Der Bär

Illustrierte Wochenschrift für vaterländische Geschichte
Berlin, 1899, Nr. 33


Aus alter Zeit.

Von Freiherr von Schlicht.

Alles, was mit dem Heer zusammenhängt, kann ja darauf rechnen, fast allen einiges Interesse abzugewinnen, und so blättere ich auf gut Glück in einem alten Reglement aus dem Jahre 1726.

Den Hauptwert legte man bekanntlich früher auf den „Drill”, alles geschah nach Kommandos und nach Tempos, es kam darauf an, daß alles „klappte”. Und „klappte” eine Sache nicht von selbst, so wurde dadurch nachgeholfen, daß die „Kerls” mit der rechten Hand auf die blecherne Patronentasche schlagen mußten. Heutzutage ist dieser Kniff verboten, in Anwendung kommt er aber doch noch manchmal, namentlich, wenn Landwehrleute eingezogen sind – die „markieren” den strammen Tritt beim Marsch dann dadurch, daß sie jedesmal, wenn sie den linken Fuß hinsetzen, kurz und energisch gegen die rechte Tasche schlagen. Das ist sehr bequem, aber es darf nur niemand sehen, sonst giebt es „drei Tage”.

Selbst das Laden des Gewehrs geschah nach Tempos und zwar nach nicht weniger als nach zwölfen.

Ganz amüsant ist die Ausführung des Ladens.

Nr. 8 des Kommandos lautet: „Den Hahnen in die Ruhe.”

Man setzet geschwind den Hahnen in die Ruhe. Man fasset mit der Rechten das Gewehr unter den Hahn und geschiehet mit einem starken Schlag.

Nr. 9. „Ergreifft die Patron.”

Man bringet die Patron mit der rechten Hand eine Spanne vom Munde.

Nr. 10. „Öffnet die Patron.”

Man bringet die Patron an den Mund und öffnet selbige.

Die Patronen mußten, bevor sie in den Lauf geladen werden konnten, abgebissen werden, und das Reglement sagt darüber: „Die Bursche müssen die Patrone sehr geschwinde kurtz abbeissen, daß sie Pulver ins Maul bekommen.”

Beißen kann aber nur, wer Zähne besitzt, das ist eine alte Geschichte, und so verfielen damals viele auf den schlauen Gedanken, sich die Vorderzähne abzubrechen und sich damit dienstunbrauchbar zu machen. Aus dieser Zeit stammt der heute noch in den Kriegsartikeln stehende Paragraph über die „Selbstverstümmelung”, die ebenso wie Fahnenflucht bestraft wird.

Über den Gebrauch der Waffe bei dem Wachtdienst heißte es: „Alle Schild-Wachten müssen zum höchsten 3 mahl anruffen und wenn sie keine Antwort bekommen, ferner ruffen, stille zu stehen. Stehet jemand nicht still, müssen die Schild-Wachten das Bajonet aufstecken, den Hahn spannen und einem solchen entgegen gehen. Hernach, wenn die Schildwacht merket, daß der Mensch unsinnig, stumm oder so besoffen ist, daß er nicht hören noch sprechen kann, müssen sie selbigen arrêtiren, bis er in Arrest abgeholet wird. Im Gegenteil, wenn die Schildwachen vermercken sollten, daß ein solcher Mensch im Sinne hätte, die Schild-Wacht zu attaquiren, müssen sie selbigen, wenn es nicht verhütet werden kann, todtstechen oder todtschießen.”

Der Garnisonwachtdienst wurde sehr streng gehandhabt: „Des Nachts soll kein Officier auf seiner Wacht jemand tractiren, auch keinen Cameraden oder sonst jemand auf eine Pfeiffe Taback nötigen, damit die Officiers immer auf ihre Leute Acht haben, und ihre Wacht, wie der Dienst es erfordert, thun können.”

Heutzutage ist es bekantlich für einen Offizier ein teures Vergnügen, auf Wache zu kommen; er hat oft mehr Besuch als ihm lieb ist und bei der Pfeiffe Tabak bleibt es nicht.

