Ein kostbarer Fund

Humoreske von Freiherr von Schlicht
in: „Deutsche Romanzeitung” 53.Jahrgg. 1916, 3.Band, Beiblatt, Seite 115 bis 117.


Assessor von Arnold, ein großer schlanker eleganter Vierziger, der trotz seines vorteilhaften Äußeren zur Freude seiner Frau bei Ausbruch des Krieges für dauernd dienstuntauglich befunden worden war, saß in der großen Halle des vornehmen Berliner Hotels, in dem er vorgestern mit seiner Frau für wenige Tage abgestiegen war und wartete auf die Rückkehr seiner Gattin, die ihn vor Stunden verlassen hatte, um noch Besorgungen zu machen, denn morgen nachmittag ging es bereits wieder in das eigene Heim zurück. Vorher aber wollte man den heutigen Abend noch irgendwo nett verleben. Über das Wo wollte man sich erst im letzten Augenblick entscheiden, aber um sich entscheiden zu können, mußte die Gattin, ach die teure, zurückkommen. Aber sie kam nicht und das vermochte sich der Herr Assessor nicht zu erklären, denn er konnte sich doch sonst stets auf seine Frau verlassen. Wenn die ihm daheim schwur: „ich bin ganz gewiß in zwei Stunden wieder zurück,” da wußte er, daß sie ganz bestimmt nicht länger als vier Stunden fortbliebe, meistens sogar nur drei und eine halbe Stunde, aber heute? Schon weil er wußte, wie spät es war, wagte er es gar nicht, auf die große Uhr zu sehen, die in der Halle hing. Ihm konnte es ja auch gleich sein, was die Uhr schlug, denn ihm schlug sie nicht, statt dessen schlug er sich plötzlich voller Ungeduld mit der rechten Hand auf das Knie und als er sich genug geschlagen hatte, trommelte er ungeduldig mit den Fingern der rechten Hand auf dem kleinen Tisch herum, der vor ihm stand.

Und plötzlich trommelte er nicht allein. Dicht neben ihm in einem anderen Lederklub­sessel saß ein tadellos angezogener Herr, anscheinend Anfang der Fünfziger, der dem Assessor schon gleich aufgefallen war, als er sich vorhin wartender Weise in der Halle niederließ. Und auch der andere Herr mußte jemand erwarten, denn der sah alle Augenblicke nach der Uhr, er schüttelte von Zeit zu Zeit mit dem Kopfe, als wolle er sagen: Das verstehe ich nicht, und da sein Nachbar nun anfing, mit den Fingern auf dem Tisch herumzu­trommeln, trommelte er auch und es dauerte nicht mehr lange, da waren die beiden Herren im Gespräch und der sehr elegante Fünfziger, der sich als ein Baron von Arnstedt vorstellte, gab auf Befragen zu, daß auch er seine Frau erwarte und fuhr dann fort: „Daß ich lange auf deren Rückkehr warten müsse, habe ich mir allerdings gedacht, denn meine Frau hat sich etwas fast Unmögliches vorgenommen. Wir wohnen in einer kleinen Stadt Mitteldeutschlands, in der augenblicklich alle Lebensmittel, in Sonderheit aber die Butter, sehr knapp sind. Wir erhalten auf unsere Butterkarte pro Kopf und Woche nur ein achtel Pfund Butter, vorausgesetzt, daß wir das bekommen. Trotzdem sind wir gezwungen, in den nächsten Tagen eine kleine Gesellschaft zu geben. Aber womit soll man zuhause kochen und braten, wenn man keine Butter, kein Fett und keine Margarine hat?”

„Ach herrjeses,” fiel ihm der Assessor in das Wort, „nun glaube ich Sie zu verstehen, Herr Baron, die Frau Gemahlin befindet sich augenblicklich auf der mit Recht so beliebten aber trotzdem meistenteils erfolglosen Butterjagd?”

„So ist es,” stimmte der Baron ihm bei. „Meine Frau hat mir zum Abschied erklärt, sie käme nicht eher wieder in das Hotel zurück, ehe es ihr nicht gelungen sei, irgendwo zwei Pfund Butter aufzutreiben. Ich habe ihr zwar erklärt, sie litte an Größenwahnsinn, denn soviel Butter gäbe es heutzutage in ganz Berlin nicht, aber meine Frau hat mir fest versprochen, mir das Gegenteil zu beweisen. Na, ich bin nur begierig, ob sie mehr als ein achtel Pfund bekommt, vorausgesetzt, daß sie überhaupt etwas erhält.”

