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"Tante Jette"

Militärschwank in vier Akten

von

Hans v.Wentzel und Freiherr von Schlicht

 
Personen:

Kern, Schuhmachermeister, Witwer.
Mieze Kern, seine Tochter.
Fräulein Jette Drall, in Kern's Hause.
Hugo,
Otto, Schusterjungen bei Meister Kern
Dinnebier, Barbier und Schützenmajor.
Georg Kirschbaum, Reservist.
Schwarz, Bierwirth.
Sachs, Handwerker.
Maier, Gefreiter und Stubenältester.
Vogel,
Igel,
Casper,
Hansen, Grenadiere
Der Hauptmann der 5.Kompagnie.
Der Feldwebel.
Der Unteroffizer vom Dienst.
Wilhelm, Bursche des Hauptmanns.
Fritz Birkhahn, Heirathsschwindler.
Ein Mann der Wache.
Schützenbrüder. Volk. Unteroffiziere. Soldaten. Mädchen.
 
Ort der Handlung:
Akt eins spielt in einer kleinen Provinzstadt.
Akt zwei und drei in der Hauptstadt.
Zeit: Gegenwart.



Aufführungen in:

„Berliner Theater”, Berlin 17., 18., 19., 21., 23., 26., 28., 30. September,
5., 10., 11., 16., 17. nachm. u. abends, 18., 20., 22., 23. Oktober 1897
„Thalia-Theater”, Hamburg 7. Oktober 1897
„Hagensberger Park” Sommertheater, Riga 22.6./4.7., 24.6./6.7., 26.6./8.7.
Erwähnungen des Stücks „Tante Jette” in Schlichts Werken.

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Anzeige im "Berliner Tageblatt" 17.9.1897
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Anzeige in der "Vossischen Zeitung" 18.9.1897

Besetzung bei der Uraufführung im "Berliner Theater":

Kern, Schuhmacher
Mieze, seine Tochter
Tante Jette
Hugo
Otto
Dinnebier
Georg Kirschbaum, Unteroffizier
Schwarz
Sachs
Maier
Vogel
Igel
Caspar
Hansen
Hauptmann
Feldwebel
Unteroffizier
Wilhelm
Birkhahn, ein Heirathsschwindler
Wache
Nachbarn:
Nachbarinnen:
Regie:

Ernst Formes
Emilie Schroth
Clara Wenk
Lürßen
Salter, in späteren Aufführungen: Heine
Graul
Hermann Schmelzer
Chony
Lortzing
Fronmüller
Schefranek
Schindler
Hartau
Lorenz
Georg Droescher
Beck
Müller
Hahn
Albert Bassermann
Krünegel
Maukwitz, Meyer
Zehlke, Leonhard
Georg Droescher


In der Ausgabe von Mittwoch, dem 15. September 1897, der "Vossischen Zeitung" kann man folgenden Artikel lesen:

Im Berliner Theater wird für nächsten Freitag die Novität "Tante Jette", Schwank in 3 Akten, vorbereitet. Der zweite Akt, der das Leben in einer Kaserne wiederspiegelt, sowie der dritte Akt (Kompagnieball) bedingen "militärische" Vorübungen. Verfasser des Schwankes sind die Herren H. v.Wentzel und Frhr. v.Schlicht.

Und in der Ausgabe von Sonnabend, dem 18. September 1897, der "Vossischen Zeitung" kann man finden:

Berliner Theater

Freitag, 17. September. 2. Abonnenmentsvorstellung. Zum ersten Male: "Tante Jette". Schwank in 4 Aufzügen von Hans v.Wentzel und W.v.Schlicht. Regie: Herr Droescher.

Wie von jener Tante Lotte, über deren Gemüth Hans Huckebein, der Unglücksrabe, so viel Trübes brachte, einst Wilhelm Busch sang: "Nichts schöner's gab's für Tante Lotte, als schwarzes Heidelbeercompotte", so ließe sich von Tante Jette singen: "Nichts schöner's gab's für Tante Jette, als eine Gans in ihrem Fette." Denn zweimal tritt eine Gans verhängnißvoll auf Tante Jettes Lebensweg. Weil beim Schützenfeste nicht der alte Kern, sondern der junge Kirschbaum den Gänsepreis erringt, darum will der alte Kern dem jungen Kirschbaum seine Mieze nicht zur Frau geben; und das tief erschütterte Publikum seufzt mit Tante Jette: O Gans, was hast du angerichtet! Weil sich nachher der junge Kirschbaum über den alten Kern "scheckig" ärgern möchte, kriegt die von Tante Jette in die Kaserne mitgebrachte gute Gabe Gottes nicht der junge Kirschbaum, sondern seine Korporalschaft, und mit dieser Korporalschaft jubelt sehnsüchtig das verlangende Publikum: O Gans, wie bist du angerichtet!

Abseits von dieser jetzt sehr saisongemäßen Gänsetragödie geht es heiter her bei v.Wentzel und v.Schlicht. Zwei Chimborassos des Humors werden erklommen. Vater Kern, der Schuster im grauen Zylinderhut, wird von Soldaten in einen Kasernenschrank eingesperrt, und in der Instruktionsstunde weiß keiner der Rekruten, wie der kommandirende General aussieht. Tiefsinnig brütet der Betrachter, welchen dieser beiden Gipfel der Komik frischfröhlichen Heldenmuths v.Wentzel erstiegen hat, welchen v.Schlicht. Er räth es nicht.  P.S.


In der Ausgabe von Sonnabend, dem 18. September 1897, des "Berliner Tageblatts" kann man folgenden Artikel lesen:

F.E.   Wer mit den Freitagsabonnenten des "Berliner Theaters" Freud und Leid theilen muß, sah gestern einen vieraktigen Militärschwank "Tante Jette" von Hans v.Wentzel und W. v.Schlicht. Wer aber nicht mindestens Vizefeldwebel der Reserve oder berufsmäßiger Manöver-Korrespondent ist, wird mit seinem Urtheil nicht hervortreten. Vielleicht, daß der Parademarsch am Schluß gar nicht so gut klappte, wie es uns Civilisten schien. Vielleicht, daß der innere Kasernendienst, der im zweiten Akte sehr genau vorgeführt wird, Anlaß zu Ausständen gibt. Vielleicht aber auch, daß die Mannszucht im Regiment Prasch das höchste Lob verdient. Der Civilist muß sich bescheiden und kann nur ein Wort über die kleinen Nebensächlichkeiten sagen, die ja aber gar keine Rolle spielen. Zum Beispiel, ob die Handlung irgendwie einen originellen Zug verräth (Nein!) oder einen sehr glaubhaften Eindruck macht (Nein! Nein!) oder ob man in den nichtmilitärischen Gestalten eine Bereicherung unserer Bühnenfiguren findet. Nein, nein, nein! Nur eine einzige, ein verbummelter Heirathsschwindler, hat ein persönliches Gesicht. Aber alles Andere, obschon es nicht zum Kommiß gehört, trägt Uniform, die alte Narrenuniform der Schwanktypen. Da ist der Vater Schuhmacher, der ein grausamer Vater wird, weil der Schwiegersohn in spe ihm die lange besessene Schützen­königs­würde raubt. Da ist die gute Tante Jette, die die vom Vater getrennten jungen Leute wieder zusammenbringen will, da wird der böse Vater in der üblichen Form wieder zum milden umgestimmt, der seiner Mieze denn doch noch den Segen zur Ehe mit dem treffsicheren Schützen und Unteroffizier Georg giebt - da kommt schließlich auch die brave Tante Jette selbst noch unter die Haube. Daran ist nichts Neues, und die Abonnenten haben es schon an manchem Freitag gesehen. Nur daß alle diese Figuren ihre meisten sogenannten humoristischen Schlager thun, indem sie sich mit Kraftausdrücken wie "Du alte Violine" belegen, darin steckt ihr Individuelles von Wentzel-Schlichts Gnaden. Sie haben alle abgefärbt von der Kaserne, deren Insassen nebst der ganzen Handlung nur zur Staffage dienen. Diese Kraftmeierei ist der neutrale Punkt des Schwankes. Hier ist das Nebensächliche, über das der bürgerliche Mensch zu urtheilen sich erlauben darf, doch schon wie von einem Hauch des Übercivilen, des ewig Unteroffizierlichen verklärt, dem die Autoren ihre Feder geliehen haben und das in jenem Parademarsch einen Schluß findet, der jeden Preußen erheben, jeden Landesfeind schrecken muß.