„Der Zapfen-Streich soll von einer jeden Wache von Medio Septembris bis Medio Martio um 8 Uhr geschlagen werden. In den übrigen Monahten aber muß man nach dem Tage sich richten und der Zapfenstreich wird geschlagen um halb 9 Uhr, halb 10 Uhr und um 10 Uhr.”

„Wenn in einer Guarinoson, da GOTT vor sey! im Alarmewege Feuer entstehen möchte, müssen die Compagnieen mit voller Mundirung, mit Gewehr, Sack und Pack, auf dem Alarme-Platz sich einfinden.”

„Die Wachten treten ins Gewehr, und die Thore werden geschlossen, bis das Feuer gelöscht ist und bis die Compagnieen wieder auseinander gehen.”

„Wenn die Bürger zu lange ausbleiben, sollen selbige einem jeden Soldaten, welche in ihrem Platz das Feuer löschen helfen, 4 Gr. bezahlen und der Gouverneur oder commandirende Officier soll außerdem die Bürger davor ansehen.”

Wenn ein Regiment eine neue Fahne bekam, so geschah die Nagelung nicht wie heute durch die Mitglieder des Königlichen Hauses, sondern die Fahne wurde im Quartier des Kommandeurs angenagelt, und zwar sollen alle Offiziers, par Kompagnie I. Sergeant, I. Gefreiter-Korporal, I. Korporal, und 10 Mann die Fahne anschlagen.

Im Anschluß daran, wenn die Fahne an das Regiment durch den Kommandeur übergeben ist, „soll der Auditeur eine kleine Rede halten und die Kriegs-Articles vorlesen. Und der Prediger soll ein Gebet thun, und darum GOTT um seine Gnade bitten, daß der liebe GOTT einen jeden Soldaten vor dem Meyn Eid bewahren und so regieren wolle, daß ein jeder bey allen Begebenheiten der Fahne treu bleibe und ihr bis auf den letzten Blutstropfen beystehe. Und alle Officiers und Soldaten heben die Finger auf und schweren zur Fahne.”

Die alte Fahne wurde von 1 Officier, 2 Unter-Officiers, 1 Pfeiffer, 1 Tambour und 30 Grenadiers nach dem nächsten Königlichen Zeughaus gebracht – jetzt begleitet nur der Fahnenträger und ein Offizier die Fahne.

Unzufriedene Untergebene hat es auch schon damals gegeben. Der XI. Teil des Reglements lautet: „Ordres, wonach die sämtliche Officiers sich zu verhalten haben,” und es heißt da:

„Es haben Seine Königl. Majestät höchstmißfällig vernommen, wie bei einigen Regimentern keine rechte Harmonie ist, und daraus Tacturs entstehen; Solches aber schnurgerade wider die Subordination läuft, und Sr. Königl. Majestät Dienst, auch die Wohlfahrt des Regimentes dadurch leidet: desgleichen Höchstgedachte Sr. Königlichen Majestät in Erfahrung gekommen sind, daß, wenn der Chef vom Regiment an den Commandeur vom Regiment, der Commandeur vom Regiment an die Stabs-Officiers, die Stabs-Officiers an die Capitaines und die Capitaines an ihre Subalternes-Officiers etwas befehlen, solches nicht mit schuldigem Gehorsam, Fleiß und Application geschiehet: Ja, einige Officiers wohl gar, wenn etwas befohlen wird, pro et contra disputiren und zuforderst ihre Raisonnements geben oder nicht: Als haben Se. Königl. Majestät höchstnötig erachtet, dergleichen bey höchster Ungnade zu verbieten und alles Ernstes zu befehlen, daß die Subordination unter den Officiers bey einem General bis zum jüngsten Fähnrich auf das allergenaueste befolgt werden soll.”

„Wenn ein Stabs-Officier ein Crimen laesae Majestatis oder sonst was begangen hat, welches Leib und Leben concerniret, alsdann eine solche starke Wache bey ihm gegeben werden muß, daß er nicht echapiren kann.

Wenn ein Subaltern-Officier in Arrest kömmt, soll er auf die Hauptwache geschickt werden. Und soll ein Officier mit 2 Mann Ihn dahin bringen.”

