Der Galopin.

Humoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Die Fürstengondel”


Für die Dauer der großen Herbstübungen war Leutnant Stern zum Ordonnanzoffizier ernannt worden, und der Dicke, wie er allgemein im Regiment genannt wurde, erfreute sich bei allen Kameraden einer solchen Beliebtheit, daß ihm nicht ein einziger das schöne und bequeme Kommando mißgönnte. Zum Laufen wurde der gute Stern mit der Zeit auch wirklich zu dick und seine behäbige Figur mitsamt dem Bäuchlein, das bei der Richtung nach Points das Entsetzen aller Vorgesetzten bildete, war der beste Beweis dafür, daß das viele Gehen allein auch nicht schlank macht, denn sonst hätte er einer Pinie gleichen müssen. Dieses aber tat er nicht, im Gegenteil, er wog netto seine hundertneunzig Pfund.

Stern hatte vor den Anstrengungen des bevorstehenden Manövers die allergrößte Hochachtung gehabt. Nun war er gerettet, wie er das nannte. Jetzt brauchte er sich nur einen Gaul zu kaufen, sich drauf zu klemmen und egal Galopp zu reiten — immer Galopp, Galopp, Galopp, das war die Hauptsache, wenn es galt, Befehle zu überbringen, denn gerade wegen dieses ewigen Galopps führte der Ordonnanzoffizier ja auch den Beinamen „Der Galopin”.

Drei Stunden nachdem Stern von dem Herrn Oberst zum Ordonnanzoffizier des Regiments ernannt worden war, waren ihm schon von Kameraden, Freunden, Bekannten und berufsmäßigen Händlern mehr als dreißig Pferde zum Kauf abgeboten — eins war immer fehlerloser als das andere, und selbst die Leute, die ihn heute zum erstenmal sahen, wollten es ihm nur deshalb weit unter dem wirklichen Preis verkaufen, lediglich weil er es war.

Der Dicke war von diesen Beweisen uneigennütziger Freundschaft aufrichtig gerührt und warf die ganze Gesellschaft, teils sehr höflich, teils sehr grob, die Treppen hinunter. Da müßte er ja schön dumm sein, wenn er sich hier irgendeinen elenden Schinder anschmieren lassen wollte. Wozu hatte er denn in Ostpreußen einen Onkel wohnen, der die Pferdezucht en gros betrieb und alljährlich bedeutende Lieferungen an die Remonte–Ankaufs­kommission machte? Dessen Stärke waren die „Gardekürassiere”, natürlich nicht die zweibeinigen, sondern die vierbeinigen, denn die Pferdezüchter nennen die Gäule stets nach den Truppenteilen, für die sie später ihrem Bau und Temperament nach in Frage kommen. Der eine züchtet nur Husaren, der andere Gardedragoner, wieder ein anderer Ulanen und so geht es weiter.

Und Sterns Onkel machte in Gardekürassieren. Das war gerade das, was der Dicke brauchte, der konnte sein Gewicht tragen und mit ihm im Galopp durch das Weltall dahinsausen.

Der Dicke setzte sich sofort telegraphisch mit dem Onkel in Verbindung und fragte an, ob er ihm nicht mit Rücksicht auf die nahen verwandtschaftlichen Beziehungen für wenig Geld, aber sehr viel gute Worte einen tadellosen Gardekürassier verkaufen wolle. Und wenig später hatte er die Antwort seines Verwandten in Händen: In der Hauptsache hätte er natürlich nur Pferde, die noch nie geritten wären, aber zufälligerweise sei im vorigen Jahr ein Gardekürassier als überzählig zurückgeblieben und der wäre inzwischen tadellos und vollständig militärfromm zugeritten worden. Der feste Preis für die Remonte–Ankaufs­kommission sei tausendzweihundert Mark, aber da er es wäre, solle er ihn für tausend Mark haben, vorausgesetzt, daß er ihn sofort bezahle. Gleich nach Ankunft des Geldes würde der Gaul abgeschickt werden.

Als der Dicke das Telegramm las, kam er von neuem zu der Erkenntnis, daß auch auf die Verwandten kein Verlaß mehr sei, denn im stillen hatte er natürlich gehofft, sein Leibroß geschenkt zu erhalten. Aber das half nun alles nichts, haben mußte er einen Gaul, und bei dem Onkel war er wenigstens sicher, nicht betrogen zu werden. Von neuem pries er seine Weisheit, bei der Wahl seines verstorbenen Vaters sehr vorsichtig gewesen zu sein, dann schickte er die tausend Mark telegraphisch ab, und fünf Tage später traf der Gardekürassier ein. Das war ein Gaul, der sich sehen lassen konnte, gesund wie nur einer, mit tadellosen Beinen, prachtvollen Gängen und so leicht zu reiten, daß selbst ein Kind mit ihm fertig wurde.

