Auf Dienstbotensuche.

Eine wahre Geschichte von Freiherr von Schlicht.
in: „Weimarische Landeszeitung Deutschland” vom 24.9.1911


Wir suchten zum 1. Oktober ein zweites Hausmädchen, aber so viele uns das um unser Wohl sehr besorgte Fräulein Saenger vom Deutschen Frauenbund auch sandte — das richtige kam nicht.

Da wurde mir gestern morgen, als ich bei der Arbeit saß, gemeldet, eine Mutter sei mit ihrer Tochter da, die den Dienst antreten wolle. Mein Frau war nicht zu Hause, die war, wie immer, wenn sie nicht zu Hause ist, bei Laemmerhirt, um bei Fräulein Lockinger anzuprobieren(1), bevor sie aber ging, hatte sie mich gebeten, mir etwaige Mädchen, die sich vorstellen sollten, einmal anzusehen.

So gab ich den Auftrag, Mutter und Tochter in mein Arbeitszimmer zu führen, und wenig später stand die Mutter vor mir, die Mutter allein.

„Nanu,” fragte ich ganz verwundert, „wo ist denn die Tochter?”

Und da stellte sich denn heraus, daß ich unser Zimmermädchen vorhin falsch verstanden hatte. Die Mutter war vorläufig allein gekommen, um erst mit uns zu sprechen, sie wollte sich, wie sie mir sagte, „erst mal nach den Verhältnissen bei uns erkundigen.”

Die Frau uns ihre Naivität machten mir Spaß und so gab ich denn zur Antwort: „Danke, danke, Sie brauchen sich unseretwegen gar nicht zu ängstigen, die Verhältnisse sind leidlich, ich bin mit Arbeit überbürdet, meine Bücher gehen gut und auch sonst bin ih nicht ganz unbemittelt, Ihre Tochter wird schon satt werden.”

„So habe ich das natürlich nicht gemeint,” erwiderte die Frau, „ich meinte es natürlich ganz anders, ich meinte —” und sich im Zimmer umsehend, fragte sie plötzlich: „Kohlen braucht meine Frida doch nicht zu tragen?”

„I, wo wird sie denn,” beruhigte ich die Mutter, „Sie sehen doch, hier ist Zentralheizung; unten im Souterrain steht der große Ofen, neben dem Ofen liegen die Kohlen, die brauchen nur hineingeschaufelt zu werden, das wird Frida doch wohl können?”

„Aber gewiß doch,” gab die Mutter zur Antwort, „Frida ist zwar erst 16 Jahre alt, aber sehr kräftig und entwickelt, und auch bei uns zu Hause muß sie feste mit zugreifen. Sie scheut sich vor keiner Arbeit. — Aber nicht wahr, schwere Wassereimer braucht Frida doch hier nicht zu tragen?”

„I, wo wird sie denn,” beruhigte ich abermals, „da kennen Sie meinen Hauswirt, den lieben und braven Herrn Paulin,(2) schlecht. Der hat in jede Etage Wasserleitung legen lassen. Allerdings von der Leitung bis in die Schlafzimmer muß das Wasser von den Mädchen getragen werden, das wird Ihre Frida doch wohl können? Aber wenn es ihr zu viel ist, dann lasse ich meinen Leibkutscher Heischke mit seinem Gummiwagen aus der Schillerstraße holen und lasse das Wasser hinüber fahren!”

Ob die Frau meine Worte für bare Münze nahn, weiß ich nicht, auf jeden Fall sagte sie: „Der Herr Graf sind wirklich zu gütig mit uns.”

„Bitte, bitte, keine Ursache,” warf ich bescheiden ein.

Einen Augenblick herrschte Stille, während der die Frau sich aufmerksam meine Teppiche ansah, dann fragte sie: „Werden diese Teppiche auch manchmal geklopft?”

„Sogar sehr,” beeilte ich mich zu antworten, „aber seien Sie auch deshalb unbesorgt, die Teppiche klopfen die Schloßarbeiter, die Fenster, zu denen Sie jetzt hinaussehen, werden von fremden Leuten geputzt, gewaschen wird im Hause auch nicht, Ihre Frida braucht nur zu essen, zu trinken, zu verdauen und zu schlafen, das muß sie aber alles allein besorgen, dafür kann ich niemand halten.”

