Gewonnen.

Erzählung von Frhrn. v. Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 1., 2., 4. und 5.Febr. 1896 und
in: „Point d'honneur”.


Lieutenant v. Brachwitz(1) saß an den geöffneten Fenstern seines im ersten Stockwerk des „Hotel zum Kronprinzen” am Hamburger Jungfernstieg gelegenen Zimmers und ließ seine Blicke bewundernd über die vor ihm liegende Scenerie gleiten. Es war ein wundervoller Sommertag, klar und wolkenlos strahlte der blaue Himmel, und die helle Luft gewährte einen weiten Fernblick über die Binnen- und Außenalster bis hinüber zu dem Uhlenhorster Fährhaus. Die Bäume am Jungfernstieg und weiter hinauf an beiden Seiten des Alsterbassins leuchteten im schönsten Grün, der vor einigen Tagen reichlich zur Erde niedergefallene Regen hatte allen Staub und Sott, der sonst in der Großstadt auf den Blättern liegt, herabgespült und den Bäumen ein frisches, verjüngtes Aussehen verliehen. Malerisch hoben sich von dem hellen Grün die schneeweißen Segel der zahlreichen Boote ab, die das Wasser belebten und auf ihrer Fahrt begleitet wurden von der Schar der Schwäne, die im Sommer der Binnenalster einen so idyllischen Anschein geben. Man glaubt sich versetzt nach einem in der Einsamkeit gelegenen Idyll und glaubt sich fern von dem Getriebe der Großstadt, wo Tausende und Abertausende die Straßen beleben, in schneller Hast vorwärts dringen, Alle beseelt von dem einen Gedanken nach Geld und Erwerb.

Die kleinen Dampfer, die den Verkehr von dem Jungfernstieg hinüber nach Winterhude und nach der Uhlenhorst befördern, durchschnitten in schneller Fahrt das kleine(2), spiegelblanke Wasser, zahlreiche Passagiere führten sie an Bord mit sich, aber noch zahlreichere standen erwartungsvoll an den Anlegeplätzen der Dampfboote, um einen Platz, und sei er auch noch so klein, zu erhaschen und für kurze Zeit sich dem Vergnügen einer Wasserfahrt hinzugeben.

Auf dem Jungfernstieg wogte eine festlich gekleidete Menge auf und ab, der Alsterpavillon, die Stühle vor dem Café Bauer und dem Wiener Café am Neuen Jungfernstieg waren überfüllt von Gästen, die sich voll und ganz dem Eindruck, den die schöne Natur auf sie machte, überließen.

Es war einer von jenen schönen Tagen, an denen man garnicht begreift, daß auch wieder Regen und Unwetter folgen kann, mit der erfrischten Natur fühlt man sich selbst verjüngt, mit dem verschwundenen Nebel, der, eine Eigenthümlichkeit der Elbestadt, sich so oft beengend und drückend herabsenkt, fühlt man sich frei und ungezwungen: das Leben erscheint Einem ebenso wie die Natur in rosigstem Licht, die kleinlichen Sorgen des Daseins sind vergessen und man begreift nicht, wie man sich von ihnen so oft hat niederdrücken lassen.

Von allen Denen aber, die heute froh und glücklich waren, war Lieutenant v. Brachwitz entschieden einer der Glücklichsten. In einem bequemen Stuhl zurückgelehnt, die Füße auf einem Faullenzer ruhen lassend, gab er sich dem Genuß seiner Upmann hin, zwischendurch seine Lebensgeister durch ein Glas eiskalten Pommery erfrischend, der im Sectkübel zu seiner Rechten stand.

Lieutenant v. Brachwitz freute sich seines Lebens, und wahrlich, er hatte alle Ursache dazu.

Brachwitz stand als Lieutenant bei einem Cavallerie–Regiment in einer kleinen süddeutschen Garnison. Sechs Jahre hatte er nun schon den bunten Rock an, und daß er ihn schon so lange getragen, verdankte er lediglich dem Umstand, daß er ein Finanzgenie war. Brachwitz hatte Schulden — Schulden bis über beide Ohren, und kein Mensch begriff eigentlich, wie er sich noch über Wasser hielt. Er selbst am allerwenigsten und dennoch brachte er das Kunststück fertig. Brachwitz war, wie alle leichtsinnigen Menschen, ein lieber, netter Kerl, ein guter Officier und ein brillanter Reiter, ein liebenswürdiger Kamerad, ein lustiger Gesellschafter und ein großer Freund der Damen, die ihre Augen stets mit Wohlgefallen auf der mittelgroßen, schlanken und dabei doch sehnigen Gestalt des jungen Reiterofficiers ruhen ließen. Und mehr wohl noch als der Kunst ein Loch dadurch zuzustopfen, daß er ein nneues aufgrub, verdankte Brachwitz wohl seiner Liebensüwrdigkeit, daß er noch den bunten Rock anhatte. Alle seine Gläubiger hetzten ihn und drohten ihm jeden Monat wenigstens einmal, jetzt aber ganz bestimmt zum Commandeur zu gehen und Anzeige zu erstatten. Aber wenn Brachwitz dann Abends im Dunkeln zu ihnen schlich und sie bat, nur noch einen Monat zu warten, einmal müsse er ja doch in der Lotterie gewinnen, dann ließen sie sich bereden und beschwatzen und Schuldner und Gläubiger trennten sich, als wären sie die besten Freunde. Und noch ein anderer Umstand kam ihm zu Statten; er hatte sich nie mit Wucherern eingelassen, seine Gläubiger waren lediglich Geschäftsleute: Schuster, Schneider, Blumenhändler, auch Hotelwirthe und Weinhändler. Das bare Geld, dessen er zuweilen bedurfte, um allzu dringliche Mahner zum Schweigen zu bringen, lieh er sich bei Freunden und Bekannten und sie gaben ihm stets, obwohl sie wußten, daß sie es nie wieder sehen würden. Aber es giebt ja nun einmal Menschen, die durch ihr Aeußeres und durch ihr Wesen so bestechen, daß man ihnen Nichts abschlagen kann.

Vor nunmehr acht Tagen war das Unglück aber über ihn hereingebrochen. Ein Herr seiner Bekanntschaft, der stets wie ein Vater an ihm gehandelt, hatte ihm eines Tages, als Brachwitz sich in der denkbar größten Verlegenheit befand, zehntausend Mark geliehen. „So lange ich lebe, brauche ich das Geld nicht wieder,” hatte er zu dem dankerfüllten Officier gesagt, „aber wenn ich todt bin, geben Sie es meiner Frau zurück, die dann das Geld, wenn meine jetzige Einnahme wegfällt, nicht entbehren kann.”

Der also zu ihm gesprochen hatte, war ein Mann in der Mitte der Fünfziger, ein Bild der Stärke und der Gesundheit und dennoch — kaum einen Monat später hatte eine Lungenentzündung ihn hinweggerafft. So schnell, so plötzlich war Alles gekommen, daß Brachwitz den kranken Freund garnicht mehr hatte sprechen können, daß er ihn erst wieder sah, als der Tod seine Augen für immer geschlossen hatte, jene Augen, die so oft mit Liebe und Wohlwollen auf dem um viele Jahre jüngeren Freund geruht hatten,.

Schwer lastete auf ihm der Verlust, den er erlitten — aber schwerer drückte ihn die Schuld und die Verpflichtung, die er der Wittwe gegenüber hatte. Der Gedanke, einer Dame etwas schuldig zu sein, wenn auch nur für Stunden, war ihm unerträglich, und wenn er auch wußte, daß der Verstorbene seiner Gattin Nichts von dem ausgeliehenen Gelde mitgetheilt hatte, so ließ ihn dieser Umstand die Angelegenheit doppelt peinlich und einer schnellen Erledigung nöthig erscheinen.

Aber zum ersten Mal ließen ihn die Freunde im Stich — man hatte schon so oft gegeben — wenn es sich um Hunderte gehandelt hätte, gern — aber gleich Tausende, die saßen nicht so locker.

Von Hause hatte er keine Hilfe zu erwarten, er kannte die Vermögens­verhältnisse der Eltern zu genau, um nicht zu wissen, daß ihnen eine solche außergewöhnliche Beihilfe ein Ding der Unmöglichkeit sei. So sah er den gähnenden Abgrund vor sich, aber nur eine Secunde dachte er daran, die Ehrenschuld durch seinen Tod zu sühnen. Wie wäre damit der Wittwe und deren Kindern gedient gewesen?

Bezahlen mußte er die Schuld, und er mußte das Geld schaffen. Zum erstenMale dachte er daran, sich an einen Wucherer zu wenden, und wer weiß, ob er nicht zu diesem letzten Mittel gegriffen hätte, wenn nicht ein Brief eines Kriegsschulkameraden ihm einen anderen Ausweg gezeigt hätte. Dieser, der in einer benachbarten Garnison bei den Ulanen stand, theilte Brachwitz mit, daß er die Absciht habe, zu den Hamburger Rennen zu fahren und seinen „Peter” dort laufen zu lassen. Brachwitz möge sich Urlaub nehmen und ihn begleiten, sie wollten sich dann einige Tage zusammen gut amusiren.

Damit war ihm der Weg gezeigt, auf dem sich wenigstens eine Möglichkeit bot, Geld zu verdienen. Noch an demselben Tage meldete er sich telegraphisch seine englische Vollblutstute „Beautiful” zur Steeple–Chaise [sic!] an, und wenige Tage später fuhr er mit dem Kameraden nach Hamburg.

Als es im Regiment bekannt geworden war, daß Brachwitz seine Finanzen durch einen Rennsieg aufbessern wollte, schüttelte man überall den Kopf. Gewiß war „Beautiful” ein schönes Pferd, das in manchen kleineren Rennen schon den Sieg davongetragen hatte, gewiß war Brachwitz ein tadelloser Reiter — aber die Chancen schienen den Pferden gegenüber, die den Hamburger Rasen betreten würden, denn doch zu gering.

