Excellenz lassen bitten!

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Excellenz lassen bitten” und
in: „Seine Hoheit”


Über das weite, sich schier endlos ausdehnende Manöverfeld ritt Leutnant von Berkow im kurzen englischen Trab und suchte mit seinen Augen, unter häufiger Zuhilfenahme des Fernglases, das Gelände ab. Als Ordonnanzoffizier hatte er vor einigen Stunden von Seiner Exzellenz dem Herrn Divisions-Kommandeur den Befehl erhalten, der etwa zwölf Kilometer entfernten großen Bagage einen Auftrag zu überbringen, und er befand sich auf dem Rückwege.

Jetzt hielt er sein Pferd an und suchte wieder die ganze Umgegend mit dem Fernglase ab, aber auch dieses Mal vergebens.

Plötzlich lachte er lustg auf. „Wenn's nicht zum Lachen wär',” sprach er vor sich hin, „könnte ich wirklich weinen. Ich habe meine Excellenz verloren, sie ist verschwunden, spurlos verschwunden, einfach in die Versenkung verschwunden. Hier auf diesem Hügel habe ich mich von dem hohen Herrn verabschiedet. ,Hier finden Sie mich wieder', war sein letztes Wort, und nun?” Er streichelte seinem Vollblutpferde den schlanken Hals. „Coriolan, edelster aller Rappen, was sagst du dazu? Gar nichts? Das ist auf jeden Fall das Gescheiteste, denn es lohnt sich wirklich nicht, darüber zu reden. Aber finden müssen wir ihn, sonst giebt es nachher ein Unglück, denn Excellenz muß wissen, daß ich den Befehl richtig überbrachte. Verstehen aber kann es ein anderer, wo der Hohe Herr geblieben ist. Na, es ist ja immer dieselbe Geschichte: der Vorgesetzte begreift seine Untergebenen nicht und die Untergebenen werden aus ihrem Vorgesetzten nicht klug. Was hilft's? Suchen wir weiter. — Wenn sich nur wenigstens ein einziger Bleisodat sehen ließe!” fuhr er nach einer kleinen Pause in seinem Selbstgespräch fort. „Vor einigen Stunden kämpfte hier eine ganze Diviion, die Kanonen donnerten, die Kavallerie attackierte, die Infanterie verschoß ihre Platzpatronen, und die Pioniere warteten wie gewöhnlich auf die Gelegenheit, eine Brücke bauen zu können, die hinterher doch niemand benutzt. Wie heißt es doch so schön und so wahr in dem alten Liede? — ach ja richtig:

Doch der größte Teil des Korps
Zog die alte Brücke vor . . .

Vorhin wimmelte es hier von Kriegssoldaten, und jetzt? Weg sind sie.”

Er zog seine Uhr, während er nun weiter dahin trabte. „Wahrhaftig schon zwölf. Es wird Zeit, daß ein anständiger Soldat in sein Quartier kommt, und wenn ich meine Excellenz hier hätte, die den hohen Vorzug hat, mich gern zu haben und sich viel von mir gefallen zu lassen, so würde ich ihr sagen:

Der Kämpfe sind genug gescheh'n.
Laßt bald uns, bitte, Frühstück seh'n.

Ein wahres Glück, daß wir heute Mittag nach den nicht ganz einwand- und insektenfreien Bauernquartieren für drei Tage nach Hohenbuchen kommen! Nach der Karte zu urteilen, muß der Besitz nicht ganz ohne sein, und wenn der glückliche Besitzer, Herr von Hellwig, mir nun auch noch die Freude bereitet, der Vater einer erwachsenen hübschen Tochter zu sein, die nicht die Mondscheinsonate spielt und die nicht nur die Goldelse von der Marlitt, sondern auch andere Sachen liest, dann will ich ihn an mein Herz drücken und ihm sagen: „Alter Herr, bei Ihnen gefällt es mir.”

