Leutnant von Bennwitz.

Militärhumoreske von Freiherr von Schlicht.
in: „Zu dumm!”,
in: „Meine Kabarettgeschichten” und
in: „Garnison und Manöver”


Leutnant von Bennwitz wäre einer der glücklichsten Menschen auf dieser Erde gewesen, wenn es kein „wenn” gegeben hätte. Und dieses Wenn bestand bei ihm in einer Riesenglatze. Schon bei seiner Geburt hatte er sie gehabt, und sie war ihm treu geblieben die ganzen Jahre hindurch. Seine alte Amme, die immer noch lebte, und ihm hin und wieder noch einen Gruß sandte, schwur zwar Stein und Bein, es hätte in seinem Leben auch Jahre gegeben, in denen er Haare gehabt hätte, aber sie könne sich nicht mehr genau erinnern, wieviel. Es konnten einundzwanzig, es konnten aber auch dreiund­zwanzig gewesen sein, gewesen aber waren auf alle Fälle welche da. Nun waren aber auch die fort, er war kahl und er blieb kahl, trotzdem er kein Mittel unversucht ließ. Jedesmal, wenn er die berühmte Annonce las, „Ich war kahl”(2), bekam er beinahe einen Schlaganfall vor Wut. Was hatte er davon, daß andere Leute kahl gewesen waren, er war es immer noch. Es ist eine alte Geschichte, daß man sich schließlich in alles findet, und so hätte auch Bennwitz sich wohl endlich nicht mehr über seinen Schönheitsfehler aufgeregt, wenn ihn nicht jeder Mensch beständig daraufhin aufs neue angeredet hätte. Jedesmal, wenn er eine neue Bekanntschaft machte, einerlei, ob es sich um einen Herrn oder eine Dame handelte, hieß es: „Aber Herr Leutnant, Sie haben ja eine vollständige Glatze.” Gewöhnlich pflegte Bennwitz dann mit seinem liebenwürdigsten Lächeln zu sagen: „Allerdings, ich bin so frei.” Hin und wieder spielte er aber auch mit guter Verstellung den Erschrockenen: „Wahrhaftig?” rief er dann, „ das habe ich ja noch gar nicht gewußt, da muß ich doch gleich einmal in den Spiegel sehen,” und dann kam er ganz geknickt zurück: „Wahrhaftig, ich muß mir meine Haare vorhin ausgerissen haben, als mein Schneider mir die Rechnung brachte.” Aber ob er den Leuten ihre Frage ganz ernsthaft oder scherzend beantwortet, es half alles nichts, die Frage nach seiner Glatze ging nicht an ihm vorüber, ein Toupet zu tragen, konnte er sich in seinen jungen Jahren nicht entschließen, und so sah er keine Möglichkeit, daß es jemals anders werden würde.

Da geschah es, daß Se. Exzellenz, der neue Herr Divisions­kommandeur zur Besichtigung des Regiments, dem Bennwitz angehörte, in der Garnison erschien. Am Morgen war exerziert worden, am Nachmittag war Vorinstruktion. Jetzt war Bennwitz an der Reihe, er instruierte über die Regiments­geschichte, und nach seiner Meinung mußte der hohe Herr über die fabelhaften Kenntnisse seiner Leute einfach baff sein. Aber Exzellenz hörte gar nicht zu, er starrte beständig den Leutnant an, und plötzlich fragte er: „Sagen Sie mal, Herr Leutnant, was haben Sie denn da auf dem Hinterkopf für eine merkwürdig kahle Stelle?”

Bennwitz zuckte zusammen, er hatte sich seine Mütze so tief wie nur irgend möglich über den Kopf gezogen, nun hatte es doch nichts genützt, ein kleiner, kahler Punkt hatte ihn doch verraten, nun würde das Fragen wieder losgehen. In unnennbarem Weh wollte er laut aufstöhnen, aber das durfte nicht sein, so schluckte er denn alles herunter, was er auf dem Herzen hatte.

„Sie sind wohl einmal hingefallen, Herr Leutnant?” fragte Exzellenz weiter, „das muß ja eine ganz böse Sache gewesen sein, zeigen Sie doch mal, nehmen Sie doch bitte die Mütze mal ab!”