Aber ernsthaft gesprochen: Daß die Herren v.Wentzel und v.Schlicht den "inneren Dienst" und den Compagnieball nebst Parademarsch in schriftstellerische Behandlung nehmen, wird ihnen nicht verdacht. Der Eine von ihnen hat sogar schon sehr flotte Feuilletonskizzen über die gleiche Materie veröffentlicht und gezeigt, daß der Stoff überaus dankbar ist. Aber daß sie für ein Bühnenwerk und für theatermöglich ausgeben, was nur militärische Episode und Bilderbogen ist, muß ihnen nachgetragen werden. Wenn sie Beifall hatten - und sie hatten Beifall und Hervorrufe - so mögen sie es dem furor militaris danken, der in jedem deutschen Publikum steckt, und der selbst im Theater damit zufrieden ist, den gut wieder erzählten Kasernenschnurren der Witzblätter zu begegnen.

Es wurde recht hübsch gespielt, von Clara Wenk die Tante Jette, von Herrn Formes der Vater, von Frl. Schroth die kleine Mieze und ihr Unteroffizier von Herrn Schmelzer. Herr Formes zeigte freilich, daß auch die sogenannte naturalistische Bühnensprache affektirt geübt werden kann. Wenn er in seinen Schuhmacherjargon mir statt mich zu sagen hat, betont er das "mir" so grob, als ob er wüßte, daß es falsch ist. Sehr scharf und fein charakterisirte Herr Bassermann den Heiraths­schwindler. Herr Droescher gab einen netten Hauptmann. Als Regisseur verdient er auch Anerkennung für das hübsche äußere Arrangement dieser Herbstmanöver des Berliner Theaters.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 15.September 1897 steht:

Im Berliner Theater herrscht jetzt militärischer Drill, nämlich auf den Proben zur nächsten Freitags-Novität „Tante Jette”, Schwank in 3 Akten. Der 2.Akt, welcher das Leben und Treiben in der Kaserne wiederspiegelt, sowie der 3.Akt – Kompagnieball – bedingen diese exakten Vorübungen. Von den beiden Verfassern des Schwankes, H.v.Wentzel und Frhr.v.Schlicht, ist der Letztere auf literarischem Gebiete durch seine „Militärhumoresken” bereits rühmlich bekannt, während H.v.Wentzel als Bühnenschriftsteller frühere Erfolge aufzuweisen hat; auch in Berlin wurde seinerzeit im Neuen Theater ein Werk seiner Feder, „Deutsche Treue” aufgeführt.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 16.September 1897 steht:

Freiherr v.Schlicht, der Mitverfasser des am Freitag im Berliner Theater zur Aufführung gelangenden Schwanks „Tante Jette”, ist gestern in Berlin eingetroffen, um den letzten Proben und der Première beizuwohnen.

Im Berliner Theater, das sonst wohl den Schauplatz mittelalterlicher Kämpfe abgab, da Schild und Panzer unterm Speerhieb erklangen, ist jetzt das preußische Exerzier-Reglement an der Tagesordnung und Parademarsch, Griffe und Bajonettfechten werden dort mit heißem Bemühen erlernt. Dies Alles, um in der Novität „Tante Jette”, die am Freitag in Scene geht, den strengen Vorschriften der sachkundigen Autoren zu genügen und bei der Première auch vor dem verwöhnten Kennerauge mit Ehren zu bestehen.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 17.September 1897 steht:

„Tante Jette”, die Novität des Berliner Theaters, geht heute in folgender Besetzung der Hauptrollen in Szene: Jette Drall, Clara Wenk; Kern, Schumachermeister, Ernst Formes; Mieze Kern, Emilie Schroth; Georg Kirschbaum, Hermann Schmelzer. In größeren Episoden sind beschäftigt die Herren Bassermann, Beck, Graul, Schefranek, Schindler sowie die Damen Lührssen und Salter. Die Verfasser des Schwankes H.v.Wentzel und Frhr. v.Schlicht haben den letzten Proben beigewohnt.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 18.September 1897 steht:

Berliner Theater. Gestern zum ersten Mal: Tante Jette, Schwank in 4 Aufzügen von Hans v.Wentzel und W.v.Schlicht. Unsere Soldaten sind zu siegen gewöhnt, und weder sie, noch wir sind sonderlich überrascht, daß sie sich nun auch die Bühne vollständig erobert haben. Bisher traten hier die Soldaten nur vereinzelt auf. Vom Offiziersburschen aufwärts marschirten sie über die Bretter und unterhielten aufs beste das im Auditorium zu solchem militärischen Schauspiel wie zu einer Parade herbeigeeilten Publikum, dessen männlicher Theil meist aus ein- oder mehrjähriger Dienstzeit eine große Liebhaberei für die Uniform mitgebracht hat, während sich unter dem weiblichen Publikum Viele befanden, welche die in dreierlei Tuch gehüllten Gestalten mit offenem Wohlbehagen oder heimlichem Groll betrachteten, je nachdem sie dabei an die flottesten Walzer oder an die schmerzlichsten Herzenstäuschungen ihres Lebens dachten. Mit dem gestern zum ersten Mal unter dem Ziviltitel „Tante Jette” gegebenen Schwank haben die Herren Autoren die Majorität des Personals mobil gemacht, es wimmelt von Soldaten aller Rollengattungen und alle waren auf zahlreichen Proben vortrefflich gedrillt. Das Spiel war zum Korpsgeist, das Ensemble zur Disziplin geworden. Fast fiel es auf, daß der Souffleur nicht in einem Schilderhaus saß, das Aufziehen des Vorhangs nicht wie das Aufziehen der Wache unter Trommelschlag stattfand, bei Hervorruf nicht „Wache raus!” gerufen wurde. Und es wurde viel herausgerufen, die Novität hat einen großen Erfolg gehabt.