Aber Brachwitz wußte, was er that. Keiner kannte die Stute und ihre Leistungsfähigkeit besser als er selbst, daß er die steeple–chase gewinnen könne, daß er auch nur den zweiten oder dritten Platz in der Concurrenz mit solchen Pferden, wie sie an den Start kämen, erreichen würde, traute er weder seinem Pferd noch sich zu. Ja, er wollte auch gar nicht gewinnen, er wollte die steeple–chase nur mitreiten, um bei der Niederlage, deren er ganz sicher war, im Gewicht niedriger geschrieben zu werden und um dadurch für das am nächsten Tage statt findende Hürden–Rennen bessere Chancen zu haben. Des Hürden–Rennens glaubte er sicher zu sein! „Beautiful” sprang wie eine Puppe und setzte ihren Lauf nach dem Sprung so ruhig und gleichmäßig fort, als hätten die Hufe gar nicht den Boden verlassen. Bis 3000 Meter lief die Stute, ohne auch nur im Geringsten ausgepumpt zu sein, während sie auf weitere Entfernungen nicht genug trainirt war.

Aber das Unerwartete geschah. „Beautiful” belegte nicht nur das Hürden–Rennen, sondern auch die steeple–chase mit Beschlag, allerdings hatte die Stute diesen Sieg nur dem Sturz der beiden gefährlichsten Concurrenten zu verdanken , aber Sieg bleibt Sieg und außer dem Preis von zehn Tausend Mark zahlte der Totalistor für die hundert Mark, die Brachwitz auf sich gesetzt, vier Tausend vier Hundert Mark zurück. Wer hätte denn auch auf „Beautiful” setzen sollen? Und so überraschte die Verkündigung des Totalisators 440:10 Niemanden.

Nachdem Brachwitz das Glück, das ihm zu Theil geworden, allmählich begriffen hatte, eilte er sofort ins Hotel, um nebst einem dankerfüllten Brief das geliehene Geld abzusenden. Er fühlte sich so frei und so glücklich, wie seit Jahren nicht, ein schwerer Alp war von ihm gewichen. Eine hübsche Summe blieb noch in seinem Besitz, die hinreichen würde, um auch einen Theil seiner anderen Gläubiger zu befriedigen.

Am gestrigen Tage, nach Beschluß der Rennen, hatten sich wie alljährlich die Sportsherren zu einem opulenten Diner vereinigt. Brachwitz, der so plötzlich der Held des Tages geworden war, bildete naturgemäß den Mittelpunkt des Kreises, und die Bewunderung und die Worte des Lobes, die man ihm zollte, schmeichelten natürlich seiner Eitelkeit. Der schwere, feurige Wein, dem man fleißig zusprach, der Champagner, der in Strömen floß, ließen sein Blut schneller wallen und seine ohnehin erregten Nerven noch unruhiger werden. Er befand sich in einem Taumel des Glückes und des Rausches, als endlich nach beendetem Diner die Cigarren angezündet und der Kaffee servirt war.

Eine Viertelstunde später war die Bank aufgelegt und das Spiel begann. Brachwitz wußte kaum, was gespielt wurde; er setzte und gewann, und je größer die Summen wurden, die sich vor ihm aufthürmten, desto größer wurde sein Einsatz.

Als die Herren sich beim Morgenanbruch trennten, hatte Brachwitz ein Vermögen in seiner Tasche.

Wie viel er gewonnen, sah er selbst erst, als er am Morgen sein Geld gezählt — es blieb ihm, nachdem er seine Schulden bezahlt, immer noch genug, um fortan selbst bei Aufwand eines gewissen Luxus völlig sorgenfrei leben zu können.

Sein Erstes war, seinen Gläubigern sofort ihr Geld zu schicken — den ganzen Vormittag hatte er am Schreibtisch gesessen, Geldbriefe adressirt und Banknoten eingepackt und sein einziger Gedanke dabei war gewesen: wie werden die Leute sich freuen, wenn sie morgen früh erwachen und diesen Brief erhalten!

Nicht eine Secunde hatte er bedauert, so viel von dem Gewinn wieder fortgeben zu müssen. Der Diener hatte die Briefe zur Post befördert und Brachwitz lag nun schon seit mehr denn einer Stunde in seinem Lehnstuhl und beschäftigte sich eingehend mit der Frage:„Was fängst Du nun mit Deinem Gelde an?”

So geht's — immer wünschen wir uns Reichthum und Besitz, und wenn er uns über Nacht plötzlich in den Schoß fällt, so wissen wir nicht, wie wir in verwerthen sollen!

Von der Straße herauf klang das Rollen der Wagen, das Stimmengewirr der hin- und herwogenden Menschenmenge, das Pfeifen der Dampfboote, die Töne der Schiffsglocke, die an der Landungsbrücke die Ankunft und Abfahrt der Boote verkünden, der Hufschlag der eleganten Pferde, welche das auf Gummirädern rollende Coupé lautlos nach sich ziehen, das Klingeln der Straßenbahnen, das vom Rathausmarkt herüberdrang, und Brachwitz schloß die Fenster, um in seinem Nachdenken nicht gestört zu sein. Er zog seine Uhr, deren Zeiger auf Eins wiesen; um vier Uhr hatte er sich zu Tisch verabredet, er wollte noch einmal anständig zu Mittag essen und dann um acht Uhr mit dem Schnellzug in seine Garnison zurückreisen, wo er sich morgen Mittag zurückmelden mußte.

„Zunächst werde ich mir tausend von diesen Cigarren mitnehmen,” dachte er, nachdenklich den blauen Ringen seiner Upmann nachblickend, „zwar sind auch sie wie alles Uebrige in dieser Stadt entsetzlich theuer, aber was schadet Das, wenn Einem die nöthigen Mittel zur Verfügung stehen? — Selbstverständlich werde ich mir auch einen Wagen und zwei elegante Traber kaufen — was die Unterhaltung kostet, spart man bei dem Droschkengeld. Auch eine größere Wohnung werde ich mir nehmen: eine Wohnstube, ein Herrenzimmer, eine Eßstube, ein Rauchzimmer und was sonst noch dazu gehört. Natürlich schaffe ich mir auch einen Weinkeller an — Gott sei Dank, daß ich nun nicht mehr nöthig habe, den sauren Casinowein und das elende Zeug zu trinken, für das ich ein schweres Geld schuldig bleiben mußte. Auch einen Groom werde ich mir aus England kommen lassen, einen Bengel, der wirklich mit Pferden umzugehen weiß und nicht solcher Esel ist, wie mein jetziger Bursche. Auf meine Zulage von zu Haus werde ich nun fortan verzichten — aber nein, ich werde sie mir lieber doch schicken lassen, denn mein alter Herr hat über das Jeu etwas sonderbare Ansichten und mlöchte es mir verdenken, wenn er erführe, wieviel ich gewonnen.”

Unwillkürlich fühlte er mit der Linken nach der Brusttasche seines eleganten Civilrockes, in der sein Vermögen in Tausend­mark­scheinen aufbewahrt war. Ach, es war doch ein glückseliges Gefühl, reich und unabhängig zu sein!

Er überlegte, wie theuer ihm die Anschaffungen, die er sich ausgedacht, kommen würden — aber der Rest, der nachblieb, war ihm noch viel zu groß, natürlich würde er das Geld auf Zinsen legen, aber auch die Zinsen däuchten ihm zu hoch.

Schwer ist es, Reichthum zu erlangen, schwerer aber, von seinem Besitz verständigen Gebrauch zu machen.

Und während unten auf der Straße Hunderte einherjagten, von dem Gedanken beseelt, Geld zu verdienen, dachte Brachwitz hier oben in seinem Zimmer darüber nach, wie er sein Geld wieder ausgeben könne.

Es war wirklich nicht so leicht, und laut aufseufzend, lerte er sein Kelchglas bis auf den Grund, legte die ausgebrannte Cigarre zur Seite und schloß sinnend die Augen.

Der Schlaf nahm ihn gefangen, und der Traumgott führte ihn hin zu dem Gut seiner Väter, auf dem er geboren und auf dem er erzogen war, bis er ins Cadettenhaus eintrat. Er sah die Geschwister, mit denen er zusammen getobt und gespielt hatt — aber noch ein anderer Kopf blickte zwischen den lieben Gesichtern hervor: Schön Elsbeth's. Sie waren Nachbarskinder, und täglich waren sie zusammen gewesen. Die kleine zarte und zierliche Eslsbeth mit dem dichten schwarzen Haar und den dunklen feurigen Augen hatte mit ihm besonders Freundschaft geschlossen, und wenn sie beim Spiel verfolgt wurde von den anderen Knaben, flüchtete sie zu ihm und suchte bei ihm Schutz und Hülfe. Nicht einmal beim Spiele duldete er, daß Jemand sie anrühre, und als einmal sein ältester Bruder im Jähzorn Elsbeth geschlagen hatte, weil diese ihm versehentlich den Ball ins Auge geworfen hatte, da war er, der viel Jüngere, wie ein Panther an dem Bruder hinaufgesprungen und es war zu einem erbitterten Zweikampfe gekommen, bei dem er zwar unterlag, aber doch dem Sieger solche Beweise seiner Kraft gegeben hatte, daß dieser sich fortan vor ihm in Acht nahm.

„Elsbeth, hast Du mich lieb?” Wie oft hatte er nicht so gefragt, wenn sie sich furchtsam und zärtlich an ihn schmiegte und statt aller Antwort hatte sie dann seine Hand gedrückt und ihn angeblickt mit ihren großen, seelenvollen Augen.

