Der Divisionskleber.

Humoreske von Freiherrn von Schlicht.
in: „Hamburger Fremdenblatt” vom 27.Juni 1900,
in: „Exzellenz lassen bitten” und
in: „Seine Hoheit”.


Der neuernannte commandirende General hatte den Befehl über das Armeecorps übernommen, und zum ersten Male sollte vor ihm die Vorstellung des Regiments stattfinden.

Als die Ernennung des neuen Herrn bekannt geworden war, hatten Alle, die sich dafür interessirten — und wer that Das nicht, sich an ihre Bekannten in der Division mit der Frage gewandt: „Wie ist der neue Commandirnde, und worauf legt er besonders Werth?”

Die zahlreich einlaufenden Antworten hatten gelautet: „Im Grunde seines Herzens ein guter Mensch und nicht gröber, als es auch die anderen Vorgesetzten sind. Bei den Leutnants legt er besonderen Werth auf eine gute Haltung und einen tadellosen Parademarsch, bei den berittenen Officieren verlangt er gutes Reiten, oder wenigstens sehr gute Pferde. Da Excellenz aus der Cavallerie hervorgegangen, ist sein Interesse für Pferde ja ganz selbstverständlich.”

„Selbstverständlich” mochte es schon sein, „lieber” aber wäre es gar Manchem anders gewesen, denn wenn es auch eine böswillige Verleumdung ist, daß die berittenen Infanterie–Officiere das Pferd für ein wildes Thier halten, das ebenso wie der Löwe und der Tieger nach ihrer Meinung nur in den zoologischen Gärten hinter dicken Eisenstäben gezeigt werden dürfte — wenn Das auch übertrieben ist, so steht dafür fest, daß der Eine ein größerer Reiter ist als der Andere, und daß demgemäß auch die Sympathien, die diesem Vierfüßer entgegengebracht werden, verschieden sind.

Major v. Ullrich war kein großer Reiter vor dem Herrn, ihm fehlte nicht nur das nöthige Talent, sondern auch der nöthige Schneid, und als Reitpferd hatte er sich deshalb ein Thier angeschafft, das zwar ein Pferd war, aber eher einer alten Kuh glich. Jung war das Rößlein auch nicht, aber der Major dachte: „Ach was, so lange ich noch als Soldat lebe, so lange lebt der Gaul wohl auch noch.”

Nun sollte der neue Commandirende kommen: sein Vorgänger war ein jovialer Herr gewesen, der für den Major und seinen Gaul stets ein freundliches Scherzwort gehabt hatte, nun aber kam der Neue, würde der auch nur freundlich scherzen oder grob tadeln?

Diesen Zweifeln des Majors machte der Herr Oberst eines Tages ein Ende, als er zu den um ihn herum versammelten Officieren sprach: „Meine Herren, es ist wohl selbstverständlich, daß wir vor Sr. Excellenz so gut beritten wie nur irgend möglich erscheinen — ich selbst habe mir ein neues Pferd gekauft, und ich hoffe, daß der eine oder der andere Herr meinem Beispiel folgen wird.”

Dabei sah er den Major v. Ullrich so energisch an, daß dieser einen heillosen Schreck bekam und ohne zu wissen, was er sagte, fortwährend „Zu Befehl, zu Befehl” stammelte.

Wer A sagt, muß auch B sagen — beim Militär ist es umgekehrt, da sagt man erst B (Befehl) und dann A.

Dem Major blieb nichts Anderes übrig, er mußte sich einen neuen Gaul kaufen, und nach einigem Suchen fand er Das, was er suchte, bei einem verabschiedeten Kameraden derjenigen Division, die Excellenz früher befehligt hatte.

Der Gaul kam und wurde für gut befunden, er verband ein schönes Aeußeres mit einem wahrhaft vornehmen Wesen: er ging, wohin er sollte, und wie er sollte, er that Alles, was von ihm verlangt wurde, manchmal sogar noch mehr, wie der Verkäufer versichert hatte.

Major Ullrich strahlte vor Vergnügen über das ganze Gesicht, als er sein neues Roß tummelte, und auch die Mienen des gestrengen Herrn Oberst zeigten einen väterlich wohlwollenden Ausdruck: er war mit seinen(1) Untergebenen und seinem untergebenen Pferde zufrieden.

Excellenz mochte kommen.

Und Excellenz kam.