„Der Herr Graf sind wirklich zu gütig mit uns,” meinte die Mutter zum zweiten Male, dann setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu: „Meine Frida scheut sich wirklich vor keiner Arbeit, aber sie ist nur jetzt etwas verwöhnt, sie ist nämlich gerade jetzt mit einer Frau Kammersänger in Baireuth zu den Festspielen gewesen.”

„Eine Festvorstellung mit Siegfried Wagner am Dirigentenpult kann ich Ihrer Tochter allerdings nicht jeden Abend hier im Hause bieten,” entschuldigte ich mich, „vielleicht geht's aber auch ohnedem.”

Darüber schien sich die Mutter nicht ganz so einig zu sein, wenigstens blieb sie die Antwort darauf schuldig, bis sie dann plötzlich fragte: „Und Kinder sind keine im Haus?”

„Gott sei Dank, nein,” gab ich zur Antwort.

Die Frau blickte ganz traurig vor sich hin: „Das ist aber schade, meine Frida ist so kinderlieb.”

„Das ist ja sehr nett von Ihrer Frida,” entgegnete ich, „aber Sie können doch nicht von uns verlangen, daß wir uns Ihrer Frida zuliebe noch ein Kind anschaffen. Und wenn ich Ihrer Frida auch gerne gefällig sein will, als Mutter wissen Sie das ja selbst am besten, von heute zu morgen geht das ja auch nicht.”

„Vor dem 5. Oktober könnte Frida auch gar nicht kommen.”

„Aber selbst diese Frist, die Sie uns da stellen, ist doch zu kurz,” entschuldigte ich mich abermals.

Wieder herrschte eine Weile Schweigen, dann fragte die Mutter: „Und annehmen wollen die Herrschaften auch kein Kind?”

„Ich werd's mir überlegen,” gab ich ganz ernsthaft zur Antwort, „offen gestanden habe ich bisher noch nie daran gedacht, aber wenn Ihre Frida so kinderlieb ist” — — — — — —

„Ach ja, das ist sie,” unterbrach mich die Mutter, „Frida liebt Kinder über alles.”

„Vielleicht wird sie sich aber auch ohnedem bei uns wohl fühlen,” warf ich ein, „unsere Mädchen sind alle schon lange bei uns, freiwillig ist nie eins von uns fortgegangen.”

Die Mutter sah mich glückstrahlend an: „Ach, das freut mich, zu hören, da will ich hoffen, daß auch meine Frida sich hier recht glücklich fühlen möge.”

„Und ich will hoffen, daß wir mit Ihrer Frida sehr zufrieden sein werden,” entgegnete ich, aber dann fragte ich: „Wann werden Sie uns denn Ihre Tochter einmal zur geneigten Ansicht schicken?”

Die Mutter zuckte die Achseln: „Das kann ich so schnell nicht sagen, erst muß ich mal alles mit meinem Mann besprechen und dann auch mit Frida. Der muß ich doch erst mal schildern, wie die Verhältnisse hier im Hause liegen und ob sie damit einverstanden ist, daß die Herrschaften keine Kinder haben. Wenn sie aber trotzdem kommen will, meinen Segen hat sie, aber wie gesagt, eigentlich hatte ich mir die Verhältnisse hier im Hause ganz anders gedacht.”

Und Frida muß sie sich erst recht anders gedacht haben, denn sie kam gar nicht erst, um sich vorzustellen.


Fußnoten:

(1) Im „Adreß-Buch der Großherzoglichen Haupt- und Residenzstadt Weimar” 1912 findet man die Einträge:
Lämmerhirt. R., Nachf., Modew.-Hdlg., Inh. Frl. Olga Kohlmann und Aug. Hertrich, Schillerstr. 6
Lockinger, Minna, Kfmswe., Belv.Allee 13 [d.i.: Belvederer Allee] (Zurück)

(2) Im gleichen Adreßbuch steht auch
Paulin, Karl, Maurermstr., Rentner, Elisabethstraße 9 (Tel. 831)
verzeichnet. (Zurück)


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