Natürlich wollte er sie hiraten, wenn er erst groß und erwachsen wäre, Das stand bei ihm so fest, wie nur iregnd etwas auf Erden. Sie blieb seine Cadettenliebe und seine Fähnrichsliebe und als er Officier geworden, galt sein erster Besuch ihr.

Aber sonderbarer Weise sprachen sie bei diesem Besuche nicht vom Heiraten — auch später nicht, wenn sie sich während seines Urlaubs sahen, den er stets im Elternhause verlebte. Liebte er sie nicht mehr? Sicherlich, und mit Bewunderung ruhten seine Blicke stets auf der lieblich emporgewachsenen Gestalt. Aber die Worte, die im Scherz in früheren Jahren so oft über seine Lippen gekommen waren, blieben jetzt ungesprochen. Was er dem Kind gesagt, durfte er jetzt nicht wiederholen, wenn es ihm nicht Ernst war mit seinen Worten. Und konnte und durfte er jetzt schon davon reden? Der strengen Zucht des Cadettencorps entwachsen, genoß er in vollen Zügen die Freiheit und das Leben, und wenigstens für das Erste dachte er nicht daran, sich zu verheiraten. Er war ja auch kaum einundzwanzig Jahre alt, und als jüngster Officier des Regiments konnte er sich doch nicht mit Verlobungsgedanken tragen.

„Aber wenn ich einmal heirate, heirate ich schön Elsbeth,” so sprach er oft zu sich, und manchmal´, wenn das Einerlei des Junggesellenlebens, das ewige Trinken und Spielen ihn langweilte, dachte er: „Ach, daß ich doch erst schön Elsbeth heiraten könnte. Wenn ich Premier bin, halte ich um sie an,” nahm er sich vor.

Aber als der erste Stern auf seinen Achselstücken schillerte und glänzte, sprach er dennoch nicht das entscheidende Wort, obwohl er bei seinen vielen Besuchen gar wohl gemerkt hatte, daß Elsbeths Herz ihm entgegenschlüge und daß sie auf ihn wartete seit Jahren.

Ein Hinderniß gab es zu beseitigen, über das keine Liebe hinweghalf: schön Elsbeth war nicht reich; er kannte die Vermögens­verhältnisse ihres Vaters zu genau und wußte, daß Elsbeths Mitgift und das Geld, das sein Vater ihm auszahlen konnte, nicht das Commißvermögen zusammen ausmachten. Das Gesetz zu umgehen war unmöglich, so hieß es zu warten, bis er entweder Rittmeister geworden oder bis seine Eltern die Augen geschlossen hatten und ihm das väterliche und mütterliche Erbe zufiel.

Aber ebenso wie ihm der Gedanke widerstrebte, sein Glück auf ein für ihn so trauriges Ereigniß aufbauen zu sollen, hielt er es ebenso für mehr als egoistisch, Elsbeth durch Versprechungen und durch Vertröstungen auf eine in weite Entfernung gerückte Zukunft hinzuhalten. Er wollte keine Hoffnungen erwecken, die sich vielleicht nie erfüllen konnten — so wurden seine Besuche auf dem nachbarlichen Gute seltener und seltener, er vermied es, mit Elsbeth zusammen zu treffen, wenngleich durch diese Zurückhaltung, die er sich selbst auferlegte, seine Liebe immer stärker und mächtiger wurde. Aber die Hindernisse, die einer Verbindung entgegenstanden, schienen ihm so groß und unüberwindlich, daß er den Gedanken an eine Verwirklichung seiner Pläne, wenn auch erst nach langem Kampf, ganz aufgegeben hatte.

Und plötzlich fuhr er jäh aus seinen Gedanken und Träumereien empor: nun war ja das Haupthinderniß überwunden, er war ja reich, sehr reich, mit Leichtigkeit konnte er die zur Erlangung des Consenses erforderliche Summe nachweisen, nun lag es nur an ihm, ob er den Traum so vieler Jahre verwirklichen wolle! Elsbeth liebte ihn, Das hatte jeder Blick, jedes Wort ihm oft genug verrathen; aber Jahre waren vergangen, seitdem sie sich zuletzt gesehen, waren die Gefühle, die sie für ihn gehegt, dieselben geblieben in der langen Zeit und war die Liebe, die er selbst in seinem Busen hegte, jene wahre, echte, selbstlose, Alles verleugnende Liebe, deren es bedarf, wenn der Bund, den er zu schließen beabsichtigte, ein wahrhaft gesegneter sein und bleiben sollte?

Und vor ihm tauchte plötzlich wieder schön Elsbeths Gestalt auf, wie sie bei seinem letzten Dasein vor ihm gestanden hatte: er sah die sinnberückenden Augen forschend auf ihm ruhen, er athmete den Duft ihrer Haare, er erblickte die mittelgroße, biegsame Figur, das scharf und edel gezeichnete Gesicht, er glaubte eine Berührung ihres schönen Armes, ihrer schlanken Finger mit den wohlgeformten und wohlgepflegten rosigen Nägeln zu spüren, er hörte ihren leichten, elastischen Schritt, wie sie auf den kleinen, fast winzigen Kinderfüßen einherging — und er fühlte sein Blut schneller fließen, sein Herz lauter und heftiger schlagen. War Das Liebe, die ihn da so plötzlich ergriff, daß er die Arme ausstreckte, um die Jugendgespielin an sein Herz zu ziehen, um die rosigen Lippen zu küssen, wie er es so oft als Kind gethan.

Von schnellem Impuls getrieben und gewohnt, stets dem ersten Gedanken zu folgen, sprang er empor, setzte sich an den Schreibtisch, und mit fast fieberhafter Hast flog seine Hand über das Papier. Er schilderte ihr, was er erlebt in den letzten Tagen, wie sein Pferd und sein Glück ihm schnell zum Reichthum verholfen hätten — wie er nun, frei von allen pecuniären Sorgen und in der Lage, ihr eine gesicherte Zukunft bieten zu können, sie frage, nicht ob sie ihn liebe, wohl aber, ob er zu ihr kommen dürfe, mit der Absicht, um sie zu werben. Sie wollten sich wiedersehen, sich Beide gegenseitig prüfen und einander wieder näher treten nach so langer Trennung, und des Herzens Stimme solle über ihr beiderseitiges Geschick entscheiden. Heute Abend noch kehre er in seine Garnison zurück, und dorthin bitte er sie, ihre Antwort zu senden.

Er couvertirte den Brief und klingelte dem Kellner, dem er das Schreiben zur sofortigen Besorgung übergab.

Dann sah er nach der Uhr. Sie wies auf die vierte Stunde, er mußte sich mit der Toilette beeilen, wenn er rechtzeitig mit den Herren, mit denen er sich verabredet, zusammentreffen wollte.

Schnell wechselte er seine Kleider, packte seinen Koffer, den er gleich nach dem Venloer Bahnhof bringen lassen wollte, ohne daß er deswegen nöthig hätte, noch einmal ins Hotel zurückzukehren, klingelte wiederum nach dem Kellner, den er aufforderte, die Rechnung zu bringen und dachte bei Allem, was er that und was er sprach, doch nur an schön Elsbeth.

Wie war es möglich gewesen, daß er ihrer auch nur für Stunden hätte vergessen können, daß nicht der erste Gedanke, nachdem sich seine Lage so verändert, ihr gegolten hatte? Der Taumel des Glücks, der ihn ergriffen, mußte sein Sinnen und Denken verwirrt haben, und das Wort, daß man sich nie mehr mit seiner eigenen Person beschäftigt und dann am wenigsten Sinn und Interesse für andere hat, als in jenen Stunden, da das langersehnte Glück uns endlich zu Theil wird, hatte sich auch an ihm bewahrheitet.

Sein Freund, der ihn auf der Reise nach Hamburg begleitet und mit ihm zusammen das Hotel bewohnt hatte, war schon am Morgen mißmuthig über die Niederlage seines Pferdes, auf das er große Hoffnungen gesetzt und große Summen gewettet hatte, sowie verdrießlich über den Spielverlust, den er erlitten hatte, in seine Garnison zurückgekehrt.

So verließ Brachwitz denn, nachdem er seine Rechnung beglichen und dem Portier nochmals eingeschärft hatte, sein Gepäck rechtzeitig auf die Bahn zu befördern, das Hotel. Die Normaluhr an der Dampferanlegebrücke wies auf halb fünf, so hatte er noch eine Virtelstunde Zeit und er benutzte dieselbe, um noch einmal über den Jungfernstieg zu schlendern und sich die Menschen und die Läden noch einmal anzusehen. Wer wußte, wann er einmal hierher zurückkehren würde, vielleicht auf der Hochzeitsreise. — Wieder fühlte er, wie bei dem Gedanken sein Herz schneller schlug, — morgen schon würde schön Elsbeth seinen Brief erhalten, spätestens nach drei Tagen konnte ihre Antwort ihn erreichen. Sicherlich würde auch sie sich freuen, ihn wiederzusehen — aber nicht mit leeren Händen wollte er zu ihr kommen, eine Aufmerksamkeit wollte er ihr mitbringen. Er trat vor das Fenster eines Juwlierladens und musterte kritischen Auges die dort ausgelegten Schätze: die Diamant- und Brillantringe, die Perlenketten, die ein Vermögen repräsentirten, die Ohrgehänge und die Broschen. Seine Wahl fiel endlich auf ein Armband von Diamanten und Türkisen., — er betrat den Laden und ließ sich das Armband vorlegen. Der Preis — zweitausend Mark — setzte ihn in Verlegenheit — war das Geschenk, um als bloße Aufmerksamkeit zu gelten, nicht zu kostspieleig, konnte Elsbeth es von ihm annehmen? Wie aber, wenn sie ihn erhörte, wenn ihre Herzen sich fänden? Als Brautgeschenk wollte er es ihr dann überreichen und ohen Zögern erlegte er den geforderten Preis. Er barg das werthvolle Etui in seiner Paletottasche und schlug dann den Weg zu einem Restaurant ein.

