Frauen, die fest entschlossen sind.

Von Freiherrn von Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 1.1.1910,
in: „Ohligser Anzeiger” vom 8.1.1910,
in: „Die Frau und meine Frau”.


Es gibt wenig Dinge auf dieser Erde, die mir so unangenehm sind, wie ein Wechsel der Dienstboten — ich will lieber zehn Jahre hindurch ein schlechtes Zimmermädchen haben, als jedes Jahr eine ander „Perle”. Und wenn oft nicht alles so ist, wie es sein könnte, gedenke ich des Wortes: „Wozu hat der Mensch zwei Augen, wenn er sie nicht zudrückt?” Und dann geht es ausgezeichnet.

So war ich denn sehr wenig erfreut, als meine Frau mir heute morgen mitteilte, sie sei fest entschlossen, zum nächsten Ersten dem Stubenmädchen zu kündigen.

Ich fügte mich in das Unvermeidliche, mußte es ja auch tun; denn, wenn meine Frau fest entschlossen war, würde sie natürlich auch bei ihrem Entschluß bleiben. So sagte ich denn nur: „Tu, was du nicht lassen kannst. Du hast ja schließlich von einem Wechsel des Mädchens mehr Arbeit und Unruhe als ich, aber wissen möchte ich doch, warum schickst du sie fort?”

Meine Frau sah mich ganz erstaunt an: „Das fragst du noch? Und ich habe dir doch schon so oft erzählt, wie unzufrieden ich mit Berta bin.”

Ich widersprach: „Du irrst dich, Gutes, erst gestern abend hast du mir davon gesprochen, wie ausgezeichnet Berta deine Wäsche wieder in Ordnung gebracht hat. Am letzten Sonntag, als sie auf deine Bitten hin sofort zu Haus blieb, trotzdem es ihr freier Tag war, lobtest du sie als sehr zuvorkommend und gefällig. Als wir vor einigen Wochen von der Reise zurückkamen, und als du sahst, wie sauber die ganze Wohnung wieder hergerichtet war, hast du Berta zwanzig Mark geschenkt, obgleich ich behauptete, bei diesen teuren Zeiten wären fünfzehn auch genug, aber du bliebst bei deiner Ansicht und erklärtest ausdrücklich, daß ein besonders gutes Mädchen auch ganz besonders belohnt werden müsse. Ich habe nie ein Wort des Tadels über Berta aus deinem Munde gehört — wie du da nun behaupten kannst, ich müßte es doch wissen, daß du schon lange mit ihr unzufrieden wärst, ist mir völlig unverständlich.”

Meine Frau aber blieb bei dem, was sie gesagt hatte: „Ich erinnere mich ganz genau, oft und ausführlich mit dir über Bertas schlechte Eigenschaften gesprochen zu haben; das hast du dann wieder vergessen. Gesagt habe ich es dir, das weiß ich ganz genau, und wenn ich es dir trotzdem wirklich nicht gesagt haben sollte, dann habe ich es dir schon tausendmal sagen wollen, und das ist ja schließlich dasselbe.”

„Gewiß,” stimmte ich meiner Frau bei, „und es freut mich, daß du so verständige Ansichten hast. Nun wird es mir wesentlich erleichtert, dir die lange teure Zobeljacke zu kaufen. Ich wollte sie dir schenken, da das aber nach deinen eigenen Worten dasselbe ist, so ist der Fall für beide Teile zur Zufriedenheit erledigt — du hast die Jacke und ich hab' mein Geld!”

Meine Frau wandte sich beleidigt ab:

„Das ist doch etwas ganz anderes und außerdem ist diese Stunde für schlechte Scherze nicht geeignet. Auch mir ist es natürlich sehr unangenehm, Berta fortschicken zu müssen, aber trotzdem, wie gesagt, es geht nicht anders. Ich habe lange mit mir gekämpft, bis ich diesen Entschluß faßte, aber nun ist er auch unabänderlich!”

„Gewiß, denn man faßt doch seine Entschlüsse, um sie durchzuführen.”

Meine Frau sah mich ganz glücklich an: „Das freut mich, daß du mir beistimmst. Du bist also auch dafür, daß ich Berta fortschicke? Eigentlich hätte ich mir das auch selbst sagen können, denn ich habe dir in der letzten Zeit oft angemerkt, daß auch du mit ihr unzufrieden warst.”

„Ich bewundere deinen Spürsinn,” gab ich zur Antwort, „denn mit dem hast du etwas herausgefunden, was mir selbst bis zu diesem Augenblick völlig unbekannt war. Wenn die Berliner Polizeihunde ebensolchen Spürsinn hätten wie du, dann würden nicht nur alle Verbrechen aufgedeckt werden, die schon begangen sind, sondern auch alle, die noch gar nicht begangen wurden. Im übrigen hast du völlig unrecht, ich denke nicht daran, mit ihr unzufrieden zu sein.”