Es giebt kaum einen Schriftsteller, der wie Freiherr v.Schlicht berufen erscheint, ein Soldatenstück zu schreiben, oder, wie hier, an einem mitzuarbeiten. Unsere Leser kennen ihn aus unseren Feuilletons als einen humor- und geistvollen Schilderer des militärischen Lebens. Man merkt es seinen zahlreichen Werkchen an, daß er zugleich Schriftsteller und Offizier ist. Er trägt den Marschallstab eines ausgezeichneten Erzählers im Tornister, er ist einer derer von Moser, Winterfeld und Carl Hecker, er weiß den Humor des Soldatenlebens wie ein Goldgräber das Werthmetall aus dem Dunkel hervorzuholen. Er ist ein Erzähler von hervorragendem Genie und aus der Lebendigkeit seiner Darstellung und aus der Geschicklichkeit in der Gruppirung seiner feuilletonistischen Figuren war zu ersehen, daß er auch für die Bühne zu schreiben verstehe. Der Mitarbeiter des Herrn v.Schlicht, Herr v.Wentzel, ist wie dieser ein schriftstellernder Offizier und hat seine Begabung durch etliche dramatische Arbeiten dokumentirt, deren eine nächstens das Neue Theater aufführen wird. Der Schwank, den diese Schriftsteller gestern dem Repertoire und, wie es scheint, für längere Dauer lieferten, ist ein als Volksstück einsetzender Schwank, dessen erste Hälfte in der Provinzstadt spielt. Hier wird ein ehrsamer Schuhmachermeister in seiner Würde als Schützenkönig dadurch gekränkt, daß der Bräutigam seiner Tochter als Reservist heimkehrt und ihn als kundiger Thebaner auf dem Schützenfest von seinem hohen Ehrenposten verdrängt, indem er selber Schützenkönig wird. Nun verweigert er seinem Thronfolger die Hand seiner Tochter, worauf Bräutigam, Braut und deren Schutzgeist Tante Jette nach Berlin entfliehen. Dahin folgt ihnen der erboste Schuhmachermeister und nun wird der Schwank ein bunt militärischer, indem er uns das Leben und Treiben in der Kaserne und auf einem Ball der Kompagnie vorführt. Und Alles löst sich natürlich in Wohlgefallen auf, an dem auch das Publikum Theil nimmt. Die Autoren und Darsteller wurden nach dem dritten und vierten Akt mehrmals stürmisch hervorgerufen. Ohne Zweifel wird „Tante Jette”, soweit die allgemeine Wehrpflicht reicht, mit demselben guten Erfolg gegeben werden. Die Aufführung war eine vortreffliche, die schwierige Inszenesetzung eine gleiche Leistung des Herrn Georg Droescher. Die Titelrolle wurde von Frau Clara Wenk mit derben, aber durchaus der Rolle angemessenem Humor gegeben. Herr Ernst Formes machte aus dem groben und gutherzigen Meister Kern eine Volksfigur der besten Qualität in Erscheinung und Ton. Die Autoren konnten sich keinen besseren Vertreter wünschen. In der Episode eines verkommenen Menschen, Namens Birkhahn, leistete Herr Albert Bassermann das Außerordentlichste, für das ihn stürmischer Beifall belohnte. Er erzählt seine Lebensschicksale, und da er mittheilt, daß er sich auch als Clown im Circus zu ernähren versucht habe, zeigt er plötzlich der Tante Jette, die nicht weniger als das Publikum überrascht war, wie er auf den Händen herumspazirt sei und Purzelbäume geschlagen habe. Frl. Schroth als Mieze Kern, Herr Schmelzer als Reservist, Herr Graul als Barbier und Herr Droescher als Hauptmann spielten ihre Rollen mit vielem Eifer. Wenn das Theater ein eisernes Kreuz wegen Tapferkeit zu vergeben hätte, so müßten die Herren, welche die fünfte Kompagnie repräsentirten, mit demselben geschmückt werden. Das Theater war ausverkauft, das Publikum während des ganzen Abends in der heitersten Stimmung.
J.St.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 21.September 1897 steht:

Freiherr v.Schlicht, der Mitverfasser des Schwankes „Tante Jette”, der im Berliner Theater soeben mit großem Erfolg zur Aufführung gelangt ist, wird in den nächsten Tagen im Verlag von Freund u. Jeckel (Carl Freund) die zweite Folge seiner Militärhumoresken „Aus der Schule geplaudert” erscheinen lassen. Wir machen schon heute unsere Leser darauf aufmerksam. Sicher wird auch dieser Band denselben Beifall finden, den die übrigen Schriften unseres beliebten Mitarbeiters in den weitesten Kreisen gefunden haben.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 25.September 1897 steht:

Im Berliner Theater waren bei der letzten Wiederholung von „Tante Jette”, die ein sehr animirtes Publikum fand, mehrere auswärtige Bühnenleiter anwesend, welche den erfolgreichen Schwank sogleich für die Provinz erworben haben. In nächster Woche schon gelangt derselbe am Stadttheater in Lübeck zur Aufführung; ebenso hat Direktor Pollini das Stück bereits für Hamburg angekauft.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 28.September 1897 steht:

Die „Tante Jette” des Berliner Theaters erwirbt sich immer neue Freunde. Auch heute geht der amusante Militär-Schwank wieder in Szene, der bei der letzten Sonntags-Vorstellung trotz des schönen Wetters vor gut besuchtem Hause gegeben wurde und das Publikum zu lebhaftem Beifall animirte.


In der Zeitung „Das kleine Journal” vom 13.Oktober 1897 steht:

Im Berliner Theater geht am Sonnabend [16.10.1897], statt der bereits angekündigten „Maschinenbauer”, der Militärschwank „Tante Jette” zum 12. Male in Szene. Die überaus günstige Aufnahme, welche das Stück am Sonntag[10.10.1897] und Montag[11.10.1897] dieser Woche wieder wieder gefunden, machte diese Änderung wünschenswerth.


TanteJetteBerlin-2

„Berliner Zeitung” vom 18.9.1897:

Berliner Theater.
Zum 1. Mal:
Tante Jette.

Schwank in 3 Akten von Hans v.Wentzel und W.v.Schlicht.

Gestern Abend habe ich einsehen gelernt, daß das Militärstück doch noch eine Zukunft hat. Und man hielt es schon für begraben in Moserthum und Schönthanerei. Zwei neue Propheten nahen in Gestalt zweier preußischer Von-Offiziere, natürlich aktiv, werfen den ganzen Plunder militärischer Karikatur von den Epauletten-geschmückten Schultern — da steht sie schon. Wer? fragen Sie. Keinen Schock bekommen, bitte, es ist die — naturalistische Soldaten-Komödie! Die nackte Kasernenstube, bis auf's „I”-Tüpfelchen getroffen; die Kompagnie daheim, wie sie leibt und lebt, der Feldwebel, Hauptmann, dazu die Hemden- und Stiefelparade, Antreten zum Essen, ein wenig Kasernenjux, Kompagnieball und schließlich — juchhe! — Parademarsch. Und bei alledem nichts, was Spaß ist oder über den Spaß geht; keine Kasernenhofblüthe, keine Hyperbel, kein Satirspiel und keine Lotterei. Alles, wie es zwei königlich preußische Offiziere gesehen haben und täglich sehen im Drill. Alles Wahrheit, Echtheit, Natur!

Nun aber die heitere Seite des Ganzen. Man hat gelacht über dieses, hat sich die Thränen von den Wimpern gewischt angesichts des preußischen Soldatenlebens. Urkomisch fand man Alles! . . . Die Verfasser dieser „Tante Jette”, die übrigens sehr wenig mit der ganzen Soldatenspielerei zu thun hat, sind Schalke. Verzeiht's ihnen ihr höherer militärischer Chef — wir würden's ihnen gerne vergeben, sind ihnen überhaupt nicht gram. Bühnenschriftsteller wollten sie gewiß nicht sein, nicht einmal Schwankfabrikanten. Um die Kasernenhof-Porträt-Studien werfen sie nur flüchtig ein paar Scenen hin, die im ersten Akt so ein Ungefähres noch nach Handlung ausschauen; im zweiten schon wird alles Beiwerk, Plunder — es verschwimmt im Nichts neben dem ganzen Militärzauber, wagt sich nicht mausig zu machen, wie der gemeine „Civiliste” neben dem uniformirten Marsjünger . . . .