Die Herren, mit denen er sich gestern verabredet hatte, zusammen zu speisen, erwarteten ihn bereits in einem im oberen Stockwerk gelegegen blauen Damastzimmer, in dem die Tafel für zwölf Gedecke mit der dem bekannten Restaurant eigenen Sorgfalt und Eleganz gedeckt war.

Auch heute bildete Brachwitz den Mittelpunct des kleinen Kreises: war er am gestrigen Tage durch den Erfolg des Rennens der Held des Tages gewesen, so war es heute nicht weniger die Summe, die er am Spieltisch gewonnen hatte.

„Aber Sie werden uns doch nachher Revanche geben?” fragte da plötzlich ein in Sportkreisen sehr bekannter Herr, „der Zug bleibt ja stehen, wenn Sie wirklich ihren ganzen Gewinn mit nach Hause nehemn wollten, die Locomotive kann so viel Geld ja gar nicht ziehen!”

„Aber Das ist doch selbstverständlich,” bestätigte ein Anderer, „das Gegentheil anzunehmen wäre ja schon eine Beleidigung.”

„Für wen eine Beleidigung?” fragte Brachwitz scharf.

„Sowohl für uns, die nach den Spielregeln das Recht haben, Revanche zu verlangen, als auch für Sie, der Sie nach denselben Spielregeln Revanche zu gewähren verpflichtet sind.&rdquo,

Brachwitz lag eine scharfe Entgegnung auf der Zunge, aber er bezwang sich gewaltsam und bemühte sich, die Erregung, die ihn ergriffen hatte, nicht zu verrathen. Nicht für ihn bangte ihn — aber wenn er verlöre, wenn alles Geld, dessen Besitz ihn jetzt so glücklich und sorglos machte, wieder in andere Hände überginge, was dann? Was sollte aus Elsbath und ihm werden, wie sollte er dann vor sie hintreten? Wie sollte sie den Muth haben, selbst wenn sie ihn liebte, sich einem Mann anzuvertrauen, der in wenigen Stunden ein Vermögen durchbrachte? Sie würde ihm nicht glauben, es nicht verstehen, daß er moralisch gezwungen gewesen sei, Revanche zu geben, sie würde ihn von sich stoßen, bevor er sie besessen!

Diese Gedanken bestürmten ihn, während das Diner servirt ward und man bei jedem neuen Gang von Neuem die Kunst des Kochs bewunderte. Es war fast sieben Uhr, als der Kaffee servirt wurde und Brachwitz athmete erleichtert auf, als die Uhr Sieben schlug und man sich an den Spieltisch setzte. Um acht ging sein Zug, um halb acht Uhr hatte er sich den Wagen zur Bahn bestellt, eine halbe Stunde blieb ihm also nur noch zur Verfügung und er nahm sich vor, ebenso ruhig und besonnen zu bleiben, wie er gestern leichtsinnig und toll gewesen war.

Bald erklang das eintönige: „Faites votre jeu, messieurs” des Banquiers, und das Gold rollte über den Tisch. Aber auch heute blieb Brachwitz das Glück hold — er achtete des Gewinnes anfänglich nicht — was der Banquier ihm zuschob, konnte seinetwegen als Revanche gern wieder von hinnen gehen — aber es blieb stehen und vermehrte sich mit fast erschreckender Geschwindigkeit, und als er sich endlich erhob um aufzubrechen, nannte er abermals einen nach vielen Tausenden zählenden Gewinn sein Eigen.

Als er eine halbe Stunde später im Coupé erster Classe saß und die Stadt verließ, in der ihm Fortuna so hold gewesen war, malte er sich die Zukunft im rosigsten Lichte aus. Er war ja reich — und anstatt wie am Vormittag thörichten, fast kindlichen Gedanken darüber nachzuhängen, wie er sein Geld verausgaben könne, überolegte er nun, wie er schön Elsbeth, wenn sie sein Eigen geworden, erfreuen könne, wie er das Haus, in dem sie fortan schlaten und walten würde, für sie schmücken, wie er jeden ihrer Wünsch erfüllen wolle, und soweit es in seinen Kräften stünde, ihr das Leben sorglos und heiter gestalten.

Je mehr er an sie dachte, je mehr er sich in Gedanken mit ihr beschäftigte, desto heißer fühlte er sich zu ihr hingezogen, desto stärker ward in ihm die Liebe, desto größer die Sehnsucht.

„Und wenn sie Dich nur liebt wie einen guten Kameraden, was dann?” fragte er sich. „Was nützt Dir dann das Gold, das Du in Deinen Taschen hast? Jetzt, da Du schuldenfrei, kannst Du reichlich mit Deiner Zulage auskommen, was willst Du mit dem Geld? Glaubst Du, daß der Besitz eines oder zweier Pferde mehr Dich glücklicher macht, glaubst Du, daß die Anschaffung neuer Möbel, neuer Sachen Dich zufriedener macht? Gedarbt, den Luxus entbehrt hast Du nie — für einen Armen ist der Reichthum, der ihm plötzlich zu Theil wird und sein ganzes äußeres Leben umgestaltet, Alles, Alles, die ganze Welt — für Dich aber, der Du, wenn auch in bescheidenem, so doch bei verständiger Lebensweise ausreichendem Besitze warst, ist dieses Mehr, das Du errungen, keine allzuwichtige Sache. Freude wirst Du erst an Deinem Besitz empfinden, wenn Du Dir dadurch erst das wahre Glück zu verschaffen vermagst.”

Das wahre Glück, was war es anders für ihn als Elsbeths Besitz, deren Bild ihn umgaukelte und ihn auch fortan nicht mehr verließ!

Mit rasender Schnelligkeit sauste der Blitzzug dahin. Bäume und Hecken, Wiesen und Dörfer schwanden wie im Fluge, kaum daß die Locomotive ihre Geschwindigkeit etwas verringerte, wenn sie mit schrillem Pfiff durch die Bahnhofshallen der kleinen Städte dahinjagte, daß die den Eisenbahndamm bedeckenden Steinchen wie von einem Wirbelwind gefaßt und emporgeschleudert wurden. Nur eine Minute hielt der Zug in Wittenberge, dann ging es weiter ohne Aufenthalt Berlin entgegen und von dort nach der Garnison.

Ermüdet von der langen Eisenbahnfahrt, abgespannt von den Anstrengungen und Gelagen der letzten Tage, langte er gegen Mittag in seiner Garnison an. Wie ein Held wurde er auf dem Bahnhof empfangen, telegraphisch hatte er dem Regiment den errungenen Sieg angezeigt, die Sportszeitungen hatten das Nähere über die Rennen gebracht, nun waren sie Alle, denen der Dienst es erlaubte, gekommen, um ihn bei seiner Rückkehr zu begrüßen und zu beglückwünschen. Sie alle waren stolz auf den Erfolg, den er sich errungen — war es doch ein Angehöriger ihres Regiments, der als Erster das Ziel passirt hatte. Sie umringte ihn mit Fragen und stürmten auf ihn ein, sie wollten Alles, Alles wissen, und kaum konnte er sich ihrer erwehren.

Auch der Commandeur empfing ihn sehr wohlwollend und gütig: auch er freute sich des Sieges, den einer seiner Officiere errungen, er wußte, daß Brachwitz mit pecuniären Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und hoffte, daß der Renngewinn es seinem Untergebenen ermöglichen würde, seinen eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen. Auch er ließ sich alle Einzelheiten des Rennens erzählen und entließ dann den Officier freundlich: „Wenn Sie den Wunsch haben, Ihren Eltern persönlich die Nachricht von Ihrem Siege zu überbringen, so steht dem meinerseits Nichts im Wege.”

„Der Herr Oberst sind sehr gütig und kommen meiner Bitte zuvor: wenn der Herr Oberst gestatten, möchte ich übermorgen Mittag gern auf einige Tage nach Hause fahren.”

„Genügen Ihnen acht Tage?”

„Zu Befehl, Herr Oberst, meinen gehorsamsten Dank.”

Dann war er entlassen.

Morgen, spätestens übermorgen konnte schon Elsbeths Antwort da sein — seiner Reise stand kein Hinderniß entgegen, wenn sie ihm zu kommen erlaubte. Und wenn nicht? Dann wollte er einige Tage auf dem Gut seiner Eltern verbringen, eine Begegnung mit Elsbeth erstreben und eine Umwandlung ihrer Gesinnung zu ermöglichen suchen.

Was man erhofft, nimmt man als sicher an, und trotzdem kann man die Befürchtungen, daß unsere Wünsche sich zerschlagen, nicht zurückhalten. So glaubte auch Brachwitz sicher zu sein, daß Elsbeth ihn liebe, er nahm es als sicher an, weil er es hoffte, und dennoch kamen für ihn Minuten, in denen ihn eine tödtliche Angst befiel, daß ihr Herz einem Andern gehöre.

Der Nachmittag vereinigte die Officiere des Regiments im Officier–Casino zu einem Liebesmahl. Brachwitz hatte die Herren gebeten, seine Gäste zu sein, und auch hier sprach man fleißig den schönen Weinen zu. Weder die Speisen noch die Getränke waren so gut, wie er sie in Hamburg genossen, und doch schmeckte es ihm hier im Kreise der Kameraden viel schöner. Er war froh, wieder „zu Haus”, wie er das Casino nannte, zu sein und die Glückwünsche und die Bewunderung, die ihm die Kameraden zollten, galten ihm mehr als alle Worte des Lobes, die er auf der Rennbahn gehört hatte und in die sich von Seiten der Beglückwünschenden doch stets Neid und Mißgunst geschlichen hatten. Wer waren überhaupt jene Herren gewesen, mit denen er dort gesprochen und verkehrt hatte? Zum Theil Officiere, Kameraden, zum größten Theil aber Herren, die er zum ersten Male gesehen, deren Namen er bei der Vorstellung kaum verstanden, mit denen er wohl nie wieder zusammenkommen würde. Aus seinem Gedächtniß würden sie gar bald verschwinden, wenn auch sie ihn und das Geld, das er ihnen abgenommen, nicht so schnell vergessen würden. Und wieder gedachte er seines Besitzes, den er in seinem Schreibtisch verschlossen hatte, und wiederum durchströmte ihn jenes behagliche und wohlthuende Gefühl, das das Bewußtsein, reich zu sein, verursacht.

