Generalstod.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Zu dumm!”


Der neue Oberst war angekommen und das Regiment atmete erleichtert auf, drei schreckliche Jahre lagen hinter ihm. Gewiß, man war etwas sehr verbummelt gewesen, es waren im Regiment viele tolle Geschichten passiert, man hatte den Ruf gehabt, ein sehr unsolides Offizierkorps zu sein, und alle hatten sich selbst gesagt, so geht das auf die Dauer nicht weiter. Aber daß man ihnen vor drei Jahren einen solchen Oberst senden würde, um sie wieder zur Vernunft und zur Raison zu bringen, das hatten sie denn doch nicht erwartet. Drei Jahre lang hatte der sein Zepter geschwungen, und wie! Als erstes hatte er vier Leutnants zum Abschied und zwei Hauptleute zur Versetzung eingegeben, und dann hatte er wieder Ordnung in das Regiment gebracht. Fast jeden Tag hatte er eine Offiziers­versammlung abgehalten und da war ihm niemand heilig gewesen, der älteste Stabsoffizier ebensowenig wie der jüngste Fähnrich. Stubenarrest war an der Tagesordnung gewesen, und wie er seine Offiziere hochnahm, so auch die Kerls. Die hatten schon gezittert, wenn sie ihn nur kommen sahen, und wenn sie zitterten, dann flogen sie drei Tage in den Kasten, weil sie vor ihm nicht stillstanden. Es war gräßlich gewesen, aber der Oberst hatte seinen Zweck erreicht. Nach drei Jahren konnte er Sr. Majestät melden: „Es ist jetzt alles wieder so, wie es sein soll, ich habe Ordnung in die Bande gebracht.” Und als man sich dann bei Besichtigungen und anderen Gelegenheiten davon überzeugt hatte, daß dies auch wirklich der Fall sei, da wurde der Herr Oberst in Anerkennung seiner Verdienste zum General befördert, und an demselben Tage betrank sich das Offizierkorps vom ältesten Stabsoffizier bis zum jüngsten Fähnrich bis zur Bewußtlosigkeit. Und der lange Hauptmann Becker, der den Oberst noch mehr gehaßt hatte, als alle anderen zusammen, machte vor Freuden einen Schlußsprung über die gedeckte Tafel, und es störte seine Freude absolut nicht, daß er nicht über den Tisch, sondern auf den Tisch sprang, dort hinfiel und sich an den Gläsern und Flaschen das Gesicht und die Hände ganz blutig schlug.

„Das geht in der Wäsche alles wieder 'raus — — die Hauptsache ist, daß wir den Oberst los sind,” lallte er, dann ließ er sich von dem Doktor verbinden, und als er damit fertig war, setzte er sich ihm auf den Schoß und trank mit ihm Brüderschaft, obgleich er den sonst gar nicht besonders liebte.

Als die Offiziere am nächsten Morgen zum Dienst erschienen, war es nur ein Glück, daß der alte Oberst nichts mehr zu sagen hatte, der hätte den Herren ihren Kater bald vertrieben. Den tollsten Kater von allen hatte Hauptmann von Becker. Als der in seinem Bett erwachte, wußte er gar nicht, wieso, weshalb und warum er verbunden sei. Er glaubte allen Ernstes, man hätte einen Mord an ihm versucht, aber hinterher habe es dem Angreifer leid getan, und der hätte ihm die Wunden, die er ihm beigebracht, dann selbst wieder verbunden.

Drei Tage lang tanzten die Offiziere vor Freuden Cancan und Cak-Walk(1), dann sagten sie sich: „Wir wollen uns lieber nicht allzusehr freuen, wer weiß, wie der neue Oberst ist?”

Aber die Angst vor dem war unbegründet. Man schien oben im Kabinett eingesehen zu haben, daß man dem Regiment nun einmal wieder etwas Erholung, etwas Luft gönnen müsse, und so hatte man denn einen Kommandeur gesandt, der aus lauter Güte, Freundlichkeit und Nachsicht zusammengesetzt war. Natürlich blieb auch für ihn Dienst Dienst, aber sonst hatte er nicht den Ehrgeiz, ein zweiter Iwan der Schreckliche zu werden. Und es ging auch so. Bei seinem Vorgänger hatten alle ihre Pflicht getan aus Furcht vor Strafe, jetzt taten sie fast noch mehr als ihre Schuldigkeit, lediglich weil der Kommandeur so fabelhaft anständig war und man sich dafür dankbar erweisen wollte.

