Die Erbschaft meiner Frau.

Von Freiherr von Schlicht
in: „Berliner Tageblatt” vom 15.5.1913,
in: „Berliner Volks-Zeitung” vom 25.5.1913 und
in: „Die Ehestifterin”


Meine Frau hatte geerbt — ich werde mich aus vielen Gründen hüten zu sagen, wieviel, aber es ging in die Millionen und so plötzlich und unerwartet war der Goldregen über unserem Hause niedergegangen, daß meine Frau das Wunder immer noch nicht fassen konnte. Seit vielen Jahren war es der sehnlichste Wunsch meiner Frau gewesen (Frauen haben nur sehnlichste Wünsche) einmal eine Erbschaft zu machen, aber eine anständige, nicht eine solche von ein paar tausend Mark. Was halfen die bei den teuren Zeiten und angesichts der traurigen, aber doch so schönen Tatsache, daß glücklicherweise alle Hüte vom vorigen Jahr durch die neu aufgekommene kleine Fasson so unmodern geworden waren, daß man von den vorjährigen Hüten auch nicht einen einzigen mehr tragen konnte, selbst nicht bei dem besten Willen. Als wenn die Frauen in der Hinsicht überhaupt einen Willen hätten, geschweige denn den besten.

Meine Frau hatte geerbt und ich sollte nun ausrechnen, wieviel sie jetzt hätte, natürlich nicht an Kapital, das wußte sie allein, sondern an vierteljährlichen Zinsen. Im Kopfrechnen kam ich auf der Schule immer einen herauf, damit ich aber nicht übermütig wurde, kam ich dafür in der Geographie immer drei wieder herunter. Das Kopfrechnen habe ich auch bis heute nicht verlernt, so konnte ich denn meiner Frau sofort die Summe nennen, die sie vierteljährlich an Zinsen bekäme und setzte auch gleich hinzu, wieviel das für den einzelnen Monat mache.

Dreimal mußte ich die Zahl nennen, bis meine Frau sie begriff, weil sie ihr zu hoch erschien, dann aber schlug sie vor Erstaunen die Hände zusammen und sah mich fassungslos an, bis sie dann endlich meinte: „So reich bin ich jetzt? Ja, was mache ich denn da nur?”(1)

Wenn eine Frau nicht weiß, was sie machen soll, fängt sie an zu weinen und so schwamm meine Frau denn plötzlich in Tränen.

„Aber so beruhige dich doch,” beeilte ich meine Frau zu trösten, „nun hast du endlich das Geld, das du dir wünschest, nun brauchst du dir in Zukunft keine Sorgen mehr zu machen.”

Meine Frau trocknete schnell ihre Tränen und sah mich freuidg bewegt an: „Ach ja,” rief sie, „keine Sorgen mehr. Ich will nicht undankbar sein, es ist mir ja auch bisher sehr gut gegangen, ich habe auch sonst nichts entbehrt, aber trotzdem, wie oft habe ich an meinem Schreibtisch gesessen und gerechnet und gerechnet. Erst neulich wieder, als ich mir überlegte, ob ich mir für St. Moritz das teure schwarze Moiree-Jackenkleid machen lassen könne. Ich habe solange gerechnet, bis es ging, aber es ging doch nur, weil ich mich dabei im stillen auf deine Hilfe verließ und du weißt, ich lasse mir so gern von dir helfen.”

„Na also,” meinte ich, „dann ist ja alles in schönster Ordnung, ich helfe gern und du läßt dir gern helfen, da sind wir uns mal wieder einig.”

„Das sind wir doch glücklicherweise immer,” warf meine Frau ein, bis sie dann ganz plötzlich und unvermittelt fragte: „Glaubst du, daß ich mir jetzt wieder Pferde und Wagen halten kann, wie früher, zwei hübsche Rappen und auch noch einen hübschen Braunen für den Dogcart? Die drei Pferde muß ich unbedingt haben und wenn es geht, auch noch ein Reitpferd, kann ich das bezahlen?”

