Der Generalssohn.

Militärische Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Seine Hoheit”


Er war einmal „ein gräßlicher Kerl”, keiner konnte ihn leiden, die Kameraden nicht, die Vorgesetzten nicht und die Untergebenen erst recht nicht. „Ein gräßlicher Kerl,” das war der offizielle Beiname, den Leutnant v. Deberg im ganzen Regiment führte; er war hochnäsig, adelsstolz und von der Unfehlbarkeit seiner geistigen Bedeutung durchdrungen. Und dabei war er selbst aus dem Kadettenkorps wegen Mangel an Spiritus herausgeflogen und hatte die geistigen Kenntnisse, die er zwar immer noch nicht besaß, die aber trotzdem für das Fähnrichexamen vollständig ausgereicht hatten, auf einer Presse eingepaukt erhalten. Er hielt sich für einen der befähigtesten Offiziere der Armee, jeden Widerspruch beantwortete er nur mit einem niederträchtigen, ironischen Lächeln, und wenn die Vorgesetzten ihn einmal zur Rede stellten, machte er ein Gesicht, das da deutlich sagte: Kinder, tut mir den einzigen Gefallen und blamiert euch nicht, ihr habt ja von nichts 'ne blasse Ahnung.

Ein gräßlicher Kerl. Das hätte der Herr Oberst auch am liebsten dem Leutnant v. Deberg in seine Konduite hineingeschrieben, er nahm sich das auch jeden Tag vor, aber ebenso oft gab er sein Vorhaben wieder auf, denn Deberg war ein Generalssohn, und was das schlimmste war, der Sohn seines Brigadegenerals. Der hatte vorläufig noch das Leben seines Kommandeurs in seiner Hand, und so schrieb der Herr Oberst anstatt „ein gräßlicher Kerl”, wenn auch zähneknirschend, in die Konduite: „Leutnant v. Deberg ist ein militärisch hervorragend gut beanlagter und befähigter Offizier, von tadelloser militärischer Haltung und vollendeten gesellschaftlichen Formen. Er ist wegen seiner Kenntnisse in gleicher Weise bei den Vorgesetzten wie bei den Untergebenen geachtet und angesehen. Bei den Kameraden erfreut er sich durch sein überaus bescheidenes Auftreten und durch seinen verträglichen Charakter der allergrößten Beliebtheit.”

Na warte, mein Junge, wenn dein Vater einmal nicht mehr General ist und es nicht mehr in der Hand hat, mich bei den höheren Vorgesetzten derartig schlecht zu machen, daß sie mir die Schnur um den Hals zusammenziehen, dann wird auch für dich die Stunde schlagen, in der ich über dich die Wahrheit schreibe. Vorläufig ist dein Vater leider noch General.

Da hatte der Oberst recht, der andere war noch General und hoffte sogar, demnächst Exzellenz zu werden. Der Herr General war, wie sich das für einen Mann in seiner Stellung und bei dem mit dieser Stellung verbundenen Gehalt ganz von selbst versteht, ein geistig bedeutender Mensch, obgleich er natürlich Feinde und Neider genug hatte, die da behaupteten, er wäre ein Idiot mit Eichenlaub und Schwertern und müßte als solcher zum Halse herausgetragen werden, schon deshalb, weil er so vielen schon lange zum Halse heraushing. Davon aber abgesehen, hatte er auch seine Verdienst um den Staat, er hatte nämlich eine Tante. Und diese Tante hatte einmal den Ausschlag gegeben, als es sich an einem ganz kleinen Hof um die Auswahl einer Amme handelte. Der Hof hatte die blonde Amme engagieren wollen, ganz besonders der Fürst, der Blond sehr liebte und die Amme auch sonst sehr appetitlich fand, war dafür gewesen, aber die Tante hatte nicht nur nach dem Haar gesehen, und sich für eine Schwarze entschieden. Der Erfolg hatte ihr recht gegeben, der junge Fürst war gediehen und groß geworden, zur Freude des ganzen Landes, und als er seiner Amme zum erstenmal eine schallende Ohrfeige gab, hatte die kleine Residenz geflaggt, so stolz war sie darauf, daß der Prinz sich so geistig entwickelte, und die Zeitungen brachten lange Berichte über die geistige Bedeutung des künftigen Thronherrn. An allem war nur die Tante schuld, und der Tante zuliebe protegierte man den Neffen, und eines Tages war dieser General. Ein bißchen schnell war das ja eigentlich gegangen, das sagte er sich wohl selbst, aber das konnte doch nur daran liegen, daß er Talente besaß, die er selbst noch gar nicht entdeckt hatte, die aber dem scharfen Auge der Vorgesetzten nicht entgangen waren. So hielt er sich denn bald für den militärischen Papst; er war nach seiner Meinung unfehlbar, er wurde hochnäsig und unnahbar, kurz, er wurde alles in allem ein gräßlicher Kerl. So war er ganz der Vater seines Sohnes, und dieser ganz der Sohn seines Vaters.