„Doch, doch,” widersprach meine Frau lebhaft, „das weiß ich besser; ich täusche mich nicht. Erst vorgestern abend, als sie wieder vergessen hatte, die Fingerschalen auf den Tisch zu stellen, da zogst du deine Stirn und deine Nasenflügel ganz kraus — ach, ich kenne dich ja so genau und weiß, was jeder Zug in deinem Gesicht zu bedeuten hat.”

„Das freut mich,” stimmte ich ihr bei, „denn Frau und Mann sollen es in der Ehe ja auch lernen, ein jeder in den Mienen des anderen zu lesen. Nun erinnere ich mich auch, daß ich vorgestern Stirn und Nase kraus zog.”

„Da siehst du ja, wie recht ich hatte!” frohlockte meine Frau.

„Gewiß, du hast immer recht. Aber vergiß bitte nicht, daß ich vorgestern einen fürchterlichen Schnupfen hatte und Stirn und Nase nur deshalb kraus zog, weil ich niesen mußte.”

Aber meine Frau ließ sich nicht beirren:

„Das mag vorgestern der Fall gewesen sein. Aber sonst, an den anderen Tage — natürlich kann ich mich im Augenblick nicht auf alle Einzelheiten besinnen, aber trotzdem erinnere ich mich ganz genau, daß auch du in der letzten Zeit fast täglich mit ihr unzufrieden warst.”

„Anstatt fast täglich solltst du lieber sagen: „fast stündlich” oder noch besser: „fast jede Minute”.”

Aber meine Frau war anderer Ansicht: „Man soll und darf den Leuten gegenüber auch nicht ungerecht sein, und vor allen Dingen soll man auch nicht übertreiben.”

Eine Frau übertreibt stets. Wenn sie auf der Straße zwei Bekannte getroffen hat, erzählt sie zu Hause von einer „Unmenge”. Wenn sie einen Brief schreiben will, hat sie einen „Haufen” zu erledigen, nur wenn sie gefragt wird, wieviel Hüte sie hat, übertreibt sie in ihren Zahlen nicht, sondern sagt anstatt „siebenundzwanzig” mit vollster Ueberzeugung: „eigentlich gar keinen!”

Für die Frau ist es ein ebenso großes Lebensbedürfnis, zu übertreiben, wie sich noch besser anzuziehen, als ihre beste Freundin. Aber wenn der Mann einmal auch nur im Scherz übertreibt, ist er sofort ungerecht oder nicht wahrheitsliebend.

Und die Lüge ist von allen Lastern das verderblichste — bei dem Mann!

Also ich hatte übertrieben und beeilte mich, mein Unrecht wieder gut zu machen: „Meine Worte waren natürlich nicht ernsthaft gemeint, und ich kann dir bei der Gelegenheit nur wiederholen, daß ich mit Berta wirklich in keiner Weise unzufrieden war, und ich will dir auch gestehen, daß es mir leid tut, daß du sie fortschicken mußt. Ich sage absichtlich „mußt”, denn daß du es nicht tätest, wenn es nicht unbedingt nötig wäre, ist bei deinem stark ausgeprägten Gerechtig­keitssinn doch ganz ausgeschlossen.”

Durch die ganze Natur der Frau ist es bedingt, daß sie gar nicht gerecht sein kann. Aber gerade deshalb hören sie nichts so gern, als wenn man ihnen von ihrem Gerechtig­keitssinn spricht. Das ist eine Musik, die ihnen noch lieber ist, als das Vilja–Lied aus der „Lustigen Witwe”.

„Nicht wahr?” stimmte meine Frau mir lebhaft bei, „das mußt du wirklich selbst sagen: Gerecht bin ich, unbestechlich gerecht, ich lasse mich in meinem Urteil durch nichts beeinflussen, und wenn ich mich auch heute morgen rasend darüber geärgert habe, daß Berta mir im Salon die wundervolle Meißner–Figur zerschlagen hat, so ist das natürlich auf meinen Entschluß, ihr zu kündigen, ohne jeden Einfluß gewesen.”

„Selbstverständlich, denn eine Meißner–Figur kann man wiederkaufen, sogar ganz genau dieselbe; aber ob wir ein ebenso gutes Stubenmädchen wieder bekommen, ist doch noch sehr die Frage, vor allen Dingen wird die auch mehr Lohn verlangen.”

Wenn alle Hausfrauen in allen Dingen so sparsam wären, wie in dem Lohn für die Dienstboten, würde es bald keine Damen­konfektions­geschäfte mehr geben, und die Mode würde sehr schnell aufhören, zu existieren.