Vergebens spähte Brachwitz am nächsten Tag nach dem erwarteten Brief aus und auch der folgende Tag brachte ihm keine Kunde. Ein Gefühl der Unruhe und der Angst überfiel ihn: hatte Elsbeth sein Schreiben nicht erhalten, war sie krank, daß sie ihm keine Nachricht gab, war sie verreist, daß sie ihm noch immer keine Kunde sandte? Was war geschehen — und die Niedergeschlagenheit ergriff ihn um so mehr, als er mit absoluter Bestimmtheit eine ihm günstige Antwort erwartet hatte. Peinigender als Alles ist die Ungewißheit, und auch Brachwitz litt unter diesem Zustand; selbst die Nachricht, daß sie ihn nicht mehr liebe, würde ihn ruhiger gelassen haben, er hätte dann versucht, wie ein Mann das Unabänderliche zu tragen.

Sein erster Gedanke war, in der Garnison Elsbeths Brief, der jedoch über kurz oder lang kommen mußte, abzuwarten und dann erst seinen Urlaub anzutreten; dann aber wieder befiel ihn die Furcht, daß irgend ein Unglück, irgend etwas Besonderes vorgefallen sei, das Elsbeths Schreiben verzögere.

So entschloß er sich denn schließlich doch, heute seinen Urlaub anzutreten. Er meldete sich bei seinen Vorgesetzten ab, verabschiedete sich von seinen Kameraden im Casino, legte seinem Burschen nochmals ans Herz, gut für die Pferde zu sorgen, und falls etwas passiren sollte, sofort zum Roßarzt zu schicken, und fuhr dann Mittags fort. Er hatte keine weite Reise: nur vier Stunden mit der Bahn und eine kleine Stunde noch mit dem Wagen. Er hatte seine Eltern telegraphisch von seiner Ankunft benachrichtigt und was er gehofft, war geschehen: sein alter Vater war selbst mit dem Juckergespann zur Bahn gekommen, um seinen Liebling abzuholen.

Nun fuhren sie, nachdem sie sich herzlich begrüßt, dem alten Familiengut entgegen. Mit Stolz und Wohlgefallen ruhten die Augen des Vaters auf der Gestalt seines Sohnes, der mit Ruhe und Sicherheit die feurigen Pferde zu lenken verstand.

„Und nun sag' mir, mein Sohn, was verschafft uns die Freude Deines Besuches?”

„Etwas Frohes, Papa — eine Ueberraschung für Euch Alle — ich habe mit „Beautiful” in Hamburg gewonnen.”

„Nun, da gratulire ich herzlich,” rief der alte Herr munter und setzte dann nach einer kleinen Pause hinzu: „Nimm's mir nicht übel — ich fürchtete schon, Du kämest wieder einmal, um zu beichten — auf einen Tausender hatte ich mich eingerichtet — na, willkommen wird er Dir auf alle Fälle sein, er liegt zu Haus für Dich bereit.”

Aber lachend wehrte Egbert ab: „Nein, Papa, wirklich, ich brauche Nichts.”

„Dann bewahre ich ihn Dir für später auf — einmal wird doch wohl noch, so lange ich lebe, die Stunde kommen, in der Du in Verlegenheit bist.”

Sie fuhren nun auf der Chaussee dahin, zu deren beiden Seiten das hohe Korn stand.

„Und wie wird die Ernte, Papa?”

„Wenn der Himmel uns weiter gnädig bleibt, gut, sehr gut — besser als seit Jahren — doch man darf den Tag nicht vor dem Abend, die Ernte nicht vor erfolgter Einfahrt loben.”

Sie sprachen von Dem, was sich seit Egbert's Abwesenheit hier ereignet, von den Nachbarn, mit denen man zu verkehren pflegte und von gemeinsamen Bekannten in der Stadt.

„Und wie sieht's auf Ratkow aus? Was machen Holzigs und vor allen Dingen was macht schön Elsbeth?” fragte Egbert endlich.

„Sie sind gut zu Wege,” tröstete der Vater, „das heißt,” fügte er gleich hinzu, „sie haben Trauer bekommen, Du weißt ja, die alte Kammerherrin, die jeden Sommer zum Besuch dort war, ist nun endlich gestorben. Lange hätte sie aber damit auch nicht mehr warten dürfen, denn mit Holzig stand es, unter uns gesagt, recht schlecht, er war dicht vor dem Concurs.”

„Und nun?” fragte Egbert, da der Vater schwieg.

„Nun?” lachte der Alte, „nun ist er dicke heraus! Die Schulden sind bezahlt, und es muß noch ein hübscher Posten übrig geblieben sein. Wenn der Alte Alles ausführen will, was er plant, muß er noch über große Summen verfügen. Nun, mich geht's ja Nichts an. Na, Du wirst ja doch selbst wohl einmal hinfahren und guten Tag sagen.”

„Ich dachte morgen, Papa, wenn Du mir Pferde geben kannst?”

„Natürlich, mein Junge,” lachte der Alte, „glaubst Du, ich spanne die Jucker vor den Pflug? Die stehen den ganzen Tag zu Deiner Verfügung. Aber, halloh, da ist ja Mutter!”

Frau v. Brachwitz war in der Ungeduld ihres Herzens, den Sohn begrüßen zu können, dem Wagen bis an die Grenze des Gutes entgegengegangen: mit ihrem Taschntuch wehte sie dem Ankommenden ein Willkommen zu und schnell sprang Egbert von dem Wagen, sich kaum Zeit lassend, dem hinter ihnen sitzenden Kutscher die Zügel zu reichen.

Auch der alte Herr stieg nun, nachdem die Pferde zum Stehen gebracht worden waren, herunter und plaudernd legten nun alle Drei den nur kurzen Weg zum Herrenhaus zurück. Was gab es nicht Alles zu fragen und zu beantworten. — Vor Allem mußte Egbert berichten und über Alles, was ihn interessirte, mußte er Auskunft haben. Und was interessirte ihn hier nicht, wo er geboren und erzogen war, wo er jeden Erwachsenen, jedes Kind — jeden Baum und jeden Strauch — jedes Pferd und jedes Küken kannte! Wie im Fluge war ihnen der Tag vergangen, als sie sich endlich Abends, später als sonst auf dem Lande üblich, trennten, um der Ruhe zu pflegen.

Frau v. Brachwitz hatte ihren Sohn in der Absicht, am nächsten Tage nach Ratlow zu fahren, selbst bestärkt: „Auch wir sind Holzigs immer noch einen Besuch schuldig — aber Du weißt ja, wie es geht — man kommt nicht dazu. Da ist es mir sehr lieb, daß Du hinfährst, — entschuldige uns und künde unseren Besuch für einen der nächsten Sonntage an.”

So fuhr Brachwitz denn am nächsten Nachmittag nach dem nur eine kleine Stunde entfernten Ratkow. Der alte Christian, der neben ihm auf dem nur zwei Personen fassenden Wagen saß und der vor vielen Jahren bei demselben Regiment seiner Dienstpflicht genügt hatte, dem sein junger Herr nun angehörte, erkundigte sich, wie er Das jedes Mal that, wenn Egbert auf Urlaub war, nach Diesem und Jenem, nach einem der Officiere und nach den Wachtmeistern, und ob die „Liese”, die er seiner Zeit geritten, noch immer in der Schwadron ginge und was dergleichen ihn interessirende Fragen mehr waren.

Nur mit halbem Ohr hörte Egbert auf den heute besonders neugierigen Alten und nur flüchtig gab er Antwort. Seine Gedanken weilten bei Elsbeth und immer wieder stellte er sich die Frage: „Warum hat sie nicht geschrieben, wie wird sie Deinen Besuch deuten, da Du kommst, ohne ihre Erlaubniß zu haben?”

Aber nicht Das allein war es, was ihn beschäftigte, noch ein Anderes quälte ihn, das war der Umschwung, den Holzig's pecuniäre Verhältnisse erfahren hatten. Er hatte gestern Abend mehrmals das Gespräch mit seinen Eltern auf dieses Thema gebracht. Genaue Summen hatten sie ihm natürlich nicht anzugeben vermocht, aber er wußte, daß sein Vater mit dem Wort „reich” sehr sparsam umging und dennoch hatte er dem alten Holzig diese Bezeichnung gegönnt. Lag in dieser Veränderung der äußeren Verhältnisse vielleicht der Grund zu Elsbeths Schweigen? War sie stolz und vornehm geworden? Hatte der Reichthum ihren Sinn geändert? Nein, Das konnte nicht sein — nicht wie ein Bettler trat er vor sie hin, er kam auch nicht um zu bitten, sondern um ihr zu bieten, was ihm in den Schoß gefallen war.

Nun bogen sie von der Chaussee, die unmittelbar am Gute vorbeiführte, auf den Hof ein und eine Minute später hielt Egbert den Wagen vor der Freitreppe an.

Der gnädige Herr sei über Feld geritten, die gnädige Frau sei schon seit drei Tagen verreist, nur das gnädige Fräulein sei zu Hause, meldete der herbeieilende Diener.