Aber so dumm der General nach der Meinung seiner Feinde auch sonst war, so dumm war er denn doch nicht, daß er nicht die Dummheit seines Sohnes erkannte, und auch die glänzenden Zeugnisse des Herrn Oberst vermochten ihn über die Befähigung seines Erben nicht zu täuschen. Seine eigene Zukunft war gesichert, die lag nicht auf dem Wasser, sondern in einem braunen Lappen, der monatlich ausgezahlt wurde, an der Pensionskasse. Für ihn war die Amme wirklich die melkende Kuh geworden, die ihn mit Butter versorgte. Wenn er einmal den Abschied bekam, konnte er sehr gut leben, aber wenn er abging, dann war es mit dem militärischen Leben seines Sohnes auch vorbei, das sah er ein, und so zerbrach er sich denn den Kopf, wie er die Zukunft seines Erst- und Eingeborenen sicherstellen könne. Aber wenig begabten Menschen pflegt meistens auch nur wenig einzufallen, dem Herrn General fiel sogar gar nichts ein, natürlich nicht deshalb, „weil” er ein General war, sondern „trotzdem” er ein General war. So schrieb er denn eines Tages seinem Sohn: „Sage mal, Hugo, denn ich selbst kann nicht recht zu einem Resultat darüber kommen, was soll eigentlich aus dir werden, wenn du einmal nicht mehr der Generalssohn bist?” Worauf Hugo sofort telegraphisch antwortete: „Dann werde ich selbst General und mein vorläufig noch nicht geborener Sohn wird dann Generalssohn, denn diese angenehme Position muß der Familie erhalten bleiben.”

Das imponierte dem alten Herrn; vielleicht war sein Hugo doch nicht ganz so dumm, wie er immer geglaubt hatte, aber er war sogar noch dümmer. Das zeigte sich, als die letzte Brigadebesichtigung stattfand. Alle höheren Exzellenzen waren zugegen, eigentlich nur pro forma, denn daß der General Exzellenz werden würde, war allen klar, man hatte „oben” den Wunsch, einen so tüchtigen und verdienstvollen Offizier der Armee zu erhalten, und dieser Wunsch war natürlich maßgebend. So exerzierte der Herr General denn mit seiner Brigade darauf los, und da die Exzellenzen kaum hinsahen, so ging auch alles ganz ausgezeichnet, bis plötzlich bei einer Kompagnie ein tolles Durcheinander entstand. Hugo, der Generalssohn, hatte einen Befehl seines Hauptmanns im stillen für „Blödsinn” erklärt, und war, von der edlen Absicht geleitet, seinem Vater die Exzellenz zu verschaffen, mit seinen Leuten nach der entgegengesetzten Seite gelaufen. Zu seinem Erstaunen befand er sich mit seinen Mannschaften plötzlich mitten in einer anderen Kompagnie und die mußte sich, um Luft zu bekommen, in eine andere hineindrängen.

Es war eine Mordsschweinerei.