Leutnant von Berkow gehörte zu jenen wenigen Menschen, die immer zufrieden, lustig und guter Dinge sind. Er hatte einmal das schöne Wort gelesen:

Wahrsager, werd' ich glücklich sein? —
Du bist es, bild es dir nur ein.

Das war sein Wahlspruch geworden, und er war immer glücklich. Allerdings hatte das Geschick es bei seiner Geburt sehr gut mit ihm gemeint, man hätte fast sagen können: zu gut. Er war der Träger eines alten, angesehenen Namens, der zukünftige Besitzer eines nicht unbedeutenden Vermögens und geistig und körperlich mit großen Vorzügen ausgestattet. Er war von mittelgroßem, schlankem, tadellosem Wuchs, seine Wangen waren von der Sonne leicht gebräunt, dunkelschwarz war sein Haupthaar und der naturgemäß nach der neuesten Mode frisierte Schnurrbart, — um so heller aber leuchteten seine braunen Augen. Der kleidsame Waffenrock des Infanterie-Offiziers stand ihm ausgezeichnet, und wie er nun so dahin trabte, bot er das Bild eines jugendschönen und jugendfrischen Menschen.

So dachte auch die jugendliche, graziöse Reiterin über ihn, die auf einer kleinen feurigen braunen Stute, die ungeduldig hin und her tänzelte, an der Ostecke einer Waldparzelle hielt und den Reiter schon lange beobachtete, ohne daß sie selbst von ihm bemerkt wurde.

Er kam immer näher und näher, und plötzlich sang er mit einer geradezu Grausen erregenden Stimme:

Auf jenem einsamen Hü-ü-gel,
    Da hielt mein Ge-e-ne-ral,
Und nu-un ist er ver-schwund-un-de-en,
Ich such ihn ü-ber-all.

Der Text war schlecht, die Melodie: „In einem kühlen Grunde” nur schwer heraus zu hören, und die Stimme schnappte bei dem „verschwunden” mit einem doppelten Saltomortale über.

„Um Gottes willen, furchtbar!”

Wider Willen war ihr der Ausruf entschlüpft, sie hielt erschrocken die Hand auf den Mund, aber es war zu spät, er hatte ihre Worte doch gehört und hielt gleich darauf vor ihr. „Ich habe Sie um Verzeihung zu bitten, gnädiges Fräulein, daß ich es wagte, den Waldesfrieden durch mein Gekrächze zu stören. Ihre Kritik war kurz, aber zutreffend, schön war mein Gesang nie, und er wird es auch nie werden, aber jeder Mensch treibt ja die Kunst mit Vorliebe, zu der er noch weniger als gar kein Talent hat — ich singe leidenschaftlich gern.”

Sie war von diesem Geständnis so überrascht, daß sie ihr Lachen nicht zurückhalten konnte. „Seien Sie mir nicht böse,” bat sie.

„Ich denke ja gar nicht daran,” erwiderte er lustig, „wenn ich jedem böse sein wollte, der mich wegen meines Orpheus-Gesanges auslacht, hätte ich keinen einzigen Freund auf den vereinigten fünf Weltteilen. Gestatten Sie aber, mich Ihnen vorzustellen: von Berkow, Leutnant im Infanterie-Regiment Nr. X, mit der Aussicht, bei Lebzeiten vielleicht noch einmal Oberleutnant zu werden. Und nun, gnädiges Fräulein, preise ich den Himmel, der Sie mir in den Weg führte. Was mein Herz bedrückt, haben Sie aus meinem Liede erfahren — nebenbei bemerkt, dichte ich mir alle Texte selbst —, ich habe meinen General, meinen Divisions-Kommandeur, meine hohe Excellenz mit samt seinem ganzen Stabe und mit samt seiner ganzen Division verloren. Da ich leider keine Zeitung zur Hand habe, in der ich ein Inserat veröffentichen kann: ,Fünf Groschen Belohnung demjenigen, der mir die abhanden gekommenen Sachen wieder bringt,' so frage ich Sie, gnädiges Fräulein, hiermit: Haben Sie meine Excellenz gesehen? Äußerlich ist der hohe Herr daran erkenntlich, daß er nachts seine Perücke abnimmt und daß bei Tage hinter ihm ein Husar mit einer Flagge reitet, damit alle von weitem sehen können, wo der Divisionsstab sich aufhält. Nur ich kann es jetzt nicht sehen.”