Auch unter den Soldaten sollte gute Disziplin herrschen, der Artikel 2 sagt: „Weiter ein Kerl, welcher nicht GOTT fürchtet, auch schwerlich seinem Herrn treu dienen, und seinen Vorgesetzten rechten Gehorsam leisten wird: Als sollen die Officiers den Soldaten wohl einschärfen, eines christlichen und ehrbaren Wandels sich zu befleißigen; Weshalb die Officiers, wenn sie von eines Soldaten gottlosem Leben erfahrten, selbigen vermahnen, und wenn er sich nicht bessert, den Kerl zum Priester schicken müssen.”

„Alles Raisonniren gegen Officiers oder Unter-Officiers im Dienst oder außer Dienst, im Gewehr oder sonder Gewehr soll mit Spieß-Ruhten hart bestraft werden, absonderlich soll ein Kerl, wenn er im Gewehr nur mit einem Wort raisonnirt, augenblicklich in abwent geschicket werden und des anderen Tages durch 200 Mann 20-mahl durch die Spieß-Ruhten laufen; Hingegen, wenn eine Widersetzung, Bedrohung oder gar Gegen-Wehr von einem Kerl gegen einen Officier oder Unter-Officier geschiehet, soll ein solcher Kerl arquebusiret (totgeschossen) werden.”

Über den Offizier-Ersatz bestimmt das Reglement, daß die Regiments-Kommandeure dem König die zukünftigen Offiziere in Vorschlag bringen sollen.

„Ein Ausländischer Edelmann, welcher Unter-Officier ist und meritiret Officier zu werden, soll auch zum Officier vorgeschlagen werden. Er muß aber zuvorderst einen Revers von sich geben, niemahlen aus Sr. Königl. Majestät Diensten zu gehen, sondern ewig zu dienen. Widrigenfalles ein Ausländischer Unter-Officier seine Leb-Tage nicht in Sr. Königlichen Majestät-Diensten Ober-Officier werden soll.”

„Wenn ein Unter-Officier, welcher kein Edelmann ist, sehr große Meriten und einen offenen Kopf hat, auch dabey ein gut Exterieur, und wenigstens 12 Jahre gedienet hat, soll selbiger zum Seconde-Lieutenant Sr. Königlichen Majestät vorgeschlagen werden.”

„Wenn ein Edelmann, welcher nicht unter die Cadets gewesen ist, bey einer Compagnie zum Unter-Officier gemachet wird, soll er, bevor er Unter-Officiers-Dienste thut, 3 Monaht Schild-Wache stehen.”

Jetzt braucht man nur dreimal Schild-Wacht zu stehen und auch das erscheint manchem noch viel zu viel.

Ein „Kerl” mußte vier Jahre dienen, bevor er Unter-Officier werden konnte, und es war „vornehmlich darauf zu sehen, ob es ein braver auch verständiger Kerl ist, und ob er gute Conduite hat; Weshalb keiner gleichwie bisher zum Unter-Officier gemachet werden soll, wenn er nur gut schreiben kann. Denn solches nur als eine Neben-Sache regardiret werden muß. Damit folglich die Unter-Officiere rechte Soldaten, und nicht Feder-Fechters sind.”

Die „Kerls” wurden, wie bekannt, angeworben und darüber heißt es: „Se. Königl. Majestät erlauben alle junge Leute, welche unter denen Feld-Regimentern und Guarnison-Bataillons bereits zu dienen, oder künftig zu dienen capables sind, zu enroliren; diejenigen aber, welche wegen Gebrechlichkeit incapables sind, wie auch Bürger-Kinder, welcher Eltern zehntausend Reichsthaler im Vermögen haben, soll kein Officier enroliren, und solches bei Cassation.”

