Ich wünsche.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Aus der Schule geplaudert”


Zahllos sind die Wünsche, die der Mensch in seiner Brust birgt; worin sie bestehen, richtet sich natürlich ganz nach der Individualität des einzelnen. Nur einen Wunsch haben, glaube ich, fast alle Menschen gemeinsam: das große Los!

Ich wenigstens wünsche es mir schon seit 17 Jahren — natürlich vergebens.

Überhaupt ist das „Wünschen” die zweckloseste Beschäftigung, die es auf dieser Tränenwelt gibt.

Die einzigen, für die es sich lohnt, sich etwas zu wünschen, weil sie der Erfüllung ihrer Wünsche sicher sind, sind die Soldaten.

Natürlich nicht die homines militares communes, zu deutsch Musketier oder auch Muskeltier genannt, nein, nicht die, denn deren Wünsche bleiben auch nur Wünsche.

„Dem Soldaten steht nach Maßgabe seiner Fähigkeiten der Weg zu den höchsten Stellen im Heere offen,” so etwa steht in den Kriegsartikeln geschrieben — und je höher der Soldat zu diesen höchsten Stellen emporgestiegen ist, desto geringer ist die Zahl der Wünsche, die unerfüllt bleiben.

Der Herr Leutnant ist gerade Leutnant geworden. Kaisers Geburtstag hat ihm endlich, endlich die längst ersehnte Beförderung gebracht. Als er morgens erwachte, war er noch Fähnrich, der nichts zu tun hatte als den Mund zu halten, wenn er nicht gefragt war — ach, und wonach wird denn solch armer Mensch gefragt?

„Na, wie geht's, Fähnrich? Gut?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant!”

Man darf's den Fähnrichen wirklich nicht übelnehmen, wenn sie in Privatkreisen mal etwas zu viel reden — jeder Mensch hat doch das Bedürfnis, sich alle Jahre einmal sprechen zu hören.

Nun ist die schreckliche Zeit überwunden — er ist Offizier.

Ich kenne einen Herrn, der als Major seinen Abschied bekam, dann die Universität bezog und jetzt wohlbestallter Rechtsanwalt ist. Der hat mir einmal gesagt: „Der schönste Tag in meinem Leben war der, an dem ich Offizier wurde. Das verstehen Sie natürlich nicht, aber ich sage Ihnen, das Gefühl, das den Menschen durchdringt, wenn er sich zum ersten Male die Epauletts aufknöpft, ist unbeschreiblich schön.”

Und die Epauletts aufzuknöpfen, zögert der jüngste Leutnant des Regiments nicht lange. Er eilt nach Haus, wo schon alles bereit liegt, und fährt seinen Burschen, zu seiner Fähnrichszeit „Putzer” genannt, gewaltig an, weil dieser nicht auf den ersten Ruf erscheint.

Zwei Stunden später — auch junge Leutnants brauchen Zeit zu ihrer Toilette — ist er fix und fertig angezogen — nein, nicht ganz — hier am Wirbel steht noch ein Haar in die Höh' — so, aber jetzt — noch einen letzten, langen Blick in den Spiegel, und er geht, sich zu melden.

Zunächst geht er zu seinem Häuptling: der hört ihn andächtig an und schüttelt ihm dann die Rechte.

„Aber sagen Sie mal, lieber Itzenplitz, wo haben Sie sich denn die Uniform machen lassen? Die scheint mir nicht ganz vorschriftsmäßig zu sein — was Sie außer Dienst tragen, ist mir natürlich ganz gleichgültig, aber im Dienst wünsche ich Sie nur mit vorschriftsmäßigen Sachen zu sehen.”

„Zu Befehl, Herr Hauptmann.”

Der Herr Major ist schon etwas ungnädiger: „Aber sagen Sie doch nur, wie können Sie sich solche Moderöcke und solche Beinkleider bauen lassen? Das sieht ja verboten aus, ganz abgesehen davon, daß solche Sachen auch wirklich verboten. Kommen Sie mir nur nicht mit solcher Uniform zum Dienst, das kann ich nicht vertragen, darin verstehe ich keinen Spaß! Das merken Sie sich, bitte, Herr Leutnant, und ich wünsche, daß Sie mich nicht in die unangenehme Lage bringen, Ihnen gegenüber grob werden zu müssen.”