Leider hatte für dieses Stück die Militärverwaltung nicht mit den geeigneten Darstellern aufwarten können. So mußten statt wirklicher Militärs die Schauspieler des Berliner Theaters herhalten. Die Uniform saß ihnen so übel nicht und so ziemlich klappten auch die Griffe. Wer am besten und längsten auf einem Bein aushielt, konnte ich in der Eile nicht konstatiren. Und doch — richtig — einmal stand Einer mit beiden Händen auf der Erde und schlug thatkräftigst Purzelbaum. Leider mußte dieses Herr Bassermann sein. Hoffen wir, daß er bald wieder normal wird und — Anderen wünschen wir es auch.
L.Rnr.


TanteJetteBerlin.jpg
„Norddeutsche Allgemeine” vom 16.9.1897

Das Berliner Theater kündigt folgenden Spielplan an: „Tante Jette” wird Sonntag, Dienstag und Donnerstag gegeben, . . .

„Norddeutsche Allgemeine”, Beilage, vom 18.Sept. 1897:

Das Berliner Theater brachte am Freitag einen vieraktigen Schwank, „Tante Jette”, als dessen Verfasser Hans v. Wentzel und W. v. Schlicht genannt sind. Das Wort „Verfasser” muß in diesem Fall allerdings in einem besonderen, einschränkenden Sinn genommen werden. Denn in dem ganzen Stück ist wohl nicht ein einziges Motiv, keine einzige Redewendung, kein Witz oder Witzversuch zu finden, dem man nicht früher in ähnlicher Gestalt auch schon begegnet wäre.

In einem Provinzstädtchen unfern von Berlin ist Schützenfest. Schuhmacher Kern ist fünf Mal nach einander Schützenkönig geworden. Es hat sich daher bei ihm mit Bezug auf diese Würde eine Art Legitimitätsgefühl herausgebildet. Einer der besser schießen wollte als er, würde, seiner Meinung zufolge, in geheiligte Rechte eingreifen, würde ein Attentat auf den Erb-Schützenkönig verüben. Nun kommt der Reservist Kirschbaum, der mit des Schützenkönigs Tochter Mieze so gut wie verlobt ist, gerade am Tage des Schützenfestes vom Militair zurück. Er betheiligt sich am Schießen und hat das Unglück, besser zu treffen, als sein Schwiegervater in spe. Dieser geräth in Wuth und wirft den Bräutigam zum Haus hinaus. Ohne weibliche Fürsorge und List würde die Sache unfraglich ein schlimmes Ende nehmen. Mieze müßte verzweifeln, denn ihr Verlobter geht stracks nach Berlin zur Kompagnie zurück und dient als Unteroffizier weiter. Aus den Augen, aus dem Sinn. Seiner Mieze hätte er da bald vergessen.

Tante Jette, die seit der Mutter Tod Kerns Hauswesen leitet, kommt auf einen Einfall, der das Schlimmste abwendet. Mieze reist ihrem Georg nach und sucht in Berlin Stellung. Es trifft sich, daß beim Hauptmann der Kompagnie, in welcher Kirschbaum dient, eben eine Stelle offen ist. So dienen Mieze und ihr Georg gewissermaßen in derselben Kompagnie.

Der alte Herr Papa, der Ex-Schützenkönig, donnerwettert freilich weiter. Er will die Mieze zurück haben, da ihm Tante Jette, die er schwer gekränkt, inzwischen auch davongelaufen ist. Es entspinnen sich Verhandlungen, welche Herrn Kern und Fräulein Jette Anlaß geben, sich ebenfalls in der Kaserne einzufinden. Die Verfasser des Schwankes aber erhalten Gelegenheit, die bekannten Bilder vom Soldatenleben auf der Stube realistisch vorzuführen. Sie thun dies mit größerer Ausführlichkeit, als es bisher üblich war. Zum Schluß kommt dann ein Kompagnieball, bei dem der Hauptmann alle Schwierigkeiten applanirt. Mieze kriegt ihren Georg, und der Exkönig Kern erhebt die Tante Jette zur Würde seiner Hausfrau.

Gespielt wurde recht flott und munter. Der Schützenkönig, der im Mittelpunkt des Ganzen steht, erhielt durch Herrn Ernst Formes eine Verkörperung, die kaum etwas zu wünschen übrig ließ. Emilie Schroth als Mieze und Klara Wenk als Tante Jette verdienen ebenfalls alles Lob. Unter den mitwirkenden Soldaten that sich Herr Schefranek als Gefreiter Vogel durch eine vorzügliche Maske, sowie durch köstlich gespielte Dummheit und Gefräßigkeit hervor. Großen Beifall erzielte auch Herr Bassermann in einer episodisch eingeschalteten Charge, indem er das Publikum nicht nur mit einer höchst ergötzlichen Maske, sondern auch mit echtesten Zirkuskunststücken überraschte. Das Alles war ganz nett und so harmlos wie nur immer möglich. Wenn sich auch Zeichen des Mißfallens kundgaben, so drückte sich darin offenbar nur die Zweifelsfrage aus, ob dergleichen ins „Berliner Theater” gehöre, auf die Bühne, wo auch „Faust” und „König Heinrich” gespielt werden.

„Norddeutsche Allgemeine” vom 20.Sept. 1897:

Im Berliner Theater fanden die Wiederholungen von „Tante Jette” am Sonnabend und Sonntag vor vollbesetztem Hause und einem beifallsfrohen Publikum statt. Die Verfasser H. von Wentzel und Frhrn. v. Schlicht haben von Wien aus den Antrag erhalten, das Stück für die dortigen Verhältnisse zu lokalisieren.


In der Nr. 262 der "Frankfurter Zeitung" vom 21. September 1897 liest man:

Berliner Theater. Aus Berlin, 20. September, wird uns geschrieben:
Die Militärvergnüglichkeit bildet ein besonderes Kapitel in unserem Theaterwesen. Im Augenblick kann man auf drei Berliner Bühnen zugleich Soldaten- und Kasernenszenen studiren, in den "Berliner Fahrten" des Centraltheaters, in der "Einberufung" des Residenztheaters und in der jüngsten Novität des "Berliner Theaters"  "Tante Jette", von den Herren v.Wentzel und v.Schlicht. Bei den französischen Verfassern der "Einberufung" ist die Militärvergnüglichkeit allerdings mit Bitternissen gemengt. Durch den Spaß hindurch blickt man auf die Rauhheit des Dienstes. Es setzt ordentliche Püffe. Die deutschen Possenautoren neigen der Schönfärberei zu. Da wird die Kaserne wirklich beinahe zur Ferienkolonie, in der eitel Ulk gedeiht. So auch in der "Jette", die eine brave ledige Muhme vorstellt. Außer den Soldatenspäßen, die übrigens das Publikum in lebhaftes Gaudium versetzen, kommt nichts in dem Stücke vor, was irgendwem Kopfschmerzen bereiten könnte. Die Komödie wahrt sogar bei allem feurigen Militärenthusiasmus eine löbliche Objektivität. Ein Wort, das mir schon einmal bei einem Schauspiel der Frau Natalie v.Eschstruth begegnete, kehrt wieder. Es behauptet Jemand, daß ein Civilist so gut anständig sein könne, wie ein Soldat. Das soll nicht etwa durch Ironie wirken und Überhebungen kennzeichnen, es ist mit biedermännischer Treue und Erbaulichkeit vorgetragen; und für Erbaulichkeiten soll man in so gründlich schlechten Zeiten, wie die jetzigen sind, dankbar sein. So hat denn das Berliner Theater angefangen wie das Brudertheater des Herrn Prasch in Charlottenburg. "Joethe-Theater und Jettetheater", schrieb Heinrich Hart in der Täglichen Rundschau, "das ist Alles eins." L.Sch.