Häufig kam es vor, daß zwei Werbe-Offiziere gleichzeitig denselben „Kerl” zu bekommen suchten: „Derohalben Seine Königliche Majestät solches ernstlich verbieten und zugleich befehlen, daß, sobald ein Kerl von einem Officier von einem Regiment angesprochen ist, kein Officier von einem anderen Regiment selbigen zu engagiren, und den Kerl abspenstig zu machen sich unterstehen soll: Es wäre denn, daß sich der erste Officier eines solchen Kerls gantz begeben thäte und selbigen nicht bekommen könnte.”

Während heute die Conduiten der Offiziere nur an das Generalkommando gehen, sollen damals: „die Obristen alle Jahr den 1. Januarii an Sr. Königl. Majestät eine Liste, von den Officiers vom Regiment schicken und eines jeden Officiers Conduite, sie mag gut oder schlimm seyn, wie die Wahrheit ist, sonder Passion genau beschreiben, und solche bei Ehr und Gewissen überschicken; In solcher Liste zugleich gesetzet werden soll, ob der Officier ein Säuffer ist, ob er guten Verstand und einen offenen Kopf hat, oder ob er dumm ist.”

Wer da glaubt, daß es erst heutzutage bei den Offizieren Mode geworden sei, sich „unvorschriftsmäßig” zu kleiden, der irrt sich, wie die folgenden Zeilen lehren:

„Obzwar seine Königliche Majestät laut Mundirungs-Reglement bereits allergnädigst befohlen haben, daß alle Dero Officiers im Dienst und ausser Dienst allezeit ihre Regiments-Mundirung anhaben, ausser Mundirung sich nichts machen lassen und tragen sollen; Jedennoch Se. Königliche Majestät zum Theil Selbst höchst mißfällig gesehen und zum Theil in Erfahrung gekommen sind, daß dieser Dero allergnädigsten Ordre nicht nachgelebet worden ist; Im Gegenteil, daß die Officiers ausser Dienst galonnirte und brodirte Stücke oder Camisoeler von allerhand Couleur und Sommer-Kleider anziehen und wohl gar damit auf Parade kommen. Absonderlich haben Seine Königliche Majestät wahrgenommen, daß die Stabs-Officiers nicht allezeit ihre Regiments-Mundirung tragen, daher Sie nicht anders glauben können, als daß Selbige in der Meinung gestanden sind, daß die gegebene Ordre nur von den Subalternes-Officiers zu verstehen gewesen ist. Weshalb Se. Königliche Majestät hiermit befehlen, daß die Generals und Stabs-Officiers nichts anderes tragen als ihre völlige Regiments-Mundirung, Regiments-Degen, und weisse Stiefeletten mit weissen Leinwandschen Knie-Riemen anhaben sollen und folglich alle Dero Officiers vom höchsten bis zum niedrigsten daher gehen wie Officiers, und nicht wie Schreibers. Sollte aber dennoch ein Officier seine Mundirung nicht tragen, werden Se. Königl. Majestät solches sehr ungnädig aufnehmen und ein solcher Officier wird bey Seiner Königlichen Majestät sich sehr übel recommendiren.”

Heute sperrt der Regiments-Kommandeur den schuldigen Offizier ein, und damit ist der Schmerz ausgestanden.

„Das blaue, paille, weisse und rothe Tuch zu die Ober-Officiers-Mundirung, ingleichen das blaue, paille, weisse und rothe Tuch zu die Unter-Officiers und Gemeine-Mundirung soll aus dem Königl. Lager-Hause genommen, und das gemeine Tuch mit 12 Gr. die Elle bezahlet werden; Hingegen das blaue Tuch und die übrige Mundirungs-Stücke sollen aus den Städten, wo die Regimenter laut Mundirungs-Reglement assigniret sind, genommen werden. Es müssen aber alle Mundirungs-Stücke, absonderlich alle wollene Waare, in Königl. Landen und in Accisbaaren Städten genommen werden und solches bey Cassation des Obristen.”

Cassation wird den Obristen in dem fast siebenhundert Seiten dicken Buch ungefähr auf jeder fünften Seite angedroht, aber die Obristen sorgten dafür, daß es bei der Drohung blieb. Sie thaten ihre Pflicht gerade so gut wie heutzutage ein Oberst.

Freiherr von Schlicht



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© Karlheinz Everts