Der Fasan.

Humoreske von Frhrn v. Schlicht
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 24.Dez. 1902,
in: „König Eduards Testament” und
in: „Der Mann mit den vier Frauen”.


Lieber Freund!

Da ich Ihre große Vorliebe für Fasanen mit Sauerkraut und Austern kenne, habe ich gestern Ihrer auf der Jagd gedacht und Ihnen einen Fasanen geschossen, in dem Sie, Ihre Frau Gemahlin und Ihr Junge hoffentlich Ihre helle Freude haben werden. — Austern und Sauerkraut müssen Sie sich leider selbst besorgen.

So stand zu lesen auf dem Abschnitt der Packetadresse, die mir Clara, mein Mädchen für Alles, mit Ausnahme von Kohlentragen und Teppichklopfen, in das Zimmer brachte. Freudig sprang ich auf, warf die Arbeit bei Seite und eilte hinaus, um den Fasan anzugucken und ihn an mein Herz zu drücken, bevor er mich später in meinem Magen drücken würde. Ich nahm den Vogel in die Hand und fuhr liebkosend mit der Hand über die Federn. Mein Freund hatte Recht, er hatte ein selten schönes Tier für mich ausgesucht, es war beinahe zu groß für einen so kleinen Haushalt wie den meinigen.

„Heute Mittag wird er aufgegessen,” entschied ich kategorisch, aber Clara, das Mädchen für alles, mit Ausnahme von Kohlentragen und Teppichklopfen, war anderer Ansicht: erstens muß der Fasan noch etwas hängen, zweitens habe ich für heute schon anderes Fleisch eingekauft und drittens kann der gnädige Herr den doch nicht allein essen, dazu ist er viel zu groß, da müssen der gnädige Herr schon warten, bis die gnädige Frau von der Reise zurück ist.”

Ach so, ja richtig, meine Frau war ja verreist(1), das fiel mir erst in diesem Augenblick wieder ein. Daraus, daß mir das momentan entfallen war, den Schluß ziehen zu wollen, daß ich der Inbegriff eines schlechten Ehemannes bin, wäre ganz falsch, aber wir reisen so furchtbar viel, teils allein, teils nicht zusammen, daß wir selbst häufig garnicht wissen, wer von uns Beiden zu Haus und wer von uns auf Reisen ist.

Geteilte Freude ist doppelte Freude, so telegraphirte ich am Mittag an meine Frau, die sich in Rußland bei Verwandten zum Besuch aufhielt: „Habe prachtvollen Fasan geschenkt bekommen, willst Du ihn mit mir zusammen essen. Ich warte auf Dich.”

Am Abend kam die Antwort: „Bleibe wenigstens noch vier Wochen hier. Warten ein ebenso großer Unsinn wie Dein Telegramm. Bedenke, daß jedes Wort nach Kurland zwanzig Pfennig kostet. Wann willst Du endlich anfangen, sparsam zu werden? Nimm Dir ein Beispiel an mir, wie ich keinen Pfennig unnötig ausgebe. Im übrigen: guten Appetit. Der Junge läßt Dich natürlich vielmals grüßen.”

Wenn ein Wort von Deutschland nach Rußland zwanzig Pfennig kostet, dann kostet es von Rußland nach Deutschland bekanntlich ebenso viel, und dieses lange Telegramm war der beste Beweis dafür, daß meine Frau keine Groschen unnötig ausgibt.

Für den übernächsten Tag wurde der Fasan zu Tisch bestimmt, und ich gab Auftrag, nicht zu wenig Sauerkraut und recht viele und recht gute Austern zu besorgen, denn es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß zu Sauerkraut jede Auster gut schmeckt.

Am Abend kam Clara zu mir, um zu melden, sie hätte den Vogel gerupft, er sei aber so riesengroß und so fett, daß ich ihn unmöglich allein essen könne, ob ich mir nicht einen Gast dazu einladen wolle.

„Sie sind verrückt!” gab ich zur Antwort, „wie soll ich dazu kommen, das Beste, was ich augenblicklich mein eigen nenne, freiwillig mit Anderen zu teilen.”

Nun aber wurde ich doch nachdenklich. Ich aß nun schon vier Wochen jeden Tag allein, zum Totlachen amüsant war das gerade nicht, es schmeckt nicht so recht, wenn man sich immer selbst gegenüber sitzt und nur mit sich selbst sprechen kann. Nach reiflichster Ueberlegung entschloß ich mich deshalb doch, einen Gast zu mir zu bitten — mit dem zusammen könnte man in aller Ruhe stundenlang bei Tisch sitzen und essen und trinken und trinken und essen. Ich nahm meine Behauptung, daß Clara verrückt sei, reumütig zurück und versuchte am nächsten Morgen in der Weinstube, in der ich mit peinlichster Regelmäßigkeit meinen Frühschoppen abhalte, für den kommenden Tag einen Gast einzufangen. Ich bekam einen Korb nach dem anderen: Der Eine meinte, so etwas müsse man doch ein paar Tage vorher wissen, um sich danach einrichten zu können, der Zweite hatte selbst einen Gast, der Dritte war schon eingeladen, Jeder hatte eine andere Ausrede. Schließlich wandte ich mich an einen alten Major, den ich bisher noch nie vergebens um eine Gefälligkeit gebeten hatte: „Sie wissen,” gab er zur Antwort, „daß ich für Sie tue, was ich kann — aber einen Fasan kann ich selbst Ihnen zu Liebe nicht essen. Wenn es sich um eine Blutwurst handelte, käme ich mit Freuden, aber Fasan — seien Sie nur still, ich kann nichts davon hören, ich habe sie mir übergegessen.”