Wenigstens erzählte das der Stallbursche, der das Pferd mit der Bahn hergebracht hatte, und als Stern sich nun in den Sattel setzte, um Probe zu reiten, fand er diese Angabe bestätigt. Der Gaul gehorchte den Zügeln und den Schenkeln, daß es wirklich eine Freude war.

Und alle, die dabei herumstanden und das Pferd über den grünen Klee lobten, waren der felsenfesten Überzeugung, daß Stern mit dem Gaul fürchterlich angeschmiert worden sei, einmal, weil er ihn in der Fremde und nicht bei einem von ihnen gekauft habe, dann aber auch, weil sie selbst bei dem Ankauf ihrer Pferde hineingefallen waren und sich nun nicht denken konnten, daß es einem anderen anders gehen könne.

Nach einer Woche rückte das Regiment ins Manöver, und schon am ersten Tage dankte Stern von neuem dem Himmel, daß er zum Galopin ernannt worden war, denn die Truppe mußte beinahe vierzig Kilometer zu Fuß zurücklegen. Das hätte er gar nicht ausgehalten, ohne unterwegs nicht wenigstens zehn Pfund abzunehmen. Und damit seine Uniformen ihm dann nicht alle zu weit gewesen wären, hätte er sich die zehn Pfund hinterher wieder mühselig herantrinken müssen. Aber allerdings vierzig Kilometer Schritt zu reiten war auch kein Vergnügen, und als der Dicke am späten Nachmittag vom Gaul herunterkletterte, war er so steif, daß er seine Glieder den Strahlen der untergehenden Sonne aussetzte, damit sie wieder auftauten.

Aber er tröstete sich mit dem Wort: „So was gibt sich, so was gibt sich, so was lernt sich mit der Zeit,” und schon am nächsten Tag, als die wirklichen Manöver begannen, und als er, anstatt Schritt, egal Galopp reiten durfte und mußte, waren die Schmerzen überwunden.

Nach einiger Zeit geschah es, daß Seine Exzellenz der Herr Divisions­kommandeur im Manövergelände eintraf, um den Übungen als Zuschauer beizuwohnen. Diese Tatsache flößte den meisten Angst und Unruhe ein, denn die Vorgesetzten sind um so beliebter, je weiter sie fort sind.

Nur der Dicke sah den kommenden Ereignissen voller Ruhe entgegen, ihm konnte nichts passieren, er ritt seinen Galopp und damit Punktum.

Mit seinem Oberst ritt er am frühen Morgen ganz vergnügt zum Rendezvousplatz, auf dem Seine Exzellenz die Truppen, deren Vormarsch er heute begleiten wollte, erwartete. Exzellenz gab seiner Freude darüber Ausdruck, alle Herren so wohl und gesund zu sehen, und wenn die Untergebenen auch darauf nichts antworten konnten und durften, so spiegelte sich doch auch auf ihren Gesichtern die Freude wider, auch Exzellenz so wohl zu sehen. Und die Freude über diese frohe Tatsache steigerte sich vom Gesicht des jüngsten Leutnants bis zu dem des Herrn Generals in einem Grad, der im umgekehrten Verhältnis stand zu den wahren Empfindungen, die jeder hegste.

Bald darauf begann der Vormarsch. Nach etwa zwei Stunden stieß man auf den Feind und die Truppen entwickelten sich zum Gefecht.

Von einer Anhöhe aus betrachtete Exzellenz die Entwicklung des Angriffs und neben ihm hielt der dicke Stern. Den hatte Exzellenz sich für heute geborgt, weil das Pferd des Adjutanten plötzlich lahm geworden war.

Exzellenz gehört zu jenen Vorgesetzten, die um so toller reiten, je älter sie werden, um dadurch den Anschein zu erwecken, als würden sie immer jünger. Er hatte ausgezeichnete Pferde und so fand der Gardekürassier des Dicken gleich seinen vollsten Beifall. Er hielt mit seinem Lob nicht zurück und gab seiner Freude Ausdruck, endlich einmal wieder einen Galopin zu finden, dessen Gaul auch wirklich Galopp laufen könne.