„Und ich kann es Ihnen leider nicht sagen,” gab sie ihm zur Antwort, „ ich bin erst vor einer kleinen Stunde von Hause fort geritten, da ich immer noch hoffte, der Vater würde mich begleiten, leider hatte er keine Zeit, denn wir erwarten viel Einquartierung, auch Ihre Excellenz kommt zu uns.”

„Und ich komme mit ihm,” setzte er hinzu. Ein glückliches Lächeln umspielte seinen Mund, dann sagte er: „Wahrhaftig, gnädiges Fräulein, auf diesen Glückszufall war ich nicht vorbereitet. Vorhin zerbrach ich mir den Kopf darüber, ob der Besitzer von Hohenbuchen den Vorzug hätte, der Vater einer Tochter zu sein, und nun sitzt mir die Tochter stolz zu Roß gegenüber. Und wie sitzt sie! An dem Sitz erkennt man die Reiterin — je vous fais tous mes compliments, mademoiselle.”

Et moi — je vous remercie beaucoup, monsieur mon lieutenant.”

Sie legte die rechte Hand, in der sie die Gerte hielt, auf die Brust und verneigte sich tief und feierlich, dann aber sagte sie: „Ich hatte gehofft, von Ihnen zu erfahren, wo sich die Manöver abspielen — ich hätte sehr gern etwas davon gesehen.”

„Wollen Sie sich meiner Führung anvertrauen, gnädiges Fräulein?” fragte er. „Irgend welche wichtige Meldungen über die Stellung des Feindes müssen Excellenz veranlaßt haben, seinen ursprünglichen Befehl zu ändern. Wenn wir Glück haben, finden wir ihn irgendwo in der Welt. Ist es Ihnen recht, wenn wir antraben?”

Sie stimmte ihm bei, und mit Bewunderung sah er, wie sie ihr Pferd zügelte und wie sie es trotz seiner vielen Tücken und Launen vollständig in der Gewalt hatte.

Schweigend ritten sie eine Weile nebeneinander her — da ertönte plötzlich aus der Ferne lebhaftes Geschützfeuer.

„Na ja also,” sagte er, „warum nicht gleich so? Seit einer Ewigkeit warte ich auf dieses Zeichen, daß sich die feindlichen Brüder, die aber nicht in Messina geboren sind, in den Haaren haben, und nun kommt es endlich. Wenn mein Ohr mich nicht täuscht, bum-bummen sie im fernen Osten — östliche Wirren sind ja augenblicklich modern, wie zu Goethes Zeiten west-östliche Divans.”

„Um Gottes willen,” sagte sie, „der Witz war böse.”

„Sogar mehr als das,” stimmte er ihr bei, „er war grausam. Nun aber, bitte, Galopp, gnädiges Fräulein. Kanonendonner ist für den Soldaten die liebste Musik, wie für Leute, die gern reisen, der Ruß und der Sott der Lokomotive das lieblichste Parfüm ist. Ihre Stute läuft übrigens, als wenn sie nicht vier, sondern sechs Beine hätte. Bitte, ein klein wenig langsamer, gnädiges Fräulein; mein Coriolan, den ich mir Ihnen hiermit vorzustellen erlaube, hat heute schon verschiedene Kilometer im Magen, und wer weiß, was ihm heute noch alles bevorsteht.”

„Bei uns ist ein guter Stall und reichliches Futter,” erwiderte sie, „mein Vater, als alter Kavallerist, vertritt den Standpunkt, daß der Reiter gern hungert, wenn sein Roß nur satt wird, und deshalb werden Sie selbst bei uns vielleicht nicht alles nach Wunsch finden.”