So herrschte sehr bald zwischen dem neuen Oberst und seinem Offizierkorps das denkbar beste Einvernehmen, nur einen seiner Offiziere konnte der Oberst nicht leiden, das war der Regiments­adjutant. Den hatte der alte Oberst sich so erzogen, wie er ihn brauchte, und deshalb war der beinahe ebenso gehaßt und gefürchtet gewesen, wie der Oberst selbst. Jeden Augenblick brachte er eine Unregelmäßigkeit zur Sprache, bald wußte von dieser, bald von jener Kompagnie etwas Nachteiliges zu melden, bald machte er den Kommandeur auf dieses, bald auf jenes aufmerksam. Gewiß, der Adjutant tat damit nur seine Pflicht, aber dem Kommandeur war es gräßlich, beständig auf die geringste Kleinigkeit aufmerksam gemacht zu werden, und auch als Mench war er ihm mehr als unsympathisch, denn er war eine jener Naturen, die über Leichen gehen, die keine Rücksicht und kein Erbarmen kennen. Am liebsten hätte er ihn ablösen lassen, aber der Adjutant war ein sehr tüchtiger Offizier und bei den höheren Vorgesetzten ausgezeichnet angeschrieben, und er dachte viel zu vornehm, um einem Offizier zu schaden, lediglich um selbst daraus irgend welche Vorteile zu ziehen.

„Wie werde ich ihn nur los?” dachte der Oberst. Und als er eines Abends mit seiner Frau und seiner Tochter beim Abendbrot saß, fiel er plötzlich, anscheinend ohne jede weitere Veranlassung, zuerst seiner Frau und dann seiner Tochter um den Hals und küßte sie beide ab.

„Aber Mann, aber Vater,” riefen beide, „was hast du denn nur?”

„Was ich hab'? Ich hab's! Jawohl ich hab's, und so wird's gemacht.” Und in der Freude seines Herzens wollte er seine Damen nochmals umarmen, aber die wichen aus. „Du zerdrückst uns ja unsere ganzen Blusen,” wehrten sie ab, und da die Blusen dem Kommandeur fast noch teurer waren, als seine Damen, so gab er den weiteren Versuch, sie an sein Herz zu drücken, auf. Und er verriet auch nicht, was ihn plötzlich so heiter gestimmt hatte.

Am nächsten Morgen saß der Kommandeur wie immer mit seinem Adjutanten auf dem Bureau, und wie gewöhnlich hatte dieser wieder eine Menge Monita vorzulegen.

Anscheinend sehr aufmerksam hörte der Oberst zu, aber mitten in die schönste Rede des Adjutanten hinein fragte er plötzlich: „Sagen Sie mal, Schulze, hätten Sie nicht Lust, Brigadeadjutant zu werden?”

Der fiel vor freudigem Erstaunen beinahe vom Stuhl. Alles andere hätte er eher erwartet, als diese Auszeichnung.

„Ob ich will, Herr Oberst,” rief er endlich, als er sich einigermaßen wieder gesammelt hatte, „ich will sogar mit tausend Freuden! Brigadeadjutant zu werden war schon lange mein Wunsch und mein Ehrgeiz.”

„Na ja also. Dann ist ja alles in schönster Ordnung, ich werde schon das meinige dafür tun.”

Der Oberst tat das seine und sechs Wochen später wanderte Leutnant Schulze als Brigade­adjutant nach dem fernen Osten.

Der Adjutant strahlte, aber der Oberst strahlte noch viel mehr. „Das habe ich schlau gemacht,” sagte er sich, „den bin ich los für immer, und kein Mensch kommt auf den Gedanken, da ich ihn nur „fortgelobt” habe. Alle werden der Ansicht sein, daß ich nur seine wirklich vorhandene Tüchtigkeit anerkannte und ihn lediglich deshalb für eine höhere Stellung eingab. Den wäre ich los für immer, nun suche ich mir selbst einen Adjutanten aus, und mit dem werde ich in Frieden und Eintracht regieren, bis meine Zeit herum ist, bis ich mich entweder in eine Wurst oder in einen General verwandle.”