Ich lachte hell auf: „Aber Liebling meines Herzens, du kannst dir wenigstens zehn Pferde halten, nebst allem, was dazu gehört. Außerdem noch eine ganze Anzahl von Automobilen.”

Aber meine Frau widersprach: „Nein, kein Auto, es passiert zu häufig ein Unglück, nein, kein Auto, kein einziges, höchstens ein sehr großes und sehr schönes Reiseauto. Du weißt, ich fahre so ungern in der Eisenbahn, die vielen Menschen, die da immer im Gang herumstehen, die Passage versperren und einem die Aussicht rauben. Da fahre ich schon lieber im Auto, natürlich langsam und vorsichtig. Wir haben ja Zeit, denn das mußt du mir fest versprechen, mit dem Arbeiten hörst du jetzt auf.”

„Aber Kind,” verteidigte ich mich, „ was soll ich denn da den ganzen Tag machen? Ich kann doch nicht nur eine Zigarre nach der anderen rauchen?”

„Als wenn du das jetzt nicht auch schon tätest,” schalt meine Frau und damit die Angelegenheit für erledigt betrachtend, fuhr sie fort: „Meinst du nicht auch, daß es das beste ist, wenn wir uns zwei große Reiseautos kaufen? Bei dem einen kann doch mal etwas entzweigehen und natürlich fahren wir dann auch stets mit zwei Chauffeuren, damit der zweite gleich einspringen kann, wenn dem anderen etwas passiert und in den Hotels nehmen wir uns fortan selbstverständlich eine ganze Etage, damit wir nicht von den anderen Leuten gestört werden, wenn die rücksichtslos mit den Türen werfen, oder wenn die Kinder bei schlechtem Wetter auf dem Korridor Greifen apielen. — Oder nein,” änderte meine Frau plötzlich ihren Entschluß, „wir werden uns doch keine ganze Etage nehmen, sondern nur wie bisher jeder ein Schlafzimmer mit Bad und ein gemeinsames Wohnzimmer. Was darüber ist, wäre Verschwendung. Die anderen Leute werden sich auch schon ruhig verhalten und wenn die Kinder auf dem Korridor herumtoben, dann fährst du ganz einfach wie bisher mit einem gewaltigen Donnerwetter dazwischen. Das wird auch in Zukunft helfen.”

„Schön,” meinte ich, „ganz wie du willst, dann spiele ich also weiter den Donnergott, obwohl du dir wirklich den Luxus gestatten könntest, fortan eine ganze Etage zu mieten.”

Aber davon wollte meine Frau nichts mehr wissen: „Das wäre wirklich Verschwendung, das Geld, das ich da spare, kann ich viel besser verwenden, wenn ich Gutes tue und wenn ich vor allen Dingen für die Verwandten sorge.”

Von Oskar Wilde las ich kürzlich das Wort: Nach einem guten Diner verzeiht man allen Menschen, sogar den eigenen Verwandten. Ich aber hatte in diesem Augenblick noch kein gutes Diner gegessen und angesichts der mir von meinem Hausarzt verordneten strengen Diät, die nicht nur mir, sondern auch jeglichen Speisen, die ich esse, das Fett, die Butter und alles was sonst an ihnen gut schmeckt, entzieht, sah ich auch in weiter Ferne kein gutes Diner winken. So verzieh ich denn den eigenen Verwandten nicht, sondern knurrte ingrimmig allerlei vor mich hin. Aber mein Knurren half gar nichts, denn meine Frau erklärte kategorisch: „Habe ich die Verwandten bisher von dem Wenigen unterstützt, das ich besaß, dann gebe ich jetzt erst recht. Ich will nicht, daß die sich einschränken müssen, während ich im Überfluß lebe. Die sollen auf ihre alten Tage auch noch den Reichtum kennen lernen,” bis sie mich dann fragte: „Glaubst du, daß die in Zukunft auskommen können, wenn ich jedem und jeder monatlich zehntausend Mark gebe?”