Wenn eine Hausfrau jeden Monat zwanzig Mark und mehr für Delikatessen, die den Magen verderben, auf den Tisch bringt, dann ist das selbstverständlich, das muß sein — aber wenn sie ihrer Köchin fünf Mark Lohn mehr geben soll, kann sie das nicht, dann kommt sie einfach mit ihrem Wirtschaftsgeld nicht aus.

So widersprach meine Frau denn auch sofort: „Unter keinen Umständen gebe ich in Zukunft mehr Lohn als jetzt, das kann ich ganz einfach nicht, die Zigaretten sind auch schon wieder teurer geworden; es ist einfach entsetzlich!”

„Na, weine nur nicht gleich,” bat ich, „die zwei Zigaretten, die du am Tage rauchst, werden wir schon noch bezahlen können.”

„Aber eins kommt zum andern,” jammerte meine Frau, „ich habe Gottseidank zwar noch für hundertfünfzig Mark Streichhölzer zum alten Preise eingekauft, aber einmal werden die doch auch alle werden — —”

„Na, für die nächsten Tage werden die ja noch reichen, und das „später” braucht dich heute noch nicht zu beunruhigen. Wichtiger erscheint es mir in diesem Augenblick, daß du dich möglichst sofort nach einem Ersatz für Berta umsiehst.”

„Noch ist sie ja aber doch nicht fort,” meinte meine Frau.

„Aber, da du fest entschlossen bist, ihr zu kündigen — —”

„Ganz fest!”

„Na also, da wird sie bald fort sein, und damit du dann später nicht gezwungen bist, die erste Beste zu nehmen, die meistens die letzte Schlechteste ist, würde ich an deiner Stelle schon heute zu einer Vermittlerin gehen.”

Das leuchtete meiner Frau ein — sie wollte dann auch gleich eine neue Meißner Figur besorgen, und als sie gegen Mittag zurückkam, hatte sie sich in der Friedrichstraße einen entzückenden kleinen Seidenpinscher gekauft.

Der Mann, der sich über eine Frau noch irgendwie wundert, verdient gar nicht, verheiratet zu sein.

So wunderte ich mich denn auch nicht, sondern fragte nur: „Und was sagte denn die Vermieterin?”

Meine Frau machte eine geringschätzende Bewegung: „Ach, die — die hat ja doch nichts, ich kenne das von früher her, und dann wohnt die so furchtbar weit weg, und außerdem habe ich es mir überlegt, eigentlich hatte ich mir die Meißner Figur schon lange übergesehen, ich habe sie ja schon bald zwanzig Jahre, und in mancher Weise ist es eigentlich ganz gut, daß Berta die kaputgebrochen hat. Gewiß, ich habe mich heute morgen rasend darüber geärgert, aber das Mädchen deshalb gleich fortzuschicken — —”

Ich glaubte, nicht recht gehört zu haben: „Aber du hast mir doch heute morgen ausdrücklich erklärt, daß dein Entschluß, ihr zu kündigen, in keiner Weise durch das Zerbrechen der Figur hervorgerufen worden sei?”

„Das ist er auch nicht,” verteidigte sich meine Frau. „Du hast doch heute morgen selbst meinen Gerechtigkeitssinn anerkannt, wie kannst du da nur so etwas von mir denken? Kündigen wollte ich ihr schon lange, und ich hätte es auch dann heute getan, wenn sie mir die Figur nicht zerschlagen hätte.”

„Und warum kündigst du ihr denn nun doch nicht?”

Ganz entsetzt sah mich meine Frau an: „Bist du aber schwer von Begriff!” Und langsam und eindringlich wie ein Lehrer, der einem wenig begabten Schüler eine Gleichung mit sieben Unbekannten klarzumachen versucht, sagte sie: „Ich wollte ihr kündigen, weil ich schon lange mit ihr unzufrieden war. Ich wollte ihr heute kündigen, nicht weil sie die Figur kaputgemacht hat, sondern obgleich sie das tat, und ich kündige ihr nun nicht, weil sie die Figur zerbrach, weil ich mich freue, daß sie es tat und weil ich auf dem Wege zum Porzellan­geschäft einen Händler mit diesem entzückenden Hund fand — hast du es nun begriffen?”

Man soll einer Frau stets das antworten, was sie hören will, und so antwortete ich denn: „Ja!”

Da atmete meine Frau wie von einer schweren Sorge befreit erleichtert auf und sagte mit einer Stimme, der man deutlich die Freude(1) anhörte, mich überzeugt zu haben: „Na, endlich!”


Fußnoten:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „die Frage anhörte”. (zurück)


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