Und wie der Oberst es gewollt hatte, lebte er mit seinem neuen Adjutanten in der denkbar glücklichsten Ehe, bis der Herr Oberst eines Morgens als General erwachte. Er hatte im fernen Osten eine Brigade erhalten.

„Kinder, ich bin General geworden — und du Frau Generalin — und du Generalstochter — Herrschaften, das Leben ist doch schön.” Und er tanzte vor Freuden im Zimmer mit seinen Damen herum, denn er hatte viel eher den Abschied, als seine Beförderung erwartet.

„Nach welcher Stadt kommen wir denn?” fragte ihn seine Tochter.

Er nannte den Namen, und plötzlich wurde seine Tochter still und nachdenklich.

„Die Stadt gefällt dir wohl nicht?” schalt er, „Berlin wäre dir wohl lieber? Na, dahin ziehen wir, wenn ich erst a. D. bin, vorläufig gehen wir dahin, wohin man mich schickt.”

„Aber Papa — wird da nicht dein früherer Leutnant Schulze jetzt dein Brigadeadjutant?”

Der Oberst taumelte beinahe hintenüber: „Dieser gräßliche Kerl? Das hat mir nur gefehlt, nein, du mußt dich irren.”

Aber die Tochter irrte sich nicht, und ganz geknickt saß der Oberst auf seinem Stuhl, seine ganze Freude war zum Teufel.

Aber plötzlich wurde er doch wieder froh. „Ach was, ich lobe ihn einfach gleich wieder fort und schlage ihn zum Adjutanten bei der Division vor. Ich weiß ja von hier, ein wie tüchtiger Offizier er ist, da wird man mir schon glauben.”

In dieser frohen Hoffnung fuhr er nach seiner neuen Garnison. „Paßt auf, in vier Wochen bin ich den Kerl los — der soll mir meine Generalsjahre nicht verderben, ich lobe ihn einfach über den grünen Klee, das hat noch immer den erwünschten Erfolg gehabt.”

Und der General lobte und lobte, aber er lobte zu viel, und da wurden die höheren Vorgesetzten hellhörig, um so mehr, als der Brigadeadjutant bisher die in ihn gesetzten Hoffnungen keineswegs erfüllt hatte, so daß man schon vorher auf den Gedanken gekommen war, er wäre in seine neue Stellung nur hineingelobt worden. Jetzt hatte man dafür die Gewißheit in Händen, und das nahm man dem Herrn General so übel, daß dieser eines Morgens als Zivilist erwachte.

Der Herr General a. D. war zuerst sprachlos, dann aber fing er an zu schimpfen: „So ne Gemeinheit,” fluchte er, „mich zu verabschieden! Noch dazu in der Blüte meiner Jahre, wo ich der Armee noch so viel hätte nützen können. Aber das gemeinste an der ganzen Gemeinheit ist, daß dieser ekelhafte Kerl, dieser Leutnant Schulze, mir indirekt den Hals bricht. Na, warte, mein Junge, das will ich dir gedenken.”

Und er gedachte es ihm, aber dabei blieb es auch, denn schaden konnte er ihm nicht mehr, und außerdem war Leutnant Schulze, wenn er ganz ehrlich und gerecht sein wollte, doch direkt an seiner Verabschiedung ganz schuldlos. Aber den Abschied hatte der Herr General nun mal, dabei blieb es.

Und zu spät sah er ein, daß es damals für ihn weniger gefahrlos gewesen wäre, den Adjutanten umzubringen, als ihn fortzuloben, denn wenn heutzutage alle Vorgesetzten, die einem Untergebenen das Genick brechen, dabei selbst das Genick brächen, dann würde es bald — keine Vorgesetzten mehr geben.


Fußnoten:

(1) Recte: „Cake-Walk.” (Zurück)


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