„Aber um Gottes willen,” rief ich ganz entsetzt, „da bekäme ja jeder einhundert­undzwanzig­tausend Mark im Jahr. Das ist doch ein Wahnsinn. Was soll zum Beispiel Tante Berta mit ihren siebzig Jahren mit soviel Geld anfangen? Die kann ja zehntausend Mark nicht einmal im Jahr aufbrauchen, geschweige denn im Monat.”

Aber meine Frau war nicht zu überzeugen, sondern meinte nur: „Das verstehst du nicht, du hast anscheinend gar keinen Begriff davon, wieviel Geld eine Frau, selbst wenn sie noch älter als siebzig ist, im Jahr für Kleider, Schmuck, Reisen, Hüte und sonstige Kleinigkeiten ausgeben kann. Davon scheinst du dir gar keine Vorstellung machen zu können, allerdings, so sparsam, wie ich es bisher war, ist keine andere Frau.”

Ob es wohl auf der ganzen Welt eine einzige Frau gibt, sie nicht fest davon überzeugt ist, die sparsamste zu sein?

Meine Frau hatte behauptet, ich hätte keine Ahnung, wieviel eine Frau im Laufe des Jahres ausgeben kann. Zu widersprechen hatte gar keinen Zweck, denn davon, daß eine Frau im Unrecht ist, überzeugt man sie nur dadurch, daß man ihr beistimmt.

Aber auch das unterließ ich und so blieb es denn dabei: Tante Berta bekam fortan monatlich zehntausend Mark und im Anschluß daran wurde ein langes Verzeichnis der ganzen übrigen Verwandten aufgestellt, die hilfsbedürftig waren. Man sollte es gar nicht glauben, wie viel Verwandte man hat, wenn man reich ist und wie wenig man hat, wenn die Verwandten reich sind, während man selbst ein armer Teufel ist.

Und alle die da aufgeschrieben wurden, bekamen monatlich ihre zehntausend Mark. Du großer Gott, es kam ja auch schließlich nicht darauf an, wenigstens behauptete das meine Frau, für uns blieb ja immer noch genug. Und als die Verwandten erledigt waren, da kamen noch eine ganze Reihe anderer Leute, die unterstützt werdn sollten, denn meine Frau ist die Güte selbst und immer wieder erklärte sie: „Lieber will ich selbst wenig haben, als daß andere mich beneiden und mir nachsagen, ich wäre kalt und herzlos.”

So wuchs die Liste denn ins Unendliche, bis selbst meine Frau schließlich niemanden mehr wußte und bis mir dann der ehrenvolle Auftrag zuteil wurde, auszurechnen, wieviel für uns selbst monatlich verbliebe.

Und das Resultat war ein überraschendes, es verblieb für uns zum Lebn ein monatliches Defizit von vierzehntausend Mark.

Als ich das meiner Frau mitteilte, sah sie mich einen Augenblick fassungslos an, als sei ich ganz verrückt geworden, dann nahm sie mir das Blatt Papier aus der Hand, um selbst zu rechnen und um mir bald darauf triumphierend zuzurufen, ich hätte mich gewalig verrechnet.

Und da hatte meine Frau recht, unser moantliches Defizit betrug nicht vierzehntausend Mark, sondern hundertvierzigtausend Mark. Ich hatte vergessen, die Nullen mit zusammenzuzählen.

So froh meine Frau zuerst gewesen war, daß sie mich bei einem Rechenfehler ertappte, so entsetzt war sie jetzt.

„Was machen wir nur, was machen wir nur,” jammerte sie, während sie die Hände rang, „von dem, was wir nicht haben, können wir doch nicht leben, nicht einmal, wenn wir uns einschränken, geschweige denn, wenn wir uns einigen Luxus erlauben wollen. Was machen wir denn nur?”