Am liebsten hätte Bennwitz den Vorgesetzten ermordet, aber auch das durfte nicht sein, so leistete er denn dem Befehl Folge und entblößte sein Haupt.

Einen Augenblick sah Exzellenz ihn ganz starr an, dann aber sagte er: „Aber Herr Leutnant, Sie haben ja eine vollständige Glatze!”

Der Scharfblick Ew. Exzellenz ist wunderbar, wollte Bennwitz sagen, aber er sagte nur: „Zu Befehl, Ew. Exzellenz.”

Der hohe Herr konnte sich anscheinend über das seltsame Naturereignis immer noch nicht beruhigen: „Haben Sie die schon lange, Herr Leutnant?”

„Seit meiner Geburt, Exzellenz.”

„Ach nein,” meinte der, dann aber sagte er: „Ich würde an Ihrer Stelle doch einmal irgend etwas dagegen tun, es gibt doch jetzt so viele Mittel.”

Wenn du eine Ahnung hättest, was ich schon alles auf meinen Schädel gerieben habe, dachte Bennwitz, es ist wirklich ein wahres Wunder, daß die Kopfhaut nicht auch schon zum Teufel geht.

„Haben Sie noch nie etwas versucht?” fragte Exzellenz weiter. „Man liest doch jetzt immer soviel von einer Annonce, wie heißt sie doch nur?”

„,Ich war kahl', Ew. Exzellenz.”

„Ganz richtig,” stimmte der hohe Herr ihm bei. „Also, das haben Sie auch schon versucht? Das soll ja ganz ausgezeichnet sein.”

„Aber trotzdem hilft es natürlich nicht jedem, mir hat es nichts geholfen.”

„Sonderbar. Und ein Toupet tragen Sie nicht?”

„Wie Ew. Exzellenz sehen — nein.”

„Da haben Sie ja ganz recht, bei Ihren jungen Jahren täte ich das auch nicht. Die Stunde kommt immer noch früh genug, wo man sich solchen Kopfschmuck anschaffen muß, später wenn man wirklich keine Haare mehr hat —”

Er hielt inne, er merkte, daß er Unsinn redete, denn weniger Haare als Bennwitz jetzt hatte, konnte er im Alter von hundert Jahren auch nicht haben.

„Bitte instruieren Sie weiter, Herr Leutnant.”

„Zu Befehl, Ew. Exzellenz.”

Bennwitz wandte sich wieder seinen Leuten zu, aber während er instruierte, hörte er beständig, wie Exzellenz sich mit seinem Adjutanten, dem Herrn Oberst und dem Herrn Major hinter seinem Rücken über seine Glatze unterhielt, und zuweilen hörte er sie auch lachen. Das machte ihn von Minute zu Minute unruhiger und nervöser, er hörte mit einem Ohr zu Exzellenz hin, mit dem andern auf seine Leute, und so kam, was kommen mußte. Er verlor den Faden, er stellte miserable Fragen und erhielt auf diese zuerst sehr schlechte und dann plötzlich gar keine Antworten mehr. Und gerade, als das Wissen seiner Leute vollständig zu Ende war, sagte Exzellenz: „So nun wollen wir uns einmal die Instruktion anhören.”

Der Augenblick ist ja so glänzend und so günstig wie nur irgend möglich gewählt, dachte Bennwitz. Vor einer Viertelstunde hätte ich noch das größte Lob geerntet, aber jetzt?

„Bitte, Herr Leutnant, fragen Sie weiter.”

Aber ihm fiel absolut keine Frage mehr ein, und als er endlich darauf los fragte, nur um überhaupt etwas zu fragen, war es so töricht, daß Exzellenz nach kurzem Besinnen sagte: „Die Frage könnte selbst ich nicht beantworten.”