Er sah nicht den schalkhaften Zug um ihren Mund, sondern erwiderte ganz ernsthaft: „Gnädiges Fräulein, über die Jahre, in denen eine Flasche Sekt für mich der Inbegriff aller Seligkeit war und in denen ich die Quartiere nach der leiblichen Verpflegung beurteilte, bin ich Gott sei Dank hinaus. Jetzt aber sind wir gleich am Ziel, dort oben, auf jenem Hügel, sehe ich die Divisionsflagge. leider muß ich mich hier von Ihnen verabschieden, denn wenn die Excellenz uns zuammen sieht, glaubt sie vielleicht, ich käme absichtlich so spät. Wollen auch Sie nach jener Anhöhe auf einem kleinen Umweg reiten? Von dort werden Sie alles am besten sehen. Ja? dann auf Wiedersehen, gnädiges Fräulein!” — und während sie ihr Pferd zurück hielt, jagte er im Caracho davon.

Wenig später hielt er neben seinem Divisions-Kommandeur und meldete: „Befehl an die große Bagage richtig überbracht!”

Excellenz sah von der Generalstabskarte, die er studierte, auf und wandte sich nach dem Sprecher um. „Ach, Sie sind's, lieber Berkow, na, mich freut's, daß Sie wieder da sind. Hat ein bischen lange gedauert, was? Na, das schadet aber nichts, ich bin Ihnen ja auch inzwischen auf und davon gegangen — ein wahres Wunder, daß Sie mich überhaupt gefunden haben. Mit dem Manöver aber ist es heute eine heillose Geschichte. Wo und wie der Feind sich aufgestellt hat, ist mir auch jetzt noch schleierhaft — überall steht etwas — ich weiß gar nicht, wo er seine Hauptmacht hat. Qui vivra, verra. Hoffentlich erleben wir das Ende des heutigen Gefechtes noch.”

„Hoffentlich, Excellenz!” stimmte Berkow, der sich seinem General gegenüber fast alles herausnehmen konnte, diesem bei. Dann sagte er: „Wenn Excellenz sich einmal umsehen wollten — die junge Dame, die dicht hinter uns auf dem Braunen hält, ist Fräulein von Hellwig auf Hohenbuchen, wo wir heute ins Quartier kommen.”

Excellenz wandte sich um. „Sehr hübsch, Berkow, wirklich sehr hübsch. Sie haben wirklich ein zu unverschämtes Glück. In den Quartieren, in denen ich in meiner Jugend als Leutnant lag, habe ich nur ein einziges Mal eine Tochter angetroffen; die aber war schon verheiratet und hatte bereits fünf Kinder. So bin ich Junggeselle geblieben. Kommen Sie, wir wollen zu ihr reiten, stellen Sie mich der jungen Dame vor.”

Aber als die beiden sich eben anschickten, ihre Pferde zu wenden; kam ein Patrouille in gestrecktem Galopp auf den Divisions-Kommandeur zu und brachte eine äußerst wichtige Meldung.

Excellenz las die Meldekarte, die ihm ein Offizier schickte, und plötzlich leuchteten seine Augen freudig auf. „Endlich, endlich sehe ich klar!” rief er aus. „Nun aber wollen wir den Gegner auf das Haupt schlagen. Bitte, folgen Sie mir, meine Herren.”

Und gefolgt von seinen Generalstabsoffizieren und seinen Adjutanten sprengte er davon — so schnell, daß Berkow kaum noch Fräulein von Hellwig zunicken konnte, ihnen in einigem Abstande zu folgen.

*         *         *

Seit zwei Tagen lagen die Herren nun schon auf Hohenbuchen, und mit aufrichtiger Betrübnis dachten sie daran, daß morgen für sie die Abschiedsstunde schlüge.