Auf dem großen Exercierplatz stand das Regiment in Breit–Colonne, die Bataillone nebeneinander, in der Parade–Aufstellung, und nach den Klängen des Präsentirmarsches ritt Excellenz mit seinem Gefolge die Front ab. Mit scharfem Auge musterte er die auf dem äußersten rechten Flügel stehenden Spielleute, dann kam die Regimentsmusik und nun der Herr Major, der links von der Musik am rechten Flügel seines Bataillons hielt.

Unmittelbar hinter Sr. Excellenz ritt der Herr Oberst, um dem Commandirenden die Namen der Officiere zu nennen. Als der hohe Herr sich dem ersten Bataillon näherte, gab der Herr Oberst seinem Major noch einen heimlichen Wink, sich auf seinem Pferde mehr aufzurichten, die Brust mehr heraus- und den Kopf höher zu nehmen und sagte dann, als er mit der persönlichen Haltung seines Untergebenen zufrieden war: „Major v. Ullrich.”

Excellenz hielt sein Pferd an, legte zwei Finger der rechten Hand an den Helm und sah den Major sehr scharf und prüfend an, dann sagte er: „Sie haben vorhin nachgerührt, Herr Major, das gibt es nicht! Wenn Ihre Leute still stehen, haben Sie still zu sitzen und dürfen Ihre Haltung nicht verändern. Das gibt es nicht!”

„Herzlichen Dank für diese Mittheilung,” dachte der Major; „jetzt wird Excellenz mir deutlich, und hätte ich meine Haltung nicht verändert, wäre der Oberst mir grob geworden — seinem Unglimpf entgeht Niemand. Nun könnte die Excellenz meinetwegen weiter reiten.”

Aber Excellenz dachte noch nicht daran; noch immer hielt er vor dem Herrn Major und musterte diesen von der Helmspitze bis zu den Hufen seines Pferdes.

„Sonderbare Aehnlichkeit,” murmelte der hohe Herr vor sich hin, dann ritt er endlich weiter.

Der Major strahlte vor Vergnügen. Er war kein Schuster und kein Streber, aber es erfüllte ihn doch mit Freude, durch seine Aehnlichkeit mit einem ihm vorläufig unbekannten Dritten die Aufmerksamkeit Sr. Excellenz erregt zu haben — schaden konnte Das seiner Carrière sicherlich nicht, man weiß ja, von welchen Kleinigkeiten häufig das Geschick eines Menschen abhängt. Dazu kam noch Eins: er hatte es wohl bemerkt, daß ein leises Lächeln den Mund Sr. Excellenz umspielte, sicher war es eine angenehme Erinnerung gewesen, die er durch seine Aehnlichkeit in Excellenz wachgerufen hatte.

Aus seinen Träumen und Grübeleien weckte ihn da plötzlich der Ruf: „Herr Major von Ullrich.”

Excellenz hatte es gesprochen. Alle hatten es gehört, aber trotzdem kam vorsichtshalber noch ein Adjutant, um den Befehl zu überbringen: „Excellenz lassen den Herrn Major bitten.”

Der Herr Major hatte den Ruf des Commandirenden gehört, und wie das Gesetz es befiehlt, antwortete er mit lauter Stimme: „Excellenz.”

Gleichzeitig setzte er sich in den Sattel ordentlich hinten herunter und legte die Schenkel an, um zu Se. Excellenz zu reiten.

Aber der Gaul rührte sich nicht.

„Excellenz lassen bitten,” wiederholte der Adjutant.

„Ich habe es gehört, ich komme ja schon,” gab der Herr Major zur Antwort, und gleichzeitig kitzelte er das Pferd leise mit dem Sporn.

Aber anstatt vorwärts zu gehen, ging der Gaul rückwärts, das Thier mußte über Nacht verrückt geworden sein, „es klebte”, wie der terminus technicus lautet, und war nicht von der Truppe fortzubringen.

„Herr Major von Ullrich,” rief der Commandirende von Neuem.

„Herr Major von Ullrich!” ertönte es aus dem Munde des Herrn Divisions­commandeurs, der Herrn Brigade­commandeurs und des Herrn Oberst.

„Excellenz lassen bitten,” wiederholte der Adjutant.

Dem armen Major stand der Angstschweiß auf der Stirn, er nahm allen Muth und alle Energie zusammen und machte seinem Pferd den Standpunct klar, aber auch jetzt ging es nicht vorwärts, sondern drehte sich nur im Kreise, er drängte den Adjutanten zur Seite, in die Musik hinein und um ein Haar hätte der Präsentirmarsch ein jähes Ende gefunden.

„Herr Major von Ullrich, Herr Major von Ulllll–rich!” ertönte es abermals, es klang wie das Brausen eines herannahenden Sturmes.