Da gab es nur eine Lösung, wir mußten die den Verwandten und anderen Leuten ausgesetzte Unterstützung kürzen und meine Frau strich die zusammen, als handle es sich darum, die für die neue Militärvorlage geforderten Millionen auf ein Minimum zu reduzieren. Und während des Streichens rief meine Frau mir zu: „Du hattest vorhin ganz recht, was soll Tante Berta im Jahr mit hundertzwanzigtausend Mark, die kann sie ja gar nicht ausgeben, wenn sie zehntausend Mark im Jahr hat, ist das noch genug und wenn sie tausend Mark erhält, verhungert sie auch nicht.”

„Das gewiß nicht,” stimmte ich ihr bei, „aber bedenke, ein Jahr ist lang, sind da tausend Mark nicht etwas wenig?”

Aber meine Frau widersprach: „Das genügt vollständig, denn du scheinst gar nicht zu wissen, mit wie unendlich wenig eine Frau auskommen kann und wie wir Frauen uns einzurichten verstehen.”

Da hatte meine Frau recht, das wußte ich wirklich nicht. So schwieg ich mich denn aus und meine Frau strich und strich, bis unser bisheriges Defizit sich in ein ebenso hohes Plus verwandelt hatte.

Aber war es vorhin zu wenig gewesen, so war es nun zuviel. Jetzt war meine Frau erst recht entsetzt: „Wenn die Verwandten jemals erfahren, daß wir in solchem Überfluß schwelgen, während sie sich selbst einschränken müssen — — nein, das geht unter keinen Umständen.”

So wurde denn ein neues Budget aufgestellt und dann noch eins und dann noch eins, und das ging so weiter, bis meine Frau endlich erklärte: „Ich kann nicht mehr, ich muß zu Bett. ich habe solche Kopfschmerzen, daß mir der Kopf beinahe auseinanderspringt, morgen ist ja auch noch ein Tag, da wollen wir weiter rechnen, ich kann nicht mehr.”

Und meine Frau konnte wirklich nicht mehr, totenblaß saß sie da und man sah ihr die Kopfschmerzen förmlich an.

So legte sie sich denn nieder, um zu schlafen, aber anstatt zu schlafen, rief sie mich alle zehn Minuten durch ein Glockenzeichen in ihr Zimmer, um mich zu fragen, ob wir Tante Berta nicht doch lieber statt der tausend Mark zweitausend geben wollten und ob die Cousine Elly trotz ihrer vielen Kinder nicht auch an fünftausend Mark genug hätte, anstatt an sechs, und ob ihr Bruder Ernst — —

So ging das in einem fort weiter. Die Sorge, selbst zuviel zu behalten und den anderen nicht genug zu geben, ließ sie nicht schlafen. Die ganze Nacht hatte sie wach gelegen, das sah ich auf den ersten Blick, als ich am nächsten Morgen zu meiner Frau in das Zimmer trat, und so kam, was ich gefürchtet hatte, meine Frau bat mich, ihr nicht zu zürnen, wenn sie heute liegen bliebe: „Ich bin an allen Gliedern wie zerschlagen, ich habe die rasendsten Kopfschmerzen, ich habe in Gedanken die ganze Nacht gerechnet und gerechnet, es ist, um wahnsinnig zu werden.”

„Bist du denn wenigstens zu einem Resultat gekommen?” erkundigte ich mich.

„Nein, das nicht,” meinte meine Frau, „wohl aber zu einer Erkenntnis.”

„Und die wäre?” fragte ich neugierig.

Da sah meine Frau mich ganz glückselig an und sagte: „Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß es ein wahrer Segen ist, daß ich diese zahllosen Millionen, die ich mir so oft sehnlichst wünschte, nicht in Wirklichkeit, sondern nur neulich im Traume geerbt habe!”


Fußnoten:

(1) Vom Jahre 1915 ab wohnt Schlicht/Baudissin in Weimar, Berkaer Str. 19. Dies Haus wurde 1914 erbaut, Eigentümerin war Gräfin Elisabeth Baudissin!!! (Zurück)


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