Berkow mochte überhaupt nicht daran denken, er begriff nicht, wie er früher ohne Hohenbuchen und seine liebenswürdigen Bewohner hatte leben können, und er war sich völlig unklar darüber, wie er das Kunststück in Zukunft fertig bringen sollte. Als Sohn eines Landwirts und als zukünftiger Besitzer eines großen Rittergutes hatte ihn die Musterwirtschaft, die auf Hohenbuchen herrschte, ungemein interessiert. Er hatte sich alles zeigen lassen, war durch die Ställe und Scheunen gegangen, über die Felder geritten und hatte sich stundenlang mit dem Herrn des Hauses über alle möglichen landwirtschaftlichen Fragen unterhalten und sich belehren lassen. Der Frau des Hauses hatte es Freude gemacht, ihm ihre großartigen Meierei-Anlagen zeigen zu können, und mit Ingeburg, der Tochter seiner liebenswürdigen Wirte, hatte er gescherzt und gelacht und ihr nach allen Vorschriften des Reglements den Hof gemacht. Sie waren fast immer zusammen gewesen, er hatte es immer so einzurichten verstanden, daß er sie auf der Terrasse, am See oder im großen Park traf, und auch jetzt, als Ingeburg nach Aufhebung der Abendtafel auf ihrer Lieblingsbank unter der großen Buche im Park Platz genommen hatte, stand er wieder plötzlich vor ihr.

Sie hatte allein sein wollen, denn länger als gewöhnlich hatte man bei Tische gesessen, die Stimmung war so lustig und ausgelassen gewesen, daß niemand hatte aufstehen mögen. Es war mehr gesprochen und mehr getrunken worden als sonst, die Herren hatten sogar den Kaffee und die Cigarren im Speisesaal genommen, und Ingeburg hatte von der für sie etwas zu langen Sitzung, namentlich von dem vielen Tabaksrauch, etwas Kopfschmerzen bekommen. Sie wäre gern einen Augenblick allein gewesen, zumal Berkow, der sie auch heute wieder zu Tisch geführt hatte, sich noch mehr als sonst um ihre Gunst beworben hatte. Sie hatte gern seinen Worten gelauscht, aber eins ärgerte und kränkte sie: er sprach nie ernsthaft, sie wußte nicht, wie sie seine Worte auffassen sollte, und demgemäß hatte auch sie noch nicht ernsthaft darüber nachgedacht, was sie für ihn empfinde.

Nun stand er vor ihr und sah sie lächelnd an. Auch dieses Lächeln ärgerte sie, und so klang ihre Stimme fast etwas unfreundlich, als sie zu ihm sagte: „Na, da sind Sie ja schon wieder.”

Er that, als höre und merke er nichts von ihrer Verstimmung. „Es entgeht eben niemand seinem Schicksal,” sagte er ruhig, „auch Sie nicht, gnädiges Fräulein, obgleich Sie den Vorzug haben, daß es sich nicht drohend über Ihrem Haupte zusammenrollt, sondern mit einem: ,Sie gestatten, gnädiges Fräulein' an Ihrer Seite niederläßt.”

Er ließ seinen Worten die That folgen und nahm neben ihr Platz. Sie freute sich, ihn in ihrer Nähe zu haben, und dennoch ward sie durch seine Gegenwart beunruhigt. Wa das Zusammentreffen von ihm beabsichtigt und gesucht, oder war es ein rein zufälliges? Die Antwort auf diese Frage gab er ihr selbst.

„Sie werden sich wundern, gnädiges Fräulein, daß ich schon wieder neben Ihnen sitze — vor wenigen Minuten bei Tisch und jetzt hier auf der Bank, und Sie werden sich vielleicht fragen:

Giebt es im Haus und auf der Flur
Denn diesen einen Leutnant nur?

und ich beantworte Ihre Frage mit einem lauten ,Zu Befehl, gnädiges Fräulein!'”

Er schrie die letzten Worte so laut, als stände er einem stocktauben Vorgesetzten gegenüber — erschrocken flogen die Vögel, die schon die Nester aufgesucht hatten, in die Höhe und zirpten und piepten ängstlich in die Luft.

Entsetzt hielt Ingeborg sich die Ohren zu. „Wenn die Stimme allein genügt, um ein Armeekorps zu befehligen, müssen Sie unbedingt General werden.”