In Zusammenhang damit drehte sich das Gespräch ganz im allgemeinen um die jetzige Zeit, bis plötzlich Frau Assessor von Arnold auf ihren Gatten zutrat. Der hatte im Gespräch mit dem Baron nicht mehr auf das Kommen und Gehen der Gäste geachtet, so blickte er überrascht auf, als jetzt seine Frau, eine große, schlanke, vornehme Erscheinung unerwartet vor ihm stand, bis er sie mit den Worten begrüßte: „Na, da bist du ja endlich, Mary, lange genug hat es ja gedauert.”

„Aber du darfst trotzdem nicht böse sein,” entgegnete seine Frau und auf ihre vielen kleinen Pakete deutend setzte sie hinzu: „Sieh nur, was ich besorgt habe. Das hat viel Zeit in Anspruch genommen, aber auch ohnedem dürftest du mich nicht schelten, denn ich bin ja so namenlos glücklich.”

Und das mußte wirklich der Fall sein, denn das hübsche Gesicht seiner Gattin strahlte und leuchtete wie eitel Sonnenschein, so daß ihr Mann nun scherzend meinte: „Du siehst tatsächlich so aus, Mary, als hättest du zum mindesten das große Los gewonnen, oder als hättest du irgendwo einen kostbaren Schatz gefunden.”

„Das letztere stimmt auch,” trumphierte seine Frau, „ich will dir auch gleich gestehen, was es ist, denn raten kannst du es doch nicht,” und ein Paket in die Höhe haltend und es ihrem Manne zeigend, sagte sie:

„Weißt du, was darin ist? Zwei Pfund allerbeste Tafelbutter!”

„Donnerwetter, alle Hochachtung,” stimmte ihr Mann ihr bei, „zwei Pfund Butter? Und die hast du gefunden? Liegt denn hier die Butter auf der Straße?”

„Nein, aber sie lag in einem Auto, das ich mir in der Leipziger Straße nahm,” lautete die Antwort, „und du kannst dir meine Freude vorstellen, als ich diesen Fund entdeckte. Mein erster Gedanke war natürlich trotzdem, die Butter abzugeben, aber an wen? Hätte ich sie dem Chauffeur gegeben, der hätte die sicher für sich behalten und sie allein oder mit den Seinen verzehrt. Und hätte ich die Butter auf das Polizeirevier gebracht, da wäre sie verschimmelt und verdorben, bis sich der Verlierer gemeldet und als solcher ausgewiesen hätte. Da nahm ich die Butter an mich und gebe sie unter keinen Umständen wieder heraus.”

Aber machst du dich da nicht der Fundunterschlagung schuldig? wollte der Assessor seine Frau fragen, aber er kam nicht dazu, denn jetzt war auch die Frau Baronin zurückgekehrt und hatte sich ihrem Manne genähert, der sich diskret zurückgezogen hatte, als Frau von Arnold ihren Gatten begrüßte. Und auch Herr von Arnold hätte sich als wohlerzogener Herr nicht um die Begrüßung zwischen der Baronin und ihrem Mann gekümmert, wenn es ihm nicht aufgefallen wäre, daß die Baronin ihrem Mann beinahe krampfhaft weinend und laut aufschluchzend in die Arme fiel, so daß der sie ebenso erschrocken wie erstaunt fragte: „Aber Claire, Kind, was ist dir denn nur?” Und scherzend setzte er gleich darauf hinzu: „Weinst du vielleicht, weil es dir noch nicht gelungen ist, deine zwei Pfund Butter zu bekommen?”