Exzellenz musterte mit seinem Glas die Vorgänge im Gelände und plötzlich mußte irgend etwas sein allerhöchstes Mißfallen erregen. „Verfluchte Schweinerei,” schalt er vor sich hin, „ich möchte bloß wissen, wer denn da drüben kommandiert. Das ist doch gar nicht zu glauben, da soll denn doch gleich —”

Exzellenz wurde immer erregter, jetzt aber gab er plötzlich seinem Gaul die Sporen und jagte davon.

Der Galopin mußte mit und wenn das Tempo, das Exzellenz vorlegte, auch mehr Rennpace war, für den Gardekürassier war das eine große Kleinigkeit. Der stürmte in gewaltigen Sätzen vorwärts und holte den Gaul Seiner Exzellenz nicht nur schnell ein, sondern befand sich plötzlich mehrere Schritte vor ihm.

„Bleiben Sie gefälligst hinter mir!” rief Exzellenz dem Dicken zu. Der mäßigte den Lauf seines Pferdes und jagte drei Schritt hinter dem Vorgesetzten dahin, bis plötzlich ein breiter Graben vor ihm auftauchte.

„Rüber!” kommandierte Exzellenz — aber zu springen wagte er doch nicht, sondern er parierte zum Schritt und ließ sein Pferd klettern.

Anders aber der Gardekürassier. Als der das Hindernis sah, spitzte er die Ohren und im mächtigen Sprung landete er auf der anderen Seite, um dort weiterzustürmen.

„Zum Donnerwtter, bleiben Sie hintr mir!” rief Exzellenz, aber da der Dicke schon zehn Pferdelängen Vorsprung hatte, war das leichter gesagt, als getan.

So parierte er denn zum Halten und wartete, bis der Vorgesetzte wieder mit ihm auf gleicher Höhe war. Der zeigte sich sehr ungnädig. „Ich bitte mir aus, Herr Leutnant, daß Sie stets hinter mir bleiben. Wenn Sie Ihr Pferd nicht in der Gewalt haben, sind Sie als Ordonnanz­offizier einfach nicht zu gebrauchen.”

Stern nahm die Zügel kürzer und der Galopp ging weiter, aber der Gardekürassier war es nicht gewohnt, zurückgehalten zu werden, sondern in des Wortes wahrster Beeutung seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Er kannte es gar nicht anders, als daß er stets Sporen bekam, damit es noch schneller ginge. So drängte er sich denn auch jetzt wieder nach vorn, und plötzlich befand sich Exzellenz wieder hinter seinem Adjutanten.

Und das nahm der hohe Herr sehr übel. War er deshalb als schneidiger Reiter bekannt, damit es nun so aussähe, als käme er mit dem anderen nicht mit? Hatte er seine Adjutanten nicht so erzogen, daß sie stets sechs Schritte hinter ihm blieben, damit es den Anschein erwecke, als vermöchten sie bei dem besten Willen nicht, ihm zu folgen? Und war er nicht doppelt und dreifach blamiert, wenn ausgerechnet der dicke Stern, der doch wirklich keine gute Reiterfigur bildete, ihm so vorausstürmte.?

Na, er würde nachher bei der Kritik die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, dem Galopin ganz gehörig seine Meinung zu sagen.

Und Exzellenz sagte sie ihm. Und war es Absicht oder Zufall? In dem Augenblick, als Exzellenz endete, steckte der Gardekürassier seine Zunge heraus, leckte das Gebiß und zog sie dann wieder ein.

Exzellenz war starr, der Gaul hatte es gewagt, ihm als Antwort auf seine Rede die Zunge zu zeigen.

Und da er dem Gaul nicht grob werden konnte, wurde er dem Galopin von neuem grob, bis er endlich mit den Worten schloß: „Sie werden den morgigen Ruhetag entweder dazu benutzen, sich ein anderes Pferd anzuschaffen, oder Sie sind die längste Zeit Ordonnanz­offizier gewesen. In meiner Division dulde ich so etwas nicht.”

Es blieb dem Dicken nichts anderes übrig, als dem Befehl nachzukommen. Er selbst war darüber sehr traurig, aber die anderen frohlockten, sie hatten recht behalten, er war mit dem Gaul doch angeschmiert. Der hatte den größten Fehler, den das Pferd eines Untergebenen haben kann: Es war in seinem ganzen Auftreten nicht bescheiden genug. Es drängte sich vor.


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