Ich auch nicht, dachte Bennwitz, und das Endresultat war, daß er sich mit seinen Leuten bis auf die Knochen der Unsterblichkeit blamierte. Und dieser Blamage folgte eine Kritik, die an Deutlichkeit und Grobheit nichts zu wünschen übrig ließ. Bennwitz tobte beinahe vor Wut, er beherrschte den Stoff ebenso vollständig wie seine Leute, und wenn er jetzt dennoch so schlecht abgeschnitten hatte, so lag das lediglich daran, daß Exzellenz ihn durch die zahllosen Fragen nach seiner Glatze einfach mehr als nervös gemacht hatte.

So geht's nicht weiter, schwur sich Bennwitz. Entweder schaff' ich mir jetzt trotz meiner Jugend einen künstlichen Haarwuchs an, der den Neid und die Bewunderung der besitzlosen Klasse erregen soll, oder aber ich werde von heute an jedem Menschen, der eine Anspielung auf meine Kahlköpfigkeit macht, derartig sacksiedegrob, daß ihm die Augen übergehen. Und ob es sich da um einen Vorgesetzten oder um sonst irgend jemanden handelt, ist mir ganz gleichgültig.

Er hatte seine Leute entlassen und schloß sich nun dem Gefolge Seiner Exzellenz an, der sich jetzt bei einer anderen Kompagnie etwas vorinstruieren ließ. Da trat plötzlich der Generalstabs-Offizier Seiner Exzellenz auf Bennwitz zu und ging mit diesem etwas beiseite:

„Sie, Bennwitz, ich will Ihnen mal einen guten Rat geben, denn ich merke Ihnen an, wie Sie sich ärgern, und ich fühl' Ihnen das vollständig nach. Mir ist es in früheren Jahren genau ebenso gegangen wie Ihnen, durch ein Wunder sind mir die Haare wieder gewachsen, aber früher habe ich dasselbe an törichten Fragen aushalten müssen wie Sie. Auch ich wußte mir nicht mehr zu helfen, da kam mir eines Tages ein rettender Gedanke, und wenn einer mir sagte: ,Aber Sie haben ja eine Glatze?' Dann entgegnete ich: ,Aber selbstverständlich. Die kommt von dem vielen Nachdenken, oder haben Sie schon einmal einen Ochsen gesehen, der eine Glatze hat?' wenn diese Antwort auch nicht gerade übertrieben höflich ist, so ist sie auch nicht gerade grob, und vor allen Dingen sind die Frager dann auf den Mund geschlagen und schweigen still. Versuchen Sie es damit, Sie werden sehen, bald fragt Sie kein Mensch mehr. Probieren Sie es einmal mit meiner Antwort.”

Und Bennwitz, dem dieser freundliche Rat sehr einleuchtete, probierte es, und zwar schon wenige Stunden später. — Exzellenz hatte sich im Kasino zu Gast angesagt, und aus diesem Anlaß fand ein großes Liebesmahl statt. Es waren zahlreiche Gäste eingeladen, darunter auch der neue Bezirks-Adjutant. Der Zufall fügte es, daß Bennwitz neben diesem bei Tisch saß, und wenn die Unterhaltung auch sehr lebhaft war, so merkte Bennwitz doch, daß sein Nachbar, den er heute zum erstenmal sah, irgend etwas auf dem Herzen hatte. Und plötzlich konnte der sich nicht mehr beherrschen und sagte mit allen Anzeigen(1) des größten Erstaunens:

„Aber Herr von Bennwitz, Sie haben ja trotz Ihrer Jugend eine vollständige Glatze!”

„Sebstverständlich,” gab Bennwitz. der ihm erteilten Instruktion gemäß, prompt zur Antwort, „selbstverständlich habe ich eine Glatze. Die kommt von dem vielen Nachdenken, oder haben Sie vielleicht schon einmal einen Ochsen gesehen, der eine Glatze hat?”

Da sah ihn der Andere ganz groß und erstaunt an und sagte nach kurzem Nachdenken: „Nein, allerdings noch nicht — Sie sind der erste.”

Vierundzwanzig Stunden später hatte Bennwitz hellblonde Locken.


Fußnote:

(1) Hier soll es wohl heißen: „Anzeichen”. (Zurück)

(2)Dies ist die betr. Anzeige. (Zurück)

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