„Zu Befehl, Herr Major.”

Und der Herr Oberst betrachtet verwundert den vor ihm stehenden Offizier.

„Sagen Sie mal, mein Lieber, was haben Sie sich denn da eigentlich angezogen? Mode, mein Lieber, gibt es nicht beim Militär. Na, ich hoffe, daß es nur dieses Hinweises bedarf, im übrigen wünsche ich, Sie weder dienstlich noch außerdienstlich jemals wieder in solchem Anzuge, um nicht zu sagen in solchem Aufzuge zu sehen. Ich bin doch verstanden worden, Herr Leutnant?””

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Na, dann danke ich Ihnen sehr, möchte es Ihnen in Ihrer Karriere stets gut gehen.”

„Wenn die Fortsetzung dem Anfange gleicht, kann die Karriere genußreich werden,” stöhnt im Innern der aus allen Wolken gestürzte Leutnant, der sich selbst so schön vorkam, und gebrochen wankt er nach Hause. — Er soll sich nicht mehr in solchen Anzügen sehen lassen — der Herr Oberst wünscht es, aber er hat doch nichts anderes anzuziehen — was soll er denn machen? In Badehosen mit Stegen kann er sich doch nicht in und außer Dienst sehen lassen, das geht doch nicht! Es kann doch schließlich niemand von ihm verlangen, daß er alle Uniformen for ever in den Schrank hängt und sich nochmals eine ganze Equipierung anschafft?

Seine Jugend hilft ihm schnell über seinen Kummer hinweg, und er tröstet sich damit, daß der Wunsch seiner Vorgesetzten doch nur ein Wunsch war. „Frech wie Oskar,” geht er mittags in demselben Anzug, in dem er sich gemeldet, zu dem großen Liebesmahl, aber er fühlt sein Selbstgefühl doch mächtig schwinden, als der Herr Oberst, vor dem er sich vergebens zu verstecken sucht, ihm einen gar seltsamen Blick zuwirft, der nichts Gutes deutet.

Am nächsten Morgen, als der Herr Leutnant noch eifrigst damit beschäftigt ist, seinen Schwips auszuschlafen, und nur von Zeit zu Zeit aufwacht, um ein Glas Selterswasser zu trinken, erscheint eine Ordonnanz mit der schriftlichen Nachricht: „Der Herr Oberst wünscht Herrn Leutnant v. Itzenplitz um 9 Uhr im vorschriftsmäßigen Dienstanzug auf dem Regiments­bureau zu sprechen.”

Ei verflucht!

Aber in diesem Falle nützt das Fluchen nichts, und eine Stunde später steht der Leutnant dem Gestrengen gegenüber. Der flucht auch, und in diesem Falle nützt es auch was.

„Ich wünsche, Herr Leutnant, daß meine Wünsche erfüllt werden, sonst soll ein heiliges —” und nun ein ganz heilloses Wort.

Herrgott, wie kann man nur so grob werden!

Endlich ist der Leutnant wieder in der frischen Luft — ach, das tut wohl, und schnell eilt er zum Telegraphenamt: „Bitte sofortige Anfertigung zweier vorschriftsmäßiger neuer Waffenröcke, Überröcke und Beinkleider.” — Das letzte Geld, das er gestern bei dem Liebesmahl gerettet, geht für dieses Telegramm zum Teufel, aber er muß sich helfen. Dann geht er nach Haus und meldet sich „vorläufig auf drei Tage krank”; in dem Zustand, in dem er sich befindet, ist sein Kranksein nur eine halbe Lüge.

Und aus den drei Tagen werden sieben, und er wird erst wieder gesund, als sein Schneider die bestellten Sachen schickt. Das Kuvert, das die Rechnung enthält, öffnet er erst gar nicht, sondern schickt es direkt an seinen alten Herrn und schreibt dabei: „Der Oberst wünschte, daß ich mir noch einige Sachen machen ließ.”