Er wehrte dankend ab. „So weit geht mein Ehrgeiz nicht — höchstens Hauptmann erster Klasse, das ist das höchste der Pension, die ich mir zu verdienen gedenke, dann ist Schluß der Vorstellung. Sollte sie den geehrten Herrschaften gefallen haben, so bitte ich um gütige Rekommandation und sage im Namen der Direktion zugleich meinen verbindlichsten Dank — so ungefähr heißt ja wohl die übliche Rede der reisenden Zirkus-, Theater- und Variété-Gesellschaften.”

„Ich weiß es wirklich nicht,” erwiderte sie halb ernsthaft, halb lachend, „in unsere Gegend verirren sich solche Kunstgenüsse nicht. Aber ich verstehe nicht, welchen Sinn Ihre Worte haben und inwiefern Sie dieselben auf sich anwenden wollen? Wofür wollen Sie sich bei Ihrem Abschied im Namen der Direktion bedanken?”

Er sah sie einen Augenblick ernsthaft und prüfend an, dann sagte er: „Ich werde dafür danken, daß sich mir Gelegenheit geboten hat, Sie, gnädiges Fräulein, kennen zu lernen.”

Sie wurde verwirrt und verlegen. „Komplimente fallen bei mir auf einen unfruchtbaren Boden.”

„Bitte sehr, den giebt es gar nicht auf Hohenbuchen,” entgegnete er lebhaft, „da bin ich durch Ihren Herrn Vater besser unterrichtet, alles ist Boden prima Qualität. Wie der Boden, so ist die Frucht, und da doch auch Sie, gnädiges Fräulein, hier groß geworden sind, auf diesem Grund und Boden aufwuchsen, so — so — so —.”

Er schwieg, er sah ein, daß er Unsinn redete und selbst nicht mehr wußte, was er sagen wollte.

„Es ist nur gut, daß Sie selbst nicht weiter wissen,” sagte sie.

„Im Gegenteil,” erwiderte er, „es ist sehr traurig, denn nicht nur die Stunden, sondern sogar die Minuten unseres Aufenthaltes sind gezählt, lange dauert es nicht mehr, dann heißt es: ,Auf in den Kampf, Torero'. Können Sie schweigen, gnädiges Fräulein? Dann will ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, aber Excellenz darf es nicht erfahren, ich habe mein Wort darauf geben müssen: wir werden gleich alarmiert werden. Als ich heute mittag bei dem kommandierenden General zum Befehlsempfang war, verplapperte sich ein Schreiber. Unglücklicherweise war ein Adjutant zugegen und ließ mich Verschwiegenheit geloben. Meine arme Excellenz, sie hat sehr viel von dem schweren Rotwein Ihres Herrn Vaters getrunken und sie wird sehr wenig davon erbaut sein, wenn sie anstatt zu schlafen, auf dem Pferde sitzen muß.” Er knöpfte den Waffenrock auf und holte aus seiner Brusttasche die Uhr hervor. „Um Gottes willen, es ist viel später, als ich dachte, jeden Augenblick kann der Kavallerist mit dem Alarmbefehl hier erscheinen, und dann, dann ist es zu spät, wenn ich Ihnen, gnädiges Fräulein, bis dahin nicht gesagt habe, was ich Ihnen gern sagen möchte, — wenn ich nur wüßte, ob ich dürfte, wie ich wollte, wenn ich könnte, wie ich sollte — aber gnädiges Fräulein, so sagen Sie soch auch einmal etwas, ich rede hier irre und Sie helfen mir nicht einmal.”

Sie war blaß geworden bei seinen Worten, und es gelang ihr nur schwer, ihre Unruhe zu verbergen, als sie anscheinend harmlos und gelassen fragte: „ Aber wie soll ich Ihnen denn helfen, Herr Leutnant, Sie sagen selbst, Sie reden irre, wie aoll ich da wissen, was Sie mir sagen wollen?”

„Sie weiß es nicht, heiliger Mars, hilf mir, sie weiß es nicht.” Laut aufstöhnend sank er für eine Sekunde in sich zusammen wie ein zusammengeklapptes Taschenmesser — es knackte sogar ordentlich, ganz laut und vernehmlich.