Die Zeitschrift „Deutsche Bühnen-Genossenschaft” schreibt am 17.Sept. 1897 in ihrer Nr. 38, S.326:

Im Berliner Theater wird heute die Neuheit „Tante Jette” zum ersten Male gegeben. Von den beiden Verfassern des Schwankes, H.v.Wentzel und Frhr.v.Schlicht, ist der Letztere auf litterarischem Gebiete durch seine „Militärhumoresken” bereits rühmlichst bekannt, während H.v.Wentzel als Bühnenschriftsteller frühere Erfolge aufzuweisen hat; auch in Berlin wurde seiner Zeit am „Neuen Theater” ein Werk seiner Feder, „Deutsche Treue”, aufgeführt.

Am 24.Sept. 1897 liest man dann in der gleichen Zeitschrift, Nr. 39, S.333/334:

Im Berliner Theater hat die Soldatenkomödie „Tante Jette” von H.v.Wentzel und Frhr.v.Schlicht einen Heiterkeitserfolg gehabt. Das Milieu der Kasernenwelt war gut getroffen, und mancher Spaß verfehlte seine Wirkung nicht. Die Verfasser wurden wiederholt gerufen. — Für die nächste Woche wird wieder eine interessante Novität angekündigt, welche bereits bei der Probe-Aufführung am Stadttheater zu Lübeck einen starken Erfolg errungen, so daß das Werk in kurzer Zeit 15mal wiederholt werden mußte: „Das höchste Gesetz”, soziales Drama in 4 Akten von T. Szafranski.


Besetzung bei der Aufführung im "Thalia-Theater", Hamburg:

Kern, Schuhmacher
Mieze, seine Tochter
Tante Jette
Hugo
Otto
DinnebierBarbier und Schützenmajor
Georg Kirschbaum, Reservist
Schwarz, Bierwirth
Sachs, Handwerker
Maier, Gefreiter u. Stubenältester
Vogel
Igel
Caspar
Hansen
Hauptmann d. 5. Compagnie
Feldwebel
Unteroffizier im Dienst
Wilhelm, Bursche
Fritz Birkhahn, ein Heirathsschwindler
Kasernenwärter
Nachbarn:
Nachbarinnen:
Regie

Herr Max
Frau Hücker
Fräulein Gröger
Frau Bergère
Fräulein Hay
Herr Flashar
Herr Bozenhard
Herr Badewitz
Herr Görner
Herr Hallenstein
Herr Brahm
Herr Zimmermann
Herr Horsky
Herr Gartne
Herr Schumann
Herr Peters
Herr Liebnitz
Herr Kent
Herr Homann
Herr Otto
Herr Wittkamp, Herr Aleff
Frl. Tannert, Frl. Herold
Herr Peters

TanteJetteHamburg.jpg

Wie aus der nebenstehenden Anzeige hervorgeht, war eine zweite Aufführung von „Tante Jette” für den Abend des 10.Okt. 1897 vorgesehen. Diese Aufführung wurde jedoch abgesetzt, stattdessen wurde „Die Stützen der Gesellschaft” gegeben.


Neue Hamburger Zeitung vom 8.Okt. 1897:

Thalia-Theater.

(Tante Jette, Schwank in 3 Aufzügen von Hans v. (Wentzel und Frhrn. v. Schlicht.)

„Tante Jette” ist tot; sie starb unmittelbar nach der Geburt — ein trauriges, aber ein wohlverdientes Geschick. Trotzdem Herr Bozenhard zum Schluß einen schneidigen Parademarsch kommandierte, trotzdem sogar die fast epidemische „Biene” dabei gespielt und gesungen wurde, „Tante Jette” fiel durch mit Pauken und Trompeten. Nach dem ersten Akte war das Publikum stumm; man sagte sich: es wird wohl noch kommen; der zweite Akt verlief gleichfalls in faden Witzeleien, ohne daß es kam; als aber auch der dritte Akt die unglaubliche Ohnmacht des oder vielmehr der Verfasser offenbarte, da zischte das ganze Haus.

Das Publikum hat gesprochen, und ich befinde mich diesmal in der angenehmen Lage, sein Urteil völlig unterschreiben zu können. Aber von Toten soll man ja nur Gutes reden, und da das in diesem Falle wirklich nicht angeht, so will ich wenigstens milde sein und den Schleier des Vergessens über die erbarmubngswürdige „Tante Jette” breiten. Darum nichts von der kläglichen Handlung, nichts von der kindlichen Unbeholfenheit der dramatischen Technik, nichts von dem absoluten Mangel auch nur eines Versuchs, die auftretenden Personen zu charakterisieren. Nur einige Kleinigkeiten will ich noch den Verschiedenen nachrufen.

Wie viel Herr v. Wentzel, wie viel Frhr. v. Schlicht zur „Tante Jette” beigetragen haben, bleibe unentschieden. Herr v. Wentzel ist mir bisher als Dichter unbekannt geblieben; da er irgend welche Proben dichterischen Talentes in der „Tante Jette” nicht abgelegt hat, möge es auch weiterhin dabei sein Bewenden haben. Frhr. v. Schlicht — er ist Offizier, und ich will seinen wahren Namen angesichts des gestrigen Durchfalls nicht nennen — ist dem Publikum, auch den Lesern der „Neuen Hamburger Zeitung”, kein Fremdling mehr. Er kommt mir immer wie der Reiff-Reifflingen des deutschen Parnasses vor. Ueber seine kleinen anspruchslosen Skizzen aus der Kaserne, dem Manöver, dem Offizierskasino und anderen in den Leutnantshorizont fallenden Gebieten kann man sich herzlich amüsieren. Aber daß Frhr. v. Schlicht deshalb gleich unter die dramatischen Dichter geht, das war doch eine Verwegenheit, die nur ein Leutnant fertig kriegt. Frhr. v. Schlicht sagte sich: Warum nicht auch mal ein Schauspiel schreiben? Wird sich schon machen. Preußischer Leutnant kann bekanntlich alles. Was jeder Federfuchser kann, doch erst recht. Handlung? Ah, Plunder. Charakterzeichnung? Fauler Zauber! Dramatische Technik? Dummes Zeug! Man macht ein paar Witze, legt sie einem Dutzend beliebiger Personen in beliebiger Situation in den Mund und Schwank ist fertig. — Na, so einfach ist die Geschichte doch nicht, Herr Graf!

Wenn wenigstens die Witze, die der Autor verbicht, neu wären. Aber sie sind leider fast alle aus den bewährtesten Rumpelkammern hervorgesucht; Witze vom Kaliber des folgenden: „Mit ohne was darf der Soldat nicht vorübergehen?” Nämlich mit einer Pfeife ohne Deckel über den Kasernenhof.Wehe Ihnen, Herr Leutnant, wenn Sie für sämtliche Witze, die Sie anderen Autoren entlehnt haben, Nachdruckshonorar zahlen müßten! Wo bliebe da die Gage?

Aber noch schlimmer als diese Anleihen, die bei aller Welt gemacht werden, sind die zahllosen von der Gasse und aus der Gosse genommenen Ausdrücke, die gleichfalls als Surrogate für Witze dienen sollen. Ich will dem Dichter derbe, selbst rohe Ausdrücke gewiß nicht verbieten; aber sie sind nur da am Platze, wo sie notwendig sind, um eine handelnde Person zu charakterisieren. Auf keinen Fall sollte aber eine Sammlung von Ausdrücken aus einem Schimpflexikon verwendet werden, um damit heitere Wirkungen hervorzurufen. Schimpfworte sind nicht witzig, Herr Leutnant, sie sind ordinär.

