Militär-Haare.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Zu dumm!”


Der Herr Hauptmann steht vor seinem großen Spiegel und frisiert sich. Das tut er stets, so oft er sonst nichts zu tun hat, und selbst ein königlich preußischer Hauptmann, der jeden Tag jeden Eid der Welt schwört, daß er für sich keine freie Minute zur Verfügung hat, kann dennoch täglich eine Stunde und länger vor dem Spiegel stehen, wenn das Interesse des königlichen Dienstes es verlangt — —

Und das ist bei dem Hauptmann der Fall.

Sein Friseur hat ihm nicht nur geraten, sondern sogar befohlen, seinem Haupt- und Barthaar die denkbar größte Pflege und Sorgfalt zu widmen, wenn er es nicht eines Morgens erleben will, daß sein Schädel kahl und sein Bart grau ist.

Der Herr Hauptmann ist bei diesen Worten zusammengezuckt. Er selbst ist nicht eitel, und ob ihm die Haare schwinden oder der Bart ergraut, ist ihm persönlich ganz gleichgültig. Aber der königliche Dienst verlangt, daß er jung bleibt, nicht nur in seinem Herzen, sondern auch nach außen hin. Denn trotz aller innewohnenden Weisheit und Begabung sind auch die hohen und höchsten Vorgesetzten nur Menschen, und als solche sehen sie nur, was sie vor Augen haben.

Das Herz der Untergebenen sieht kein einziger Vorgesetzter, und das mit vollem Recht, denn die wenigsten Vorgesetzten haben selbst ein Herz, sonst könnten sie ihre Untergebenen nicht so leicht „abschlachten”. Und was man selbst nicht hat, sucht man auch gar nicht bei anderen. Und wenn man es trotzdem findet, ohne es gesucht zu haben, dann ärgert man sich. Davon aber ganz abgesehen ist das Herz für den Offizier in vieler Hinsicht ebenso überflüssig, wie für den Zivilisten der Blinddarm, — man könnte es ruhig herausnehmen. Für das Avancement kommt es gar nicht in Frage, die Karriere der jungen Leutnants hängt von der Qualität ihrer Paradebeine ab, die der höheren Chargen von ihren Köpfen.

Aber sonderbarerweise nicht nur von dem, was in diesen Köpfen drin ist, sondern zum großen Teil auch von dem, was an diesen Köpfen drum und dran ist —: von den Kopf- und Barthaaren.

Namentlich der Bart ist nicht nur für das militärische Wohlergehen des einzelnen, sondern auch für die Zukunft des ganzen Staates, insonderheit für den Ausfall des nächsten Feldzuges von der einschneidendsten Bedeutung, denn sonst wäre es doch gar nicht zu verstehen, daß den Offizieren der Marine eine besondere Barttracht vorgeschrieben ist.

Und in gewissem Sinne hat man das für die Offiziere der Landarmee auch getan. Ihren Bärten hat man — wenn auch nicht gerade schriftlich — den Befehl gegeben: du darfst nicht grau werden!

Was dann, wenn das aber dennch wird?

Den Bart selbst kann man dafür ja nicht verantwortlich machen, wohl aber den Besitzer der Barthaare, und diesen schickt man dann wegen Ungehorsam gegen einen Befehl in Dienstsachen in Pension.

Daran denkt der Hauptmann, während er immer noch vor dem Spiegel steht und seinen Bart striegelt und bügelt. Er muß jung bleiben, die Haare dürfen ihm nicht ausfallen. Und vor allen Dingen muß sein langer Bart schwarz bleiben. Ganz schwarz. Denn ein Häuptling mit einem grauen Bart — das gibt es nicht. Graue Haare sind ein Luxus, den selbst die höchsten Exzellenzen sich in der heutigen Zeit nicht erlauben können, und klug wie sie sind, schneiden sie sich deshalb den Bart ab, sobald er seine Naturfarbe verliert.

Das könnte der Herr Hauptmann ja auch tun, und sein Friseur hat es ihm geraten. Aber er selbst hat widersprochen, eingedenk des Wortes: quod licet Jovi, non licet bovi. Und das hat er sich in sein geliebtes Deutsch dahin übersetzt: Was eine Exzellenz jung macht, macht einen Hauptmann alt.

Verwundert würde man ihn ansehen, wenn er eines Tages ohne Bart erschiene. Man würde ihn fragen, warum er das, was Gott wachsen ließ, von Menschen abschneiden ließ? Und wenn er auch antworten würde, was er wolle, man würde den wahren Grund doch erraten. Und die hohen Vorgesetzten würden nachdenklich werden — — —

Und nur die allerwenigsten Offiziere erfreuen sich einer so eisernen Natur, daß sie es aushalten und ertragen können, wenn die Vorgesetzten über sie „nachdenken”. Die meisten werden davon so krank, daß sie auf jenen Urlaub zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit gehen müssen, von dem es keine Rückkehr gibt.