„Was war denn das?” fragte sie ängstlich.

„Nichts von Bedeutung,” gab er zur Antwort, „nur meine für fünfzig Pfennige gestärkte Heldenbrust gab einen Stoßseufzer von sich — der Körper selbst ist vorläufig noch heil und unversehrt. Das Gehirn aber hat einen Klaps bekommen, es kann nicht begreifen, daß Sie nicht wissen, gnädiges Fräulein, was ich Ihnen sagen möchte, was —”

Aber weiter kam er nicht, denn vom Herrenhaus her ertönte das von den Hornisten geblasene Signal „Alarm”. Die Ruhe und der Frieden des Abends wurden jäh unterbrochen — man hörte die Mannschaften über den Hof eilen, Kommandorufe ertönten, in den Ställen wurde es lebendig, und plötzlich rief die Stimme eines Soldaten, der anscheinend den Auftrag hatte, den Garten abzusuchen: „Herr Leutnant von Berkow, es ist alarmiert, Excellenz lassen bitten!”

„Es ist gut, ich komme!” rief Berkow mit Donnerstimme zurück, „verschwinde, wie die Wurst im Spinde!” Dann wandte er sich an seine Begleiterin: „Sehen Sie, gnädiges Fräulein, so was kommt von so was, mit den Vorgesetzten — Mächten ist kein ew'ger Bund zu flechten und das Unglück reitet schnell —”

„Herr Leutnant von Berkow, Excellenz lassen bitten!” Atemlos kam ein Soldat angelaufen und mit einem halblauten Angstschrei trat Fräulein Ingeburg einen Schritt zurück ins Dunkle.

„Zum Donnerwetter, ich komme ja schon, sehen Sie das denn nicht!” herrschte er den verdutzten Soldaten an, „sagen Sie Seiner Excellenz, ich wäre schon auf dem Wege zu ihm, und nun fort, mein Sohn, aber Galopp!”

Der Soldat lief, so schnell er konnte, davon, und Berkow stöhnte auf: „Die Götter wollen es nicht, gnädiges Fräulein, daß ich auch nur einen einzigen Satz zu Ende —”

„Herr Leutnant, Herr Leutnant, Excellenz lassen bitten, Herr Leutnant möchten sofort hinkommen!” erklang da eine neue Stimme.

„Nun kommt mein Bursche auch noch!” rief Berkow entsetzt, und dann mit lauter Stimme: „Es ist gut, ich komme sofort, satteln Sie das Pferd!” Leise fuhr er dann fort: „Gnädiges Fräulein, Sie sehen es selbst, ein Pensionär, der sich seinem Grabe entgegen langweilt, hat mehr Zeit, als ich augenblicklich. Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muß mich kürzer als kurz fassen —”

„Excellenz läßt bitten,” das waren die einzigen Worte, die sie in ihrer Verwirrung hervorbrachte.

„Excellenz mag bitten, so viel er will, er muß warten — der hohe Herr wird davon nicht sterben, und Deutschland wird nicht zu Grunde gehen.”

„Aber Berkow, wo stecken Sie denn? Sie müssen eilen — Excellenz läßt bitten!” rief eine neue Stimme.

„Jetzt wird es Ernst, das ist der Generalstabsoffizier!” schalt Berkow. „Der Mann thut wirklich so, als ob er selbst nicht reiten könnte, das Beste ist, ich antworte gar nicht, sondern erwecke in dem Mann den Glauben, ich säße bereits auf dem Gaul. So viel aber weiß ich, an diesem Abend und an diese Werbung will ich zurück denken, wenn ich ein alter Murmelgreis bin, dem die Perücke auf dem Kopfe wackelt. Gnädiges Fräulein — ich habe es schon eben angedeutet, was ich auf dem Herzen habe —”

„Berkow — Berkow — Berrrrr—koooow!” ertönte es von neuem.