„Ich bitte mich anzumelden.” Egbert reichte dem Diener seine Karte und während der alte Christian im Schritt nach dem Stall fuhr, um dort auszuspannen, betrat Egbert das Herrenhaus. Es war ihm bekannt wie das elterliche Schloß, auch hier kannte er jede Stube und jedes Zimmer.

„Wollen der Herr Lieutenant hier bitte nähertreten?”

Der Diener hatte eine Zimmerthür geöffnet und stand in bittender Haltung.

„Aber Franz, früher empfingt Ihr doch immer links?” fragte Egbert ganz verwundert. „Wissen Sie auch ganz genau, daß ich hier herein soll?”

Er betrat die Stube und mit Verwunderung schweiften seine Blicke durch den mit behaglicher Eleganz eingerichteten Raum, allerdings, hier war Manches, fast Alles anders geworden seit der Zeit, da er es zum letzten Mal gesehen, und das Staunen und die Verwunderung nahmen seine Sinne so gefangen, daß er nicht hörte, wie die Thür abermals geöffnet ward.

„Guten Tag, Egbert, herzlich willkommen!” erklang da eine helle Stimme hinter ihm.

Schnell drehte er sich herum, aber sprachlos stand er der Gestalt gegenüber. War dieses zu einer blendend schönen Jungfrau herangewachsene Mädchen wirklich seine frühere, wilde, kleine Spielgefährtin? Wohl hatte sie als hübsch und liebreizend in seiner Erinnerung gelebt, aber das Bild, das er sich von ihr gemacht, blieb weit zurück hinter dem Bild, das die Wirklichkeit ihm nun bot. Das schwarze Haar, nur von einer dunkelrothen Schleife zusammengehalten, hing schön Elsbeth fast bis in die Kniekehlen herab, rosig roth hob sich die Farbe ihres zarten Gesichts davon ab und hell und freudig blitzten die dunklen Augen. Ein blendend weißes Sommerkleid umschloß die schlanke, biegsame Gestalt, unter dessen Saum die in zierlichen Brocatschuhen steckenden kleinen Füßchen hervorsahen.

„Elsbeth, wie schön bist Du geworden!” Das klang so herzlich, so aus innerster Ueberzeugung kommend, daß sie fühlte, Dies sei kein leeres Compliment.

Einen Augenblick schwieg sie verlegen, dann aber lachte sie laut auf. „Du findest wohl meine Frisur so schön — Das ist jetzt hier die neueste Mode, der allerdings nur ich mich unterwerfe. Für ein erwachsenes Mädchen ist es wohl nicht ganz passend — Mama sagt immer, ich sähe aus, wie die in allen Journalen abgebildete Anna Czillak mit ihrem hundertachtzig Metern — oder sind es Centimeter — langen Riesenhaar, aber wenn wir allein sind, trage ich es stets so. Hätte ich geahnt, daß Du uns heute überraschen würdest, hätte ich mich sicherlich Dir zu Ehren nach der allerneuesten Mode frisirt.”

„Um Gottes Willen, nur Das nicht,” bat er, und dann nach einer kleinen Pause, während dess' sie sich gesetzt hatten, fuhr er fort: „Elsbeth, hast Du mich heute wirklich nicht erwartet?”

Wieder senkte sie vor dem Ton seiner Worte den Blick zu Boden und ein jähes Roth ergoß sich in ihre Wangen — er fühlte sein Herz unruhiger schlagen, verrieth nicht ihr Erröthen, daß sie ihn liebe?

„Elsbeth,” bat er mit schmeichelnder Stimme, „sag' mir, warum hast Du mir nicht geantwortet auf meinen Brief? Wolltest Du nicht, daß ich her zu Dir käme — gib mir Gewißheit, sag' hast Du mich noch so lieb, wie damals, als wir Kinder waren?”

Er war aufgesprungen und wollte sich ihr zu Füßen werfen, aber ein Blick aus ihren Augen bannte ihn, gab ihm die Besonnenheit zurück.

Sie that, als hätte sie seine letzte Frage nicht gehört, und doch verrieth das Wogen ihres Busens, das Zittern ihrer Stimme ihre innere Erregtheit, die sie erst allmählich niederzwang.

„Warum ich Dir nicht schrieb auf Deinen Brief?” gab sie zurück, während abermals das Blut ihre Wangen färbte, „da Du nicht hier warst, wünschte ich Dich herbei, um Dir Alles mündlich sagen zu können, und nun Du hier bist, wünsche ich, ich hätte Dir geschrieben, dann wärst Du nicht gekommen.”

„Elsbeth,” rief er, „so ist es wahr, was ich zu fürchten kaum gewagt, einem Anderen hast Du Dein Herz geschenkt?” und nun, da er fürchtete, sie für immer zu verlieren, fühlte er, wie sehr er sie liebe.

So klagend, so hülflos klang seine Stimme, daß ihr Herz erbebte vor Freude und Glück, sich geliebt zu wissen, und eine innere Stimme flüsterte ihr zu: „mach' seinem und deinem Leid ein Ende, der Augenblick, den du seit Jahren ersehnt und erhofft, ist nun da! Was zögerst du noch, ihm zu sagen, daß auch du ihn liebst, daß du ihm gehörst mit Herz und Seele!”

„Höre mich an,” bat sie, sich nur mühsam beherrschend, „und laß mich Dir Alles, Alles sagen. Ich liebe Dich, nur Dich — ich hab' Dich nicht vergessen die lange Zeit, da wir uns nicht sahen, ich habe diese Stunde von Gott erfleht und erbeten, und ich wußte, daß sie kommen würde! Nein, unterbrech mich nicht,” bat sie, als er ebenfalls aufgesprungen war und sie stürmisch in seine Arme schließen wollte, „höre mich an bis zu Ende.”

„Du hast mich gefragt, ob Du herkommen dürftest — und wenn ich Dir die Antwort schuldig blieb, so geschah es, weil ich nicht wußte, wie ich in Worte kleiden sollte, was Dir zu sagen, mir auch jetzt so schwer wird. Daß ich Dich liebe, daß ich mir kein größeres Glück denken kann, als Dir anzugehören, weißt Du — und dennoch kann es nicht sein.”

„Und warum nicht?” fragte er erregt, „Du liebst mich wie ich Dich, ich bin reich —”

„Du sprichst aus, was ich zu sagen mir nicht getraute,” fiel sie ihm ins Wort, „Dein Reichthum ist es gerade, der mich abhielt, die Deine zu werden,” und als sie seinen staunenden, fragenden Blick gewahrte, fuhr sie fort:

„Du bist reich geworden, in einer Nacht — am Spieltisch. Nicht in ehrlicher Arbeit ist Dein Geld erworben, sondern heimlich, wohl gar hinter verschlossenen Thüren, habt Ihr dem jeu gehuldigt. Du gewannst — wieviel Flüche, Verwünschungen, wohl auch wieviel Thränen mögen dem so von Dir erworbenen Schatze nachgeschickt und nachgeweint worden sein! Daran müßte ich denken bei jedem Bissen, den ich äße, bei jedem Gegenstand, den ich kaufte, und das Essen würde mir in der Kehle stecken bleiben und ich würde an meinem Besitz keine Freude empfinden. Auf solchen Grundlagen aber darf keine Ehe aufgebaut werden, wenn sie Glück und Segen bringend sein soll. Schilt mich thöricht und albern, ich kann über meine Empfindungen und Gefühle nicht hinaus — mir graut vor Deinem Gelde, als hättest Du es durch ein Verbrechen gewonnen, als hättest Du wie ein Dieb Dir angeeignet, was Dir nicht gehört. Wärst Du zu mir gekommen, arm wie ein Bettler — ich hätte Dich aufgenommen und zu Dir gesagt: ich bin nicht reich, aber ich habe genug, um Dir und mir eine sorgenfreie Existenz zu bieten — dem Brachwitz, wie er früher war, hätte ich mit Freuden meine Hand gegeben, aber dem reichen Brachwitz schlage ich sie aus. Und deshalb schrieb ich Dir nicht — ich wollte nicht, daß Du kämest. Wozu auch? Unsere Herzen werden schwerer und trauriger, als sie es schon sind und keine Hoffnung zeigt sich für uns: denn fest und unabänderlich steht mein Entschluß, glaube nicht, daß es mir leicht geworden ist, so zu beschließen — Tag und Nacht habe ich gekämpft.”

Sie schwieg und ihre Augen schimmerten in feuchtem Glanz der Thränen. Starr und unbeweglich saß Egbert ihr gegenüber und jeder Blutstropfen war aus seinen Wangen gewichen. Er sah das Glück, das er so nahe gewähnt, für immer wieder verschwunden, sah alle Hoffnungen und Luftschlösser, die er gebaut, zertrümmert am Boden liegen — er kannte Elsbeths Wesen und Charakter nur zu genau; nicht schnell und leichfertig faßte sie ihre Entschlüsse, sondern nach langer reiflicher Ueberlegung, dann aber standen sie fest und unbeweglich wie ein Fels im Meer, an dem die Wogen machtlos abprallen.

Und dennoch lebte die Hoffnung wieder in ihm auf, daß es ihm gelingen möge, ihren Sinn umzuändern, wenn sie ihn liebte.

„Elsbeth,” bat er mit schmeichelnder Stimme, „was ich erbeten und erhofft in langen Jahren, Reichthum und Geld, ist mir zu Theil geworden und nun, da ich es kaum besitze, verliere ich dadurch Das, was ich am meisten auf der Welt liebe: Dich! Ich ehre die Gesinnung, die aus Deinen Worten spricht, aber ich vermag sie nicht zu theilen. In ehrlichem Spiel ist das Gold gewonnen, jeder Lug und Trug ist ausgeschlossen, alle Spielregeln wurden beobachtet. Wie ich gewonnen habe, hätte ich auch verlieren können, der Einsatz war gleich. Ich bitte, ich flehe Dich an, verscheuche Deine Bedenken, freue Dich mit mir meines Reichthums, der mir nur dazu dienen soll, Dir das Leben zu verschönern. Sieh Dich um in der Welt: wie Mancher steht in Folge seines Reichthums groß und angesehen da, kein Mensch weiß, wie er das Geld erworben hat, ob nicht auf eine Art und Weise, die weniger ehrenhaft ist, als die meine. Wer fragt heutzutage danach! Nur eins fragt man, sobald man einen Namen nennen hört: „Ist er reich?” Ich bins, und da ich es bin, weisest Du mich um meines Geldes wegen zurück.”