Und ebenso bedenklich ist die ganze Weltanschauung — wenn man dieses große Wort für so geringe Dinge überhaupt brauchen darf — von der die „Tante Jette” durchweht ist. Der Soldat ist alles, das „Civil” ist nichts. Schon der Gemeine hat eine Vorrangsstellung, der Unteroffizier ist ein Halbgott, der Offizier aber ist die höchste Gottheit. Das „Civil” starrt in Ehrfurcht zu den unerreichbaren Höhen der bunten Röcke hinauf und schlägt förmlich Rad vor Vergnügen, wenn es einmal mit einem bunten Rock reden, oder gar selber für einige Zeit den bunten Rock anziehen darf. So liegen die Dinge nun wieder nicht, Herr Graf.

Schade um die Mühe und Arbeit, die das Thalia-Theater auf die „Tante Jette” verwendet hatte. Herr Peters hatte sein möglichstes gethan, den bunten Bildern einen entsprechenden Rahmen zu geben. Er stellte auch als Feldwebel eine echte Kompagniemutter dar. Herr Bozenhard traf als Unteroffizier Kirschbaum den Kasernenton gleichfalls vorzüglich. Die Herren Brahm, Zimmermann, Horsky, Gartner, Schumann, Kent vervollständigten mit Geschick und Humor die sehr naturgetreue Kasernenstube. Herr Max gab in dem Schuhmacher Kern eine vortreffliche Leistung. Auch Herr Homann war in einer Episode als Pennbruder und Kavalier sehr charakteristisch. Frl. Gröger konnte sich in den überderben, um nicht zu sagen, rohen Ton der Tante Jette nicht recht finden; ich nehme es ihr nicht weiter übel. Die Figur ist völlig unmöglich. Von den übrigen Damen seine Frau Hücker als Mieze, sowie Frau Berger und Frl. Hay als Schusterjungen lobend erwähnt. An den schauspielerischen Leistungen lag es sonach wirklich nicht, wenn die „Tante Jette” so rasch verschied, sondern an der dichterischen Unzulänglichkeit. Es wird Zeit, daß einmal mit dem faden Possenkram im Thalia-Theater aufgeräumt wird und unsere vortrefflichen Schauspieler in einem ernsten Stück vor ernste Aufgaben gestellt werden. Sonst nehmen beide Teile Schaden, Publikum und Darsteller, von der Kunst gar nicht zu reden.
Paul Michaelis.


General-Anzeiger für Hamburg-Altona vom 9.Okt. 1897:

Thalia-Theater.

Tante Jette, Schwank in 3 Aufzügen von Hans von Wentzel und Frhrn. von Schlicht.

Als der Schreiber dieser Zeilen gestern Abend das Thalia-Theater verließ, verspürte er jenes unbehagliche Gefühl, das sich stets einstellt, wenn man von einem Leichenbegängniß heimkehrt. Und ein Leichenbegängniß erster Klasse war es denn auch, das gestern Abend der „Tante Jette” zu Theil wurde. Sanglos und klanglos wurde die Gute eingesargt — und das von Rechtswegen. So wenig uns „Tante Jette” bei Lebzeiten gewesen, so wenig konnte uns ihr Hinscheiden betrüben. Die Stimmung des Publikums, das sich Anfangs abwartend verhielt, wurde eisiger und eisiger und machte sich zum Schluß in lebhaftem Zischen Luft. Daß hie und da einige Stellen der Novität belacht wurden, ändert nichts an der Thatsache, daß der Schwank als solcher nichts taugt — amüsirt man sich doch auch gelegentlich über einen oberfaulen Kaluer, um sich nachträglich herzhaft darüber zu ärgern. Selbst in den viel geschmähten Witzsammlungen „1000 Witze oder Du sollst und mußt lachen” finden sich Erzeugnisse von ungleich besserer Qualität — weshalb also in die Ferne schweifen? Was von dichterischer Arbeit auf das Conto eines jeden der beiden Verfasser zu setzen ist, dürfte schwer zu sagen sein, doch scheint im wesentlichen der zweite und dritte Akt vom Freiherrn von Schlicht herzurühren. Dieser ist bis jetzt durch eine Reihe ganz amüsanter Militär-Humoresken bekannt geworden, während Herr von Wentzel in den weitesten Kreisen unbekannt sein dürfte.

Die „Handlung” ist kurz folgende. Der zur Reserve entlassene Unteroffizier Kirschbaum hat das Unglück, in die Heimath zurückgekehrt, seinen präsumptiven Schwiegervater, den Schuhmachermeister Kern, beim Schützenfest zu „überschießen”. Der durch den Verlust seiner bisherigen Schützenkönigswürde gekränkte Schuhmachermeister weist natürlich dem Unteroffizier, als er ihn um die Hand seiner Tochter Mieze bittet, die Thür. Darob erzürnt, kehrt der brave Vaterlands­vertheidiger zu seinem Regiment zurück, um weiter zu dienen; seine Mieze geht mit ihm, begleitet von den Segenswünschen der Tante Jette, die dem alten Kern das Haus führt, um gleichfalls in Dienst zu treten und zwar bei dem Chef von ihres Geliebten Kompagnie. Der weitere Verlauf dieser Liebesaffaire ist leicht auszumalen — nach vielen Mühsalen bekommt der Unteroffizier seine Mieze und, damit wenigstens auch etwas Verblüffendes geschieht, Meister Kern die Tante Jette.

Das Ganze ist ein Soldatenstück, das Militär ist Alles, und das Zivil geräth in freudige Erregung, wenn es mit dem „Zweierlei Tuch” in Berührung kommt. In dem Stücke wird uns eine komische Instruktionsstunde vorgeführt, auch eine Gans kommt darin vor. Zum Schluß kommandirt Unteroffizier Kirschbaum sogar einen schneidigen Parademarsch, die Melodie des famosen „Bienenhauses” wird gesungen und danach marschirt. — Herzliebchen, was willst Du noch mehr?

War das Stück als solches bezüglich der Handlung, der dramatischen Technik und der Charakterisirung der Personen nur als höchst minderwerthig zu bezeichnen, so muß der Darstellung nach jeder Richtung hin Anerkennung gezollt werden. Hervorzuheben seien die Leistungen der Herren Bozenhard (Unteroffizier Kirschbaum) und Max (Schumachermeister Kern) sowie von Fräulein Gröger (Tante Jette) und Frau Hücker (Mieze). Die übrigen Rollen lagen in guten Händen, namentlich verdienen die Darsteller der Scene in der Kasernenstube alles Lob. Um die Inscenirung hatte sich Herr Willy Peters verdient gemacht. Schade, daß die Mitglieder des Thalia-Theaters an solche Erzeugnisse der Schwankdichtung ihre Kräfte verschwenden müssen!
C. Z.

Hamburger Fremdenblatt vom 9.Okt. 1897:

Thalia-Theater.
(„Tante Jette”)

Ueber den gestrigen Theaterabend ist kaum etwas Günstiges zu berichten. Gegeben wurde ein dreiactiger Schwank von Hans v. Wentzel und Frhrn. v. Schlicht, der den wenig geschmackvollen Titel „Tante Jette” trägt.