Wütend stampfte er mit dem Fuß auf. „Zum Donnerwetter, wollen die Menschen mich denn verrückt machen? Verzeihen Sie, daß ich fluche, gnädiges Fräulein, aber da muß ja einem Normalmenschen die Milch der frommen Denkungsart in gärend Drachenblut gerinnen, da wird ja aus einem Lamm ein Schaf, ich meine ein Löwe. Gnädiges Fräulein, bitte, machen Sie es kurz und schmerzlos, wie man es immer zu dem Zahnarzt sagt, vor dem der Himmel Sie in seiner Gnade behüten möge, sagen Sie es, bevor mich wieder ein krächzender Rabe unterbricht —”

„Berkow — Berkow — Berrrrr—koooow! Excellenz lassen bitten, Excellenz sind schon zu Pferde.”

Er nahm sich die Mütze ab und trocknete sich mit dem Tuch die Stirn. „Hoffentlich fällt Excellenz wieder herunter, ohne Schaden zu nehmen, dann habe ich noch einen Augenblick Zeit. Aber jetzt, gnädiges Fräulein: Ja oder nein? Wollen Sie mich heiraten? Wollen Sie meine Frau werden? Alles was dazu gehört, daß ich Sie lieb habe, daß ich Sie liebe, daß ich Sie schöner und begehrenswerter finde als eins der vielen andern jungen Mädchen, denen ich in meinem Leutnantsleben begegnete, das sage ich Ihnen alles später, wenn kein Unkenruf erschallt. Ja oder nein? Darf ich nach dem Manöver kommen und um Sie bei Ihren Eltern werben? Sagen Sie Ja, gnädiges Fräulein, es ist viel kürzer, als Nein, es spricht sich viel schneller aus, und Sie wissen, ich habe keine Zeit.”

Mit leuchtenden Augen sah sie zu ihm auf, dann sagte sie: „Ja, aber nur Ja, weil zu dem Nein die Zeit nicht reicht.”

Mit einem Jubelschrei schloß er sie in seine Arme und küßte sie immer und immer wieder. „Excellenz läßt bitten!” mahnte sie ihn endlich, als er nicht abließ, ihre Augen, ihren Mund und ihre Haare mit Küssen zu bedecken.

„Herr Gott, das habe ich ganz vergessen.” Erschrocken fuhr er zusammen. „Noch einen Kuß zum Abschied — noch einen — und nun den aller-, allerletzten.”

Gewaltsam riß er sich los und stürmte davon und wenige Minuten später jagte er Seiner Excellenz, die bereits einen großen Vorsprung hatte, zu Pferde nach.

„Ich melde mich ganz gehorsamst zur Stelle, Excellenz.”

Strafend sah der Vorgesetzte ihn an. „Sie haben lange auf sich warten lassen, warum kommen Sie so spät?”

„Verzeihung, Excellenz!” gab Berkow zur Antwort, „es ging wirklich nicht eher — mein Leben und mein Lebensglück standen auf dem Spiel — gerade als alarmiert wurde, wollte ich mich mit der Tochter des Hauses verloben.”

„Und haben Sie sich denn wenigstens verlobt?” fragte der Vorgesetzte jovial.

„Das versteht sich, Excellenz!” gab Berkow glückstrahlend zur Antwort. „Die Sache ging allerdings Hals über Kopf, und daß ich schließlich siegte, verdanke ich nicht in letzter Linie dem Ruf, der mich immer unterbrach: „Excellenz lassen bitten!”

Glückwünschend reichte der Vorgesetzte seinem Untergebenen die Hand, dann sagte er: „Den wenigsten Menschen schlägt der Ruf: ,Excellenz lassen bitten' so zum Glücke aus wie Ihnen, den meisten bringt er, wenigstens beim Militär, Unglück, mit Ihnen meint das Schicksal es wirklich fast zu gut.”

Und trotz allen Wohlwollens lag doch etwas wie Neid in dem Gesicht Seiner Excellenz, als er nun seinen Ordonnanz-Offizier ansah, der freudestrahlend neben ihm ritt.


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