Und da erzählte die Frau Baronin ihr Leid und sie tat es so laut, daß Arnolds es mit anhören mußten: „Denke dir nur Fritz, ich war länger als zwei volle Stunden mit einem Auto von einem Geschäft zu dem anderen gefahren, um Butter zu bekommen, aber alles war vergebens. Schon wollte ich die Hoffnung aufgeben, als der Himmel sich meiner erbarmte. Als ich mir ein neues Auto nehmen mußte, weil das erste eine Panne erlitt, sah ich plötzlich in dem Auto ein Paket liegen und weißt du, was darin war, als ich es öffnete? Vier Stück, also zwei Pfund der allerfeinsten Tafelbutter. Gerade die zwei Pfund, die ich suchte und die ich so notwendig für unsere Gesellschaft brauche. Mein erster Gedanke war natürlich trotzdem, den wertvollen Fund abzuliefern, aber an wen? Der Chauffeur hätte die Butter doch selbst oder mit den Seinen aufgegessen und wenn ich sie auf das Fundbüro gebracht hätte, wäre sie dort sicherlich verschimmelt und schlecht geworden, bevor der Verlierer sich gemeldet und als solcher legitimiert hätte. Da nahm ich die Butter an mich und schwur mir, mich nicht wieder von der zu trennen. Aber als ich dann in der Leipziger Straße das Auto verließ, weil ich bei Wertheim viel zu besorgen hatte, weil es mir zu teuer gekommen wäre, wenn ich das Auto so lange warten ließ, da rührte mich, als ich in dem Fahrstuhl bei Wertheim nach oben fuhr, beinahe der Schlag, denn da sah ich zu meinem Schrecken, daß ich das Paket mit der Butter im Auto hatte liegen lassen. Ach, warum ließ ich das Auto nur nicht warten, denn als ich gleich wieder mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr und auf die Straße eilte, war das Auto natürlich längst verschwunden und mit ihm die Butter!” Und abermals brach die Baronin in Tränen aus, die der Baron vergebens zu stillen versuchte.

Wohl aber glaubte der Herr Assessor die arme Frau trösten zu können. Für ihn stand es fest, daß der Fund, den seine Frau machte, mit dem Verlust der Frau Baronin identisch sei, das schon deshalb, weil seine Frau die Butter in einem Auto fand, das sie in der Leipziger Straße nahm, also in derselben Straße, in der die Baronin ihr Auto fortschickte. Es stand auch sofort bei ihm fest, der Baronin die von seiner Frau gefundene Butter zurück zu geben. Allerdings hatte auch die Frau Baronin die Butter nicht gekauft, sondern nur gefunden, die gehörte also nach dem Gesetze ebenso wenig ihr wie seiner Frau, aber trotzdem war sie die erste Finderin gewesen und hatte als solche mehr Anrecht auf den Fund als seine Frau.

So wechselte er denn leise ein paar Worte mit seiner Gattin, aber die schüttelte energisch den Kopf. Die verteidigte ihre Butter wie eine Löwenmutter ihr jüngstes Kind, aber er gab nicht nach. Seine Worte und seine Blicke wurden immer energischer, bis seine Frau ihm endlich halblaut zurief: „Was du da von mir verlangst, ist doch Unsinn und wer kann denn überhaupt wissen, ob mein Fund tatsächlich der Verlust der anderen Dame ist. Das müßte doch erst festgestellt werden.”

„Das halte ich für überflüssig,” gab der Assessor zur Antwort, „und feststellen läßt sich so etwas ja gar nicht, denn eine Butter sieht doch wie die andere aus.”

„Oder auch nicht,” meinte seine Frau, bis sie nach einem plötzlichen Entschluß meinte: „Das werden wir ja gleich sehen,” und sich der Baronin nähernd sagte sie, „Ich höre mit Bedauern, gnädige Frau, daß Sie in der Leipziger Straße in einem Auto zwei Pfund Butter haben liegen lassen. Der Zufall fügte es, daß ich in der Leipziger Straße in einem Auto zwei Pfund Butter fand. Vielleicht ist mein Fund ihr Verlust. Darf ich fragen, wie Ihre Butter eingewickelt war?”

In den Augen der Baronin, die eben noch so traurig dreingeblickt hatten, blitzte es hell und freudig auf, dann rief sie schnell: „Meine Butter war in weißes Papier gewickelt, das schon etwas fettig geworden war und verschnürt war sie mit einem rosa Band, wohl weil die Verkäuferin keinen Bindfaden mehr hatte.”

„Schade,” meinte Frau von Arnold mit ehrlichster Anteilnahme, „das tut mir aufrichtig leid, denn da ist also meine Butter doch nicht ihre Butter, denn dieses Paket,” und sie hielt der Baronin das von ihr gefundene Paket unter die Augen, „war in dunkelbraunes Papier gewickelt und mit einem richtigen Bindfaden verschnürt.”

„Nein, das ist es nicht,” meinte die Baronin ganz verzagt.

So blieb Frau von Arnold die glückliche Besitzerin des kostbaren Fundes und sie war darüber ja so froh. Aber am meisten freute sie sich doch darüber, daß sie so schlau gewesen war, sich das gefundene Paket, weil das andere Papier bereits etwas fettig war, in einem Geschäft, das sie später betrat, in dunkelbraunes Papier hatte einwickeln und mit einem gewöhnlichen Bindfaden hatte verschnüren lassen, da das rosa Band doch leicht hätte irgendwie zum Verräter werden können. —


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