Wohl rührten seine Worte ihr Herz, aber ihren Entschluß vermochten sie nicht zu ändern.

„Was Du mir da sagst, Egbert, habe ich mir selbst unzählige Male gesagt— Du weißt nicht, wie erfinderisch die Liebe ist, wenn sie nach Gründen sucht, um das Thun des Geliebteb zu entschuldigen und zu erklären. Alles, Alles habe ich zu Deinen Gunsten mir vorgeführt und dennoch blieb das Resultat meines Grübelns und Denkens stets dasselbe.”

„Und warum grübeltest und dachtest Du? Warum ließest Du den Verstand sprechen anstatt des Herzens?”

„Weil ich Dich liebe,” gab sie zurück. „Dein Thun beschäftigt mich ebenso wie mein Thun und Treiben, wie ich dieses beurtheile und richte, prüfe ich auch das Deinige. Liebe und Vernunft lassen sich nicht trennen und doch sagt man, die Liebe sei ein ganz vernunftloses Ding.”

Ein trauriges, wehmüthiges Lächeln umspielte ihren Mund und dieses Lächeln zerschnitt ihm das Herz.

Er stürzte vor ihr nieder und umfaßte ihre Hände. „Elsbeth,” flehte er, „treibe mich nicht zur Verzweiflung — stoße mich nicht von Dir.”

Sie strich ihm zärtlich mit der Hand über den dichten, dunkelbraunen Scheitel und die Thränen liefen ihr die Wangen hinunter.

„Mach' mir das Herz nicht schwer,” bat sie mit klagender Stimme, „Du siehst doch, wie ich leide.”

„Und gibt es kein, gar kein Mittel, Deinen Sinn zu ändern?”

„Nur ein einziges — wirf das Geld von Dir.”

Jäh sprang er empor: „Elsbeth, was verlangst Du? Ein Vermögen wegwerfen, um das mich Tausende und Abertausende beneiden? Wohl weiß ich den Lohn zu schätzen, der mir winkt, aber Unmenschliches verlangst Du. Nenne mir ein Beispiel, wo ein Mann Gleiches that. Aber selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht — soll ich mich auf die Straße stellen und mein Gold unter die Schulkinder vertheilen, wie einst der alte Blücher Zuckerwaaren?”

„Gib es Denen zurück, Denen Du es abnahmst,” antwortete sie ruhig.

„Auch Das ist unmöglich,” entgegnete er. „Kaum kenne ich die Namen der Spieler, aber es sind Ehrenmänner wie ich, denen ich dadurch eine tödtliche Beleidigung zufügen würde.”

„So gib es den Armen — viel Noth und Elend gibt es auf der Welt, glücklich Derjenige, der dazu beitragen kann, Thränen zu stillen.”

Er schwieg und sah vor sich hin.

„Auch Das könnte ich nicht, wenn ich wollte — man würde meinen Namen erfahren, meine That würde bekannt — man würde sich fragen, wie ich zu meinem Reichthum gekommen — man würde Vermuthungen aufstellen — und wenn man die Wahrheit erführe, könnte es mir im Regiment schaden.”

Sie trat auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter. „Deine letzten Worte bezeugen, daß Du Dein Geld unrecht erworben — wirf es von Dir!”

Aber wieder schwieg er — wohl war auch Elsbeth reich — aber statt zu geben, mußte er denn(3) nehmen — „er hat eine reiche Frau geheiratet” — er hörte im Geiste diese Redensart, die nicht ausbleiben und die ihm den Spott, ja auch die Verachtung vieler Menschen einbringen würde.

Und ein Vermögen mußte er opfern! Noch immer schwieg er.

„Ich will nicht in Dich dringen,” klang da Elsbeths Stimme. „Du selbst mußt wählen und Dich entscheiden. Laß uns uns trennen für heute: geh' mit Dir selbst zu Rathe, sprich mit einem Menschen, zu dem Du unbedingtes Vertrauen hast, mit Deinem Vater, und laß Dir auch von ihm sagen, daß ich nicht anders handeln kann.”

„Mit Deinem Vater.”

Brachwitz hörte nicht, wie Elsbeth das Zimmer verließ, er merkte es nicht, daß er sich allein in dem großen Gemach befand — voll und ganz stand er unter dem Eindruck ihrer letzten Worte und der Gedanke an dieselben verließ ihn auch nicht, als er sich endlich ermannt und sich zum Aufbruch entschlossen hatte, ohne die Rückkehr des Hausherrn abzuwarten.

Wie kam Elsbeth dazu, ihn an seinen Vater zu verweisen? Ahnte sie, daß er diesem gegenüber von der am Spieltisch verlebten Nacht kein Wort gesagt hatte? Oft hatte es ihm am vergangenen Abend auf der Zunge gelegen, seinem alten Herrn Alles zu gestehen, aber immer hatte ihn eine innere Stimme davor gewarnt. Warum? Er wußte es selbst nicht; war es Furcht vor einem Tadel wegen seines leichtsinnigen Lebenswandels, war es Mangel an Vertrauen, das ihn abhielt, zu sprechen — er selbst konnte sich darüber nicht klar werden.

Er wußte, wie streng sein Vater in solchen Dingen urtheilte — wie er einmal geäußert habe: „Ich kann Dir alle Schulden verzeihen, nur keine Spielschulden” — wie er, der selbst ein Muster an Fleiß und Sparsamkeit war, über jenen Leichtsinn dachte, der in wenigen Augenblicken Summen verlor, die zu verdienen kaum ein Menschenalter ausreichte.

Und dennoch nahm Egbert sich vor, noch heute Abend mit seinem Vater zu sprechen; gewiß, er würde ihm verzeihen, wenn er ihm verspräche, niemals eine Karte anzurühren. Er würde die Unruhe, die Egberts Herz ergriffen hatte, verstehen, er würde ihm beipflichten, daß es ein Wahnsinn wäre, das Geld von sich zu werfen, er würde Elsbeth thöricht schelten und durch seinen Einfluß, den er von jeher auf sie ausgeübt hatte, bewegen, ihren Entschluß zu ändern.

Doch wie oft irrt und täuscht man sich nicht gerade über die Ansichten derjenigen Menschen, die man am besten zu kennen glaubt, mit denen man sich eins zu sein glaubt im Empfinden und Denken.

Mit immer wachsendem Erstaunen hörte der alte Freiherr am Abend die Beichte seines Sohnes, und Zorn und Unwillen sprach aus seinen Mienen. Aber Egbert bemerkte es nicht, er hatte den Blick auf den Boden gerichtet und sah vor sich hin.

„Vater, nun ist Alles gesagt — nur eins noch nicht. Ich bat Elsbeth heute um ihre Hand — was ich für unmöglich gehalten, trat dennoch ein — sie schlug mich aus meines Geldes wegen. Auf meinem Reichthum, sagte sie, ruhe kein Segen und sie wollte ihr Glück nicht aufbauen auf einem so erworbenen Grund und Boden. Vater, ich bitte Dich, sprich Du mit ihr — sag ihr, daß ihre Skrupel kindisch und thöricht — daß es eine Thorheit ist, zu verleugnen(4), ich sollte Alles aufgeben — daß man das Bewußtsein, reich zu sein, nicht einer Laune opfert.”

Egbert schwieg und auch der alte Freiherr sah lange schweigend vor sich hin, dann sprach er:

„Ich will Deinen Wunsch erfüllen und mit Elsbeth sprechen, aber nur, um ihr zu sagen, daß sie ein viel braveres und wackereres Mädchen ist, als ich bisher geglaubt habe. Bitte, unterbrich mich nicht, mein Sohn, auch ich habe Dich ruhig ausreden lassen, obgleich es mir nicht leicht gewesen ist.”

„Ueber Deinen Leichtsinn viele Worte zu verlieren, halte ich für überflüssig. Danke Deinem Schöpfer, wenn Du davonkommst, ohne daß Dir die Geschichte den Kragen kostet. Auch darüber will ich nicht mit Dir sprechen, wie traurig es mich macht, zu wissen, daß Du spielst. Dein Versprechen, nie wieder eine Karte anrühren zu wollen, nehme ich nicht an; es könnte dennoch die Stunde kommen, wo Du wieder spielst, und ich will Dir den Vorwurf, den Du Dir dann machen müßtest, ehrlos gehandelt zu haben, ersparen!”

„Nur eins möchte ich Dir sagen: Käme zu mir ein Mann, der um die Hand Deiner Schwester würbe, und machte mir ein solches Geständniß, so würde ich zu ihm sagen: Gehen Sie fort, denn Sie sind nicht werth, daß ein braves Mädchen Sie liebt, und Sie können es nicht verlangen, daß ich Ihnen mein Fleisch und Blut anvertraue.”

„Vater,” rief Egbert außer sich, „Vater, bedenke, was Du sagst!”

„Das thue ich stets,” gab dieser zurück, „nie hat Leichtsinn und Unüberlegtheit meine Worte und meine Thaten geleitet. Ja, von der Schwelle weisen würde ich den Freier,” fuhr er erregt fort, „und Deiner Schwester verbieten, jemals wieder des Unwürdigen zu gedenken.”

