen. Es ging nicht, es ging absolut nicht, es gab nur eins, die Umgehung mußte noch weiter ausgeführt werden.

Und immer größer wurde der Bogen, den der Major mit seinem Regiment beschrieb, um dem Gegner gleichzeitig in die Flanke und in den Rücken zu kommen.

Und es goß immer noch in Strömen.

Endlich, endlich, endlich war der Major mit seinem Regiment auf weiten Umwegen an der Stelle angekommen, von der aus er den Angriff ausführen wollte.

„Meine Herren,” sprach er zu seinen Officieren, „es ist uns gelungen, völlig unbemerkt hierher zu gelangen. Nun aber auch los. Wie Zieten aus dem Busch wollen wir hervorbrechen. Daß der Feind augenblicklich nicht feuert, ist ein Zeichen dafür, daß er entweder jetzt keinen Gegner sich gegenüber hat, oder daß er sich eingräbt. In beiden Fällen wollen wir ihm zu thun geben. Dort auf jenem Hügel liegt der feindliche rechte Flügel — wie weit er sich ausdehnt, ist bei diesem Regen, der es unmöglich macht, auf fünf Schritte etwas zu erkennen, nicht zu sehen. Bitte, meine Herren, geben Sie die Befehle: das dritte Bataillon nimmt eine Stellung, von der aus es den Feind, wenn er geworfen ist, mit Schnellfeuer überschütten kann, das erste und zweite Bataillon geht mit tambour battant zum Sturm vor. Bitte antreten, meine Herren.”

Die Truppe trat an, aber ohne tambour battant, denn die nassen Trommeln waren nicht zu bewegen, einen Ton von sich zu geben.

„Selbst die Kalbsfelle werden heutzutage immer miserabler,” schalt der Major, „warum wird denn solch Viehzeug überhaupt noch geboren, wenn es nach seinem Tode nicht einmal als Trommel zu benutzen ist?”

Vergebens versuchten die Vorgesetzten ohne die edle Frau Musica Tritt in die Colonne zu bringen — nach der Pfeife allein können die Leute zwar tanzen, aber nicht marschiren.

„Links — links — links,” riefen die Herren Hauptleute, aber es ging trotzdem nicht, und Alle athmeten erleichtert auf, als das Commando kam: „Zum Sturm — Gewehr rechts! Marsch, marsch, Hurrah!”

„Hurrah!” brüllten die Leute, „Hurrah — Hur—” Aber weiter kamen sie nicht, den der Hügel, den sie todesmuthig erstürmt hatten, war leer, von einem Feinde war absolut nichts zu sehen, und doch hatte man den richtigen Berg genommen.

„Nanu?”

Das war Alles, was der Major denken und sagen konnte. Er sah seine Officiere und Mannschaften an, und seine Mannschaften und Officiere sahen ihn an.

„Nanu?” wiederholte er noch einmal. „Was ist denn Das?” Da kam in gestrecktem Galopp eine Unterofficiers­patrouille. die den Major schon seit einer Ewigkeit gesucht hatte, und brachte die Aufklärung: mit Rücksicht auf das schlechte Wetter hatte der Commandirende die Uebung abbrechen und die Truppen in die Quartiere marschiren lassen. Vor mehr als einer Stunde schon war das „Halt” geblasen worden, aber der Major hatte bei seinem Rundgang durch die Welt nichts davon gehört.

„Se. Excellenz der commandirende Herr General erwartet die berittenen Herren Officiere zur Kritik am Eingange des Dorfes B.”, meldete der Husaren–Unterofficier zum Schluß.

Sehr wohl wurde dem Herrn Major bei diesen Worten nicht, aber was half's. Er ließ die Bataillone abrücken und ritt mit seinen Herren nach dem befohlenen Ort. Nach einer kleinen halben Stunde war er am Ziel.

„Ich melde mich ganz gehorsamst mit den Herren des heute von mir geführten Regiments zur Stelle, Excellenz.”

Der Commandirende sah ihn einen Augenblick an, während ein leises, spöttisches Lächeln seine Lippen umspielte, dann sagte er, während ringsum feierliche Stille herrschte: „Herr Major, kennen Sie das Wort: Es ist besser, daß man klug ist, als daß man sich nur Klug nennt? Ja? Dann danke ich Ihnen sehr, meine Herren,” und ehe der Herr Major sich von seinem Schrecken und von seiner Wuth erholt hatte, war der Commandirende mit seinem Stabe davongeritten.

Die Kritik war zu Ende und mit ihr die militärische Laufbahn des Herrn Major. Er wußte, nun half ihm Nichts mehr, und selbst, als ein Freund ihm den wohlwollenden Rath gab, sich noch einmal von seinem Landesherrn überfahren zu lassen, schüttelte er nur den Kopf; auch Das war jetzt zwecklos. Er war eine militärische Leiche, und als er seinen Tod seiner Gattin mittheilte, schrieb er: „Man mag als Untergebener heißen, wie man will, und mag thun, was man will, Recht ist es den Vorgesetzten nie, und das Endresultat ist und bleibt dasselbe: man kommt in die Wurst.”

Und so Unrecht hatte der Herr Major mit diesen Worten nicht.


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