Die hohen Exzellenzen wandten dem Chaos den Rücken und schlossen beide Augen, denn sie wollten nichts sehen, aber im Geiste sahen sie die Verwirrung doch.

Und mitten in das Chaos hinein erklang plötzlich die Stimme des Herrn Generals: „Hugo, ich ermorde dich!” und drohend schwang der General seinen Säbel. Aber sonderbarerweise ließ er seinen Knaben doch am Leben, aus dem einfachen Grunde, weil Hugo Anstalten machte, sich zur Wehr zu setzen; so ohne weiteres schien er sich nicht ins bessere Jenseits befördern lassen zu wollen. Der Generalssohn bleib am Leben, aber der General selbst starb den Besichtigungstod, es gelang ihm trotz aller geistigen Anstrengung nicht, die Brigade wieder in Ordnung zu bringen, und diesem Unvermögen gegenüber mußten die Exzellenzen in ihrem Bericht schreiben, daß der Herr General zwar seine Brigade tadellos exerziert hätte, daß aber sein Gesundheitszustand leider ein derartiger wäre, daß es im Interesse der Armee läge, ihm keine Division zu geben. So bekam er denn statt seiner Division nur einen Strohhut, und den bekam er nicht einmal vom Staat, sondern er mußte ihn sich noch selbst kaufen. Und das war schmerzlich, denn er kostete einen harten Taler.

Der General war untröstlich; aber eines tröstete ihn in seinem Schmerz doch, daß nun die höheren Vorgesetzten auch die Dummheit seines Sohnes erkannt hätten und daß auch dieser mit seiner Karriere fertig sei. Das war die Rache für Sadowa; denn daß auch sein Sohn den Abschied bekäme, bezweifelte er nicht einen Augenblick. Aber es kam anders. Die hohen Vorgesetzten wollten dem alten Herrn, der so große Verdienste hatte und dessen Tante einmal einem jungen Prinzen das Leben gerettet hatte, indem sie ihm die richtige Amme zuwies, ein heilendes Pflaster auf die schmerzende Wunde der Verabschiedung legen, und so beförderten sie seinen Sohn außer der Tour zum Hauptmann. Der wurde im neuen Regiment mit offenen Armen aufgenommen; denn jeder Offizier, der seine Vorderleute überspringt, ist in den Augen der anderen ein Genie. Dazu kam die glänzende Konduite aus dem alten Regiment, und so machte Hugo Karriere. Er wurde bald Major, und eines Tages war er General. Es war zwar etwas sehr schnell gegangen, das sah er wohl selbst ein, und seine Vorgesetzten begriffen das schnelle Avancement auch nicht, bis sie endlich dahinterkamen, daß jeder ihn, um ihn schnell wieder loszuwerden, fortgelobt hatte, und vor allen Dingen war er doch ein Generalssohn, dessen Vater große Verdienste und eine Tante besessen hatte. Und wenn man den Vater deswegen protegiert hatte, solange die Tante noch lebte, so mußte man dessen Sohn doch erst recht protegieren, damit es nicht den Anschein hätte, als ob das Gute, das die Tante getan, mit ihrem Tod vergessen worden sei.

Und als der ehemalige Generalssohn General wurde, hatte er das Glück, daß sein Sohn, der inzwischen geboren und schon mehrere Jahre Offizier war, in seine Brigade versetzt wurde. Er war ein gräßlicher Kerl, keiner konnte ihn leiden, die Kameraden nicht, die Vorgesetzten nicht, und die Untergebenen erst recht nicht. Trotzdem bekam er stets die besten Konduiten, denn er war Generalssohn, das ebnete ihm die Wege, und so töricht sein Vater auch als Leutnant gewesen war, recht hatte er damals doch gehabt, als er seinem alten Herrn telegraphierte: „Ich werde später selbst General und mein vorläufig noch nicht geborener Sohn wird dann Generalssohn, denn diese angenehme Position muß der Familie erhalten bleiben.”

Auch für die Zukunft traf diese Prophezeiung ein: ein Generalssohn löst den anderen ab, und da sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.


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