„Und wenn Du das Glück hast, von einem Mädchen so geliebt zu werden, daß sie es vermag, Dir Deinen Leichtsinn zu verzeihen, wenn Du ein solches Herz gefunden hast und auch nur eine Secunde zögerst, es fest zu halten für alle Zeit, dann verstehe ich Dich nicht — und traurig ist es, wenn die Eltern die Kinder nicht mehr begreifen! Und nun laß mich allein, der Jüngste bin ich auch nicht mehr und Erschütterungen des Herzens gehen auch an dem Körper nicht spurlos vorüber.”

Wie ein Taumelnder verließ Egbert das Zimmer und ruhelos ging er in seiner Stube auf und ab. Zu wild stürmten die Gedanken auf ihn ein — die Worte des Vaters kämpften mit denen, die er sich selbst zu seiner eigenen Entschuldigung immer und immer wiederholte.

Und auf der Waage schwankte Elsbeths Bild und das Gold auf und ab, bald erschien ihm dieses, bald jenes verlockender, und der Morgen graute, als er sich endlich auf sein Lager warf und vom Schlaf übermannt wurde.

Als er erwachte, stand der Entschluß, auf Elsbeth zu verzichten, bei ihm fest; zu sehr hing er an seinem Reichthum, den wegzugeben er sich nicht entschließen konnte. Sie wird vernünftig sein und ihre thörichten Ideen aufgeben, wenn sie sieht, daß sie mich sonst für immer verliert, tröstete er sich, ein Mädchen, das liebt, so sagt man, opfert für den Geliebten Alles, Alles, — warum soll Elsbeth da nicht auch ihren unsinnigen Gedanken aufgeben? Wer weiß, ob nicht doch dereinst die Stunde kommt, wo die Noth an unsere Thür pocht und Elsbeth zu mir sagen wird: Ich danke Dir, daß Du damals der Verständigere von uns Beiden warst; was sollten wir nun wohl Beide beginnen, wenn Du meinem Rath gefolgt wärest?

Er vermied das Alleinsein mit seinem Vater, dessen fragenden Blick und dessen stummen Vorwurf er nicht zu ertragen vermochte. Es war das erste Mal gewesen, daß Vater und Sohn verschiedener Meinung gewesen waren, und der Zwiespalt war deshalb wie nach jedem ersten Streit um so größer und erschien leider(5) unüberbrückbar. Mit der Mutter sprach Egbert nicht von der ihn ganz erfüllenden Sache; was verstehen Frauen von solchen Dingen, wozu sie unnütz beunruhigen und erregen.

Aber die Freude an seinem Urlaub war dahin, und er freute sich als er in die Garnison zurück mußte. Elsbeth hatte er nicht wiedergesehen — auch die Absicht, ihr schriftlich Lebewohl zu sagen, hatte er nach reiflicher Ueberlegung wieder aufgegeben. Der Abschied von der Mutter war herzlich und innig, wie stets — aber der Vater hatte ihn nicht wie sonst in die Arme geschlossen udn auch sein sonst in zärtlichstem Tone gesprochenes Wort „Auf Wiedersehen, mein Junge,” war heute nicht über seine Lippen gekommen.

Daran mußte Egbert immer denken, während er auf der Eisenbahn der Garnison wieder entgegenfuhr. War er denn der verlorene Sohn — war er denn so schuldig, daß selbst des Vaters Herz sich von ihm abwenden mußte?

Der Trotz bäumte sich in ihm auf: „Nein und abermals nein, ich bin kein Kind mehr, das am Gängelband geführt wird, — ich weiß, was ich thue. und ich lasse mich nicht schulmeistern, von Niemandem, selbst nicht von meinem Vater. Auch er hat sein Leben genossen in seiner Jugend — andere Zeiten, andere Sitten und andere Vergnügungen — das Spiel gehört nun einmal zum Rennen, wie die Butter zum Brot — ich werde mir die Freude an meinem Reichthum nicht nehmen lassen, sondern will das Leben nun genießen.”

Und zurückgekehrt in die Garnison, stürzte er sich in einen Taumel von Vergnügungen. Wo immer es eine Gelegenheit sich zu amusiren gab, wo es toll, ausgelassen und leichtsinnig herging, war Brachwitz der Erste, er wollte sich amusiren — aber es geht mit den Vergnügungen wie mit dem Glück, wenn wir es nicht in uns fühlen, erlangen wir es nie.

Spät in der Nacht kehrte rachwitz jetzt täglich heim, oft wüst im Kopf und mit leeren Taschen — aber das Vergnügen, die Zerstreuung, die er gesucht hatte, waren(6) ihn geflohen.

Wo immer er war, ob im Kreise der Kameraden oder ob in heiterer Gesellschaft, ob beim Trunk oder ob beim Spiel — immer stand ein Bild vor seiner Seele, das zu verscheuchen er sich bemühte, das zu fliehen er versuchte.

Immer weilten seine Gedanken bei schön Elsbeth. Täglich erwartete er von ihr Nachricht, daß sie sich seinem Willen füge, daß sie ihre Thorheit einsähe — aber je länger er wartete, desto mehr wuchs seine Sehnsucht, desto heißer wurde in ihm die Liebe, die er zu tödten versuchte.

Und noch Eins kam hinzu, immer wieder mußte er der Worte gedenken, die Elsbeth zu ihm gesprochen hatte: „Ich würde keine Freude an meinem Besitz empfinden und immer denken, das Geld gehöre nicht mir.”

Auch ihm kam jedes Mal dieser Gedanke, wenn er mit vollen Händen das Geld ausgab, es hatte keinen Reiz mehr für ihn, da es mühelos erworben war, und stets beschlich ihn das Gefühl, als ob er fremdes Geld verausgabe. Da er es nicht verdient, hatte er nicht die Empfindung als sei es sein Eigenthum.

Tage und Wochen gingen dahin — aber unabänderlich stand Elsbeths Bild vor seiner Seele und eines Tages, als er glaubte vergehen zu müssen, wenn Elsbeth nicht sein Eigen würde, als er zu der Ueberzeugung gekommen war, daß er sie nie und nimmermehr vergessen würde, daß er zu Grunde ginge, wenn nicht eine rettende Hand ihn erhöbe — da that er, was er vor Wochen schon hätte thun sollen.

Leicht gelang es ihm, für einige Tage Urlaub zu erhalten und wiederum fuhr er der Heimat entgegen. Aber der erste Besuch galt nicht dem Elternhaus, sondern von der Bahn aus schlug er zu Fuß den Weg nach Ratkow ein. Niemand wußte um sein Kommen, und so gelang es ihm, schön Elsbeth zu überraschen. Aber ganz anders wie er es sich gedacht, gestaltete sich das Wiedersehen.

Er fand Elsbeth allein in ihrem Zimmer, unmittelbar folgte er dem ihn anmeldenden Diener, er selbst wollte Zeuge ihrer Ueberraschung sein.

Aber nun, da sie vor ihm stand, schöner denn je — die Wangen etwas bleich vor Gram und Kummer, da schloß er sie nicht, wie er gewollt und gedacht, stürmisch in seine Arme, sondern zaghaft und bittend, langsam wie ein um Vergebung flehender Sünder trat er auf sie zu und leise sagte er:

„Elsbeth, hast Du mich noch lieb?”

Da hing sie an seinem Hals, weinend und lachend vor Glück und vor Freude, alle Sorgen, aller Kummer der letzten Wochen waren verflogen und vergessen, nun, da sie den Geliebten wieder hatte.

„Und Dein Gold?” fragte sie, da er sie endlich aus seinen Armen ließ und ihre Sinne sich beruhigten.

Aus der Tasche seines Ueberrocks zog er ein Packet und händigte es ihr ein: „Hier — nimm es hin und mache damit, was Du willst — verbrenne es oder verschenke es, mir soll Alles gleich sein! Nichts behalte ich zurück, nur dieses Armband, das ich in Hamburg für Dich gekauft und das, wie ich damals schon hoffte, das erste Geschenk an meine Braut sein sollte. Für Dich war es gekauft, nimm es freundlich an und trage es täglich zum Andenken an mich.”

Mit Staunen und Bewunderung hingen ihre Augen an dem köstlichen Schmuck, aber ablehnend schüttelte sie das Haupt: „Nein, Egbert, auch das dürfen wir nicht behalten, wie Feuer würde es auf meinem Arm brennen, ich ertrüge es nicht. Laß uns versuchen, jede Erinnerung an jene Tage aus unserem Gedächtniß zu verwischen.” Und da ihr Vater in diesem Augenblicke das Zimmer betrat, riß sie sich von dem Geliebten los und eilte ihm entgegen.

„Sieh' Vater,” jubelte sie „nun habe ich doch gewonnen! Alle zweifeltet Ihr an ihm, nur ich wußte, daß er wiederkehren würde!”

Da streckte der Hausherr seinem Gast die Hand entgegen: „Seien Sie mir herzlich willkommen, da Sie meinem Kinde das Glück bringen. Viel geben sie auf, aber viel wird Ihnen auch gegeben — möchten Sie die Wahl nicht bereuen.”

„Nie!” so fest und sicher klang Egberts Stimme, daß es den letzten Zweifel in Elsbeths Brust beseitigte und das Gefühl, sich grenzenlos geliebt zu wissen, ihr Herz mit Seligkeit erfüllte.


Fußnote:

(1) In der Buchfassung heißt es an allen Stellen immer: „Lieutenant von Brachwitz”. (zurück)

(2) In der Buchfassung heißt es: „klare”. (zurück)

(3) In der Buchfassung heißt es: „dann” statt „denn”. (zurück)

(4) In der Buchfassung heißt es: „zu verlangen” statt „zu verleugnen”. (zurück)

(5) In der Buchfassung heißt es: „beiden” statt „leider”. (zurück)

(6) In der Buchfassung heißt es: „hatten” statt „waren”. (zurück)


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