Die ältliche Jungfer Jette Grell führt dem verwittweten Schuhmachermeister Kern den Hausstand und vertritt Mutterstelle an dem einzigen Kinde Mieze. Diese liebt einen schneidigen Unterofficier, Georg Kirschbaum, welcher das Unglück hat, auf dem Schützenfest in der kleinen Provincialstadt besser zu schießen als Meister Kern, welcher schon fünf Jahre hindurch Schützenkönig war und nun durch den Geliebten seines Töchterchens degradirt wird. Die Folgen sind schrecklich. Meister Kern, in seiner Eitelkeit tödtlich beleidigt, will von der Heirat Nichts wissen. Kirschbaum soll wieder zurück nach Berlin und beim Militär capituliren. Das thut er denn auch, und nun tritt Tante Jette auf und stiftet die Tochter an, heimlich ebenfalls nach Berlin zu gehen und dort einen Dienst zu suchen, denn „Liebende sollen sich immer nahe sein”. Die Flucht geschieht noch im ersten Act und als Meister Kern Das erfährt, wird er (wie mir scheint mit vollem Recht) sehr zornig, und läßt auch Tante Jette, die ihm die Leviten lesen will, nach Berlin ziehen. Der zweite Act spielt in Berlin, und zwar in einer Caserne. Hier empfängt Kirschbaum Tante Jette und seine Liebste, die in den Dienst bei seinem Hauptmann getreten ist. Aber auch Meister Kern kommt, und es wiederholen sich die aufregenden Scenen. Im dritten Act findet ein Soldatenball zu Ehren von Kaisers Geburtstag statt und hier wird die unangenehme Geschichte zu gutem Ende geführt. Nachdem sich die beiden Alten noch gegenseitig tüchtig die Wahrheit gesagt haben und der Hauptmann dem Meister Kern mitgetheilt hat, daß Kirschbaum ein sehr tüchtiger Unterofficier ist und demnächst Feldwebel werden soll, gibt er seine Einwilligung zur Verlobung und verlobt sich selbst mit Tante Jette.

Diese Fabel ist von harmloser Einfachheit und nicht einmal wahrscheinlich. Trotzdem hätte sich aus ihr wohl etwas amchen lassen, wenn die Autoren den Charakter des Volkes ebenso gut studirt hätten, wie das Soldatenleben und die Caserne. Was dem Stücke das Genick brach, war die mangelhafte Lebenswahrheit der beiden Hauptfiguren Meister Kern und Tante Jette. Beide in ihrer rohen, derben Art sich zu geben und zu sprechen, ließen im Publicum keinerlei Sympathie aufkommen. Wie die beiden Personen sich miteinander unterhalten, war häufig geradezu abstoßend, nicht allein durch die triviale Derbheit ihrer Reden, sondern auch durch die Unwahrscheinlichkeit ihres Benehmens. Von dem braven und guten Herzen des Meisters Kern war vor der Schlußscene Nichts zu merken, und Tante Jette ist eine Figur, die völlig undefinirbar ist. Was an dem Stücke einzig und allein wirklich gefiel, waren die Soldatenscenen in der Caserne. Die in lebenswahrer Weise geschildeter Instructionsstunde, die Stiefel- und Hemdparade, die Abfütterung und manche kleine hübsch beobachtete Soldatenscherze riefen vorübergehend Heiterkeit hervor. Nach dem ersten Acte verhielt sich das Publicum reservirt, nach dem zweiten, welcher die Casernenscenen brachte, mischte sich in den Beifall schon Opposition und nach dem Schlußacte wurde, namentlich im Parkett und im ersten Rang, stark gezischt. Trotzdem ging der Vorhang zweimal in die Höhe und einer der Herren Autoren erschien sogar auf der Bühne. Das berührte ungemein peinlich. Wenn man hinter den Coulissen die Reden und Bemerkungen des schnell sich entfernenden Publicums gehört hätte, wäre dieser peinliche Auftritt vermieden worden. Es hat sich ja leider in den letzten Jahren die Gewohnheit im Thalia-Theater eingebürgert, daß selbst bei einem geringen Erfolge der Autor auf die Bühne hinausgeführt wird. Die höchste Auszeichnung, welche einem Autor zu Theil werden kann, wird durch dieses Gebahren profanirt, aber, daß Dies auch geschieht bei einem offenbaren Fiasco . . . . nun, ich bin begierig, was geschehen sollte, wenn wirklich einmal ein zweiter Shakespeare erschiene. Welche Auszeichnung wäre für Den gut genug? Von der kunstverständigen Leitung, die uns am Dinstag eine so treffliche Aufführung eines Ibsen'schen Stückes bescheerte, erwarten wir, daß sie von dieser geschäftsmäßigen und zur Trivialität gewordenen Auszeichnung der Autoren fernerhin Abstand nimmt. Die Autoren selbst sind schuldlos daran, denn sie selbst sind meistens in Folge der überstandenen Aufregung unfähig, zu entscheiden, ob der Erfolg ein so großer ist, daß es dem Publicum Freude machen dürfte, ihre persönliche Bekanntschaft zu machen.

Noch Verschiedenes kann man aus dem Fiasco dieses Stückes lernen. Es ist nicht gut, wenn man auf die Nachricht von dem Erfolge eines Stückes in Berlin hin, unbesehen die Novität auch für Hamburg erwirbt. Ich kenne die Darstellung und das Publicum des „Berliner Theaters” nicht, in welchem angeblich „Tante Jette” einen guten Erfolg davongetragen haben soll, aber die Ansprüche, welche man im „Berliner Theater” stellt, scheinen sehr geringer Art zu sein, jedenfalls viel bescheidener als man im Hamburger Thalia-Theater zu stellen gewohnt ist. Auf einer vorstädtischen Bühne hätte „Tante Jette” vielleicht gefallen. Sehr zu bedauern ist, daß auch der Name des Frhrn. v. Schlicht als Mitarbeiter genannt ist. Dieser liebenswürdige Humorist und Novellist, welcher sich durch seine kleinen Skizzen und Erzählungen einen angesehenen Namen erworben, hat sich offenbar auf ein Gebiet begeben, dessen er nicht Herr und Meister ist.

Von der Darstellung ist vor allen Dingen zu sagen, daß sich alle Schauspieler große Mühe gaben, ihre Rollen zur Geltung zu bringen. Es ist schwer zu entscheiden, ob nicht hier und da die Derbheit im Spiele und im Dialoge, namentlich bei Fr. Gröger (Jette) und Herrn Max (Kern), hätte gemildert werden können. Die Figuren lebenswahr zu gestalten war ein Problem, das m.E. gar nicht gelöst werden konnte. Beide Künstler setzten ihr bestes Können ein und verdienen großen Lob. Die übrigen Rollen geben eigentlich keinen Anlaß zu großer schauspielerischer Kunstentfaltung. Die Damen, Hücker, Hay und Bergère, sowie die Herren Bozenhard, Schumann, Flashar, Peters, etc. spielten mit Eifer und guter Laune. Ganz vortrefflich wurde namentlich im zweiten Act die Ensemblescene in der Caserne gespielt. Es zeichneten sich neben den Herren Bozenhard und Peters namentlich die Herren Hallenstein, Brahm und Kent aus, welche scharfumrissene, humoristische Soldatentypen gaben. Herr Peters hatte das Stück mit vielem Geschick in Scene gesetzt.           Oscar Riecke.


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„Düna-Zeitung” vom 20.6./1.7.1898

Aus dem Bureau des Hagensberger Sommertheaters geht uns die Mitteilung zu, daß morgen am Nachmittage wiederum eine Vorstellung zu ermäßigten Preisen stattfindet; zur Aufführung gelangt der mit großem Beifall aufgenommene schwank „Die Loreley”. Am Abend erlebt der französiche Schwank „Die Einberufung” von André und Jean Gascogne seine 6. Wiederholung. Die Häuser waren bisher stets voll und man darf daher auch für den morgenden Abend auf ein volles Haus mit Bestimmtheit rechnen. Zum Krautabend hat die Direction eine besondere Feier vorbereitet. Der neue 3actige Schwank „Tante Jette” von Hans v. Wentzel und Freiherrn v. Schlicht, der sich bei seinen zahlreichen Aufführungen in Berliner Theatern der ganz besonderen Gunst des deutschen Kaisers er4freute, gelangt an diesem Abend zur ersten Aufführung.