„Excellenz lassen bitten,” wiederholte der Adjutant.

„Zum Donnerwetter! ich kann doch nicht,” stöhnte der arme Herr Major, „ich weiß nicht, was mit dem Gaul ist, er muß Flöhe im Gehirn haben, anders kann ich mir die Sache nicht erklären.” Er wandte sich an den Adjutanten: „Sagen Sie Excellenz, es thäte mir sehr leid, seiner liebenswürdigen Aufforderung nicht Folge leisten zu können; Sie sehen es ja, es gibt keine Möglichkeit, diesen hirnverbrannten Schinder zu bewegen, sich für die fünfzehn Pfund Hafer, die ich ihm jeden Tag zu fressen gebe, auch nur im Geringsten dankbar zu erweisen.”

„Herr Major von Ullrich — zum Donnerwetter, wo bleiben Sie denn?!” rief der Commandirende.

„Excellenz lassen bitten,” mahnte der Adjutant, „Herr Major, Sie müssen kommen.”

Das sah der Herr Major auch ein und mit einem Mal überfiel ihn eine grenzenlose Wuth: „Und wenn ich Dich Satan todt stechen muß, Du sollst dahin, wohin ich Dich haben will, nun paß aber auf.”

Und alle seine Kräfte zusammen nehmend, jagte er seinem Roß die Sporen in die Seite, daß das Blut floß. Das Thier keilte nach allen Seiten mit allen Vieren, gleichzeitig aber gab es einen Ton und ein Geräusch, daß dem Reiter angst und bange wurde: „Um Gottes Willen, Das hört sich ja an, als wenn ihm irgend Etwas geplatzt wäre und als wenn ihm die Luft ausströmte, was ist Das nur? Und wieder hört die Musik mit einmal auf?”

Aber bevor er sich diese Fragen noch beantworten konnte, nahm der Gaul plötzlich den Kopf zwischen die Beine, und in einem weiten Bogen flog der Herr Major in den Sand, gerade vor die Füße Sr. Excellenz, der zu dem Untergebenen kam, da dieser nicht zu ihm kam.

Der Major sprang in die Höhe, aber der Säbel kam ihm zwischen die Beine, und dieses Mal setzte er sich vor Sr. Excellenz hin.

„Nun bin ich todt,” dachte der Herr Major, „wenn ich nun nicht meinen Abschied bekomme, bekomme ich ihn nie.”

Aber anstatt grob zu werden, fing Excellenz an zu lachen und sagte zu seinem Adjutanten: „Habe ich es nicht gleich gesagt, der Gaul kam mir so bekannt vor, die Aehnlichkeit war zu groß, Das mußte ein und derselbe Schinder sein.” Und zu dem Herrn Major gewendet, setzte er hinzu: „Aber Herr Major, wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, sich den Divisionskleber, so nannten wir Ihr Pferd in der ganzen Division, zu kaufen? Der frühere Besitzer hat des Gaules wegen seinen Abschied bekommen. Wissen Sie Das gar nicht, hat er Ihnen Das nicht gesagt?”

Dem Herrn Major wurde schwarz vor den Augen bei dem Worte „Abschied”, dann sagte er: „Ich höre das Alles zum ersten Mal, Ew. Excellenz, mir wurde nur versichert, der Gaul thäte Alles, was von ihm verlangt würde, manchmal sogar noch mehr. Davon, daß das Letztere wahr ist, habe ich mich leider überzeugen müssen.”

Excellenz schickte sich an, weiter zu reiten: „Steigen Sie nur wieder auf und kaufen Sie sich morgen ein neues Pferd. Den Schaden, den Sie in der großen Trommel angerichtet haben, müssen Sie aber aus eigener Tasche ersetzen.”

Verwundert blickte der Herr Major sich um. Da sah er, daß sein Gaul bei dem Auskeilen mit den Hinterbeinen in die große Trommel gerathen und das Kalbsfell durchstoßen hatte. Aus der großen Trommel war also der Klageton gekommen, und er hatte geglaubt, daß seinem Pferd die Luft ausströme!

Vier Wochen später wanderte der Gaul, da sich kein Käufer für ihn fand, in die Wurst. Natürlich war Das, wegen des finanziellen Verlustes, für den Herrn Major sehr traurig — aber es war doch immerhin besser, daß das Pferd auf Veranlassung seines Besitzers als umgekehrt der Besitzer auf Veranlassung seines Pferdes in den Wurstkessel kam.


Fußnote:

(1) In der Buchfassung heißt es hier: „seinem”. (zurück)


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