Sein Vater ist selbst Soldat gewesen, der weiß, was das bedeutet: „Der Oberst wünschte.”

Auch die Vorgesetzten sind Menschen, wenngleich „das Menschliche” bei ihnen manchmal sehr versteckt ist, und als Menschen haben sie auch menschliche Gebrechen, Fehler und Schwächen. Dazu gehört, daß sie oft Unmögliches wünschen! — — —

Die Kompagnien stehen auf dem Kasernenhof zur „Lumpenparade” bereit, der Herr Oberst will sich „eigenäugig” von der Beschaffenheit der fünften Garnitur überzeugen. Die fünften Röcke und Hosen werden zu jedem Dienst, bei jedem Wind und Wetter getragen, sie sollen fünf Jahre aushalten — dann kann sich jeder denken, daß sie im fünften Jahr nicht mehr wie neu aussehen. Denn der Soldat geht nicht nur mit dem Anzug, nein, er rutscht auch mit ihm, auf dem Bauch liegend, über mehr oder weniger große Strecken des Heimatlandes hinweg, wenn im Gefecht gegen einen markierten Feind das Feuer des Gegners ihn zwingt, in Deckung zu gehen.

Aber die Sachen dürfen dabei nicht leiden — die Leute müssen vorsichtig sein.

Gefolgt von dem Regimentszahlmeister, der in allen Bekleidungsfragen von den Häuptlingen gehaßt und gefürchtet ist, weil er die personifizierte Sparsamkeit ist und für jeden Pfennig, den er auf dieser Welt erspart, im Jenseits eine besondere Belohnung erhofft, gefolgt also von seinem „Zahlknecht”, schreitet der Herr Oberst zwischen den Reihen hindurch, hier lobend, hier tadelnd.

Da macht der Regimentskommandeur vor einem Mann der dritten Kompagnie Halt.

„Herr Hauptmann, bitte, sehen Sie sich einmal diesen Rock an — dieieie—sen Rock!” — „Zu Befehl, Herr Oberst.” — „Nun, und was sagen Sie dazu?” — „Schön ist er nicht mehr, Herr Oberst.” — „Und wessen Schuld ist das, Herr Hauptmann? Wer ist dafür verantwortlich, daß die Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke sich in gutem Zustande befinden?”

Im allgemeinen verlangen nur die rhetorischen und indirekten Fragen keine Antwort, aber der Häuptling bleibt auch auf diese direkte Frage die Antwort schuldig. Was soll er auch erwidern?

Der Herr Oberst geht weiter, von Zeit zu Zeit ein „schlecht”, „erbärmlich”, „miserabel” vor sich hinbrummend. Endlich hat er den letzten Mann gemustert, er ruft den Hauptmann zu sich heran, um ihm seine Meinung zu sagen, vorher aber sagt er noch: „Nun, Herr Zahlmeister, wie finden Sie die Röcke?”

Der Zahlmeister hat verschiedentlich mit dem Häuptling Streit gehabt und kann ihn infolgedessen nicht leiden. Im anderen Falle würde er die Wahrheit nicht in so schroffer Form sagen, jetzt aber lautet sein Urteil: „Sehr schlecht, Herr Oberst!”

„Da bin ich ganz Ihrer Ansicht, Herr Zahlmeister, ich finde, den Röcken und Hosen ist nicht die unbedingt nötige Sorgfalt gewidmet worden, wenngleich ich nicht verkennen will, daß einiges, aber auch nur einiges für die Sachen getan ist. Ich lasse Ihnen acht Tage Zeit, dann werde ich die Garnitur mir noch einmal ansehen, und ich wünsche, verstehen Sie mich, Herr Hauptmann, ich wünsche, daß die Röcke sich dann in einer anderen Verfassung befinden.”

Der Herr Oberst geht, und verwzeifelt bleibt der Häuptling stehen.