Wohingegen es sonderbarerweise noch nie einem Vorgesetzten geschadet hat, wenn ein Untergebener über ihn nachdenkt. Und das ist im Interesse der Armee auch sehr gut, denn wo bliebe das Heer, wenn die Vorgesetzten dann krank würden und ihren Abschied einreichen müßten? Dann würden ja die Untergebenen avancieren, damit es wieder Vorgesetzte gäbe. Und wenn dann auch die wieder „fortgedacht” wären, dann würde das Avancement sehr bald so rasend schnell werden, daß man in absehbarer Zeit nicht mehr wie heute achtzehn Jahre Leutnant ist, sondern nur noch siebzehn, oder sogar nur sechzehneinhalb — —. Und es ist ganz klar, daß das ein Unding wäre. Denn wie sollte sich ein Leutnant in dieser kurzen Zeit die Kenntnisse aneignen, die dazu erforderlich sind, um sich als Hauptmann von dem Herrn Major tagaus, tagein sagen zu lassen, daß er noch keine Ahnung habe, obgleich der Major sowohl nach Ansicht des Herrn Oberst wie nach der des Herrn Hauptmann erst recht „keine Ahnung” hat.

Die Unterordnung des eigenen Willens unter den des Vorgesetzten und die Unterwerfung des eigenen Verstandes unter den sehr häufig gar nicht vorhandenen des Vorgesetzten kann nur im Laufe vieler Dienstjahre erlernt werden.

An all das denkt der Hauptmann, während er immer noch seinen Bart „pflegt”. Er kämmt ihn gehörig aus, er bürstet ihn durch, er salbt ihn mit Öl und salbt ihn mit „Brillantine”. Und als er nun ein Haar entdeckt, dessen Farbe grau ist, nein, nicht grau, aber nicht mehr ganz schwarz, da nimmt er es vorsichtig zwischen die Finger, ergreift die Schere und rottet das Übel mit Stumpf und Stiel aus.

Er weiß, es wird wieder wachsen, und dem einen grauen Haar werden viele andere folgen, und dann bleibt ihm doch nichts anderes übrig, als den Bart färben zu lassen. Wenn die Tusche nur hielte, dann wollte er ja selbst gerne zu diesem Mittel greifen. Aber sie hält nicht, wenigstens nicht im Gelände, wenn man da draußen stundenlang im strömenden Regen auf dem Gaul sitzt. Er hat es selbst einmal miterlebt, wie ein Major, der des Morgens schwarz wie die Nacht zum Exerzieren kam, am Mittag, als die Kritik zu Ende ging, ganz grau war. Natürlich war nur der wolkenbruchartige Regen daran schuld, der die ganze Barttinktur aufweichte und sie in schmutzigen Bächen auf den grauen Paletot des Unglücklichen niederfließen ließ — —

Und er sieht noch Exzellenz vor sich, wie er den Armen mit einem diabolischen Lächeln betrachtet, und er hört noch dessen Stimme: „Herr Major — Sie sollten in Zukunft doch mehr Ihrer Gesundheit als dem Dienst leben. Ich glaube es vor meinem Gewissen nicht länger verantworten zu können, Sie noch der Armee zu erhalten. ich sehe ja, wie die Strapazen Sie angreifen — Sie sind heute vormittag um Jahre gealtert.”

Soll auch er dereinst eine solche Kritik erleben? Nein, niemals. Und deshalb nicht färben, sondern nur bürsten und pflegen.

Er bürstet und fettet die Haare mit Öl und Brillantine ein.

Und er denkt dabei zurück an die Zeit, als er noch ein ganz junger Leutnant war. Wie stolz machte es ihn, als er sich zum erstenmal nicht nur rasieren lasse konnte, sondern sich sogar rasieren lassen mußte! Er kam sich erst wie ein Mann vor, als der Bart immer stärker und stärker wurde.

Damals ahnte er noch nichts von den schlaflosen Nächten, die ihm später seine Barthaare bereiten würden. Damals wußte sein kindliches Gemüt noch nichts davon, was es heißt, Offizier zu sein. Damals kannte er noch nicht die zahllosen Zufälligkeiten, von denen das Avancement des einzelnen abhängt, damlas glaubte er felsenfest wie an das Evangelium an die Worte der Kriegsartikel: jedem Soldaten steht nach Maßgabe seiner Fähigkeiten der Weg zu den höchsten Ehrenstellen im Heere offen — —

Aber jetzt hatte er eingesehen, daß die geistigen Fähigkeiten allein heutzutage für das Avancement nicht ausreichen, sondern daß da noch so vieles andere mitspricht. Ein jeder Offizier ist heutzutage ein Damokles, über dessen Haupte das Schwert an einem Haare schwebt. Und dieses Haar ist sehr häufig nur ein kurzes Barthaar.

Er bürstet und fettet weiter — heute — morgen — und jeden kommenden Tag. Bis ihm doch eines Tages die Exzellenzen die Bürsten und die Fettbüchse aus der Hand nehmen.

Aber einen Trost wird er in seinem Schmerz dann doch haben: was ihm beim Militär nicht vergönnt war, was man ihm als Soldat zum Vorwurf gemacht hätte — er braucht nicht mehr zu lügen und zu betrügen, keine „Jugend” mehr zur Schau zu tragen, die er nicht besitzt, er braucht sich nicht mehr zu verstellen und keine Komödien mehr zu spielen, er darf in Ehren grau werden. — — —


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