An diesem Abend absolvirt Frau Lina Moeller-Scheedel, die beliebte komische Alte des Central-Theaters in Berlin, in der Titelrolle ihre Gastrolle vor dem hiesigen Publicum. Außerdem wird das Publicum an diesem Abend eine ganze Musterkarte deutscher Waffen und Uniformen auf der Bühne wimmeln sehen, die extra für dieses Stück von der Firma W. Braunspuhn in berlin geliefert wurden. Zum Schluß der Vorstellung wird das Publicum noch durch eine prächtige Illumination des ganzen Gartens erfreut werden.

„Düna-Zeitung” vom 23.6./4.7.1898

Im Hagensberger Park ist, um vielfach geäußerten Wünschen des Publicums entgegenzukommen, für die Nachmittagsvorstellung am Johannis tage zu ermäßigten Preisen das Lustspiel „Charley's Tante” angesetzt worden. Es ist dies die letzte Aufführung dieses Stückes in dieser Saison! Am Abend wird der gestern vor vollem Hause gegebene neue Schwank „Tante Jette” zum ersten Male wiederholt.

„Rigasche Rundschau” vom 23.6./4.7.1898

Im Hagensberger Sommer-Theater wurde gestern ein neuer dreiactiger Schwank aufgeführt „Tante Jette”. Die hochgeborenen Verfasser Hans v. Wentzel und Freiherr v. Schlicht haben es nicht verschmäht, bei dieser Gelegenheit in die unteren Volksschichten hinabzusteigen und ihr Stück in der Schusterwerkstatt und in der Kaserne spielen zu lassen. Eben so wenig aber haben sie es verschmäht, Witze, die durch ihr hohes Alter bereits einen Anspruch auf Ehrwürdigkeit besitzen, wieder hervorzuholen, um die naivsten Theaterbesucher zum Wiehern zu bringen. Mit der Wendung z. B. „Wenn Du so lang wärst, als du dumm bist, müßtest Du Dich bücken, um dem Monde den Buckel zu kratzen” — wurde bereits vor fünfunddreißig Jahren an unserer Landesuniversität touchirt und gestern adressirte dieselbe Phrase ein Feldwebel einem Soldaten mit der einzigen Aenderung des Zwecksatzes: „um aus der Dachrinne zu saufen”. Ebenso würden zu den meisten übrigen Scherzen die „Fliegenden Blätter” wohl als Quelle zu betrachten sein. Dafür hat der Schwank aber einen großen Vorzug: er ist durchweg bei aller gelegentlichen Derbheit des Umgangstones anständig und sauber und man braucht Kind und Kegel nicht zu Hause zu lassen. In der Titelrolle führte sich Frau Lina Möller-Scheedel sehr glücklich als komische Alte ein, die sowohl in Erfüllung ihrer Quasi-Mutterpflichten, wie auch in später Erkentniß ihres liebedürftigen Herzens höchst drollig wirkte und in das hiesige Possen-Personal sich trefflich einfügen wird. Recht glaubwürdig verkörperte Herr Siegwart seinen verunglückten Schützenkönig, dem er trotz aller Widerhaarigkeit doch immer noch eine gewisse Bonhommie zu geben wußte. Fräulein Bischoff, die aus einem Gast bereits zu einem Familiengliede des Hagenberger Theaters geworden ist, war sehr nett als sein Töchterchen Mieze, der es nicht gestattet wird, sich zu verschießen, weil ihr Liebster (Herr Ruhbeck als Reservist) einen Bock geschossen und beim Königsschießen seinen Schwiegervater in spe überschossen hat. Der Alte schießt indeß mit seinen Einwänden zu kurz und schießt wohl zu dem spärlichen Feldwebel-Solde seines Schwiegersohnes noch ein erkleckliches zu. Außer der Frau Lina Möller-Scheedel waren noch fettgedruckt auf der Affiche angekündigt: die von der Firma Braunspahn in Berlin gelieferten neuen Kostüme. Nun, Braunspahn in allen Ehren, wenn nur an die Knöpfe nicht Grünspan kommt. Aber ebenso gut wie Braunspahn hätte jeder hiesige Regimentsschneider die Röcke geliefert, pari auf eine Flasche Rotspahn!


Erwähnungen in Schlichts Werken:

In seiner Autobiographie und in der Humoristischen Theater-Zeitschrift „Striese”(„Das schöne Stück”) schreibt Freiherr von Schlicht über das Volksstück „Tante Jette” und über die Uraufführung am „Berliner Theater”.

Und in der Humoreske „Pscht!”, veröffentlicht in dem Band „Excellenz kommt!” (Kürschners Bücherschatz Nr. 119, Hermann Hillger Verlag, Berlin-Eisenach-Leipzig, 1898) schreibt Schlicht selbst:

Ich habe so viel geliebt, daß ich mich eines Tages nicht mehr begnügte mit den Frauen und Jungfrauen, die da leben und weben, sondern daß ich mich eines Tages in ein Gebilde meiner Phantasie verliebte – und das Kind dieser Liebe war und ist die „Tante Jette”, die kürzlich im Berliner Theater aufgeführt wurde und seitdem eine ganze Reihe von Wiederholungen erlebt hat und hoffentlich auch noch erleben wird.

Man hat mich kürzlich aufgefordert, anzugeben, wie mir bei der Premiere zu Mut gewesen wäre.

Du großer Gott — wie war mir zu Mut! Nachmittags um sechs Uhr fühlte ich mein Ende nahen — ich ließ mir nicht den Beichtvater, wohl aber den Kellner kommen und bestellte Pilsener Bier — gut, aber viel. Nur dem Erfinder des Pilsener Bieres verdanke ich es, daß ich heute noch lebe. Als ich das ausverkaufte Haus sah, dachte ich: Was bleibt von dem ganzen Publikum übrig, wenn es auf einmal mitten während der Vorstellung aufsteht und hinausgeht? Im Geiste gähnte mich eine gähnende Leere an und ich stürzte hinter die Kulissen. Wie Marius auf den Trümmern von Karthago saß ich dort auf einer leeren Kiste: mir war zu Mut — nein, mir war gar nicht zu Mut —, meinen Mut hatte ich im Hotel in die Kommode eingeschlossen. Mir war ganz gewaltig bange, und wenn ich das fröhliche Lachen im Zuschauerraum hörte, dann dachte ich immer: „Herr Gott, sie lachen dich aus,” ohne zu bedenken, daß bei einem Schwank das Lachen doch die Hauptsache ist — na, und wenn ich etwas klatschen hörte, dann faßte ich mich an jene Körperstelle, auf der nur Akrobaten nicht sitzen, weil sie immer Kopf stehen, und dachte: „Wie wird es dir ergehen?” Was der Wentzel*) dachte, der mir von allen vier Wentzel der liebste ist, weiß ich nicht. So ging mir's bei der „Tante Jette”, bis freundlicher Beifall mir sagte: „Beruhige dich, die Gefahr ist überstanden.”

Froh und glücklich ging ich am Abend — oder war es am nächsten Morgen? — nach Haus, froh hauptsächlich darüber, daß am ganzen Abend im ganzen Theater nicht ein einziges Mal das Wort laut geworden ist, das jeder Autor am meisten haßt, das Wort: Pscht.


*) H. von Wentzel lebt als Hauptmann a.D. in Charlottenburg und widmet sich der Bühnenschriftstellerei: er ist der eigentliche Gedankenvater des gemeinsam verfaßten Schwankes: „Tante Jette”.


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