Was soll er machen? Er hat mit den Lumpen gemacht, was überhaupt mit ihnen zu machen ist. Er hat sie neu besetzen lassen, soweit die Mittel dazu reichten, er hat sie aufbügeln lassen — wie heißt doch der Spruch: „Wenn der Mensch tut, was er kann, kann er nicht mehr tun, als er tut.”

Armer Häuptling!

„Was will man denn eigentlich von mir? Soll ich Wolle auf den Röcken wachsen lassen, um die abgeschabten Stellen zu verbergen?”

Aber geschehen muß etwas, denn der Herr Oberst „wünscht”, daß etwas geschieht! Über das „was” zerbricht der Kompagniechef sich Tag und Nacht — allerdings nur bildlich gesprochen — den Kopf, und als der gefürchtete Tag, an dem der Herr Oberst sich zum zweitenmal die Röcke ansehen will, da ist, ist mit den Uniformen noch nichts, gar nichts geschehen, sie sind noch auf dem Status quo ante.

Etwas aber ist doch geschehen!

Wieder geht der Herr Oberst durch die Reihen, und es scheint, als ob seine Augen mit größerem Wohlgefallen auf den Lumpen ruhen.

„Herr Hauptmann, wer ist der Mann, der mir das vorige Mal durch seinen besonders schlechten Rock auffiel?”

„Hier, Herr Oberst.”

Der Vorgesetzte prüft strengen Blickes den vor ihm Stehenden.

„Gut,” lobt der Herr Oberst endlich, „gut. Sie sehen also, Herr Hauptmann, daß man mit Fleiß und Sorgfalt doch etwas erreicht! Na, es freut mich, daß Sie meinen Wunsch, den Sachen Ihre Sorgfalt mehr als bisher zuzuwenden, erfüllt haben. Lassen Sie die Leute wegtreten.”

„Zu Befehl, Herr Oberst.”

„Auf die Stuben, marsch, marsch,” kommandiert der Häuptling, und er weiß auch, warum er die Kompagnie im „Marsch-marsch” wegtreten läßt.

Er hat den Mann, der voriges Mal unangenehm auffiel, einfach den besseren Rock eines Kameraden anziehen lassen; natürlich hat er auch dafür gesorgt, daß der richtige Name hineingenäht wurde — eine Entdeckung war so leicht nicht zu befürchten, aber er atmet doch erleichtert auf, als die Leute den Augen des Vorgesetzten entschwunden sind.

Oben auf dem Revier tauschen die Kameraden natürlich wieder die Röcke, und die Namen werden wieder umgesetzt, ein weiterer Betrug ist ja überflüssig. Schön ist so etwas nun gerade nicht, aber der Mensch muß sich zu helfen wissen, und von dem Soldaten ganz besonders wird verlangt, daß er sich in jeder Situation zu helfen weiß. „Findigkeit” ist für den Krieger eine große Tugend.

In einem Regimente konnte sich der Oberst und ein Häuptling nicht „riechen”. Der Oberst legte seinem Untergebenen eine Falle nach der anderen, und als der Häuptling eines Tages gründlich hineingefallen war, sagte der Kommandeur: „Herr Hauptmann, mit solchen Kompagnie­chefs ist mir nicht gedient, ich wünsche, Sie bald nicht mehr in meinem Regimente zu sehen.”

Was gewünscht wird, wird erfüllt.

Der Häuptling hatte Konnexionen. So setzte er sich denn auf die Eisenbahn und suchte seine Gönner auf. Er schilderte, was vorgefallen sei, und bat nicht um seinen Abschied, sondern um seine Versetzung in ein anderes Regiment. Acht Tage darauf wurde der Herr Oberst, der wegen seiner übergroßen Strenge und Barschheit höheren Ortes sowieso nicht gut angeschrieben war, aufgefordert, seinen Abschied einzureichen, der ihm auch bald darauf gewährt wurde. — So war sein Wunsch, den Häuptling nicht mehr lange in seinem Regimente zu sehen, in Erfüllung gegangen, allerdings in anderer Art, als er es sich gewünscht hatte.

Man muß in allen Dingen, auch im Wünschen, bescheiden sein — Unbescheidenheit hat oft böse Folgen.


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