„Wie kann man nur?” fragte ich. Dann stand ich auf, begab mich an das Telephon und ließ mich eine geschlagene Stunde hindurch mit den verschiedensten Aemtern und Nummern verbinden, aber auch das hatte keinen Zweck, ich fand den gesuchten Kompagnon nicht.

Da gab ich es definitiv auf, schließlich schämte ich mich auch beinahe, den schönen Fasan öffentlich wie saures Bier anzubieten, und bereute, es überhaupt getan zu haben.

Am nächsten Tag setzte ich mich mit wahrer Andacht zu Tisch — hätte ich mich nicht vor meiner Clara genirt, so hätte ich mir meinen Frack oder zum mindesten meinen smoking angezogen — es kam mir fast wie eine Entweihung vor, das schöne Diner im Hausanzug einzunehmen.

Der Fasan erschien.

Ich müßte ein gottbegnadeter Dichter sein, wenn ich schildern wollte, wie verlockend er aussah, wie köstlich er duftete — ah und wie er schmeckte.

Der köstliche Vogel mit dem herrlichen Aeußern und dem Hamburger Sauerkraut war überhaupt nur mit einem Gedicht zu vergleichen.

Ich begann zu essen — ich aß und aß, und schließlich legte ich Messer und Gabel bei Seite und schwur: den Fasan wirst Du nie vergessen.

Noch ein Glas Moët & Chandon, dann eine Uppmann, und dann kam die Siesta, die ich ausdehnte, bis es Zeit wurde, zur Stadt zu gehen. Den heutigen Festtag wagte ich nicht durch Arbeit zu eintweihen.

Als ich zum Abendessen nach Haus kam, standen die Ueberreste des Fasans auf dem Tisch. Ich rief Clara: „Heute nicht mehr von dem Vogel — für heute habe ich das Meinige gethan.”

„Ich habe mir Das schon so gedacht,” lautete die Antwort, „ich meinte nur, weil noch so viel nachgeblieben war.”

„Morgen,” tröstete ich sie, und am nächsten Abend stand das Gerippe, wenn man diesen embarras de richesse so nennen kann, wieder auf dem Abendbrottisch. Aber auch heute verspürte ich keinen Appetit, ich mußte gestern wenn auch nicht gerade zu viel, so doch sicher genug gegessen haben.

Und abermals wurde der Vogel unberührt in den Speiseschrank geschlossen, denn Clara aß kein Geflügel.

Am nächsten Abend erschien der Fasan abermals, und ich aß davon: allerdings nur eine kleine Scheibe. Ich wußte nicht, woran es lag, aber er schmeckte mir heute nicht.

„Vielleicht morgen,” tröstete ich mich und Clara, und abermals wurde das Gerippe hinausgetragen, um am nächsten Abend von neuem zu erscheinen.

Und diesem nächsten Abend folgten noch viele nächste Abende.

Jeden Nachmittag, wenn ich zur Stadt ging, nahm ich mir vor, Clara zu sagen: „Stellen Sie heute ausnahmsweise einmal den Fasan nicht auf den Tisch,” aber ich vergaß es regelmäßig, und wenn ich nach Hause kam, erwartete er mich schon auf dem Abendbrottisch. Ich konnte das Vieh schließlich nicht mehr sehen und daran trug auch sein Aussehen Schuld; jünger war er in der Zwischenzeit gewiß nicht geworden und war es Einbildung oder Thatsache, mir kam es auf jeden Fall so vor, als merke man deutlich, wie das Gerippe älter wurde, es sank förmlich in sich zusammen, die abgeschnittene Brust wurde welk, und die Haut wurde runzelig.

Nach weiteren drei Tagen genügte der bloße Gedanke an den Fasan, um mich nervös zu machen, und als er mir abermals vorgesetzt wurde, machte ich ein Ende: „Clara, wenn Sie mir nur noch einmal diesen Vogel vorsetzen, ermorde ich Sie. Was sollen wir aber mit dem Vieh anfangen — das Fleisch in den Müllkasten zu werfen, ist nach meiner Meinung eine Sünde.”

Sie stimmte mir lebhaft bei: „Und außerdem ist es dazu doch noch viel zu gut — bei der Kälte(2) hält es sich noch lange.”

Mich durchfuhr ein rettender Gedanke: „Clara, haben Sie nicht Jemanden in Ihrer Verwandtschaft oder unter Ihren Bekannten, der unter Umständen bereit wäre, den Fasan aufzuessen? Ich will gern etwas dafür bezahlen.”

Clara versank in tiefes Nachdenken, dann sagte sie schließlich: „Im Augenblick weiß ich Niemanden, aber wenn ich morgen Abend einmal ausgehen könnte, dann will ich mal horchen.”

Und seit dem Tag geht Clara jeden Abend aus und horcht und horcht. Neulich kam sie mit der frohen Botschaft nach Haus, ihr Cousin wollte sich die Sache mal überlegen — ich schwamm in einem Meer von Glückseligkeit, bis ich einsehen mußte, daß der Cousin es sich anders überlegt hatte.

Und Clara horcht immer noch.


Fußnoten:

(1) Schon in der Erzählung „Commerzienraths Auguste” erwähnt Schlicht die Reise seiner Frau anläßlich eines Sterbefalles in ihrer Familie. Damit ist wohl der Tod seiner Schwiegermutter gemeint; diese verstarb am 25.10.1900 in Libau/Kurland. (zurück)

(2) Die Erzählzeit ist also der Winter. Das stimmt mit der Zeit der Veröffentlichung überein. (zurück)


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